105 ** zu viert unterwegs ** Sa. 25.1.2020

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Ahhhhh – wie ich diese Geheimniskrämerei hasse. Jenny und ich werden uns nächste Woche outen. Wir hoffen einfach, dass wir Kollegen finden, die die Mentorenschaft für sie übernehmen. Ansonsten will sie in den sauren Apfel beißen und die Schule wechseln. Da haben es Toni und Max erheblich schwerer. Noch drei Wochen müssen sie durchhalten, dann ist wenigstens das Altersproblem vom Tisch. Aber bis zum Juni immer weiter so? Das ersparen wir uns lieber.

Ich lenke meinen Combi aus der Tiefgarage, um Jenny und Toni einzusammeln. Wir haben beschlossen, dass eine Fahrt zu dritt unverfänglich ist, weil jeder weiß, dass wir uns gut verstehen. Da das Wetter endlich etwas milder geworden ist und heute sogar die Sonne scheint, fahren wir gemeinsam ins Bergische Land nach Waldbröl zu einem Baumwipfelpfad. Nur der arme Max muss wieder mit dem Zug nach Wuppertal fahren, wo wir ihn einsammeln werden.

Ich fahre bei den Mädels vor, und sie warten unten schon auf mich. Jenny rutscht neben mich auf den Beifahrersitz. Mein Blick fällt auf die Rückbank.
Uuups – da liegt ja alles voll.
Während Toni in der offenen Autotür darauf wartet, drehe ich mich nach hinten rum und räume schnell die ganzen Sachen beiseite.
„Was glaubst du, wie lange wir nach Waldbröl brauchen, Lennart?"
Ich schiele irgendwie um die Ecke, damit ich nach oben und Toni richtig anschauen kann.
„Anderthalb bis zwei Stunden, da wir ja noch den Schlenker machen."

Toni nickt.
„Ich freue mich total auf diesen Baumwipfelpfad."
Dann rutscht sie schnell auf die Rückbank. Türen zu und los.

Klick.

Soso. Waldbröl. Na, dann los!

Ich begrüße meine Jenny mit einem schnellen Schmatzer und steuere zurück auf die Straße. Werden. Velbert. Wuppertal. Wir unterhalten uns locker, bis Toni es übernimmt, mich in Wuppertal zum Bahnhof zu lotsen. Auch Max steht schon vor der Tür und steigt ganz schnell ein zu Toni auf die Rückbank. Ab gehts auf die Autobahn, das ist am schnellsten.

Klick.

Dacht ichs mir doch!

„Also, meine lieben Kinderlein, dann lasst uns starten. Habt ihr auch alle an Essen und Trinken gedacht? Seid ihr warm genug angezogen? Habt ihr alle eure Schuhe ordentlich zugebunden? Wo sind eure Impfp..."
Mit jeder Frage wird das Gelächter von der Rückbank und neben mir lauter, bis ich selbst nicht mehr weiter kann. Ja, ich bin vier Jahre älter als Jenny, fünf Jahre älter als Toni und elf Jahre älter als Max. Und es macht einfach Spaß, hier den Opa zu spielen. Aber in Wahrheit scheint der doch ziemlich große Unterschied zwischen Max und mir völlig egal zu sein. Er benimmt sich mir gegenüber ganz ungezwungen. Und das ist sehr angenehm.

Gegenüber Toni nehme ich dagegen bei ihm immer noch einen Hauch von Unsicherheit wahr. Ich hoffe, dass Max bald seine Zurückhaltung ablegt, denn spätestens, seit er Toni das Leben gerettet hat, sehen wir alle in ihm nicht mehr den Jugendlichen sondern ein gleichberechtigtes Gegenüber. Wenn ich jetzt in den Rückspiegel schaue, sehe ich die 24-Jährige, die ihren Kopf auf der Schulter vom 17-Jährigen abgelegt hat und so verträumt und zufrieden ausschaut. Als wäre es ganz klischeehaft umgekehrt. Max hat locker seinen Arm um sie gelegt, streicht ihr langsam den Arm hoch und runter und strahlt eine Ruhe und Gelassenheit aus – da muss ich mir das Kopfschütteln verkneifen, weil seine Befürchtungen gradezu absurd erscheinen.

Auf dem Kölner Ring wechsele ich von der A3 auf die A4, und wir fahren nun durchs tief verschneite Bergische Land. Bei der Ausfahrt Bergneustadt schließlich verlasse ich die Autobahn und wende mich nach Süden.
„Witzig. Da scheint jemand das selbe Ziel zu haben wie wir. Ist sogar ein Essener Kennzeichen. Wie lang der wohl schon hinter uns ist?"
Alle drei drehen sich kurz um, interessieren sich aber nicht wirklich dafür.
„Naja, das Ziel lohnt sich ja auch."

In Waldbröl folge ich der Beschilderung und stelle mein Auto ganz in der Nähe des Eingangs auf den riesigen, leeren Parkplatz. Jenny schaut sich um.
„Ich möchte das schon auch mal im Sommer sehen. Aber andererseits – stellt euch doch mal vor, dass dieser komplette Parkplatz voll ist! Dann tritt man sich doch da oben gegenseitig auf die Füße! Wir sind hier heute nahezu alleine. Ich bin echt gespannt wie eingeschneiter Wald von oben aussieht."
Ich greife nach ihrer Hand und wende mich zum Kassenhäuschen.
„Wir werden es bald wissen!"

KLICK.

Max legt seinen Arm um Tonis Schulter. Ihr Arm wandert zu seiner Hüfte, und bald laufen die zwei automatisch im Gleichschritt neben uns her. Es ist so schön, das zu sehen!

KLICK.

Max sieht man seine Neugierde und Vorfreude echt an.
„Ist es für euch auch das erste mal auf so einem Baumwipfelpfad? Ich hab sowas jedenfalls noch nie gesehen."
Jenny und Toni waren im Bayrischen Wald schonmal in so luftiger Höhe.
„Auf Rügen gibt es auch einen, aber den hab ich damals nicht geschafft, weil ich ja zum Lernen fürs Examen dort war. Ich bin nur jeden Tag einmal raus zur Steilküste und hab mir den Kopf durchpusten lassen, dann gings wieder ab an die Bücher."
„Du warst mal auf Rügen, Lennart?"
„Hm. Ist ein paar Jahre her. Aber ich hätte wirklich gerne mehr gesehen. Das war also bestimmt nicht das letzte Mal."
„Lernt sichs da gut? Dann fahr ich da auch hin."
Verschmitzt grinsend schaut Jenny mich von unten an, und mir wird trotz der Kälte ganz warm vor Freude. Ihr zweites Staatsexamen liegt im kommenden Winter. Also würde es gut passen, wenn wir in den Herbstferien einen Arbeitsurlaub auf Rügen machen würden.
„O.K. - kein Problem. Dein Wunsch ist mir Befehl, Herzallerliebste!"

Mit den Eintrittskarten in der Hand gehen wir durch die elektronische Schranke und steigen dann im Turm die Endlosspirale hoch, bis wir schließlich 23 Meter über dem Boden auf Höhe der Baumwipfel angekommen sind. Sofort stehen wir alle Vier am Geländer und staunen uns die Augen aus dem Kopf – soweit das Auge reicht, liegt der Wald rund um uns herum glitzernd weiß im Sonnenlicht. Verträumt lehnt sich Jenny an mich, und ich lege meine Arme um ihre Taille. Sie flüstert nur.
„Der Wald hat sein Hochzeitskleid angelegt. Etwas so Schönes, Stilles, Friedliches habe ich glaube ich noch nie gesehen."
Und ich hab dich noch nie so still und friedlich gesehen, meine Schöne.

KLICK.

Hat es sich doch gelohnt, dass ich mir das Tele ausgeliehen habe ...

Pärchenweise schlendern wir nun den luftigen Pfad entlang, entdecken Nester in den Zweigen der Bäume, balancieren an den Stationen des Sinnespfades über Balken oder Netze, fotografieren glitzernde Eiskristalle auf trockenem Laub in den Buchen. Wir sind ganz alleine hier oben, und das ist traumhaft schön, weil wir uns so ungezwungen benehmen können.

Es fühlt sich seltsam an, von OBEN auf einen Baum zu schauen. Es ist putzig, einem Eichhörnchen von OBEN zuzusehen, wie es einen Stamm hinaufflitzt. Und immer wieder ergeben sich neue Blicke in die Tiefe oder weit hinaus ins Land. Angeblich kann man von hier aus bei sehr klarem Wetter bis Köln kucken.
Wir brauchen fast zwei Stunden für die 1,6 Kilometer des Baumwipfelpfades, der sich am Ende sanft zum Waldboden hinabschwingt.

Und jetzt ist uns auch so richtig kalt. Deshalb gehen wir noch ins angeschlossene Waldmuseum.

Dort lassen wir uns allerdings erstmal im Restaurant nieder, bevor wir noch mehr Wissen in unsere Köpfe stopfen. Wir bestellen uns jeder eine warme Suppe und einen heißen Tee und wärmen uns so richtig von innen auf.
„Frau Tucher, kommen Sie eigentlich irgendwann auch noch zu uns in die Zwölfte in Sport? Sooo lange sind wir ja gar nicht mehr da."
„Ich werde bei euren praktischen Prüfungen dabei sein, damit ich das auch mal erlebt habe. In ein paar Jahren werde ich ja selbst Prüfungen abnehmen. Und ich werde mir demnächst von Euch schriftlich geben lassen, dass ich eure Klausuren auch lesen darf."
„Ich glaube kaum, dass da jemand was dagegen hat. Die Hälfte von uns kennt Sie aus der Eifel. Da werden sich alle freuen, Sie zu sehen."

„Außerdem bin ich ja rasend neugierig auf eure Vierer-Prüfung mit der gemeinsamen Aufführung."
Toni grinst, und Max wächst um mindestens zwei Zentimeter auf seinem Stuhl.
„Ja, da sind wir selbst gespannt drauf. Neben dem intensiven Training für die Aufnahmeprüfungen entsteht allmählich unsere Performance. Es macht unglaublich Spaß und vermittelt zusätzlich uns eine Ahnung davon, was ein Choreograph eigentlich bei seinem Job macht."

Zum Nachtisch kriegen wir noch warmen Apfelstrudel. Max fängt an, Toni zu füttern, die sich das gerne gefallen lässt. Die beiden albern sich schnell richtig ein. Wenn ich bedenke, wie fertig Toni in den letzten Wochen ausgesehen hat, weil ihre Situation im Grunde eine einzige Überforderung ist, dann bin ich bei diesem Anblick einfach nur froh.

KLICK.

Hoffentlich wird das Bild was, so durch die Scheibe geknipst ... Ab nach Hause. Ich hab genug, jetzt kann ich ans Basteln gehen.

Das Museum ist nochmal richtig spannend aufgebaut. Auf die Idee, die Geschichte Deutschlands zu schreiben anhand des wechselnden Baumbestandes und der Waldnutzung – auf die Idee wär ich auch nicht gekommen. In einem Raum geht es um den Nährstoffkreislauf im Wald – Samen, Baum, Umfallen, Totholz – und darin unendlich viel winziges Leben, das den Baum nach und nach zerlegt. Und die Tiere. Wer lebt alles im Wald, hat hier früher gelebt, u.s.w. Nach den beeindruckenden Ausblicken eben zwischen den Kronen der Bäume ist es etwas ganz anderes, jetzt etwas über dieses Stück Natur zu lernen. Ich merke, wie in mir mal wieder der Philosoph anspringt. Noch nie habe ich die griechischen Naturphilosophen so gut verstanden wie heute.

Irgendwann sind unsere Köpfe zum Platzen gefüllt mit Eindrücken und Informationen. Auf einmal schlingt Max seine Arme von hinten um Anni, die sich grade auf eine Erklärungstafel an der Wand konzentriert.
„Leute, ich bin satt. Mein Kopf ist so voll, mir reichts für heute. Und nachher muss ich da noch ein bisschen 'Faust 1' reinstopfen. Können wir uns langsam wieder nach Hause trollen?"

Da nun die Sonne längst untergegangen ist, wird es wieder sehr kalt. Also flitzen wir schnell vom Museum zum Auto und zittern uns dort gemeinsam warm.
„Leute, kennt ihr schon die neueste physikalische Einheit?"
Jenny kuckt mich neugierig an.
„Nö? Was hab ich im Studium verpasst?"
„Das ist ZPS, und wir stellen hier grade Rekorde auf, weil die Autoheizung so lahmarschig ist."
Alle drei schauen mich erwartungsvoll an.
„Kennt ihr das nicht? ZPS bedeutet Zittern pro Sekunde."
Jenny haut mir gegen das Bein, Toni dreht die Augen zur Decke und Max klatscht sich mit der flachen Hand vor die Stirn – aber lachen tun sie doch alle drei.

Kurz vorm Kreuz Hilden frage ich Richtung Rückbank.
„Max? Wuppertal?"
Max seufzt.
„Muss wohl."
„Wieso? Gibts nicht einen Bahnhof, der näher dran oder für dich günstiger liegt? Wo steht denn dein Fahrrad? Am Hauptbahnhof?"
„Zu Hause? Zum Bahnhof fahre ich immer mit der U-Bahn."
Es ist zum Auswachsen.
Soll der arme Junge jetzt auch noch zwei Stunden öffentlich durch die Gegend gurken???
„Vorschlag: Max macht es sich auf Tonis Schoß gemütlich, damit man ihn nicht sieht, ich fahre die beiden Mädels so nach Hause, wie ich sie eingesammelt habe. Dann gurke ich um ein paar Alibiecken und schmeiße Max in einer dunklen Seitengasse raus. Aber ihr müsst selbst wissen, wie sicher ihr sein wollt."

Max hat zunächst gegrinst und sich fröhlich kichernd auf Tonis Schoß fallen lassen. Jetzt seufzen beide und schauen sich ganz lange stumm an.
Sieht lustig aus. Ist nur leider nicht lustig ...
„Ist das ein Starrwettbewerb oder telepathische Entscheidungsfindung?"
Max knurrt. Dann wendet er sich an Toni.
„Liebes, ich möchte, dass du ganz in Sicherheit bist. Ich fahre gerne stundenlang durch die Gegend, wenn das für dich besser ist."
„Ich weiß, Max. Aber ... ach Quatsch. Lennart, fahr uns nach Hause. Ich bin es leid."

Also bleibe ich auf der A3, und Max macht es sich auf Tonis Schoß richtig gemütlich. Er stopft sich ihre Schals unter den Kopf, legt wieder seine Arme um Toni und zieht sie ein bisschen runter. Ich schaue dezent weg. Die beiden haben es schwer genug. Und ich weiß ja genau, wovon ich rede. Neben mir summt Jenny eine leise Melodie. Ab und zu halten wir Händchen. Erst im Stadtverkehr brauche ich wieder dauerhaft beide Hände. Der Abschied fällt wie immer still und beherrscht aus. Aber die Blicke sprechen Bände - bei allen Dreien. Nachdem ich noch den sehr stillen Max bei sich in der Nähe rausgeschmissen habe, mache ich mich endgültig auf den Heimweg und an meinen leider chronisch zu vollen Schreibtisch.

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29.12.2020

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