(11/6) Mondbleiche

Màu nền
Font chữ
Font size
Chiều cao dòng

Er lag auf dem Bauch. Seine erwachende Wahrnehmung kämpfte sich durch die Wand aus Schmerz und Verwirrung. Zuerst konnte er nicht viel sehen - immer wieder schloss er die Augen, öffnete sie erneut, blinzelte. Überall war Rauch, der in seinen Augen biss und ihm die Luft zum Atmen nahm. Er musste sich bewegen, es zumindest versuchen! Er würde ersticken, wenn er hier liegen blieb... Es brauchte einen weiteren quälend langen Augenblick, bis er sich erinnerte und vollständig begriff, wo er war.

Die harten Kanten der Treppenstufen drückten sich in seine geschundenen Rippen hinein. Als er die Arme anzog und sich hoch stützen wollte, stöhnte er laut auf; der dumpfe Schmerz, der wie eine mächtige Welle durch seinen Brustkorb ging, ließ ihn in Panik die Augen aufreißen... Zugleich schlug er mit dem Hinterkopf gegen etwas Hartes. Nach Luft ringend ließ er sich wieder auf die Stufen hinab sinken. Rauch drang in seine Lungen. Die Schwärze, die ihn erneut umhüllen wollte, verführte ihn, sich wieder in das friedliche, zeitlose Nichts zurück fallen zu lassen... wie leicht und frei hatte er sich gefühlt! Wach zu werden war die Hölle, es war Panik, Schmerz und Ausweglosigkeit.

Ein furchtbarer Husten quälte ihn. Einen Augenblick lang versuchte er ihn zu unterdrücken und sich statt dessen auf seine Umgebung zu konzentrieren; in seinem beschränkten Sichtfeld erkannte er nun Schatten und zuckendes Licht.

Alles entschied sich hier und jetzt.... dies war der Moment! Der Gedanke traf ihn wie ein Blitz. Es war keine Zeit übrig, keine geringste Chance durfte er nun vertun. Die Tür, die vielleicht ins Leben zurück führen konnte, stand nur einen Spalt breit offen - und sicher nicht für lange. Er hatte seine Wahl zu treffen. Jetzt, sofort - oder niemals mehr. Er brauchte Luft. Wenn er leben wollte, musste er sich bewegen, seine Kräfte zusammen nehmen. Überblick gewinnen. Er konnte hier nicht liegen bleiben.

Bei dem Versuch sich von den Stufen hoch zu stemmen, um zumindest auf die Unterarme oder Knie zu gelangen, bemerkte er, dass die kammerartige Falle, in der er steckte, zwei Handlängen über seinem Kopf begrenzt war: Ein großflächiges Deckenfragment hatte ihn unter sich begraben. Noch einmal hielt er den Atem an, sperrte den Rauch aus, wandte mühsam den Kopf und blinzelte mit brennenden Augen... und realisierte endlich den Brandherd zu seiner Linken. Die hellen Flammen trieben ihm Tränen in die Augen. Das Feuer leckte um einen langen Balken, der unmittelbar neben ihm lag.

Rauch drang aus dem verkohlten Holz hervor und breitete sich schnell aus - Wenn auch die Schwaden ihre Ritzen und Löcher fanden, so sammelte sich doch genug Qualm unter der geschlossenen Fläche, um sein Leben zu beenden.

Der Balken... Plötzlich erinnerte er sich wieder. Da war ein wilder, reißender Schmerz entlang seines Rückens gewesen... und ein Schlag gegen seinen Hinterkopf - und er verstand, was geschehen war: Dieser brennende Balken, der ihn jetzt zu ersticken drohte, hatte ihm das Leben gerettet! Er hatte ihn auf die Treppe hinunter gerissen und in Bewusstlosigkeit geschickt, unmittelbar bevor das gewaltige Deckenfragment über ihm ins Treppenhaus hinein stürzte. Einige Trümmerbrocken, die auf die Treppe gefallen waren, hatten das schwere Teil aufgehalten, bevor es ihn zermalmen konnte - Bruchstücke, die er nun undeutlich hier und da erkannte. Das Teil aus der Decke war massiv, es lastete auf den Trümmern wie der Deckstein eines Hünengrabes - und da es auf der Treppe lag, konnte es jeden Moment nach unten wegrutschen wie ein Mehlsack auf einer Laderampe... und ihn doch noch unter sich begraben.

In kurzen Stößen keuchte er Qualm und Rauch aus seinen Lungen heraus, während er sich auf die Hände stützte, um Kopf und Oberkörper zumindest eine knappe Armlänge von dem brennenden Balken weg zu schieben. Der Rauch war überall, er konnte ihm nicht ausweichen. Er erschwerte ihm die Sicht. Auch machte ihm die trockene Hitze zu schaffen, sie umgab ihn wie einen Kokon. Dazu konnte er den Kopf nicht weit genug heben - was jede Bewegung mühsam machte und ihn bei der panischen Suche nach einem Fluchtweg behinderte.

Die Tasche! Er spürte sie auf seinem Rücken. Tomasos Wasserbehälter fiel ihm ein. Einen Moment lang dachte er daran, das Wasser über dem brennenden Balken auszugießen, aber er hatte plötzlich vor Augen, wie die Nonnen im Hof die schwelenden Balken gelöscht hatten und wie Dampf und Rauch von dem heißen Holz aufgestiegen war. Er würde ersticken. Oder bewusstlos werden, was letztlich dasselbe zur Folge hatte.

Er musste die Nerven bewahren! Mehr tastend als sehend streckte er seine Arme in alle Richtungen aus in der Hoffnung, eine Lücke zu finden; er verlagerte seinen Körper noch mehr nach rechts, rückte seitwärts, bis er an die Trümmer stieß, die das Deckenfragment auf dieser Seite stützten. Mühsam und mit zusammen gebissenen Zähnen robbte er eine Stufe aufwärts, dann noch eine. Dass er die Beine bewegen konnte, gab ihm Hoffnung, sie schienen nicht verletzt zu sein.

Sein Herz schlug dumpf und hart vor Aufregung, als er an Händen und Unterarmen einen kühlen Luftzug spürte. Zitternd tasteten seine Finger die steinerne Begrenzung ab und fanden eine Lücke, die, wenn auch schmal, aber doch wenigstens hoch genug war, um sich hindurch zu zwängen. Sie lag direkt vor seinem Kopf, keinen ganzen Meter entfernt.

Er hatte nun etwas mehr Platz. Im Liegen streckte er seinen geschundenen Rücken, dehnte seine Muskeln entgegen aller Schmerzen. Er sog die frischere Luft ein, die ihm entgegen strömte und sich mit dem Rauch in seinem steinernen Gefängnis mischte, verkniff sich das Husten und verlagerte sein Gewicht nochmals auf seine Unterarme und die Hände. Eine weitere Stufe zog er sich hoch, dann noch eine, wobei er mit den Beinen nachhalf - und lag nun mit dem Gesicht vor dem Ausgang. Tief atmete er einige Male ein und aus, sammelte sich und begann sich zwischen den Steinbrocken hinaus zu winden.

Die Schultern wollten nicht hindurch passen. Er robbte wieder rückwärts, zwei, drei Stufen abwärts, wo es mehr Platz gab, drehte sich auf den Rücken und arbeitete sich ein weiteres Mal hinauf und zur Öffnung hin. Raue Stufenkanten schabten über die Wunden an seinem nackten Rücken. Der brennende Schmerz machte ihn wütend; er verlieh ihm  eine unbändige Kraft, die aus irgendwelchen geheimen Kammern seiner letzten Reserven zu wachsen schien. Er schob eine Schulter nach draußen, dann die andere, indem er sich seitlich drehte und sich mit den Händen auf den Stufen abstützte. Dann ging alles sehr schnell. Er half mit den Beinen nach, schob und zog sich weiter hinaus, bis er sich schließlich draußen auf den Stufen aufsetzen konnte.

Nach Atem ringend und hustend saß er da. Bis jetzt hatte er keine Sekunde Zeit gehabt darüber nachzudenken, was ihn hier draußen erwarten würde. Was er im Dämmerlicht der angebrochenen Nacht sah, erschreckte ihn jedoch nicht mehr - oder vielleicht fehlte ihm schlichtweg die Kraft für mehr als... Verwunderung. Er fühlte sich stumpf und betäubt, gerade so, als sei er gar nicht wirklich hier.

Einen Moment brauchte er, bevor der brennende Durst seine Aufmerksamkeit gewann und ihm die Tasche einfiel, die er sich beim Hinauskriechen auf die Seite geschoben hatte. Mit zitternden Fingern angelte er danach, schlug die wollene Klappe zurück und zog den Wasserbehälter heraus. Er entstöpselte ihn blind, setzte die Öffnung an die Lippen und trank in gierigen Zügen, während seine Augen über die fremdartige Kulisse schweiften. Das Wasser lief an seinen Mundwinkeln vorbei und hinunter über die verschwitzte Brust.

Zwei, drei Züge später verschluckte er sich und musste husten. Mit dem freien Unterarm wischte er sich über Mund und Kinn. Seine Bartstoppeln rissen über die verbrannte Hautfläche hinweg, die er in seiner Erschöpfung vollkommen vergessen hatte. Wie tausend Nadeln durchzuckte der Schmerz seinen Arm bis zur Schulter hinauf. Durch die zusammen gebissenen Zähne atmete er tief ein - und hielt die Luft an, während er etwas von dem kühlen Wasser über die Brandwunde goß.

Als der stechende Schmerz gleichmäßig zu pochen begann, hob er den Kopf und ließ zum ersten Mal den Blick aufmerksam über die Szenerie wandern. Was er sah, realisierte er dennoch kaum. Er fühlte sich wie ein Träumender, der nicht aufwachen konnte, weil er vergessen hatte, wie man wach wurde.

Der Abendhimmel, an dem längst die ersten Sterne glänzten, bildete nun das einzige Dach über der Treppe. Die Treppe selbst war ein einsam aus den Trümmern aufragender Turm. Die Wände des Treppenhauses schienen auf den ersten Blick an beiden Seiten noch intakt, während sie vorne und hinten weggefallen waren. Vor ihm breitete sich ein gewaltiger Trümmerberg aus und versperrte ihm die Sicht in den Hof hinein. In der blauen Nachtluft konnte er dort vorne gerade noch einen Teil des ölgetränkten Daches ausmachen, das sie für die Verletzten aufgestellt hatten. Mehr gab es nicht zu sehen. Es stand noch ... die Mauern der Ruine waren also nicht allzu weit in den Hof hinein gefallen.

Die Dächer der anderen Gebäude, mit denen die Novizenschule ein Karree gebildet hatte, waren nur noch Silhouetten, kaum hoben sie sich ab vor dem kühlen Dunkelblau des Himmels. Das einzige Licht, das er von hier oben sehen konnte, kam von den Laternen und Fackeln, die man im Hof entzündet haben musste. Er sah sie nicht, aber ihr Schein zeigte sich matt an dem Mauerwerk der anderen Gebäude. Vereinzelt drangen Stimmen zu ihm hinauf, zumeist leise und murmelnd, manche weinten... aber auch Schreie, aufgeregtes Durcheinanderreden und Rufen hörte er hier und da.

Man konnte ihn von hier aus nicht sehen, so wie er dort unten ebenfalls niemanden sehen konnte. Er hockte auf den Stufen des schmaleren Treppenhauses, das im Winkel zwischen Novizenschule und Waschkammern auf die erste Ebene hinauf führte. Nur dass es keine erste Ebene mehr gab... und auch keine zweite. Und kein Dach mehr. Nirgends - nicht nur über dem Treppenhaus. Die Novizenschule war vollständig zerstört.

Die Stimmen und Geräusche sagten ihm, dass man dort unten zu tun hatte. Der gedämpften Aufregung und dem Weinen nach konnte es neue und weitere Opfer gegeben haben, als die Schule in sich zusammen stürzte... Er wollte das nicht mehr sehen. Nicht das Weinen, nicht die Toten. Er wollte nicht mehr wissen, wen es noch getroffen hatte, heute Nacht nicht mehr. Er konnte nicht noch mehr tragen. Auch brauchte er keine Hilfe, oder besser: Er wollte keine. Niemand sollte ihn hier oben entdecken und versuchen, ihm zur Hilfe zu kommen. Er musste selbst sehen, wo er am Besten den Abstieg wagen konnte, er würde einen Weg finden. Niemand sollte jetzt noch in diese verfluchte Ruine hinein steigen, niemand mehr sollte hier sein Leben riskieren. Das dunkle Tier, auf dessen Rücken er saß, war satt genug.

Mit den Fäusten hätte er auf die Steine einschlagen können - oder schreien, bis der Mond zerbarst, der vor ihm hinter dem Dach der Schreibstube aufzusteigen begann. Dieser gleichgültige Mond wollte sein mildes Licht über die Ruine streuen, über Caterinas Grab... Rote, unbändige Wut kroch ihm in Hals und Brust hoch, als ihm bewusst wurde, wie schön diese Nacht war, wie unerträglich sanft der Mond schien und wie wunderbar klar und hell die Sterne am wolkenlosen Himmel schimmerten. Es wurden mehr, je länger er hinauf starrte.

Wollte Gott ihm auf diese grausame Weise zeigen, wie weit sein Arm, seine Macht reichte und wie erbärmlich klein er selbst war - ganz gleich, wie weit er mit seinen Kräften ging, wie sehr er sich bemühte das Richtige zu tun? War alles von Anfang an nicht mehr als eine verzweifelte Idee gewesen, eine unüberlegte, dumme und kindliche Idee eines unreifen Jungen? Hier saß er, ausgebrannt und verloren, Retter von Fünf - aber die einzige, an die er bei alldem gedacht hatte, lag unter den Trümmern, auf denen er saß!

Und der Mond! Der Mond, den er sich genau so, wie er jetzt schien, so sehnlich gewünscht hatte für die sternenübersäte Nacht, die er ihr zeigen wollte... der verspottete ihn nun, beleuchtete sein Elend und lachte rund und bleich über gestorbene Träume. Oh, er war ein hoffnungsloser Träumer, ja! Ohne sein Geheimnis, seinen wahren Antrieb zu kennen, hatte Anna so Recht behalten mit allem, was sie über ihn gesagt hatte!

Die Nacht war unerträglich. Dieser Frieden. Die weiche, laue Luft, die schon nach Herbst roch. Das magische, samtene Blau. Und der verfluchte Mond. Er musste unter diesem Himmel weg, der nichts als ein schmeichelndes Leichentuch war.

Im Aufstehen verspürte er einen Moment lang das Bedürfnis, die Arme auszubreiten und sich von der Treppe zu stürzen. In die Trümmer hinunter. War es hoch genug? Er hatte schon einen Mann gesehen, der einen ähnlichen Sturz knapp überlebt hatte. Er war zeitlebens ein armer Krüppel und auf Almosen angewiesen.

Er überlegte es sich anders. Er wollte leiden, so wie sie gelitten hatte. Er musste leben, um die Erinnerung an sie aufrecht zu erhalten. Niemand würde an sie denken, wenn er es nicht tat. Er würde leben - und ob man ihre Leiche bei den Aufräumarbeiten noch fand oder nicht: Er würde ein eigenes Begräbnis für sie haben. Er musste das allein für sich durchstehen. Er brauchte eine Schachtel. Ein Behältnis, ein schönes. Den Zopf würde er sowieso niemals mehr berühren wollen, er war tot. Ebenso tot wie sie.

Ende Teil 90



Bạn đang đọc truyện trên: Truyen2U.Pro