136 ** eine Familie ** Mi. 15.4.2020

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Max war so aufgeräumt und in sich gekehrt, als er Montag Nachmittag wiederkam. Das war ganz seltsam. Er ist erwachsen geworden in diesem Jahr. Durch bittere Erfahrungen, aber auch durch bestandene Kämpfe und dieses uns noch unbekannte Glück. Er ist so reflektiert, so sensibel und dabei immer noch so voller Schalk und frecher Ideen. Ich bin unglaublich dankbar, dass er bei all dem seinen Humor nicht verloren hat.

Er hat gar nicht viel erzählt. Nur, dass sie nachts zum Sternekucken am Strand waren. Und dass er am Sonntag Abend getanzt hat bei so einem bunten Abend. Zügig hat er seinen Rucksack in sein Zimmer gebracht, kam kurz darauf wieder in ollen Heimwerkerklamotten und hat Lasse und Axel aufgescheucht. Dann haben die drei sich an das Zimmer gemacht. Noch am selben Tag haben sie die Wände mit Rauhfasertapete beklebt.

Max macht es offensichtlich überhaupt nichts mehr aus, dass er sein Zimmer hergeben musste. Er ist mit Feuereifer dabei. Gestern haben sie die Wände hellblau mit weißen Wölkchen gestrichen und im unteren Drittel eine hellgrüne Tapete drübertapeziert. Da die Wände heute trocken waren, haben sie so eine umlaufende Schäfchenbordüre angeklebt. Das sieht so entzückend aus! Die ersten Möbel stehen auch schon drin. 

Wir hatten eine lange Durststrecke. Aber jetzt sind wir alle endgültig im Nestbau-Fieber. Sogar Jana mutiert nochmal zum Muttertier. Allerdings mehr für mich als für unseren zukünftigen Zwerg. Beim letzten Termin vom Geburtsvorbereitungskurs gestern Abend konnte Axel mitkommen. Ich habe mich so gefreut. Max Geburt ist ja schon lange her, aber Axel hat sich an manches erinnert und wird mich wunderbar unterstützen können bei der Entbindung.

Heute Morgen wurden die Vorhänge geliefert und angebracht. Und jetzt grade räumen Jana und ich gemeinsam die Wickelkommode ein. Dabei gibt sie mir einige Tipps, wie sie vieles am einfachsten händeln konnte. Max kommt rein, schnappt sich einen Strampler und hält ihn hoch.

„DA hab ich mal reingepasst??? Glaub ich nicht!"

„Doch, mein Lieber. Du hast da sogar vor Lasse schon dringesteckt. Danach Lotta und Ole. Und wenn jetzt euer Zwerg da ist, werden wir das Beweisfoto schießen, dass das gute alte Teil nochmal zu Ehren kommt. Dann können wir die fünf Babybilder nebeneinander hängen, wo ihr alle in dem selben Teil steckt."

Ich öffne eine Packung Windeln und lächele vor mich hin. Janas Euphorie ist lustig. Ich bin mehr so still-glücklich. Und ich hoffe, dass mein kleines Mädchen das auch spürt - dass es uns allen gut geht. Dass sie willkommen ist. Dass wir eine Familie sind. Dass Mama wieder glücklich ist. Ich singe ihr den ganzen Tag Lieder vor. Jana hat gesagt, wenn man immer das selbe Lied singt, dann erkennt das Kind das Lied nach der Geburt. Also singe ich immer die selben drei Lieder und freue mich auf mein Kind.

Ich bin so gespannt, was Axel und Max sagen, wenn sie erfahren, dass es ein Mädchen ist. Noch wollen beide das ja gar nicht wissen. Aber ich weiß, dass sie trotzdem schon ganz hibbelig sind deswegen. Nur Jana habe ich es erzählt, weil ich es einfach irgendwem erzählen musste. Sie hat nach Lottas Geburt auch jede Menge rosane und ganz sanft farbene Klamotten geschenkt bekommen. Ein paar Teile habe ich mir davon ausgesucht. Aber die halten wir noch versteckt, damit es keiner kapiert.

„Max, wann musst du los zum Bahnhof?"

Max strahlt mich an.

„Ich bin euch so dankbar, dass ihr das einfach so akzeptiert! Ich muss erst in drei Stunden los. Wenn die Deutsche Bahn ihren Job gut macht ..."

Wieder falte ich Windeln, sortiere Strampler nach Größen und schaue schließlich verträumt in die noch leere Wiege. Ich summe eines der Lieder vor mich hin und lasse meine Gedanken wandern. Das Kind fängt an zu strampeln, was gar nicht mehr so leicht ist, weil es doch jetzt allmählich im Bauch ziemlich eng wird. Und das wiederum bedeutet, dass es für mich inzwischen ziemlich ziept und kneift dabei. Intuitiv halte ich die Luft an gegen den Schmerz. Jana merkt das und steht gleich neben mir.

„Nicht die Luft anhalten. Atme tief in den Bauch und entspanne dich bewusst. Dann gehst du mit der Dehnung mit, und es tut nur halb so weh."

Als das Ziehen vorüber ist, gehen wir gemeinsam runter und bereiten für die Großfamilie ein Abendessen vor. Meistens versammeln wir uns an dem einen oder dem anderen großen Familientisch. Die Küchentüren zwischen den Häusern sind jetzt eigentlich dauernd offen. Jana und Axel haben schon zwei lange Spaziergänge gemacht und gehen in großen Schritten aufeinander zu. Das macht mich richtig froh.

Vor dem Abendessen lege ich noch ein bisschen auf dem Sofa die Beine hoch, und Max und Axel setzen sich einfach zu mir.

„Du, sag mal, Max, Wie ist eigentlich jetzt der restliche Fahrplan fürs Abi?"
Max grinst seinen Vater an und macht mich damit schon wieder ganz glücklich.
„Nächste Woche ist zum letzten Mal regulärer Unterricht. Und natürlich der Abi-Streich. Am 27. bis 30.4. sind die mündlichen Prüfungen und das praktische Abi in Sport. Und an den ersten beiden Wochenenden im Mai sind die Aufnahmeprüfungen an den drei Hochschulen. Da sind wir dann nochmal auf Achse. Es wäre also gut, wenn sich das da ..."

Er zeigt mit einem Augenzwinkern auf meinen dicken Bauch.

„... einen der Tage dazwischen aussuchen würde."

Er streichelt mir über den Bauch.

„Jedenfalls nicht das Wochenende mit dem zweiten Mai. Da müssen wir nach Frankfurt an die Hochschule. Und wenn du dann kommst, kann ich doch hier nicht weg! Hörst du?"

Wir müssen alle lachen.
„Na, dann wollen wir mal hoffen, dass ES schon jetzt so gut hört, dass es sein Timing darauf abstimmt."

Wir setzen uns gemeinsam zum Abendessen hin, und ich schaue einmal in die Runde.

Freu dich, mein Mädchen, du kommst in eine tolle Familie!

Nach dem Abendessen checkt Max sein Handy, verkündet, dass der Zug seiner Freundin pünktlich ist und macht sich auf zum Bahnhof. Ich schleiche wie immer früh ins Bett. Jana sagt, das sei normal. Der Körper hole sozusagen Anlauf, um die vielen schlaflosen Nächte hinterher besser verkraften zu können. Aber auch Axel ist immer früh müde. Sein Kopf und sein Herz arbeiten den ganzen Tag auf Hochtouren, um alles zu verarbeiten, und er will jetzt alles so gut machen, dass er abends von vielen Denken und Fühlen immer schlagskaputt ist.

Heimfahrt

Noch eine Stunde bis Essen. Max hat so süß reagiert, als ich ihm eben geschrieben habe, dass mein Zug tatsächlich pünktlich ist.

Ich schaue einfach aus dem Fenster und sehe die abendliche Frühlingsstimmung draußen an mir vorbei ziehen.

Es ist immer seltsam. Wenn man im Frühling von Nord nach Süd fährt, dann kommt man aus der Wintervegetation mit höchstens ein paar grünlichen Astspitzen nach und nach immer mehr in den Frühling hinein, wo das Grün immer häufiger, stärker und vielfältiger wird, bis schließlich am Gleisbett die ersten Blumen blühen. Und Patsch! ist dann im Ruhrgebiet wieder alles Beton.

Meine Gedanken wandern zurück zu den letzten zwölf Tagen.

Fünfzehn Menschen haben sich zusammen gefunden zu einer starken, sehr offenen und ehrlichen, sehr behutsamen und zugewandten Gemeinschaft. Vier verschiedene Partner waren problemlos Teil davon, wenn das Programm es zuließ. Zehn Schicksale, Erlebnisse, alte Muster, kranke Strukturen wurden in großen Bildern in den Raum gestellt und haben ihre Wirkung entfaltet. Aber auch in den allermeisten Fällen eine Auflösung erhalten oder zumindest die Hoffnung darauf. Das war alles so unglaublich intensiv!

In meinem Gepäck habe ich ein paar Fotos von meinem „Denkmal" und eine Aufnahme von unserem getanzten Schattenspiel. Ein paar Muscheln und Steine, ein prall gefülltes Tagebuch. Und dreizehn nicht gegengelesene Sport-Abiturklausuren.

Das werde ich dann wohl in den nächsten Tagen machen müssen ...

In meinem Herzen habe ich das Rauschen des nächtlichen Meeres, den blinkenden Sternenhimmel, Vivaldi und die bedingungslose Liebe und Treue von Max.

Wie gut mir das getan hat! Er ist sofort gekommen, als er die Chance dazu hatte. Er hat mir verziehen, dass ich ihn im Unklaren gelassen habe. Er hat sich ganz auf mich eingestellt und mir so viel Mut gemacht. Und er hat recht – ich bin vor den Ferien immer zusammengezuckt, wenn ich wusste, dass er mich gleich berühren würde. In diesen Tagen in Cuxhaven war er mir noch viel näher, und das hat mir überhaupt nichts ausgemacht!

Der Zugbegleiter sagt mit scheppernder Stimme den nächsten Bahnhof an – Essen.

Und da wird Max auf mich warten. Das ist es – er hat so viel Geduld! Nicht ich warte auf ihn, weil er ja ach so jung ist. Er wartet auf mich! Darauf, dass ich gemeinsam mit ihm das Denkmal von Sockel hole. Und dass wir gemeinsam den Weg für uns frei machen. Was für ein Geschenk!!!

„Wir lesen uns!"

Ich hab mich so gefreut, dass Anni mich gefragt hat, ob ich sie abhole. Immer zwei Stufen auf einmal nehmend sprinte ich hoch zu ihrem Gleis. Wenige Minuten später fährt der Zug ein, und meine wunderbare Anni steigt aus. Sie strahlt mir entgegen, als ich auf sie zulaufe, um sie fest in die Arme zu nehmen. Dann schnappe ich mir ihren Koffer, nehme sie bei der Hand und laufe mit ihr los.

„Hattest du noch eine schöne Zeit?"
„Hmmm. Die Gruppe war wirklich wunderbar. Und ich ... ich habe es sehr genossen, dass du da warst. Dass wir gemeinsam ein paar Schritte gehen konnten. Dass ich deine Berührungen wieder zulassen konnte. Dass wir mein Denkmal schonmal ein bisschen zum Wackeln gebracht haben. Dass du so toll getanzt hast. Das hat wirklich alle berührt. Ich soll dich schön grüßen!"

Ich muss lächeln. Sie sprudelt gradezu! Also lege ich ihr den Zeigefinger auf die Lippen.

„Psssssscht!"

Sie verstummt, und so kann ich ihr einen federleichten Kuss auf die Lippen hauchen. Sie schließt genussvoll die Augen und lässt sich darauf ein. Mein Herz macht einen Hüpfer. Wir haben immer noch einen weiten Weg vor uns. Noch ist das „Denkmal" nicht runter vom Sockel. Auch das Kreuz ist nur symbolisch in Flammen aufgegangen.

Aber wir sind auf dem Weg!

Wir fahren mit der U-Bahn nach Rüttenscheid, wo mein Fahrrad mit Lastenanhänger steht. Da packen wir ihr Zeug drauf, und sie läuft nebenher, während ich mein Rad schiebe. Nach der langen Fahrt hat sie bestimmt Lust auf Bewegung.

„Das tut gut, Max! Die Stillsitzerei macht mich verrückt."

„Das dachte ich mir. Und das Wetter ist schön, also ist laufen doch das beste. Wie wirst du den Rest der Ferien verbringen?"

„Ich muss jetzt erstmal eure Abiklausuren gegenlesen. Und dann muss ich mindestens die erste Woche für meine Kleinen vorbereiten. Aber wir sollten uns einen ganzen Tag am Wochenende gönnen, meinst du nicht?"

„Gerne! Wenn dich das nicht zu sehr stresst ..."

„Ohne dich würde es mich stressen. Wir kaspern einfach in den nächsten Tagen aus, worauf wir Lust haben."

Ich drücke ihre Hand.

„Gegenfrage. Wie steht es bei euch zu Hause? Ist dein Vater inzwischen gut angekommen?"

„Das ist grade der Himmel auf Erden. Das Zimmer fürs Baby ist fertig, die Wickelkommode ist eingeräumt, Papa und Tanja sind ein Herz und eine Seele. So selbstverständlich und angstfrei offen zu meinem Vater sein zu können, ist umwerfend schön. Die Zwischentüren zum anderen Haus sind jetzt immer offen, es kochen immer zwei Irgendjemand für die gesamte Großfamilie, damit Tanja nicht mehr ran muss, und dann essen wir natürlich auch zusammen. Ich hätte nieeeee für möglich gehalten, dass wir jemals so weit kommen würden."

„Wann ist der Termin?"

„Anfang bis spätestens Mitte Mai. Ich hab dem Baby schon mitgeteilt, dass es sich bitte nach meinem Abi- und Bewerbungsfahrplan richten möge, damit ich nicht grade in Frankfurt stecke, wenn es sich bequemt. Dann hab ich nämlich nicht die Hände zum Daumendrücken frei."

„Und den Kopp wahrscheinlich auch nicht. Für beides nicht."

„Göööönau!"

„Na, dann wollen wir mal hoffen, dass euer Nachwuchs schon die Uhr lesen kann!"

Wir plänkeln und albern uns bis zu Anni nach Hause. Ich trage ihr noch den Koffer hoch, und dann verabschieden wir uns. Anni und Jenny haben sich jetzt sicher viel zu erzählen.

„Gute Nacht, Liebes! Wir lesen uns."

Ich gehe die Treppe runter. Als ich grade mein Fahrrad wieder aufgeschlossen habe, piept mein Handy, und ich muss lachen. Anni.
„Wir lesen uns. Gute Nacht!"

Ich radele nach Hause, verstaue Fahrrad und Hänger und gehe hoch in mein Zimmer. Anni muss jetzt ein paar Tage lang klotzen. Aber das war der Ausflug in den Norden allemal wert. Ich glaube, dass es sie wirklich weiter gebracht hat. Und eigentlich ist es auch Zeit, dass ich nochmal auf Schule umschalte. Kurz entschlossen sichte ich meine Unterlagen für die mündliche Prüfung in Geschichte und die praktische Prüfung in Sport und entscheide mich, was ich in den nächsten Tagen davon nochmal wachrufen will. Und dann ist noch ein bisschen Zeit zum Chillen mit Lasse.

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29.1.2021

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