150 ** im siebten Himmel ** So. 24.5.2021

Màu nền
Font chữ
Font size
Chiều cao dòng

Manchmal, wenn ich morgens aufwache, fühle ich mich wie in einer Art Schwebezustand. Ich liege noch da und rühre mich nicht, aber ich nehme selbst bei geschlossenen Augen meine Umgebung überdeutlich wahr. Heute auch. Ich schwebe – im siebten Himmel! Anni liegt eingekugelt in meiner Armbeuge und schläft. Ich spüre ihre Haare an meinem Hals kitzeln, jeden Quadratzentimeter Haut, den sie berührt, die Wärme, die sie abstrahlt, ich lausche ihrem Atem, ich fühle so viel auf einmal! Die Erinnerungen an heute Nacht schweben durch meinen Kopf wie bunte Seifenblasen. Erst war ich so unsicher, und dann war es einfach WOW!
Wenn DAS das schüchterne erste Mal war – was kommt dann da noch???

Ich bin noch einmal wie berauscht von diesen Stunden, von Annis Vertrauen, von ihrer sanften Art, mich zu führen, von ihrer Schönheit, von ihrem Verlangen. Wieder explodiert das Glück in meinem Bauch, und es fühlt sich seltsam an, dass ich dabei so, so viel gleichzeitig spüre. Angeblich schaltet „Mann" im entscheidenden Moment ja den Kopf aus. Aber dafür definitiv alle Sinne an! Ich war nicht nur schwanzgesteuert in dem Moment. Ich war ... wie soll ich das verstehen? Ich war Augen und Ohren und Nase und Zunge und Haut und Hände, und ich habe das alles gleichzeitig wahrgenommen. So stelle ich mir ein bisschen die Wirkung von Drogen vor.

Stop. Anni ist NICHT meine Droge.
Der Vergleich klingt total falsch in meinem Kopf. Aber ... ich habe kein passendes Wort dafür. Ich darf, will und bin definitiv nicht abhängig davon, sie bei mir zu haben. Ich bin schwer verliebt und reich beschenkt und genieße jede Minute mit ihr an der Seite.
Aber ich bin nicht abhängig. Nur was ...
Wir sind nicht abhängig voneinander sondern ...
... ganz, ganz nah beieinander und trotzdem frei, unsere Leben zu gestalten, wie es uns passt.

Meine Schöne bewegt sich im Schlaf, und dabei kann ich meinen Arm vorsichtig unter ihr rausziehen. Ich beschließe aufzustehen. Ich suche mir reisetaugliche Sachen aus dem Schrank und schlüpfe ins Bad. Nach einer erfrischenden Dusche ordere ich unser Frühstück und packe so leise wie möglich schonmal ein paar Sachen zusammen. Als der Service mit dem Teewagen kommt, verkrümele ich mich leise auf die Dachterrasse. Da habe ich noch eine Idee. Ich gehe wieder rein, schnappe mir die gut verpackten Bilder, einen Kuli vom Hotel aus der Schublade und schreibe ganz groß was drauf. Das Bilderpaket lehne ich auf einem Stuhl an und stelle den so vor den Schrank, dass Anni das bestimmt sehen wird, wenn sie aufwacht. Dann verschwinde ich schnell wieder nach draußen und decke weiter den Tisch.

Ich überlege, ob ich Anni wecken soll, denn wir müssen ja um 10.00 Uhr das Apartment räumen. Dann wieder zögere ich und fühle mich schon wieder so unsicher. Anni lacht mich bestimmt aus dafür, wenn sie das kapiert. Hoffentlich merkt sie nicht, wie oft ich unsicher bin. Leise nähere ich mich der Tür nach drinnen und lunze um die Ecke. Da sehe ich, dass Anni sich grade ausgiebig reckt und streckt. Sie bemerkt mich und lächelt mir entgegen. Sofort geht in meinem Kopf die Sonne auf. Ich versuche, möglichst lässig zu wirken, als ich auf sie zusteuere, mich neben sie setze und langsam ihren Arm aufwärts mit kleinen Küsschen bedecke. Von sehr nahem sehe ich ihr schließlich in ihr offenes, entspanntes Gesicht.
Mist, Mist, Mist, schon wieder diese Unsicherheit. Wenn ich nur wüsste, was jetzt in ihrem Kopf vorgeht!

„Max?"
„Ja, mein Schatz?"
„Hast du dich wohl gefühlt heute Nacht? War es schön für dich, dein erstes Mal?"
Wie macht die das??? Woher weiß sie denn jetzt wieder, ... Egal. Sie weiß. Und das ist schließlich einer der Gründe, warum ich sie so sehr liebe.
Ich glaube, das berühmte Honigkuchenpferd ist grade eine trübe Funzel im Vergleich zu mir.
„Ja. Sehr. Und ... du?"
Anni zieht mich noch ein Stückchen näher.
„Es war das Allerschönste, was ich jemals erlebt habe. Du hast mich unendlich reich beschenkt und sehr verwöhnt."
Dann überbrückt sie den letzten Abstand und küsst mich verspielt. In mir macht sich unendliche Erleichterung breit. Ich habe ja heute Nacht tatsächlich nicht an „November" und irgendwelche Trigger gedacht, ich konnte wirklich spüren, dass sie mir voll und ganz vertraut. Aber das jetzt aus ihrem Mund zu hören, ist doch nochmal eine Befreiung.

„Frühstück?"
„Frühstück!"
„Ich war schon im Bad, du hast freie Bahn. Ich nutze die Zwischenzeit, um meinen Kram zu packen."
Zwanzig Minuten später sitzen wir auf der Terrasse und genießen das letzte Luxusfrühstück. Außerdem schmieren wir uns ein paar der leckeren Brötchen für die Zugfahrt, denn wir werden erst sehr spät in Essen ankommen.
So die Deutsche Bahn uns lässt. Wenn wir so viel Glück wie auf der Hinfahrt haben, wird es eben sehr früh ...

„Max?"
„Hm?"
„Wir müssen übrigens im nächsten Jahr wieder herkommen."
Irritiert schaue ich sie an.
„Wenn wir bis dahin im Lotto gewonnen haben?"
Anni schüttelt amüsiert den Kopf.
„Das lass mal meine Sorge sein. Jedenfalls haben wir es diesmal nicht ins Alchemisten-Museum geschafft – und das müssen wir dann ja wohl nachholen."
„Stimmt! Das will ich unbedingt sehen! Also: auf nächstes Jahr in Prag!"
Grinsend erhebe ich meine Kaffeetasse und proste ihr zu. Anni geht so schwungvoll darauf ein, dass wir fast den guten Kaffee auf dem ganzen Tisch verspritzt hätten.
„Uff! Gut, dass die Tassen nicht mehr voll waren!"

„Was ist eigentlich deine Lieblingsstadt in erreichbarer Nähe, Max?"
„Du meinst, wo ich gerne mal hinreisen würde für so einen Städtetripp?"
„Ja, genau. Was ist dein Traumziel?"
„Ich weiß gar nicht, ob ich DAS Traumziel habe. Als wir in der Unterstufe alle Länder und Hauptstädte von Europa gelernt haben, da hab ich aus Spaß gesagt, dass ich eines Tages mal in jedem Land gewesen sein möchte. Aber das stimmt so glaube ich nicht mehr."
„Was denn dann?"
„Naja ... z.B. England. London ist bestimmt toll und vielseitig und spannend. Aber wenn ich heute wählen müsste, würde ich mich glaube ich für die schottischen Highlands entscheiden. Oder Cornwall und Dartmoor. Viel draußen, wenig Touristen – und nur am Anfang oder Ende ein, zwei Tage London."
„Klingt verlockend. Ich bin dabei."
Anni zwinkert mir zu, und ich freue mich wie blöd.

„Lass uns fertig packen und unser Gepäck an der Rezeption abgeben. Dann können wir noch ein bisschen bummeln, bevor wir endgültig los müssen."
Anni stürzt sich also auf ihren Koffer, während ich das Frühstück abdecke, den Teewagen auf den Flur schiebe, einzelne Besitztümer im Apartment einsammele und auch meinen Koffer schließlich zu mache. Für die Bilder nimmt Anni ein langes dünnes Tuch und knotet sie damit an den ausgezogenen Griff von ihrem Koffer dran. Bevor wir rausgehen, nehme ich sie noch einmal in die Arme und küsse sie sacht. Ihre Augen strahlen, ich kann mich kaum satt sehen daran.
Dieses Grün!
„Danke, dass du da bist, Max. Du bist mein Engel auf Erden."
„Falsch. Ganz falsch! Wir sind unsere Engel auf Erden. Wir tun uns gegenseitig gut, und das ist das beste, was uns je passieren konnte."

Nachdem wir ausgecheckt und unser Gepäck zur Aufbewahrung abgegeben haben, gehen wir noch einmal unsere Lieblingsstrecke an der Moldau entlang. Wir laufen Hand in Hand und unterhalten uns über das Varieté gestern Abend, welche Nummer uns am besten gefallen hat, wie lecker das Essen war, wie schön es ist, dass wir so ähnliche Interessen haben, wie dankbar und glücklich wir sind, dass wir dieses lange, schwere Jahr miteinander so gut durchgestanden haben.

Aber allmählich wird das Gespräch immer allgemeiner, die Pausen immer länger, die Stimmung wird künstlich, etwa so wie drückende Schwüle vor einem Gewitter. Nur dass wir hier nicht auf ein Gewitter sondern auf einen kleinen Abschied nach vier intensiven Tagen zusteuern. Als mir das bewusst wird, erschrecke ich ein bisschen, denn die Vorstellung, dass wir jetzt bis Mitternacht so weitermachen, ist gruselig.
„Anni?"
„Ja?"
„Was passiert hier grade? Das fühlt sich an wie Abschied. Aber das ist doch Blödsinn! Erstens werden wir noch den kompletten Rest des Tages bis Mitternacht miteinander verbringen, zweitens werden wir uns den ganzen Sommer lang ganz viel sehen, drittens ist das hier doch ein Anfang und kein Ende. Warum dann diese seltsame Stimmung?"
Ich halte ihre Hand noch etwas fester.

Anni überlegt einen Moment und bleibt dann stehen. Sie lehnt sich ans Geländer zur Moldau und wendet sich mir zu.
„Ich habe grade auch gemerkt, das da was komisch wird, und konnte es noch nicht greifen. Gut, dass du das ausgesprochen hast. Ich glaube aber nicht, dass wir uns Sorgen machen müssen. Wir haben hier in diesen Tagen, in dieser Stadt ganz viel besonderes miteinander geteilt. Wir sind randvoll mit Eindrücken, wir fühlen ganz viel, und wir müssen uns gleich von dieser Stadt verabschieden. Vielleicht müssen wir auch in den nächsten Tagen einfach ganz viel schlafen."
Wir müssen beide lächeln.
„Aber wir nehmen in uns drin all dieses Schöne, Neue, Zauberhafte mit uns mit wie Schätze. Lass uns dieses Schweigen annehmen als ein Zeichen gewisser Sättigung und tief empfundener Verbundenheit. Oder?"

Das klingt alles völlig richtig, und ich spüre plötzlich, wie angespannt ich grade war. Ich entspanne mich wieder etwas, nehme meine Freundin in die Arme und gebe ihr einen federleichten Kuss auf die Nase.
„Du hast völlig recht, Liebes. Müdigkeit, inneres Sortieren – das klingt alles ziemlich plausibel. Lass uns umkehren, damit wir ohne Hetze zum Bahnhof aufbrechen können."
„Gerne, Max."
Wir drehen also um, greifen wieder nach der Hand des anderen und bummeln durch ein paar Seitenstraßen zurück zum Hotel. Der Rezeptionist holt unser Gepäck aus einer kleinen Kammer und ruft uns ein Taxi.

Am Prager Hauptbahnhof haben wir etwas Mühe, uns zu orientieren. Das Gebäude ist weitläufig und voller Geschäfte. Fast kommt man sich hier wie auf einem Flughafen vor – auch, weil die Beschriftung aus Hieroglyphen zu bestehen scheint. Wir raffen jedenfalls erstmal gar nichts.
„Wie sind wir hier eigentlich am Mittwoch heile rausgekommen? Ich komm mir vor wie im Labyrinth des Minotaurus. Dabei wollen wir nur zwei Flaschen Wasser, zwei Stück Pizza und Gleis 23!"
Anni lacht und zeigt auf einen der Shops.
„Die Pizza ist damit schonmal gefunden, und Wasser werden die auch haben. Lass uns das als erstes erledigen."

Weil noch reichlich Zeit ist, suchen wir uns erstmal wieder einen Weg nach draußen und essen in der Sonne sitzend in aller Seelenruhe unsere Pizzateile auf. Als nächstes streben wir zu einem Lieferwagen mit mobiler Eisdiele drin und sorgen dafür, dass die Lücken im Magen gefüllt werden.
„Mm. Gut. Aber Möhrchen schmeckt besser."
„Boah, bist du wählerisch, Max! Ab morgen gibts wieder Möhrcheneis. Aber dafür erstmal kein ‚wir zwei genießen zusammen ein Eis in der Sonne'-Eis."
„Stimmt. Allerdings haben wir in den nächsten Wochen beide kaum Zeit dafür. Du musst wieder reinholen, dass du an diesem Wochenende keine Zeit hattest, den Unterricht für nächste Woche vorzubereiten. Und ich muss am Dienstag die Theorieprüfung bestehen, möglichst noch viermal oder so Fahrstunde haben und dann in einer Woche bitteschön im ersten Anlauf den Führerschein kriegen."

Wir essen genussvoll unser Eis auf und suchen uns dann einen Info-Point. Der Mann hinterm Tresen dort hat – oh Wunder! - einen Lageplan vom Bahnhof und zeichnet uns ein, wo wir hin müssen. Also trollen wir uns auf unseren Bahnsteig, suchen den Wagenstandsanzeiger und hocken uns schon mal auf die richtige Bank.
„Boah, was hab ich 'ne Lust, jetzt noch mal acht Stunden durch die Gegend zu gurken. Ich hab grade so'n Bewegungsdrang, ich würd am liebsten einfach lostanzen!"
„Tu dir keinen Zwang an. Hier kennt dich keiner, Platz ist hier auch. Mach doch!"
Völlig entgeistert starre ich Anni an. Aber die lacht mich nur aus.
Schon wieder!!!
„Wenn du jetzt dein Gesicht sehen könntest! Zum Piepen. Und – nein, hier wirst du mich nicht durchkitzeln, DAS wäre dann WIRKLICH peinlich."
„Warts ab. Du läufst mir ja nicht davon. Das kriegst du irgendwann wieder, wenn du nicht mehr damit rechnest."

Unser Zug läuft ein, wir sammeln unseren Krempel zusammen und machen uns auf, um unser Abteil zu finden. Als der Zug dann anfährt, registrieren wir, dass wir trotz der vielen Reservierungen in diesem Abteil wohl alleine sind. Vielleicht nicht bis Berlin, aber immerhin jetzt am Anfang.
„Cool! Hast du was dagegen, wenn ich ganz leise Musik anmache?"
„Nö, überhaupt nicht. Was haste denn im Angebot?"
Gemeinsam flippen wir durch meine Playlists.
„Was ist denn eine ‚Jazz-Chill-List?"
„Lach nicht! Das sind acht Stunden sanfte Jazzmusik, die sich hervorragend zum Einschlafen eignen. Gut gegen Kopfkino."
„Bist du müde, Max? Willst du gleich ein Mittagsschläfchen halten?"
„Wieso das denn?"
„Naja, wenn du so'ne Schlummerliste hast?"
„Aber die hab ich doch nicht vorgeschlagen. Das warst doch du, die gefragt hat."
„Och, ich dachte bloß ..."

Kurz bin ich in Versuchung, Anni schon jetzt so richtig durchzukitzeln. Aber dann stelle ich fest, dass sie eigentlich recht hat. Ich ziehe kurzerhand meinen Sitz aus, hänge mein Handy an eine Steckdose, starte leise den Jazz, schnappe mir meine Jacke und mache es mir bequem.
„Was machst du denn jetzt? Ich dachte, du bist nicht müde."
„Chillen? Is 'ne Chill-List, weißt du?"
Ich liebe diese grünen Augen. Sogar, wenn sie ganz verwirrt so weit aufgerissen sind.
„Chillste mit?"
Anni versucht, sich ihr Schmunzeln zu verkneifen. Klappt aber nicht so gut.
„Na dann ..."
Sie schnappt sich ebenfalls ihre Jacke, zieht den Sitz neben meinem aus und kuschelt sich, so gut es geht bei den schrägen Lehnen, gemütlich an mich dran.
„Chill gut, mein Schatz."
„Du auch, Liebes."
Ich kriege nicht mit, dass wir tatsächlich einschlafen. Aber dass die Grenzer für die Passkontrolle ins Abteil kommen, sich räuspern und böse Blicke auf das Handy mit dem leisen Jazz werfen – das krieg' ich dann wieder mit.

Zum Glück gibt es heute keine „wir bitten dafür um Entschuldigung"-Probleme irgendwelcher Art, und so sind wir pünktlich in Berlin. Im zweiten Zug nach Essen sind wir leider in einem Großraumwagen gelandet. Aber das werden wir auch noch überleben. Ziemlich träge, steif und müde krabbeln wir schließlich in Essen aus unserem Zug, arbeiten uns zu den Taxen durch und lassen uns beide nach Hause bringen. Als wir uns vor meiner Haustür verabschieden, nehme ich Anni nochmal fest in die Arme und gebe ihr einen Gutenachtkuss.
„Das ganze Wochenende war wunderschön. Ich liebe dich! Lass uns das öfter mal machen."
„Schlaf gut, Max."
"Du auch, mein Schatz!"
Kurz sehe ich noch dem Taxi nach, bevor ich leise ins Haus gehe, in meinem Zimmer alles fallen lasse und ziemlich schnell eingeschlafen bin. Ganz ohne Jazz.

.......................................................

12.2.2021

Bạn đang đọc truyện trên: Truyen2U.Pro