(11/4) Rosmarin

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Das Knirschen des Gerölls unter seinen Sohlen und das leise Rauschen der Fackel waren die einzigen Geräusche, die er hörte, als er sich weiter von Tomaso entfernte. Bald jedoch drang das Schleifen der Leiter hinten am Durchbruch zu ihm herüber - und Tomasos dunkle Stimme, die jemanden begrüßte. Eine andere Stimme antwortete. Der Baumeister schien nun Hilfe zu haben. Undeutliche Worte, die aus der Distanz fortwährend in seinem Rücken klangen, verrieten, dass er jemanden einwies.

Während das raue Schleifen der Leiter auf dem Steinboden ihm erneut Gänsehaut bescherte, begann der bohrende Hunger ihn nun regelrecht anzuspringen. Dazu fror er entsetzlich; seine steifen Muskeln wurden nicht mehr warm, seit er versucht hatte, sich mit dem kalten Lappen das Blut herunter zu waschen.

Es war, als habe die Ruine alle Energie aus ihm heraus gesaugt. So schnell er beim ersten Mal und in umgekehrter Richtung über die Trümmer gesprungen war - voller Hoffnung und Tatendrang, ermutigt durch die Stimmen hinter der Tür - so langsam ging es jetzt vorwärts. Er war müde. Die Beine wollten ihm kaum noch gehorchen. Wenn er jetzt noch einmal fiel, wäre seine Reaktionsfähigkeit sicher nicht die beste.

Sein Sturz hier im Gang hatte ihm Prellungen und Schürfwunden an Rippen und Hüfte beschert, auch hatte er inzwischen überall Abschürfungen an den Fingern und Handrücken. Über die Stunden hatten sich immer wieder Krusten gebildet, aber wenn er zupacken musste, platzten sie wieder auf. In seinem Oberarm brannte ein tiefer Riss, den er sich an einem der metallenenen Scharniere des zerstörten Schrankes im Kartenraum zugezogen hatte. Er durfte sich nicht ernsthaft verletzen, insbesondere nicht an Knöcheln und Füßen. Schritt für Schritt tastete er sich vorwärts.  Wenn der Boden eben und die Situation eine andere gewesen wäre, er hätte sich hingelegt und geschlafen, irgendwo. Nur einen Moment von den Beinen kommen, die Augen schließen vor den Schatten und dem zuckenden Licht. Den Staub, die Steine, die grausigen Bilder vergessen. Die Toten.

Aber es gab kein Ausruhen, solange nicht alle gefunden waren! Er musste sich sammeln. Dieser letzte Teil konnte schwer werden. Was, wenn seine Bemühungen dem Mädchen letztlich nur einen stummen Abschied bescherten, bevor sie einander näher kennenlernen konnten? Was, wenn er sie nicht lebend fand? Sie hatte gesungen! Aber konnte er seinen Sinnen trauen? Er war vollkommen überwältigt gewesen von der Zerstörung, die sie vorgefunden hatten, er war besorgt und angespannt - wie leicht konnte man sich da etwas einbilden!

Kaum war ihm bewusst, wie er den nächsten und nächsten Schritt über die Trümmer machte, seinen Weg über wegrutschende Steinbrocken und geborstene Dachpfannen fand; er bewegte sich wie im Traum vorwärts. Er wusste, er musste auf seine Füße achten, aber die Gedanken an Caterina hielten ihn in einer Welt voller Nebel und Angst gefangen. Er konnte sich nicht auf das Chaos aus Schutt und Steinen konzentrieren.

Welch dunkle Prüfung war das! Um heraus zu finden, ob er ihr Retter sein konnte, musste er akzeptieren ihr Totengräber zu werden. Seine Hoffnung war an einem Nullpunkt angekommen. Sie schwand mit jedem Schritt und machte bitterer Verzweiflung Platz. Und Hilflosigkeit...

Wie er diesen Zustand hasste! Wut senkte sich wie Blei tief in sein Innerstes hinab und blieb Übelkeit erregend und schwer in ihm liegen, während er sich bemühte nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Seine Faust umspannte die Fackel fester. Warum, fragte er sich. Warum hatten sie einander angesehen, an dem Abend im Kräutergarten, als er Maria den Korb brachte? Ihre Augen, ihr Gesicht, ihre ganze Haltung hatte verraten, was auch er in diesem Moment fühlte. Er hatte den Blick kaum von ihr lösen können. Und nun sollte er sie hier suchen? Ihre Leiche finden?  Hier machte kein liebender Gott die Pläne! Nicht für ihn... nicht für sie beide!

Der Gedanke, dass sie dort hinten tatsächlich gerade sechzehn Novizinnen ans Tageslicht zurück brachten, während er hier nach den letzten drei Vermissten suchte, beflügelte ihn nicht. Nur fünf von den sechzehn, die gefunden waren, hatten überlebt - bis jetzt zumindest. Mit Evelina wären es sechs. Und die letzten drei, die noch fehlten... Wenn Fiamma ihm nicht gesagt hätte, dass vier der Novizinnen von Maria in den Gang hinaus geschickt worden waren, um fehlende Stühle zu holen, er hätte jetzt wohl im Kartenraum gesucht. Weil sie dort die meisten gefunden hatten. Und weil dieser Gang, in dem er herum stolperte, niemandem Schutz geboten haben konnte, als sich der Säulengang hier hinein schob und ein Viertel der Decke herab riss.

Oh, wie gerne hätte er Fiamma nach den Namen der vier Frauen gefragt, die die Stühle holen sollten! Er hatte es nicht getan. Er hatte nur genickt. Und stumm die Flammen hinunter geschluckt, die in diesem Moment aus seinem Herzen schlugen. Dies hier war schlimmer als der Schaden im Kartenraum... Er wollte sie dort finden, nicht hier. Dass Scalea das Unglück im Gang überlebt hatte, war mehr als ein Wunder. Von zwei Wundern im selben Augenblick und am selben Ort hatte er noch nicht gehört. Er hatte die Verletzungen gesehen, die die herabstürzenden Steine verursachten. Ihm war übel geworden von dem, was sie zu sehen bekamen, als sie sie aus den Trümmern befreiten. Das war pure, gnadenlose Gewalt. Steine kannten kein Mitgefühl. Für die meisten hatte er nichts tun können. Nun waren sie seit Stunden hier und niemand rief oder schrie mehr. Sie mussten längst tot sein, alle drei.

Die heilige Klara! Beinahe fiel er über einen geborstenen Balken, der aus den Trümmern heraus ragte, er konnte sich gerade noch fangen. Die Novizin, die er für eine Statue gehalten hatte! Er hatte völlig vergessen sie mit zu zählen! Und Tomaso hatte ebenfalls nicht mehr an sie gedacht... Sie vermissten nur noch zwei Frauen, nicht drei!

Zwei. Er konnte nicht mehr klar denken. Die Fackel beleuchtete Boden und Wände nur schwach. Er gelangte nun zu dem Abschnitt, in dem das meterlange schwarze Loch in der Decke klaffte und der Säulengang sich in die Außenmauer hinein geschoben hatte. Der Putz war dort an unzähligen Stellen heraus gefallen - was anzeigte, dass die Mauer gefährlich in Bewegung geraten war und jederzeit wegbrechen konnte.

Er kniff die schmerzenden Augen zusammen. Der Fackelschein blendete ihn und ließ die Bereiche jenseits des Lichts umso schwärzer erscheinen. Einige Meter vor sich erkannte er den dunklen Schatten der ersten Tür, an der sie auf dem Weg zum Kartenraum vorbei gekommen waren. Er blieb stehen. Suchend blickte er sich um. Hier irgendwo lag die tote Novizin, erinnerte er sich, als er zwei verkohlte Balken wieder erkannte, in deren Nähe er gestolpert war. Auch Scalea hatte er hier gefunden. Sie waren zusammen geschickt worden...Es war anzunehmen, dass auch die anderen beiden hier irgendwo sein mussten.

Weiter vorne an der Wand stand ein Stuhl. Er entdeckte ihn, als er die Fackel hob. Und einige Stuhlbeine und Lehnen ragten aus den Trümmern am Boden. Hier war die Stelle. Irgendwo zwischen der Tür und den Stühlen mussten sie sein.

"Caterina..." Er sprach ihren Namen aus, zögernd und leise. Dann noch einmal - so laut, wie es die Distanz zu Tomaso und seinem Gehilfen erlaubte. Sie sollten ihn nicht hören, das hier war seine Sache. Suchend ließ er den Blick über die Trümmer schweifen.

"Caterina."

Sie waren mit den Toten beschäftigt. Sie hörten ihn nicht.

"Caterina. Wo bist du."

Irgendwo im Dunkel vor ihm fiel ein einzelner Stein. Klein musste er sein, nicht größer als der Verschluss einer Phiole. Wie erstarrt blieb er stehen. Beinahe erwartete er ihr Singen zu hören, wie beim ersten Mal. Doch dies hier war kein Märchen...

Weit hinter ihm wurde lautes Reden hörbar, Kommandos wurden nach draußen gerufen, das Schleifen der Leiter drang dünn an sein Ohr. Halb drehte er den Kopf, sah, dass sie nun zu dritt waren... und so kam es, dass er das feine, zischende Geräusch einige Meter vor sich beinahe überhörte. Erschrocken wandte er sich wieder nach vorne, riss die Fackel hoch und beleuchtete das Loch in der Decke. Ein armdicker Strom aus Steingrieß und Staub kam aus dem Dunkel herunter und leuchtete auf, als er den Lichtschein passierte.

Er sprang zurück, sein Blick ging von Wand zu Wand, dann wieder zu dem klaffenden Schlund hinauf. Etwas polterte dort oben, Steinmassen knirschten, in der Außenwand rieselte es. Er horchte nach beiden Seiten, dann wieder nach oben. Die unheimliche Stille ließ ihn erschaudern, trotz der plötzlichen Hitzewelle, die ihm über Gesicht und Körper ging. Kaum wagte er zu atmen aus Angst weitere Zeichen zu überhören.

Ganz oben, es musste auf der oberen Ebene oder auf dem Dach sein, kam etwas in Bewegung. Er spürte es. Die Luft im Gang vibrierte und verdichtete sich, die Haare auf seinen Unterarmen richteten sich auf. Ein grausames Knirschen und Knarren, dazu ein dumpfes Grummeln wie Gewittergrollen, senkte sich von oben in den Gang hinunter.

Sein Herz raste. Panisch beobachtete er die Ströme rieselnden Staubes und feiner Steine, die nun überall aus der Decke kamen. Dann wieder ein Moment der Stille. Das Grummeln beruhigte sich, das Rieseln hörte auf.

"Raus! Schnell! Alle raus!", schallte Tomasos Stimme durch den Gang. "Die Decke kommt!"

Wohin? Er wandte sich rückwärts, er wollte zurück zu den anderen, zur Öffnung in der Mauer, doch er sah, er hatte sich zu weit entfernt. Er würde ewig brauchen über den Schotter...

"Junge... Junge!"

Dort hinten vor dem Feuerschein stand Tomaso als dunkle Silhouette und winkte mit beiden Armen. Seine Helfer schoben sich neben ihm zur Öffnung hinaus, ihr hektisches Rufen und Ächzen ließ ahnen, was dort vor sich ging, auch wenn er es aus dieser Entfernung nicht erkennen konnte. Die Anspannung, die in Tomasos Schatten lag, sagte Valerio, dass er zu ihm herüber starrte und auf Antwort wartete. Tomasos Stimme bebte von Sorge und Angst, als er zum zweiten Mal rief.

"Junge! Die Innenwand! Hock dich an die Innenwand!"

Er brachte kein Wort heraus. Sein Herz schlug so hart, er konnte kaum atmen, wagte nicht zurück zu rufen, befürchtete allein durch den Schall alles zum Einstürzen zu bringen. So hob er nur die Fackel als Signal, dass er ihn gehört hatte. Wild sah er sich um, sah zur Decke hinauf, aus der es wieder zu rieseln begann. Tomaso ließ die Arme sinken und verschwand im Schatten jenseits des Feuerscheins. Die Fackeln blieben zurück, beleuchteten zuckend den leeren Platz. Er war allein.

Er hatte keine Chance an der Innenwand! Von oben knarrte es laut und anhaltend. Die Dachbalken kamen herunter! Sie würden alles mit sich reißen, durch alle Decken schlagen. Wie im Kartenraum.

Das Poltern und Krachen begann. Die Überlegungen rissen ab, seine Fluchtmechanismen setzten ein. Er stürzte nach vorne, fing sich gerade noch und sprang, seine Füße flogen über den Schotter, er spürte weder die Steine unter sich, noch den körnigen Grieß, der ihm auf Kopf und Schultern prasselte. Er dachte nichts mehr, er wusste nichts mehr, die Beine bewegten sich wie von selbst. Er war ein Tier, das um sein Leben rannte. Ein Instinkt, von dem er nicht gewusst hatte, dass er ihn besaß, ließ ihn über die Trümmer fliegen, vorwärts, den Gang entlang, weiter, weiter...

Hinter ihm brach mit ohrenbetäubendem Lärm die Decke herunter. Eine düstere Wolke erhob  sich im Gang und wälzte sich hinter ihm her, holte ihn ein. Er hörte nicht mehr das scharfe Knirschen und Mahlen in der Außenwand oder das Donnern der Balken, denen Massen von Steinen folgten. Er rannte. Seine Füße berührten den Untergrund nicht mehr.

Er nahm noch wahr, dass der Staub ihm die Sicht nahm. Dass er nicht mehr atmen konnte und trotzdem weiter rannte. Dass er an die Biegung des Ganges gelangte, wo es links zu Ubertas Waschraum hinunter ging - und dass er sich dort in irrsinniger Panik nach rechts ins Dunkel warf. Ins Treppenhaus.

Plötzlich drang der Duft von Rosmarin in seine Nase und er sah, wie eine weiße Hand den Zopf in seine eigene legte und sie sanft zudrückte. Camillas graue Augen lächelten ihm zu. Dann war  seine Mutter da, ihr waidblaues Kleid leuchtete in der Sonne. Sie versuchte ihm etwas zu sagen, aber er verstand die Worte nicht. Etwas Hartes, Schweres traf ihn von hinten, schlug gegen seinen Hinterkopf und riss ihm die Haut vom Rücken. Im Augenwinkel sah er Feuer, dann fiel er in tiefe Schwärze. Den Aufprall spürte er nicht mehr.

Ende Teil 88



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