(11/3) Der letzte Versuch

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Valerio streckte den Arm aus. "Einen Leinenstreifen. Möglichst lang."

Tomaso zog den Korb zu sich heran und brachte ihn nahe an eine der Fackeln, die sie zwischen die Steine gesteckt hatten. Er kippte das Behältnis gegen das Licht, so dass Valerio hinein sehen konnte. "Das war alles, Junge. Wir haben keine mehr."

Valerio ließ den Arm der Novizin los. Leblos glitt er von ihrem Körper herunter und blieb neben ihr auf dem Boden liegen. Mühsam richtete er sich auf, machte einen Schritt auf den Baumeister zu und streckte ihm die Hand entgegen. "Dein Messer."

"Wozu", fragte Tomaso verwundert. Valerios Hand blieb vor ihm ausgestreckt. Als er ihm nicht antwortete, griff der ältere an seinen Gürtel und reichte es ihm.

Valerio beugte sich zu den Füßen der Novizin hinunter, griff den Saum ihres Gewandes, steckte das Messer ins Gewebe und zog die Klinge ein Stück weit quer durch den dunklen Stoff. Dann  packte er das Leinen mit beiden Händen und riß am Saum entlang ringsum eine Handbreit ab. Er durchtrennte die Stoffbahn und teilte sie dann noch einmal. Mit der einen Hälfte band er der Frau die Arme zusammen.

"Das Band muss ein gutes Stück über den Ellenbogen liegen, sieh her", erklärte er dem Baumeister. "Und dann... fest ziehen. Damit sich die Schultern heben. Sonst nehmen sie die Backsteine an den Seiten mit, wenn sie unter dem Brett hindurch gezogen werden. Du musst ihre Arme strecken und zusammendrücken... und dann das Band hier oben ansetzen und fest knoten, sonst funktioniert es nicht."

"Hm", brummte Tomaso, "verstanden. Und du? Was hast du vor? Du heckst doch irgendwas aus?"

Valerio warf ihm einen Blick zu, doch er sagte nichts. Er trat an der Leiter vorbei zur Wand, ging auf die Knie und streckte den Kopf durch das Loch hinaus. "Anna, Elizio... Wir brauchen zwei Männer, die hier mit anpacken können! Sie müssen schlank sein, achtet auf das Loch. Legt auch ein Bündel mit Leinenbinden auf die Leiter. Oder Flachsseil. Das dünne genügt."

Er rappelte sich vom Boden hoch, griff einen Stein und legte ihn der Novizin zwischen die Handflächen.

"Und das da", fragte Tomaso, "was soll das?"

"Sie sind tot. Der Stein wird Anna sagen, dass sie keine Zeit und Kraft an ihnen verschwenden müssen auf der Suche nach Lebenszeichen und Rettung. Sie erhalten die Totengebete." Valerios Stimme wurde dunkel. "Vergiß die Steine nicht, sie sind wichtig. Jede bekommt einen. Die Steine ersparen denen da draußen Hoffnung, die später doch enttäuscht werden muss. Erkläre es den beiden, die dir helfen werden. Du musst ihnen zeigen, wie sie die Arme binden sollen. Und arbeitet mit Elizio zusammen, gebt ihm Signale und hört auf sein Rufen. Damit ihr nicht die Mauer zum Einstürzen bringt. Macht langsam, wenn sie durch die Öffnung kommen."

Tomasos Augen glühten dunkel im Feuerschein, als er Valerio prüfend betrachtete. "Du gehst sie suchen", stellte er nachdenklich fest. Es war keine Frage.

"Ja. Kann ich dein Messer mitnehmen?" Valerio klopfte gegen seine Tasche. "Ihr bekommt gleich neue Schnüre. Meine sind aufgebraucht. Wenn es nötig ist, könnte ich Streifen von ihrer Kleidung wegschneiden."

Stumm stand Tomaso auf und machte sich daran, seinen Gurt zu öffnen. "Hier, warte... nimm den auch mit."

Valerio schloss den Gurt um die Hüften und steckte das Messer in die lederne Halterung zurück. Dann griff er nach seinem Wasserbehälter aus Ziegenleder und schüttelte ihn an seinem Ohr.

Tomaso reichte ihm einen anderen. "Hier, nimm meinen. Der ist voll." Er sah zu, wie Valerio ihn in seine Tasche gleiten ließ und sie auf den Rücken schob. "Du achtest auf dich", murmelte er.

"Und du auf dich. Und pass auf, dass deine Helfer die Wände in Ruhe lassen." Valerio sah sich im flackernden Licht der Fackeln um. "Ich gehe in den Gang. Wenn ich... jemanden finde, rufe ich euch."

Einen Moment lang schwiegen beide. "Du kannst nur eine Fackel halten, Junge", brummte der Baumeister schließlich. In seinem Ton schwangen Sorge und Zweifel mit. "Du weißt, wie schwierig es dort hinten wird, wenn das Licht fehlt. Willst du nicht eben warten und dir jemanden mitnehmen?" Er zögerte." Soll ich mitkommen?"

Valerio lachte. "Du? Nein! Schone deine Knie und Hände! Ohne dich bin ich schneller."

"Aber wenn du jemanden findest, muss ich doch sowieso herkommen und mit anpacken." Tomasos Blick lag fragend auf seinem Gesicht.

Valerio sah an sich herunter, öffnete das Band an seiner Hose und knüpfte es fester. "Ja... aber nur, wenn... sie leben."

"Aber... müssen wir nicht auch alle Toten...?"

"Nein", unterbrach Valerio ihn.  "Nicht wenn sie dort hinten liegen, Tomaso." Er zog das Band aus seinen Haaren, nahm es zwischen die Lippen und band seinen Zopf neu. Dann fuhr er fort: "Wir haben genug geleistet. Nur wenn Leben in ihnen ist, schaffen wir sie über die Trümmer bis hierher."

"Sie müssen aber doch ein anständiges Begräbnis bekommen!"

Als Valerio den Blick des Baumeisters sah, verstand er, dass aus ihm die Verzweiflung und das Leid der vergangenen Jahre sprachen.

"Hör mir zu", bat er leise, "wir müssen am Ende nicht alle gefunden haben. Niemand kann das verlangen. Die Ruine wird einstürzen. Jetzt, gleich - oder bald. Es ist schon zu lange gut gegangen, wir haben es weit genug heraus gefordert. Wir haben sie beinahe alle, damit hat niemand gerechnet - und wir zu allerletzt! Ich will sehen, was ich nun noch ausrichten kann, während ihr die Toten hinaus bringt, ich ... ich kann hier nicht weggehen, ohne alles versucht zu haben, das verstehst du. Es geht nur noch um ... die Lebenden. Ich muss es tun. Vielleicht finde ich sie. Aber wenn nicht ..."

Der Baumeister schüttelte den Kopf und wollte etwas sagen, doch Valerio legte ihm die Hand auf die Schulter und er schwieg. Er holte tief Luft. "Du hast gesagt, wir bringen das hier zuende. Bevor ich keine Sicherheit habe, ist es nicht zuende. Nicht für mich. Noch nicht ganz. Aber für euch reicht es jetzt. Diese Toten noch, die hier liegen - und jede Überlebende, falls ich noch eine finde. Wir tun jetzt, was noch zu tun ist - du hier vorne ... und ich dort." Er zeigte ins Dunkel hinein. "Und wenn es noch mehr Tote gibt, da hinten in den Trümmern ... dann haben wir nichts davon gewusst. Wir haben auch unser eigenes Leben zu retten. Niemand wird es erfahren."

Er griff nach einer frischen Fackel, entzündete sie an dem brennenden Stumpf, der in der Wand steckte und wandte sich zum Gehen.

"Kann ich schon ziehen?", drang Elizios Stimme durch die Öffnung. Beinahe hatten sie vergessen, dass er draußen auf ihr Signal wartete.

"Ja... wir sind fertig", antwortete Tomaso laut gegen die Wand und sah zu, dass er ans Ende der Leiter kam, während sie sich langsam in Bewegung setzte.

"Aber wenn du mich brauchen kannst, machst du dich bemerkbar, du verdammter Dickkopf", hörte Valerio ihn plötzlich hinter sich rufen. "Laut. Damit ich dich höre."

Valerio blieb stehen. Langsam drehte er sich zu ihm um. Er hob die Fackel. Dann stieg er in die Trümmer hinein.

Ende Teil 87

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