121 ** aller guten Dinge sind drei ** Mi. 25.3.2020

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Heute noch die Grundkursklausur in Geschichte, und dann ist das schriftliche Abi auch schon rum. Die Zeit rast. Im letzten August hab ich gedacht, dieses Jahr würde nie vergehen. Oder zumindest: ich würde spätestens nach einem halben Jahr zusammenbrechen. Es ist kaum zu glauben, WIE viel Hilfe ich gehabt habe von WIE vielen Menschen um mich drumrum. Anni hat damals recht gehabt – Erwachsen sein wollen und eigenverantwortlich handeln wollen ist ja schön und gut. Aber ohne die Hilfe von so vielen hätte ich das nicht alles durchgestanden. Ich habe dieses Korsett tatsächlich gebraucht und schließlich auch dankend angenommen.
Eigentlich muss ich ihr das bei Gelegenheit mal sagen.

Aber jetzt kommt erstmal die Klausur. Ich bin wie immer pünktlich da, in der Aula läuft das übliche Procedere, ich kann mich auch schnell für einen Klausurvorschlag entscheiden und arbeite konzentriert los. Nach drei Stunden hab ich es geschafft, bin wieder sehr zufrieden und komme schließlich aus der Aula mit meiner Tasche und einem wehmütigen Blick zurück.

Auf dem Weg nach draußen begegne ich Dr. Fahrendorf, der mir lächelnd zuwinkt.
„Und, Max, wie ist es gelaufen?"
Ich bleibe bei ihm stehen.
„Dreimal so, wie ich es mir vorgestellt und gewünscht hatte. Richtig gut. Und grade hab ich in der Tür zur Aula gestanden und mich gefragt, wo die acht Jahre bloß geblieben sind. Und WAS da alles passiert ist. Ich kann das noch gar nicht realisieren, dass Schule für mich nun bald ganz vorbei sein soll."
Er klopft mir auf die Schulter und grinst.
„Das ist normal. Gut, dass jetzt ein bisschen Abstand bis zu den nächsten Prüfungen ist. Da könnt ihr euch langsam an den Gedanken gewöhnen. Außerdem habt ihr sicher noch einiges vor. Abi-Streich und Abi-Ball liegen ja fest in eurer Hand. Ich bin schon neugierig, was ihr euch habt einfallen lassen."

Wir laufen gemeinsam ins Erdgeschoss, bevor sich unsere Wege wieder trennen.
„Stimmt, aber in dem Projekt war ich ja nicht. Ich erfahre das auch erst jetzt so nach und nach. Für uns Tänzer steht außerdem erstmal in zehn Tagen der Festtag des Tanzstudios an. Sozusagen unsere Generalprobe fürs praktische Abitur."
„Dürfen an dem Tag eigentlich auch Außenstehende zum Zuschauen kommen?"
„Klar, warum nicht?"
„Dann schick uns dochmal die Eckdaten in die Gruppe."
„Mach ich. Bis ... äh. Bis wann eigentlich?"
„Na, spätestens bis zur Aufführung."

Heute radele ich direkt nach der Schule zur Gärtnerei, denn Conny hat am Wochenende gut verkauft und viele Bestellungen reinbekommen. Die Nachbereitung des Events macht fast genauso viel Arbeit wie die Vorbereitung. Moritz, Milly und Sebastian sind auch dabei, Paul hängt ein letztes Mal über den Physikunterlagen für morgen, obwohl er das eh alles kann.

Und Antoine kämpft mal wieder mit allem möglichen und unmöglichen Papierkram. Seine Eltern wollen ihn Ostern ranpfeifen oder ihm den Geldhahn endgültig abdrehen, Hugo Berg rät dringend davon ab. Stattdessen hat er ihm geraten, dafür zu sorgen, dass sein Konto sicher ist und seine Eltern ihm nicht alles wegnehmen können. Sein Aufenthaltsstatus ist in Frage gestellt, weil er ja nicht mehr zur Schule geht. Er muss also an ein paar entscheidenden Schreibtischen mit seinem deutschen Pass wedeln. Und er braucht ganz dringend einen vernünftigen Job, damit ihn seine Eltern nicht mehr unter Druck setzen können. Zumal die neue Wohnung ja auch ein bisschen mehr kosten wird. Also hockt er jetzt grade auf dem Arbeitsamt und versucht, in einem der ortsansässigen Nachhilfeinstitute als Französischlehrer unterzukommen.

Zum Glück kommen Sebastians Eltern allmählich zur Vernunft. Er ist ja zu Hause nicht pampig und völlig daneben gewesen. Aber er hat eben gelernt, für sich selbst einzustehen und sich nicht mehr alles diktieren zu lassen, und das hat denen natürlich erstmal überhaupt nicht geschmeckt. Jetzt mit etwas Abstand, wo er allmählich viel klarer und fester geworden ist und geduldig und standhaft weiter seinen Weg geht, können sie wieder – oder zum ersten Mal? - normal miteinander reden. Wenn jetzt die Klausuren rum sind, will Sebastian sich zu Hause outen. Da platzt dann natürlich die nächste Bombe, aber das nimmt er in Kauf. Er möchte Antoine so bald wie möglich in seiner Familie sicher und integriert wissen, damit ihn dessen Eltern nicht mehr weichklopfen können. Es ist beeindruckend, wie sehr er sich verändert hat, nachdem der Damm einmal gebrochen war.

Diesmal kommen wir vier ganz ohne Matscherei aus, worüber Conny bestimmt nicht böse ist. Milly lernt, Kränze zu winden und zu schmücken, Sebastian darf frisch gelieferte Blumenbündel in die entsprechenden Kübel stecken, ohne dabei alles durcheinander zu bringen. Und Moritz und ich kontrollieren in sämtlichen Gewächshäusern die endlosen Reihen von Setzlingen, Stecklingen und anderen -Lingen, zupfen Unkraut, dosieren Dünger und und und ...
„Warum ist Pflanzenstreicheln eigentlich so viel anstrengender, als die gleiche Zeit zu tanzen?"
Moritz kuckt mich einen Moment irritiert an und bricht dann in schallendes Gelächter aus.
„Ei, nicht so laut. Du erschreckst die Tomaten!"

Do. 26.3.2020

Paul ist heute auch gut durch seine letzte Klausur gekommen. Diesmal sind wir zu dritt in der Gärtnerei. Im Moment gehen vor allem Pflanzen weg wie warme Semmeln, die sich für Grabbepflanzung eignen. Die Angehörigen gehen jetzt im Frühjahr hin und bepflanzen die Gräber neu. Conny hat dafür zwei Gärtner angestellt, die die laufenden Verträge für Grabpflege abarbeiten sollen.

Als ich mitkriege, dass sie morgen auf den Friedhof gehen sollen, auf dem Mama liegt, stelle ich mich einfach dazu.
„Max, brauchst du Hilfe?" -
„Nein ... nein, es ist nur ... auf dem Friedhof liegt meine Mutter. Und ..."
„Ich weiß. Das Grab hat Tanja immer persönlich bepflanzt. Hast du ... Möchtest du dabei sein? Und möchtest du die Pflanzen aussuchen?"
„Oh jaaaa. Gerne! Das ... wie funktioniert das denn?"
„Das ist ganz einfach. Die Angehörigen legen die Häufigkeit und die Art der Bepflanzung fest. Wir einigen uns auf einen Preis, passen dem die Pflanzen an und gehen zu den verabredeten Zeiten hin, um die Arbeit zu erledigen."
„Wieviel ist das denn bei Mama?"
„Genug. Entscheide ganz frei, was du haben möchtest. Und morgen fährst du einfach mit zum Friedhof und machst das selbst."
„Danke!"

Ich piepse Tante Jana an und frage, was ich aussuchen soll. Ich habe nämlich eine Idee.
„Tante Jana. Ich darf morgen helfen, Mamas Grab neu zu bepflanzen. Hast du Ideen oder Wünsche?"
„Wart einen Moment, ich ruf gleich zurück."
Wenige Minuten später ruft sie mich wieder an.
„Ich habe grade mit Tanja gesprochen. Du sollst dich für eine Grundfarbe entscheiden."
„Weiß!"
„Na, das kam ja flott."
„Ja. Mama ist für mich weiß, die Tänzerin, die sich elegant im Kreis dreht."
„Dann hast du deine Antwort. Wähle flache, weiß blühende Pflanzen und pflanze sie im Wechsel mit grünen in einer Spirale."
„Super Idee. Danke euch beiden!"

Ich flitze zu Conny und erzähle ihr von der Idee. Sie schließt kurz die Augen.
„Komm mal mit."
Sie führt mich in ihr Büro, wo sie in Ordnern Grundrisse und Bilder von jeder Grabstelle hat. Es ist seltsam, Mamas Grab in so einem Geschäftsordner zu finden.
"So. Das ist die Fläche, das steht der Stein, und der sieht so aus. Hast du schon eine Idee?"
Ich schnappe mir ein Papier und einen Stift.
„Ich dachte, ich mache eine Spirale aus weißen Blüten und setze in die Mitte ein paar bunt blühende Pflanzen, die für uns andere aus der Familie stehen. Wenn die Spirale mit irgendwas Immergrünem abgesetzt wird, dann kommt das Weiß gut raus. Die Spirale passt auch gut zu dem Stein."

„Stimmt. Deine Tante hat ja damals bei dem Händler diesen gebogenen Stein bei der Ausschussware gefunden und für deine Mutter ausgesucht. Was hältst du davon, wenn wir hier an der linken Seite noch ein steinernes Herz hinlegen?" Ich nicke nur noch, denn ich habe einen Kloß im Hals. Die meisten Menschen müssen solche Entscheidungen erst sehr viel später fällen. Ich fühle mich dem auf einmal überhaupt nicht mehr gewachsen.
„Darf ich ... da noch bis morgen drüber nachdenken? Ich bring die Pflanzen dann auch selbst zum Friedhof."

Conny nickt und klopft mir auf die Schulter. Ich mache ein Bild von dem Foto vom Grab und von meiner Zeichnung und schicke das beides an Tanja, Tante Jana und Papa. Tanja frage ich noch zusätzlich nach ihrer Lieblingsfarbe bei Pflanzen, und ob sie bei dem Baby an eine bestimmte Farbe denkt. Tanja wählt für sich ein helles Rot und für das Baby Gelb. Meine Lieblingsfarbe ist blau, bei Papa ist es dunkelrot, und Tante Jana liebt sattes Orange.

Und Tante Jana frage ich, ob es für sie in Ordnung ist, wenn ich auf Mamas Grab auch für Tanja und das Baby eine bunte Pflanze hinsetze. Das kann ich nicht alleine entscheiden. Sie ist verblüfft, aber sie sagt ziemlich schnell ja. Sie ist ja mit Tanja befreundet, hat sie in der ganzen Schwangerschaft begleitet – warum also nicht?

Papa antwortet mit einer Sprachnachricht. Und ich höre, dass er weint. Er war erst geschockt von meiner Frage, dann hat es ihn tief berührt, dass ich selbst die Gestaltung von Mamas Grab übernehmen will. Und dann hat es ihn völlig von den Socken gehauen, wie ich mir das vorstelle, und dass ich auch Tanja und das Baby mit in den Familienkreis hineinpflanzen will. Am Ende der Nachricht bin ich sehr froh, dass ich ihn gefragt habe. Also schreibe ich noch allen, dass ich die Pflanzen morgen Vormittag setzen werde. Dann suche ich gemeinsam mit Conny die Pflanzen dafür aus.
„Danke, dass das möglich ist, Conny. Es bedeutet mir ganz viel."
"Tanja auch, glaub mir."

Fr. 27.3.2020

Mir ist bald das Herz stehen geblieben, als gestern die Nachricht von Max kam mit der Frage, ob ... Aber dann hat es ganz schnell wieder angefangen zu schlagen. Wir sind alle so durchgeschüttelt worden in den letzten Monaten. Dabei sind ganz enge neue Beziehungen entstanden. Und eine davon ist die wachsende Freundschaft zwischen Tanja und mir. Was Max da tut, bedeutet ihm wahrscheinlich, dass in ihm endlich zusammen kommen darf, was alles zu ihm gehört. Nebenbei beschenkt er damit schon wieder seinen Vater, denn ein deutlicheres Signal für Tanja kann er wohl nicht setzen. Und so fiel es mir gestern nicht schwer, dazu ja zu sagen. Marie hätte nie gewollt, dass Axel und Max so lange an die Vergangenheit gefesselt bleiben.

Also bin ich jetzt auf dem Weg, um Tanja abzuholen. Axel kann natürlich nicht kommen. Er wird sich das später ansehen. Aber Tanja und ich wollen gerne dabei sein, wenn Max den Spaten schwingt. Max war ganz perplex bei meiner Frage, ob wir zusehen dürfen. Dann hat er gezögert, und dann hat er strahlend ja gesagt. Ich habe für Tanja einen Klappstuhl dabei, damit sie sich zu Max setzen und ihm mit Worten helfen kann. Bücken kann sie sich nämlich nicht mehr.

Als wir am Grab von Marie eintreffen, wird auch Max von den beiden Gärtnern dort hingeschickt. Er hat seit heute früh bei den anderen Gräbern geholfen. Aber jetzt nimmt er uns beide in die Arme, zeigt uns die Pflanzen, die er und seine Chefin Conny ausgesucht haben, und greift zum Spaten.
„Tanja, Conny hat gemeint, dass wir so viel wie möglich von den vorhandenen immergrünen Pflanzen nutzen sollten für die grüne Spirale. Und ich weiß grad nicht, wie ich anfangen soll. Ich will ja auch nichts kaputt machen."
Tanja setzt sich.
„Das ist ganz einfach. Als erstes holen wir die einjährigen Pflanzen vom letzten Jahr, die eh tot sind, raus. Dann verteilen wir die weißen Pflanzen so, wie du dir das vorgestellt hast, damit wir ein Gefühl für die Platzeinteilung bekommen. Und dann können wir schon sehen, was von dem Cotoneaster wir stehen lassen können. Hat Conny dir kleine Klammern mitgegeben?"
„Ne, aber Drahtstücke. Damit wir die grünen Zweige in die richtige Richtung zwingen können."

In der Nähe des Grabes steht eine Bank. Ich lasse mich also ein bisschen abseits nieder und denke eine Weile an meine Schwester, die viel zu früh gegangen ist. Dann mache ich ab und zu Bilder von den beiden, die da an der Grabbepflanzung rumwurschteln und buddeln. Tanja zeigt Max, welche Pflanzenreste raus können. Dann basteln sie an der weißen Spirale rum, bis sie mit der Aufteilung zufrieden sind. Und schließlich setzt Max den Spaten an, holt einzelne grüne Pflanzen raus, die im Weg stehen, und setzt sie so wieder ein, dass sie die grüne Spirale vervollständigen.

„Habt ihr Erde mitgebracht?"
„Klar. Reicht ein Sack?"
Max läuft los und holt vom Karren der Gärtnerei einen großen Sack Erde. Erst versucht er, mit Hilfe der Drahtstücke die verbliebenen Pflanzen zu bändigen, bis sie schonmal sowas wie eine Spirale ergeben. Dann schnappt er sich den Sack Erde. Die arbeitet er an den nun kahlen Stellen schön unter, damit die neuen Pflanzen gut wachsen können. Und schließlich entsteht unter seinen sorgfältig arbeitenden Händen die weiße Spirale zwischen der grünen. Schon jetzt kann ich sehen, wie wunderbar die fließende Linie zu der organischen Form des Steins passt.

Ich liebe diesen Stein noch immer. Der Grabsteinhersteller hatte mich damals über das Gelände geführt und mir die tollsten Kunstwerke gezeigt. Aber das wollte ich alles gar nicht. Ich wollte einen Stein, der so sanft war wie Marie, der ihre Eleganz und ihre Vielfarbigkeit zeigte. Und ich hatte die Hoffnung schon fast aufgegeben, als ich in der Ecke vom Hof diesen Stein sah. Es ist ein stark marmorierter Onyx mit hellen und altrosanen Bändern, die fast aussehen wie die Lebensringe eines Baumes. Noch unbearbeitet, denn: der Stein war seltsam in sich verbogen. Der Händler war davon ausgegangen, dass niemand einen „schiefen" Grabstein haben will, und hatte ihn darum aussortiert. Aber für mich war es genau das, was ich wollte. Die weich fließende Form war wie Marie, wenn sie tanzte. Ich habe ihn nicht polieren lassen. Das eine Ende wurde eckig gelassen und sieht wie abgebrochen aus. Wie ihr Leben. Die andere Seite wurde abgerundet und ein bisschen glatter gemacht, aber auch nicht poliert. Die Buchstaben und Zahlen aus Metall hat der Meister dann für uns aufgesetzt.

Ich tauche auf aus meinen Erinnerungen und sehe, dass die Spirale schon im Werden und gut zu erkennen ist. Je weiter Max sich von hinten nach vorne vorarbeitet, desto schöner wird der Schwung der weißen Linie. Schließlich biegt sie sich zur Spirale. Und in die Mitte dieser Spirale pflanzt Max am Schluss die bunten Pflanzen, die für alle Familienmitglieder stehen. Es berührt mich, dass Max nicht nur seinen Vater dazu zählt. Tanja, das Ungeborene und ich gehören für ihn unabdingbar mit dazu auf das Grab seiner Mutter.
Meiner Schwester. Ihm ist wichtig, dass auch ich ihr hier ganz nahe sein kann. Was für ein besonderer junger Mann.

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14.1.2021

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