(11/9) Helden

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"Valerio."

Die Nacht war kohlschwarz und der Mond verbarg sich feige hinter ihren Schleiern. Er überlegte nicht, als er außerhalb des Tores nach Rechts in den sandigen Weg einbog. Tränenblind wählte er den Weg nach Hause.

"Valerio... Junge!"

Beinahe wäre er über seine Füße gefallen. Er hielt an. Wie erstarrt stand er da und wartete... wartete, ob der Ruf sich wiederholte. Der Nachtwind kühlte sein nasses Gesicht. Einen langen Augenblick überlegte er, ob er sich die Stimme nur eingebildet hatte. Diese Nacht war so unwirklich...

Da waren Schritte hinter ihm. Jemand näherte sich, langsam, zögernd.

"Junge.... bist du das? Bist du es wirklich? Du hast es geschafft..."

Als er sich umwandte, stand Tomaso auf dem Weg, die Arme ausgebreitet. "Junge! Ich... Ich dachte schon, du lebst nicht mehr!"

Valerio weinte wie ein Kind, als er die wenigen Schritte zu ihm hinüber ging und beide einander umarmten. Tomaso sagte nichts, aber sein ganzer Körper bebte und er ließ ihn lange nicht los. "Du hast es geschafft... Du hast es geschafft", murmelte er immer wieder, drückte ihn noch fester und klopfte ihm auf den Rücken, als würde er es nicht glauben können. Valerio nickte nur über der stämmigen Schulter des Baumeisters. Er fand seine Stimme nicht.

Schließlich packte Tomaso ihn an den Armen, schob ihn von sich weg und betrachtete ihn. "Oh Junge, wie gut, dich lebendig zu sehen! Ich hätte mir das nie verziehen! Das war alles meine Schuld, ich hätte da nicht mit dir hinein gehen dürfen! Wir waren Idioten, aber ich.."

Valerios Lachen kam unter Tränen. Es klang, als könne er sich nicht entscheiden, ob er lachen oder weiter weinen sollte. "Hör auf! Es war richtig", brachte er mühsam heraus. Es war... gut! Wir hätten nichts besseres tun können."

Tomaso nickte. "Hm...", brummte er. "Du magst recht haben... Wie ist es dir ergangen?" Er trat einen Schritt vom Weg herunter und winkte Valerio zu sich her. "Komm, das musst du mir eben erzählen. Bevor wir uns nicht mehr sehen. Setz dich hierher, an die Mauer." Er ließ sich ächzend an der Klostermauer nieder und streckte die Beine aus. Als Valerio sich neben ihn ins Gras setzte, sagte er: "Ich habe kein Wasser bei mir, ist alles leer... aber ich habe Brot, ein gutes Stück sogar."

"Woher?"

"Na, vom Hof." Mit dem Daumen wies Tomaso hinter sich gegen die Mauer. "Ich bin einmal quer rüber, nachdem ich aus dem Steinhaufen heraus geklettert war. Wollte mir einen Überblick verschaffen, das verfluchte Haus ansehen - oder was davon übrig ist. Sie hatten dieses Feuer, da haben sie Brot verteilt. Da hab ich zugegriffen."

"Und sie haben dich nicht da behalten? Du bist ihr Held!"

"Ich?" Tomaso schnaufte. "Die haben mich gar nicht erkannt. Waren alle beschäftigt. Sicher sehe ich aus wie ein Schwein und ich rieche bestimmt auch so, aber nein... da war niemand, der mich erkannte."

"Dasselbe bei mir."

Tomaso stutzte. "Vielleicht leben wir gar nicht mehr. Vielleicht sind wir Geister und die konnten uns gar nicht sehen."

Sie lachten beide. Der Baumeister holte ein kleines Fladenbrot aus seiner Tasche und riss es in zwei Teile. Er reichte Valerio die eine Hälfte. Der packte das Brot mit beiden Händen und biss sofort hinein. Vorbei an dem Stück, das ihm noch halb aus dem Mund hing, murmelte er: "Hm... Ich habe Wasser. In der Tasche."

Das ließ Tomaso sich nicht zweimal sagen; er griff nach Valerios Tasche, zog die Flasche heraus und schüttelte sie. "Nicht mehr viel...", grunzte er. "Für einen guten Schluck reichts aber noch." Er öffnete das Behältnis und trank, dann reichte er es Valerio, der mit dem Kauen seines Brotes beschäftigt war.

Valerio nahm einen Schluck aus der Flasche und riß  gleich noch ein zweites Stück von dem Brot ab, während er weiter kaute. "Wie hast du überlebt", fragte er schließlich. "Was hast du getan, als die Decke herunter kam?"

"Ich bin ins große Treppenhaus, oben hinauf, auf den ersten Absatz", erklärte Tomaso. Er überlegte. "Das habe ich dir zu verdanken, Junge. Ohne deinen Sturkopf, ohne dein Gerede über das Treppenhaus hätte ich es bei dem Schreck gar nicht im Kopf gehabt... ich wäre im Gang stehen geblieben, es wäre mir ganz sicher nicht eingefallen. Es lag ja da hinten im Dunkeln, dahin wäre ich niemals gelaufen. Nur weil du es mehrmals gesagt hattest... das sei ein sicherer Weg hinaus, den wir nutzen könnten, weißt du noch? Das hattest du gesagt. Und wir stritten darüber! Ich nahm das nicht ernst, dachte, du bist ein Spinner. Jung und unerfahren, ein Spinner eben. Und dann ist es mir eingefallen, im letzten Moment. Es war schwierig, da kam einiges runter... aber ich konnte raus klettern."

Er wandte sich zu Valerio. Der hatte den Kopf gegen die Mauer zurück gelehnt. Mit halb geschlossenen Augen beobachtete er den Mond, der hinter den Wolken hervor kam und sein Licht über die Ebene ergoss. "Und du?", fragte Tomaso ihn. "Wie war es bei dir?"

Lange antwortete Valerio nicht. Er schloss die Augen, dann begann er mit müder, weicher Stimme: "So wie bei dir. Ich bin bis zur Biegung gelaufen. Dann in das kleine Treppenhaus. Was dann passierte, weiß ich nicht mehr..." Einen Moment lang schwieg er und sie hörten nichts als das Rauschen der Blätter im Wind. Dann fügte er leise an: "Ich war tot... glaube ich."

"Tot?", wiederholte Tomaso. "Wieso tot? Wie willst du das wissen?"

Valerio atmete tief die frische Nachtluft ein. "Weil ich keinen Körper mehr hatte... Ich bin geflogen, geschwebt. Und dann geschwommen und ganz tief getaucht. Aber da war kein Wasser, es war... nur Licht und Farbe. Und Dunkelheit, in der man sehen konnte. Ich brauchte keine Luft, aber es ging mir gut. Ich hatte keine Schmerzen. Ich habe nichts gehört und doch alles verstanden, was gesagt wurde...."

"Was denn gesagt? Wer denn?", fragte der Baumeister erstaunt.

"Meine Mutter war da... Und Camilla. Sie sagten, ich soll aufwachen, aber ich wollte nicht..."

"Camilla... ist das dein Mädchen? Hast du sie gefunden?"

Valerio öffnete die Augen. Er nahm den Kopf von der Wand weg, richtete sich auf und starrte auf das Brot in seiner Hand. Seine Worte klangen hart, als er schließlich sprach. "Nein. Ich habe sie nicht gefunden. Sie ist tot." Er schluckte. "Camilla ist unsere Musikmeisterin. Sie lehrt mich... Laute spielen. Ich.... Ich muss jetzt nach Hause." Er stand aus dem Gras auf, das Brot noch in der Hand. Er hatte plötzlich keinen Hunger mehr.

"Deine Flasche." Tomaso steckte sie ihm wieder in die Tasche. "Gut, Junge... " Er kratzte sich am Kopf. "Ich freue mich jedenfalls, dass du lebst, also... Nun weiß ich es ja. Werde gut schlafen heute Nacht." Er sah ihm prüfend ins Gesicht. "Es tut mir leid, ehrlich. Das ist schlimm. Aber das Leben geht weiter und der Herrgott..."

"Lass das", fiel ihm Valerio ins Wort. "Ich will davon nichts hören. Der Herrgott war auf der falschen Seite. Er weiß nicht, was er tut. Oder es gibt ihn nicht. Warum sonst konnte das geschehen?"

Tomaso zuckte die Schultern und machte ein ratloses Gesicht. "Frag ihn doch", schlug er vor.

Valerio starrte ihn einen Augenblick lang an, dann schnaubte er verächtlich. "Ich soll ihn fragen...? Er spricht nicht mit mir. Es würde keine Antwort geben."

"Frag ihn", wiederholte Tomaso.

"Als du deine Frau und dein Kind verloren hast - hast du ihn da gefragt?"

Tomaso blickte erstaunt auf. Er nickte. "Ja... Ja! Ich habe gefragt. Viele Male..."

"Und?"

Die Antwort kam zögernd. "Nichts... Hast schon Recht. Bei mir gab es auch keine Antwort... nicht, dass ich mich erinnern kann." Der Baumeister seufzte. Er klopfte Valerio gegen den Oberarm. "Aber Kopf hoch, Junge! Das wird schon wieder!"

Valerio sog die Luft zwischen den Zähnen ein und wich Tomasos Hand aus.

"Oh... Lass deine Wunden versorgen, Junge. Auch das da", mahnte Tomaso und zeigte auf Valerios Wangenknochen. "Bist hübsch genug, ich meine... Man muss ja aber trotzdem keine Narbe zurück behalten. Nicht im Gesicht, wenn's sich vermeiden lässt... und bis zum Frühling hast du dich erholt und alles ist verheilt, auch das hier." Er klopfte ihm auf die Brust. "Frauen gibts wie Sterne am Himmel... Das wird schon. Was will jemand wie du mit einer Nonne. Auf Dauer wäre das sowieso..."

"Es ist gut", beendete Valerio Tomasos Reden. Er ertrug es nicht mehr.

"Also dann... ich gehe ins Badehaus. Werde mir den Dreck abwaschen, mir Gesellschaft gönnen und ordentlich essen." Er betrachtete Valerio einen Moment und hielt inne. "Kerle wie du zahlen nicht viel... Die Weiber geben dir alles, was du willst. Vielleicht möchtest du..."

Valerio schüttelte nur den Kopf und wandte sich ab. "Ich muss gehen. Meine Mutter weiß noch nichts von dem, was heute passiert ist. Sie soll es nicht von jemand anders hören. Sie wird sich Sorgen machen. Mach's gut, Tomaso."

"Du auch, Junge. Dann vielleicht ein andermal..."

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Er antwortete nicht mehr. Er schlug den Weg ein, der an der Mauer entlang und über den Hang führte. Hier war er vor tausend Jahren vorbei gekommen, in der Nacht, als er seine Laute suchen wollte... Er war glücklich gewesen, ein Prinz mit sternenheller Seele, jung und voller Träume.

Das war, bevor der Mond, den er so liebte, ihn verriet. Bevor das Licht der Sterne kalt wurde und die vertraute Nacht einen Mantel des Grauens über seine Welt senkte. Seit heute war er alt. Das Feuer, das er gerade erst in sich zu entdecken begonnen hatte, war kalte Asche geworden, bevor er sich daran wärmen konnte. Würde er nun auf ewig so bleiben... so zerbrechlich wie Glas, so schwach und müde? Kaum noch konnte er sich erinnern, wie es sich anfühlte lebendig und frei zu sein. Frei von Trauer und Verzweiflung. Aber wenn er sich nicht erinnern konnte... würde er dann ganz vergessen, wer er gewesen war? Musste er fürchten, nie wieder dorthin zurück zu finden?

Was hatte dieser Tag, diese Nacht ihm genommen! Wut kochte in ihm hoch, sie staute sich bei jedem seiner Schritte mehr und mehr - bis er dachte, er müsse an ihr ersticken. Er ballte seine Hände zu Fäusten, er spürte seinen Rücken und atmete tiefer, während er ging... bis er mit einem Ruck stehen blieb. Er sah zum Mond hinauf, der unbeteiligt und stur auf der Stelle stand, während der Himmel ihm ein Wolkenkleid nach dem anderen überwarf. Er schien mit keinem zufrieden...

Er kehrte um. Er begann zu laufen. Zuerst zögernd noch und unentschlossen - dann wusste er plötzlich, was er wollte. Er lief schneller, seine Beine schüttelten den Schmerz ab, er atmete tiefer, füllte seine Lungen mit der Energie der Nacht und gewann an Kraft. Seine Wut steigerte sich, als er Anlauf auf die Mauer nahm und sprang. Er spürte seine Rippen an den harten Steinen, seine Finger schmerzten, als er die obere Kante ergriff und sich hochzog mit der neuen Kraft, die plötzlich in ihm wuchs. Sein ganzer Körper schmerzte - und das war auf einmal gut. Es machte ihn lebendig.

Er überwand die Mauer und lief im Nachtschatten der Gebäude durch die schmaleren Gassen des Geländes. Und bevor er sich vollständig bewusst werden konnte, wohin ihn seine Füße führten, stand er auch schon schwer atmend vor seinem Ziel.

Die gerundete Tür der kleinen Kapelle war nie abgeschlossen. Hier, abseits vom Hof und den Menschen, die dort die Totenwache hielten, hatte er sein Treffen mit dem Gott, an den sie alle so sehr glaubten, dass es sie blind machte. Er wollte seine Frage stellen, ihn herausfordern. Er würde erst nach Hause gehen, wenn er eine Antwort hatte - und keine Antwort würde ihm ebenfalls Antwort genug sein. Er stieg die vier flachen Stufen hinauf, drückte die Klinke herunter und öffnete die beschlagene Eichentür.

Ende Teil 93




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