137 ** die letzte Tafel Schokolade ** Mo. 20.4.2020

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Anni und ich hatten einen wunderschönen Samstag im Münsterland verbracht, wo wir eine alte Wasserburg besichtigt haben und lange gewandert sind.
„Und? Was darfst du mir diesmal nicht verraten?"
Sie hat einen Lachflash gekriegt und geschwiegen wie ein Grab. Aber das war mir ja vorher klar gewesen. Wir wollten ja auch nicht mogeln. Ich konnte mir diese Frage nur einfach nicht verkneifen. Abends sind wir noch ins Kino gegangen, dann hab ich sie nach Hause geradelt, und wir haben uns für noch ein paar Mathe-Termine verabredet.

Meine letzte Schulwoche bricht heute an. Das klingt dermaßen seltsam! Lasse ist irgendwie sehr still, als wir heute Morgen zusammen zur Schule radeln.
„Alles klar bei dir?" -
„Hm."
Ui, wie aussagekräftig!
„Und sonst?"
Lasse kichert.
„Lass gut sein, hab verstanden. Ich bin einfach frustriert, weil wir heute zum letzten Mal eine Tafel Schokolade miteinander schlachten werden. Ab dem Sommer muss ich das dann allein tun, in Gedenken an unsere gemeinsamen Zeiten hier. Das ... Ihr werdet mir fehlen."

In unserer deutlich gewachsenen Runde stehen wir unter der alten Eiche. Wir vier Tänzer, dazu Milly, Sebastian und Antoine. Da winkt Lasse über den Hof zu Tarek, der gleich auf uns zu läuft.
„Was gibts?"
„Wir schlachten immer am Anfang und Ende aller Ferien miteinander eine Tafel Nervennahrung. Magst du mitmachen?"
Geht doch, Lasse! Du bist nicht allein, wenn wir weg sind.
Annika und Lore stoßen von alleine zu uns, und so ist es gut, dass drei von uns an eine Tafel Schokolade gedacht haben. Lasse hat sogar eine Goldschatz dabei.
„Auf unsere letzte Schulwoche!"

Tarek macht große Augen.
„Das ist ja cool. Darf ich da immer dabei sein?"
„Noch besser."
Lasses Gesicht hellt sich auf.
„Du und ich, wir beide werden diese Tradition fortsetzen, denn diese treulosen Tomaten da verschwinden ja in einer Woche."
Ganz genau, Lasse. Wir geben einfach den Staffelstab weiter.

Als es zum dritten Mal bimmelt, flitzen wir alle in unsere verschiedenen Kurse. In der Zwölften werden wir uns in allen Kursen die ganze Woche lang darauf konzentrieren, diejenigen, die ins Mündliche müssen, dafür fit zu machen. Naja – bis Donnerstag. Am Freitag ist der Abistreich. Und dafür steigt die Spannung inzwischen ziemlich. Herr Erdmann war ja in der Planungsgruppe dabei, weil er alles abnicken musste. Aber er hält auch absolut dicht, und deshalb versuchen einige Lehrkräfte im Laufe der Woche, uns irgendwelche brauchbaren Informationen zu entlocken, was denn da wohl auf sie zukommt. Das einzige, was sie aber aus uns rauskriegen, sind die vorher verabredeten falschen Fährten, und so blühen die Gerüchte über den Freitag. Jenny versucht es sogar hintenrum über Anni, aber die behält das Wenige, das sie weiß, schön für sich.

Am Donnerstag Morgen werden in der Aula die Noten der Klausuren ausgehängt. Wir dürfen kursweise in den Pausen rein und uns unsere Noten ansehen. Manche Gesichter werden dabei etwas länger, aber in Sport gibt es keine Überraschungen. Wir sind alle gut durchgekommen und können nun gelassen in die praktischen Prüfungen am nächsten Donnerstag oder Freitag reingehen.

Am Donnerstag Mittag werden alle Lehrkräfte und sonstiges Personal höflich aber bestimmt aus der Schule geleitet. Von gleichgültigen über nervöse bis zu euphorischen Reaktionen ist alles dabei. Und unser Direx teilt uns mit:"Ich wollte sowieso grade gehen. Ich habe einen Termin beim Zahnarzt."
Du mich auch.
Kaum ist auch der Miegel möglichst würdevoll vom Gelände gestakst, laufen wir alle zusammen und schnattern wild durcheinander.

Da kommt unser Lieblingshausmeister um die Ecke.
„Mädels und Jungs, der Lieferant ist da. Ihr könnt durchstarten. Das Paket mit Toilettenpapier und alle vorhandenen Besen hab ich in die Halle gebracht. Und denkt dran, oben anzufangen und euch langsam runterzuarbeiten. Sonst sperrt ihr euch selbst ein.
„Och, ich hätte nichts dagegen, wenn ich mich heute schon freifressen müsste ..."

Das Coole ist, dass wir die Tochter eines Konditors aus Velbert im Jahrgang haben, und dieser Konditor hatte die Liebenswürdigkeit, uns 10.000 Schokoküsse zu besorgen und uns dafür sogar noch zum Einkaufspreis einen Sonderpreis zu machen. Also stiefeln wir alle miteinander nach hinten zum Sportplatz und helfen, ichweißnichtwieviele Paletten mit Schokoküsse-Schachteln ins große Foyer zu befördern. Dann bewaffnen sich die einzelnen Teams mit Handfeger und Schaufel, Klopapier und Schokoküssen.

Ein ordentlicher Abistreich erfüllt nur einen Zweck: dass für die gesamte Schule für einen Tag der Unterricht unmöglich gemacht wird. Unsere Variante ist: Wir fegen alle Treppen im Gebäude vom Keller bis zum Dach, rollen Klopapier darauf aus und stellen das mit Reihen von Schokoküssen voll. Wer nicht die Treppen hoch kommt, kann nämlich nicht in den Klassenraum kommen und somit leider nicht am Unterricht teilnehmen. Geschweige denn welchen halten. Och, ist DAS traurig! Anhand eines Gebäudeplanes und einer Klassenliste haben wir dann eingeteilt, welche Klasse sich von wo aus zu ihrem Klassenraum durchfressen „muss", damit auch alle Schüler was abbekommen von dem schmierigen Segen.

Unser Training besteht heute mal aus Treppensteigen, denn natürlich müssen wir dauernd rauf und runter, um Dreck wegzubringen, Klopapier oder Schokoküsse nachzuholen – oder den Geruch von Schokolade aus der Nase zu bekommen, damit wir nicht doch noch schwach werden. Paul, Moritz und ich schauen dabei auf die Uhr, wie lange wir wohl für zehn Stufen brauchen, denn wir müssen morgen ganz früh noch die Treppe zum Haupteingang vollstellen. Und wer steht schon gerne früher auf als irgend nötig!?!
Als vier Stunden später schließlich alle Teams im Hof zusammenlaufen, um sich bis morgen zu verabschieden, sehe ich dann doch bei dem einen und der anderen einen Schokoladenrand am Mund. Aber es sind mehr als genug Schokoküsse da – darum: so what!

Abistreich   *   Fr. 24.4.2020

Das Brüllen meines Weckers ist dann trotz der Vorfreude ziemlich Folter. Aber was tut man nicht alles für seine lieben Mitschüler, damit die Mäuse ihnen nicht über Nacht die Beute wegfressen. Ich rappele mich tapfer auf, ziehe mir Klamotten über und radele wieder zur Schule. Es ist noch nicht ganz hell. Paul und Moritz sind auch bald da, und dann fangen wir an, die Eingangsstufen vollzustellen. Gegen halb acht wird es langsam lebendig auf dem Hof. Unser Jahrgang trifft ein, und alle verteilen sich auf ihre Posten, damit die ganze Aktion koordiniert abläuft. Ein paar frühe „Vögel" latschen müde auf das Portal zu und machen vor dem ungewöhnlichen Hindernis auf den Stufen eine Vollbremsung.

Und dann kommen auch die Lehrer an. Sie haben sich offensichtlich auf dem Parkplatz verabredet, damit nicht einer von ihnen alleine in irgendeine Falle tappt. Dafür ernten sie ziemlich viel Spott und Gelächter. Sie bleiben in sicherer Entfernung stehen und beäugen misstrauisch die Stufen mitsamt ihrer „Zierde". Nur Jenny und Lennart kommen ganz ran, und Jenny fängt an zu jubeln.
„Hei, zweites Frühstück. Cool!"
Sie grinst uns an.
„Das ist aber nicht wirklich ein Hindernis, das wisst ihr schon, oder?"
„Na, das will ich sehen!"
Ich provoziere sie ein bisschen.
„Kein Problem! Was wetten wir?"
Wir lachen uns kringelig.

Bis sie einfach Schuhe und Strümpfe auszieht.
Was hat sie denn jetzt vor???
Jenny geht locker zu den Stufen und läuft auf Zehenspitzen zwischen den Schokoküssen im Slalom die Stufen hoch. Oben dreht sie sich um und grinst uns an.
„So. Was krieg ich jetzt dafür?"
Kannst du haben, Mädel.
„Unsere aufrichtige Hochachtung und die Frage, wie Sie jetzt an ihre Schuhe kommen wollen. Denn sie werden sicherlich nicht den ganzen Vormittag barfuß rumlaufen wollen. Sonst frieren Ihnen noch die Zehen ab."
Jennys Gesicht wird schlagartig länger, und Lennart lacht sich schlapp. Jenny bleibt nichts anderes übrig, als sich wieder runterzuschlängeln und sich Strümpfe und Schuhe wieder anzuziehen. Im Vorbegehen raunt sie mir was ins Ohr.
„Na, warte!"

Eine beachtliche Anzahl von Schülern hat sich um die Traube aus Lehrern gebildet. Alle sind gespannt, was jetzt passieren wird. Karel aus der Vorbereitungsgruppe schnappt sich also das Megaphon und begrüßt unsere „Gäste".
„Sehr verehrte Damen und Herren, liebes Kollegium! Wir müssen Ihnen leider mitteilen, dass der Unterricht am Beethoven-Gymnasium heute ausfällt, da es nicht möglich ist, die Klassenräume zu erreichen. Die Treppen sind bedauerlicherweise ausnahmslos mit Fremdkörpern blockiert. Wenn sich nicht einige selbstlose Menschen opfern, um den Weg freizufressen, können wir aus bauaufsichtsbehördlichen Gründen leider den Weg nicht freigeben."

Die Schülermeute fängt an zu johlen. „Wir bitten um etwas Geduld, bis alle Betroffenen in Klassengruppen an den Fluchtplätzen stehen."
Unter Gemurmel und Geschubse sortieren sich die vielen hundert Leute auseinander, und alle streben den entsprechenden Aufstellplätzen zu. Auch der Lehrerpulk löst sich jetzt in seine Einzelbestandteile auf. Eine Viertelstunde später sind endgültig alle eingetroffen und in halbwegs geordneten Gruppen sortiert.

Karel schnappt sich wieder das Megaphon.
„Der Stadtrat hat in Abstimmung mit dem staatlichen Schulamt, dem Denkmalschutz und dem Katastrophenschutz beschlossen, dass ..."
Schallendes Gelächter dröhnt über den Hof.
„Ich darf doch um Ruhe bitten. Das ist ein Notfall!"
Das war zwar witzig, aber nicht sehr zielführend, denn nun kann sich endgültig niemand mehr halten vor lachen. Karel macht tapfer weiter.
„... dass die betroffenen Schüler und Lehrer das Corpus Delicti selbst entfernen müssen, indem sie es aufessen."
Yes!
Der Schulhof verwandelt sich in eine tobende Masse. Pfiffe und vereinzelte Rufe sind herauszuhören, bis sich schließlich der Schlachtruf „Hunger! Hunger! Hunger!" aus dem Geräuschebrei herausschält.

„Bitte begeben Sie sich in geordneten Klassengruppen zu den jeweiligen Eingängen, wo Sie weitere Instruktionen bekommen werden."
So ist es richtig. Die Meute bändigen dürfen die Lehrer schon selbst. Karel ruft die betreffenden Klassen und Lehrer auf und schickt sie in die richtigen Richtungen. Alle Vorwitzigen werden zurückgepfiffen und nach und nach leert sich der Hof wieder bis auf die Klassen, die sich hier gleich durchs Portal reinarbeiten sollen. Dann beginnt das große Fressen. Im Schnitt gerechnet muss jede anwesende Person acht bis zehn Schokoküsse vertilgen. Im Schnitt. Aber manche kapitulieren schon nach drei Teilen, während andere sich tapfer aufopfern für die Allgemeinheit.

Wir Leute aus dem zwölften Jahrgang verteilen uns an alle wichtigen Punkte, feuern die Leute an und fotografieren wie die Wilden. Paul und ich stehen im ersten Stock am Übergang zum Naturwissenschaftstrakt. Jenny und Lennart sind gemeinsam mit seiner Klasse unterwegs. Grade seufzt sie und leckt sich die Finger ab.
„Boah, is mir schlecht."
Lennart hat längst kapituliert und schaut ihr nun amüsiert zu.
„Wieso? Der wievielte war das denn?"
„Der fünfzehnte?"
„Auwei, bis zum Physiksaal ist es noch ziemlich weit."
„Hoffentlich müssen uns da andere den Weg freifressen. Sch..., sind die lecker!"
Und schon ist der nächste Schokokuss in ihrem Mund verschwunden. Lennart und ich biegen uns vor Lachen.
„Lacht nicht! Ich opfere mich hier grade, weil der gnädige Herr Doktor sich weigert, sein Soll zu erfüllen!"
„Der gnädige Herr Doktor opfert sich für dich, weil du in dem Zustand keinen Unterricht mehr halten kannst. Also verzichte ich unter Tränen, damit wenigstens ich noch in der Lage bin, gleich irgendwie gradeaus zu denken."

„Unterricht? Hab ich grade das Wort ‚Unterricht' gehört? Soll ich noch ein paar dazustellen???"
Völlig geschockt schauen die beiden mich an, und Jenny findet als erstes die Sprache wieder.
„Bloß nicht! Sonst platze ich. In dem Zustand komme ich nie nie wieder einen Berg hoch. Und du bist schuld, Max!"
„Och, Anni und Lennart ziehen dich da bestimmt gerne hoch."
Lennart runzelt die Stirn.
„Vergiss es, mein Lieber. Du wirst schön mithelfen."
„Geht leider nicht, ich muss doch filmen als Beweismittel."

Durch alle Flure und Treppenhäuser hallt Stöhnen und Gelächter. Die ersten rennen zu den Toiletten, weil sie sich überfressen haben. Aber das ignorieren wir einfach mal gekonnt. Es ist ein Heidenspaß und dauert genauso lange, wie wir gestern fürs Aufstellen gebraucht haben. Sprich: der Vormittag ist futsch, und das war ja der Zweck der Übung. Alle, die es bis in ihre Klassenräume geschafft haben, werden von ihren Lehrern sofort nach Hause geschickt, weil sie nicht mehr gradeaus gehen können vor lauter Übelkeit. Ein bisschen Mitleid mit den Schulbus-Fahrern habe ich ja schon ...

Die Lehrer sind zum Teil auch etwas grün um die Nase, aber sie versammeln sich vorm Hauptportal, um uns gemeinsam zu verabschieden und uns alles Gute für die bevorstehenden mündlichen und praktischen Prüfungen zu wünschen.

Ich verabschiede mich von meinen Kumpeln und schwinge mich auf mein Rad. Jenny dürfte jetzt zu Hause sein, und auch Anni wird dann nicht mehr lange auf sich warten lassen. Auf dem Gepäckträger habe ich eine Schachtel Schokoküsse, weil tatsächlich einige übrig geblieben waren. Ich klingele und öffne die summende Tür. Als ich vor der Wohnungstür ankomme und Jenny mir aufmacht, halte ich ihr die Schachtel entgegen.
„Ich hab da was für Anni ..."
„Weiche von mir, du verführerischer Schokoladenteufel!"
Aus dem Hintergrund höre ich Annis Stimme.
„Wer will dich verführen? Lass das nicht Lennart hören!"

Die Stimme kommt näher. Jenny funkelt mich böse an, während ich mich vor Lachen bald über den Treppenabsatz kugele. Anni freut sich, mich zu sehen, und schiebt Jenny energisch beiseite. Die grinst nur, schaut Anni tief in die Augen und raunt mit verstellter Stimme finstere Worte.
„Ich hab dich gewarnt. Die Dinger sind gefährlich!"
Dann wankt sie zurück aufs Sofa, von wo sie wohl eben gekommen ist. Anni nimmt mich schmunzelnd in die Arme.
„Bei jeder Medizin macht die Dosis das Gift. Ich muss mir ja den Weg nicht freifressen, also kann ich diese Schachtel auch auf mehrere Tage verteilen. Und da Jenny absolut bedient ist, wird sie mir auch keine Konkurrenz machen dabei. Komm rein, Max. Schön, dass du da bist!"

Wir gammeln und kuscheln ein bisschen und genießen, dass es Anni jetzt so viel leichter fällt, Nähe zuzulassen. Ansonsten haben wir uns fest vorgenommen, immer gleich zu reden, wenn sie merkt, dass Nähe grade nicht geht – damit sich das „Denkmal" nicht mehr zwischen uns stellen kann. Dann machen wir sogar noch ein bisschen Mathe, bevor ich mich nach Hause trolle.

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30.1.2021

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