(12/1) Misstrauen

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Sie war es. Caterina.

Kein Wort brachte er heraus. Er dachte, seine Beine würden nachgeben, er würde auf die Knie fallen und nicht mehr aufstehen. Mühsam hielt er sich auf den Füßen, atmete ein und aus, taumelte einen Schritt rückwärts und dann wieder vor - und konnte nicht das Mosaik aus Bildern und Geschehnissen zusammen setzen, denn hier passte nun gar nichts mehr. Er war gefangen in einem wirren Traum. So starrte er sie nur an, starrte in ihr Gesicht, in ihre weit aufgerissenen Augen.

Sie war bleich. Den Mund geöffnet, bereit etwas zu sagen, irgendetwas, fand sie doch ebenso wie er keine Worte, nicht in diesem Moment... Dann aber wandelte sich ihr Blick, Entsetzen wurde von Mitgefühl abgelöst und ihre Augen schimmerten nass im Halbdunkel. Einen Herzschlag lang dachte er, sie würde weinen und er war sich nicht sicher, warum... Er wich einige Schritte rückwärts, aber sie folgte ihm, kam ihm weiter entgegen.

"Was... was ist dir passiert", flüsterte sie und die Fassungslosigkeit in ihrer Stimme erstaunte ihn. Was passiert war? Wie konnte sie das nur fragen!

Nur noch wenige Schritte lagen nun zwischen ihnen. Sie kam näher, langsam, vorsichtig - gerade so, als sei er ein verschrecktes Tier und sie befürchtete ihn zu verscheuchen. Und ja, er hatte Angst vor ihr!

Abwehrend hob Valerio den Arm, streckte die Hand gegen sie aus, bevor sie zu nahe heran kam. Sie sollte bleiben, wo sie war! In den letzten Tagen und Nächten hatte er sich oft ausgemalt, wie es sein würde, unmittelbar vor ihr zu stehen. Und jedes Mal war er in seiner Fantasie stark und erwachsen gewesen - nicht so wie jetzt! Er war erbärmlich schuldig und klein... und so schwach und haltlos, er war... Oh, dass sie ihn jetzt so sehen musste! Einen Augenblick lang überlegte er, ob er weglaufen sollte. Aber während er den Gedanken zuende dachte, war es schon zu spät. Es kostete ihn unendliche Überwindung, erste Worte an sie zu richten. Dass er seinem Ton etwas Scharfes gab, um sie zum Anhalten zu bringen, war ihm kaum bewusst.

"Du... wo warst du? Und wieso... wieso weißt du von nichts?"

Caterina blieb stehen. Ihre Augenbrauen zogen sich zusammen. Irritiert schüttelte sie den Kopf. "Wo ich war? Hier war ich! In der Kapelle!" Sie versuchte sich ihm weiter zu nähern. "Angelo... du bist verletzt. Du siehst furchtbar aus! Was ist denn nur passiert? Und was hätte ich wissen sollen?"

Wie sie seinen Namen sagte, den anderen! Angelo... So weich und wie gehaucht. Er wich weiter vor ihr zurück. "Bleib da", rief er. "Komm nicht näher... Wo warst du?" Er wunderte sich, wie tief und beeindruckend laut seine Stimme plötzlich klang. Er hatte sich so noch nicht gehört, nicht, wenn er sprach. Sein Herz raste. Er wollte sie nicht anschreien, sie nicht erschrecken, aber es brach einfach aus ihm heraus. "Sag es mir! Um Himmels Willen, wo warst du die ganze Zeit?"

Tränen schossen Caterina in die Augen. Er sah es und es tat ihm weh. Aber hier stand sie, sauber gekleidet, unversehrt und vollkommen lebendig - Und sie schien von nichts wissen zu wollen, ihr Gesicht wirkte so ahnungslos und überrascht - und er... er war durch die Hölle gegangen auf der Suche nach ihr!

Sie hob beide Hände vor Nase und Mund, die angstvoll aufgerissenen Augen über ihre Fingerspitzen hinweg auf ihn gerichtet... aber sie wich nicht zurück. "Du... machst mir Angst..." Sie begann zu schluchzen. "Was sollen diese Fragen? Ich war die ganze Zeit hier! Seit dem Mittag!"

Das wütende Grollen, das Valerio ausstieß, erschreckte ihn selbst. "Das ist nicht wahr", fuhr er sie grob an. "Wie kannst du hier gewesen sein! Das macht keinen Sinn!"

Caterina kam noch einen Schritt näher, sie betrachtete sein Gesicht, steckte die Hand nach ihm aus. "Bitte, Angelo. Nun hör mir doch zu..."

Er packte ihr Handgelenk. "Fass mich nicht an", zischte er. Er warf ihr ihre Hand zurück, stieß sie von sich weg. In diesem kurzen Moment, bevor er sich abwandte, sah er, wie erschrocken sie war. Er machte ihr Angst, hatte sie gesagt... Erst jetzt ging ihm auf, dass sie auch seinen Wutanfall, seinen Zusammenbruch mit angesehen haben musste. Er schob ihre Worte beiseite, versuchte nicht daran zu denken. Er konnte nicht. Alles war anders seit heute, er war nicht mehr er selbst.

"Aber es ist die Wahrheit!" Ihre Stimme zitterte jetzt, sie klang dünn und verschüchtert. "Ich weiß nicht, was geschehen ist, aber ich war die ganze Zeit hier, und..."

Valerio fuhr zu ihr herum. "Du solltest wissen, was geschehen ist!" Er war außer sich. "Sechzehn..." Seine Stimme war kaum kontrollierbar, er brauchte einen Augenblick, um seine Beherrschung wieder zu finden, "Sechzehn haben wir aus den Trümmern geholt", beendete er seinen Satz. "Während ich bei jeder hoffte, dass du es bist... und dass du es nicht bist! Du standst auf der Liste, es war... eine Totenliste! Dein Name stand dort - während du...", er hob verächtlich das Kinn, "...während du dich aus dem Staub gemacht und dich um nichts geschert hast. Wir haben unser Leben riskiert!" Er sah sich um, wies mit den Armen umher. "Hier hast du dich also versteckt, während wir deine Mitschwestern eine nach der anderen..." Seine Stimme brach weg.

"Aber ich habe mich nicht versteckt", verteidigte sie sich. "Was ist denn nur geschehen? Was ist mit den anderen? Wovon redest du?" Ihr Blick ging zwischen seinem Gesicht und dem Riß an seinem Oberarm hin und her. "Wie ist das passiert?" Sie hob erneut die Hand, aber sie wagte keinen Versuch mehr ihn zu berühren.

Verunsichert prüfte Valerio ihr Gesicht. Konnte es wahr sein, dass sie tatsächlich nichts von dem wusste, was geschehen war? Die Gedanken in seinem Kopf begannen sich zu bewegen, versuchten sich nach einem anderen Muster zu ordnen und gaben ihm schließlich ein neues, wenn auch unvollständiges Bild. Es fühlte sich nicht logisch an, noch nicht, aber es schien auch nicht ganz falsch... Er neigte den Kopf zur Seite und sah sie aus schmalen Augen an. "Du weißt wirklich... gar nichts?"

Caterina weinte. "Nein", wisperte sie und schüttelte den Kopf, "nein! Nichts!"

Fassungslos atmete er aus, ließ die Arme sinken. "Die Novizenschule ist eingestürzt", sagte er tonlos. "Es... es hat Tote gegeben. Sag mir nicht, dass du das nicht weißt."

"Oh..." Caterina hob eine Hand und legte sie an die Kuhle unter ihrem Hals. "...Ich... ich hatte die Glocken gehört, mehrmals. Und Stimmen... Ich hatte mich schon gewundert. Aber ich konnte doch nicht wissen, was da draußen los war!"

"Hättest du nachgesehen, hättest du es gewusst." Seine Worte klangen härter als beabsichtigt. "Warum hast du dich hier versteckt? Ich habe dich... man hat nach dir gesucht. Man man hat gedacht, du seist... tot!"

"Aber wie konnte ich denn nachsehen", wehrte sie seinen Vorwurf ab. "Die Tür war verriegelt! Ich kam nicht hinaus!"

Als er ungläubig den Kopf schüttelte und zum Sprechen ansetzte, hob sie die Hand und hielt ihn auf. "Ich kann das erklären", stammelte sie. "Ich war am Mittag nach dem Essen für einige Minuten hier hinein gegangen... während die anderen in der Sonne saßen. Das war, bevor Maria mit dem Unterricht fortfuhr. Sie gab uns ein wenig Zeit." Sie zögerte. Die Worte schienen ihr nicht leicht zu fallen. "Ich... ich bin noch nicht lange hier. Seit meinem ersten Tag muss ich schweigen. Ich darf nur am Vormittag und am Nachmittag eine halbe Stunde sprechen..."

Einen Moment lang schien es Valerio, als wollte sie noch mehr und anderes sagen, aber er sah, wie sie es hinunter schluckte und statt dessen erklärte: "Alle redeten miteinander und ich saß stumm dabei. Weil ich es nicht aushielt, ging ich hier hinein. Und ich sang ein wenig, weil... weil mich hier niemand hören konnte. Ich war traurig und wollte allein sein. Da muss ich die Zeit vergessen haben..." Sie sah ihn flehend an. "Du kannst mir glauben, wirklich! Es ist die Wahrheit!" Sie wies hinter sich. "Die Tür war abgeschlossen, als ich wieder hinaus wollte. Jemand muss übersehen haben, dass ich hier drinnen war."

Valerio konnte ihr nicht glauben. Langsam schüttelte er den Kopf. "Die ganze Zeit? Von gestern Mittag bis jetzt konntest du nicht hinaus? Es ist weit nach Mitternacht."

Er wies hinter sich. "Sieh dich doch um! Hier sind Leute gewesen. Die Bänke sind an die Seiten geschoben worden, man hat Platz für viele gemacht. Hier wurde gebetet. Die Tür war also offen! Du hättest jederzeit gehen können! Und die Leute, die zum Beten kamen, werden dir gesagt haben, was geschehen war, du... kannst es nicht versäumt haben. Du lügst."

Caterina atmete scharf ein. "Nein", rief sie. "Es ist so, wie ich es sage! Die Bänke habe ich selbst verschoben. Und ... die Kerzen angezündet. Niemand war hier, außer mir. Und die Tür war abgeschlossen, ich konnte nicht hinaus."

"Sie war nicht abgeschlossen", widersprach Valerio kalt. Er mied nun ihren Blick, er sah an ihr vorbei. Beim letzten Satz war seine Stimme so dunkel wie der Schatten hinter den Säulen. "Die Tür war offen, als ich kam. Du erzählst Geschichten."

Sie schaute zu Boden. Er wartete, dass sie etwas sagte, aber kein weiteres Wort kam mehr von ihr.

Es schmerzte ihn entsetzlich, sie jetzt so still zu sehen. In diesem Augenblick wünschte er sich, sie würde noch Worte finden, die ihn überzeugen konnten. Dass er sie hier entdeckt hatte und dass sie ihn nun belog, machte seine gesamten Argumente vor sich selbst zunichte. Was er durchgestanden und was er getan hatte - das war nur zu rechtfertigen, indem er sich immer wieder sagte, sie sei verschüttet gewesen und er habe sie finden müssen. Dass sie die ganze Zeit hier gewesen sein sollte, machte alles zu einer dummen, sinnlosen Tat.

Er hatte zwei der Novizinnen tödliche Mengen Schlafmohnsaft gegeben. Ihr Sterben hätte ewig gedauert, vielleicht Tage und Nächte. Aber nach den Geboten war es nicht erlaubt, auf diese Weise zu helfen. Ein solches Handeln musste er zumindest vor sich selbst rechtfertigen können! Er hatte es getan, weil er es gewesen war, der die schwer verletzten Novizinnen gefunden hatte. Wenn er es nicht gewesen wäre, der sie gefunden hatte - schlichtweg deshalb, weil er gar nicht erst hinein gegangen war - er müsste die Bürde seiner Taten jetzt nicht ein Leben lang tragen. Das machte den Unterschied.

Und ja! Da er nun verstand, was Anna gemeint hatte, als sie sagte, sie wolle das für ihn nicht, war er sicher: Er war nur aus Angst und Sorge um Caterina dort hinein gegangen. Nur allein um sie zu finden, sie vielleicht zu retten! Wenn er gewusst hätte, dass sie gar nicht dort drinnen, sondern draußen und am Leben war... er hätte auf Anna gehört. Er wäre nicht hinein gegangen. Er wäre nicht zum Mörder geworden. Er hätte die Mönche entscheiden und handeln lassen! Sie waren älter und erfahrener als er! Prior Colombano hätte die Rettung anleiten können, er selbst hätte sich heraus gehalten und nur geholfen die Verletzten unter dem Zeltdach zu versorgen. Er hatte sich nur allein ihretwegen auf diese Situation und Verantwortung eingelassen. Und auf jede Schuld. Und Anna ... wenn er bei ihr gewesen wäre, wenn er ihr draußen geholfen hätte, anstatt drinnen Tote unter dem Schutt hervor zu zerren ... dann hätte er vielleicht sogar ihren Tod verhindern können. Das Geschehene lastete so schwer auf ihm!

Caterina hob das Gesicht. Sie suchte seinen Blick und er konnte ihre stumme Bitte nach mehr Information nicht abweisen.
"Es war nach Mittag, als es passierte?", fragte sie vorsichtig.

Valerio nickte stumm.

"Ich hatte Donnergrollen gehört..."

"Ja. Es war Gewitter. Und als es geschah, klang es wie Donnergrollen. Es war... schwer zu unterscheiden. Auch wir dachten zuerst, es sei das aufziehende Gewitter."

"Wie viele... sind tot?"

"Dreizehn."

Sie schluckte. "Wer...?"

"Ich kenne nicht alle Namen", erklärte Valerio leise. "Und ich bin... müde. Frage mich besser nach denen, die leben. Noch - denn drei von den sechs sind schwer verletzt und wir können nicht sagen, ob sie die Nacht..." Er sprach den Satz nicht zuende. Ihr fragender Blick forderte ihn auf, Namen zu nennen. "Fiamma lebt. Und Scalea..."

Oh", stieß Caterina aus. "Die Kleine!" Tränen stiegen ihr in die Augen. "Wer noch?"

"Evelina. Brunella. Und Reana, man musste ihren Arm abnehmen, sie hat es vorhin ganz gut überstanden, aber weiter ist noch nichts zu sagen. Und Maria."

"Maria! Aber was ist mit Luisa? Luisa nicht?"

Die Verzweiflung in ihren Augen, ihrer Stimme machte Valerio zu schaffen. Er wandte sich von ihrem schmerzerfüllten Blick und den zitternden Lippen ab. Langsam schüttelte er den Kopf. "Luisa nicht, nein", flüsterte er, als könne er es leichter machen, wenn er es leise sagte. Er spürte, wie sie um Haltung rang.

"Luisa... Du hast sie gesehen? Weißt du, ob sie...?"

Er nickte. "Ich habe sie gefunden. Es ist schnell gegangen. Sie... hat nichts gespürt." Mit Grauen dachte er an das Mädchen. Ihr Brüllen hatte nicht mehr aufgehört und da war nichts, absolut gar nichts, was er für sie hätte tun können. Es hätte ewig gedauert, vielleicht Tage, wenn sie sie lebend hinaus gebracht hätten.

Plötzlich lächelte sie unter Tränen. "Weißt du was? Ich bin froh, dass du bei ihr warst. Dass du derjenige warst, der sie gefunden hat. Das ist... ein schöner Gedanke."

Valerio blinzelte die Bilder weg, die sich grausam aufdrängten. Er wagte einen langen Blick in ihr Gesicht. Er hatte kühl wirken wollen, abweisend. Er wollte sich schützen. Aber musste er das wirklich? Sie war so zauberhaft in ihrer Offenheit! Und er war ein Feigling, wenn er nicht dasselbe wagte. Und was, wenn es die Wahrheit war, was sie über die Tür sagte? Es war doch möglich, dass jemand sie versehentlich eingeschlossen hatte! Der Gedanke, dass sie hier nun voreinander standen, mitten in der Nacht, und ohne dass irgend jemand davon wusste... das war eigenartig. Immer war es tragisch und kompliziert, wenn sie einander begegneten, dachte er... Aber sie lebte! War das nicht alles, was zählte? Was sollte er jetzt noch fürchten!


ACHTUNG: Diese Szene setzt sich in den nächsten beiden Kapiteln fort!

Ende Teil 95







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