(12/2) Annäherung

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Plötzlich hatte er einen ganz anderen Gedanken. Einen, der ihm eine mulmige Angst bescherte, aber er sprach es trotzdem aus.

"Bist du freiwillig hier?"

Erstaunt blickte Caterina auf. Selbst bei dem wenigen Licht, das die Talglichter bei der Madonna abgaben, entging ihm nicht, wie seltsam seine Frage auf sie wirken musste.

"Freiwillig?", fragte sie zurück, als bräuchte sie Zeit, das Wort zu verstehen.

"Ich meine... ob du hier sein willst." Ihre Blicke versanken ineinander. Valerio räusperte sich. "Hier im Kloster, meine ich", präzisierte er seine Frage. Er zögerte. "Ich frage, weil ich gehört habe, dass du hier einigen Ärger hast."

"Oh nein, nicht freiwillig." Sie lachte bitter auf, schüttelte entschieden den Kopf. "Meine Familie hat über mich entschieden. Ich wurde nicht gefragt..."

Wieder hatte er den Eindruck, dass sie noch etwas sagen wollte. Sie schien nicht sicher zu sein, ob sie ihm vertrauen konnte. Er brachte seinen Gedanken zuende.
"Was ich sagen will... Wenn du möchtest, dann geh. Ich werde dich nicht verraten. Ich habe dich nicht gesehen."

Der verblüffte Ausdruck in ihrem Gesicht war schwer zu deuten. War es Dankbarkeit, freudige Überraschung? Oder das Entsetzen über einen ganz und gar abwegigen Vorschlag? Vielleicht nichts davon. Sie schien nicht einmal zu verstehen, was er ihr anbot; ihre Reaktion machte es deutlich.

"Das ist freundlich von dir, vielen Dank." Sie lächelte unsicher. "Aber auch, wenn ich jetzt verschwinde - ich muss am Ende ja doch erklären, wo ich seit dem letzten Mittag gewesen bin." Das kleine Lächeln, das nochmals über ihr Gesicht huschte, verwirrte ihn. "Danke für dein Angebot. Aber ich glaube, meine Lage kann nicht mehr viel schlimmer werden. Ich muss mich melden. Und dann erkläre ich ihnen, dass ich die ganze Zeit über hier war und nicht hinaus konnte. Und hoffe, dass man mir glauben wird. Ich scheine ja nicht allzu glaubwürdig zu sein." Ihr finsterer Blick verriet, dass sie ihn meinte.

Bevor er etwas einwenden konnte, fuhr sie seufzend fort: "Wie auch immer... Ich brauche niemanden, der mir nun zu einer Lüge verhilft. Ich bin nur unsicher, an wen ich mich wenden soll. Wie geht es Maria denn? Ist sie in der Krankenstube?" Ihre großen Augen suchten in seinen nach einer Antwort.

Valerio war vollständig aus seiner Müdigkeit heraus gerissen, er ging ganz in der Betrachtung ihres Gesichts auf. Wie sie ihn ansah! Diese Augen! Gerade noch rechtzeitig wurde ihm bewusst, dass ihre Worte eine Frage enthielten.
"Oh... ja, natürlich", beeilte er sich zu sagen. "Maria wird in der Krankenstube sein. Sie haben alle Verletzten hinüber gebracht." Er bemühte sich, die Worte voreinander zu bekommen. Sie hing an seinen Lippen, hatte alle Aufmerksamkeit auf ihn gerichtet, er fand das sehr irritierend. "Du brauchst nicht mit Bonifatia Agostina zu sprechen", beruhigte er sie, "Maria geht es soweit gut. Sie hat etwas am Kopf und an der Schulter abbekommen und ihr Fuß ist verletzt, aber sie wird sich sicher freuen dich zu sehen. Sage es ihr einfach."

"Danke... Wie schön, dass ihr nichts Schlimmeres passiert ist." Sie spielte nervös mit ihren Fingern. "Das ... beruhigt mich." Ihr Blick schweifte über seine Schultern, ruhte dann einen Moment wie zufällig auf seiner Brust und glitt dann wieder zu seinem Gesicht hinauf. "Ich... Ich würde es nämlich niemals wagen, zur Äbtissin zu gehen", gestand sie und lächelte wieder, entschuldigend diesmal. "Sie wartet nur auf meine Fehler, sagt Maria. Wenn ich also mit Maria sprechen könnte, vielleicht, wenn niemand zuhört, das wäre..."

Wie süß sie lächelte, wenn sie unsicher war. Ihre Nasenflügel wurden ein wenig breiter dabei, und in der rechten Wange bildete sich ein kleines rundes Grübchen. Sie hatte ihn womöglich belogen, das war noch nicht restlos geklärt. Und vielleicht würde er die Wahrheit niemals erfahren. Aber sie war das lieblichste Geschöpf, das er jemals gesehen hatte. Lügen hin oder her. Er zwang sich nicht auf ihre vollen Lippen zu starren und wich wieder zu ihren Augen aus. Er musste auf sein Angebot zurück kommen, noch immer hatte sie es nicht erfasst. Es war wichtig für sie - und doch fragte er sich, ob er noch ganz bei Trost war. Für einen Moment schloss er die Augen und konzentrierte sich auf das, was er sagen wollte.
"Was ich eben meinte", begann er, "also... ich würde schweigen, wenn du das Kloster verlassen willst. Heute Nacht. Jetzt." Er befürchtete, sie würde seinen Herzschlag zwischen den steinernen Wänden widerhallen hören.

Caterina sah erschrocken zu ihm auf. Das Grübchen verschwand. Sie blinzelte irritiert. Ihr Blick fiel bis zu seinen Füßen hinab und wanderte schließlich wieder den ganzen Weg an ihm hinauf und wieder zu seinen Augen zurück. Etwas gänzlich anderes lag auf einmal in der Art, wie sie ihn ansah. Wenn das nun kein Ausdruck eines Missverstehens war, sondern das, was Valerio durch den Kopf ging... Sein Herz sprengte beinahe seine Rippen. Er durfte sich nicht ablenken lassen. Er musste es ihr erklären. Es war ihre Chance.
Schnell warf er einen Blick in die Schatten ringsum. "Man hält dich für tot", flüsterte er. Er wies an ihr vorbei zur Kapellentür. "Du liegst da draußen unter einem gewaltigen Steinhaufen. Jedenfalls denkt man das." Er wurde eindringlicher. "Es sind nur zwei auf der Liste übrig, die wir nicht mehr finden konnten, bevor die Schule vollständig in sich zusammenfiel. Flavia... und du. Es wird eine Woche dauern, bis man feststellt, dass du nicht unter diesen Trümmern liegst. In dieser Zeit schaffst du es bis nach Rom. Oder nach Florenz oder Venedig."

Einen Moment lang hielt er inne, er dachte nach. "Aber Rom ist ein gefährliches Pflaster. Und in Florenz findest du ohne Geld kein Auskommen, die Stadt stinkt vor Reichtum und Macht, sagt man. Wer dort kein Geld hat, ist Sklave. Aber Venedig ist eine Republik und sie verweigern vor der römischen Kirche erfolgreich die Aufstellung einer eigenen Inquisition. Venedig ist gut. Dort bist du besser dran. Ich habe es unten in der Ebene gehört. Geh nach Venedig."

"Aber was sollte mir die Kirche antun? Ich habe doch noch kein Gelübde abgelegt! Ich schulde der Kirche nichts."

Valerio schüttelte den Kopf. "Nein, das tust du nicht. Aber du bist nicht frei. Du bist ... ein Handelsgut."

Als sie empört protestieren wollte, erhob er seine Stimme. "Du sagst selbst, deine Familie bestimmt deinen Aufenthalt. Weißt du, ob sie Geld an das Kloster gezahlt haben, damit man dich annimmt? Kein Kloster zwischen Perugia und Rom bietet einer Appiani einen Platz an, ohne dass dafür viel Geld über den Tisch geht."

Caterina machte große Augen. "Wie... Woher weißt du meinen Namen?"

"Das ist jetzt unwichtig. Hör mir zu! Man wird dich zurück haben wollen! Traue unserer Äbtissin nicht! Sie muss das Geld an deine Familie zurück zahlen, wenn du das Kloster verlässt - Sie wird es aber für eine neue Novizenschule einsetzen wollen."

Er suchte nach Worten, die sie verstehen würde. "Nur wenige Novizinnen haben überlebt. Die Familien zahlen für das Klosterjahr im Voraus. Da ist nun viel Geld an die Familien zurück zu zahlen - nicht nur für dich! Um das Kloster über den Winter zu bringen, wird man neue Novizinnen aufnehmen müssen, in diesem Herbst noch... Töchter aus Florenz, aus wohlhabenden Familien, die Geld an das Kloster zahlen. Kein reicher Kaufmann wird seine Tochter aber in dieses Kloster geben, so lange es keine Novizenschule gibt und die Unterkunft nicht wieder intakt ist. Die Toten sind tot - aber wer wegläuft, kann zurück geholt werden." Er sah ihr fest in die Augen. "Ich würde nichts riskieren! Du kannst nicht nach Rom gehen. Dort läufst du der Kirche direkt in die Arme und man wird dich nach Assisi zurück bringen. Nutze deine Möglichkeiten und wähle den einzig sicheren Weg. Geh nach Venedig!"

"Um dort als Hure mein Essen auf der Straße zu verdienen? Oder in einem Badehaus?" Der energische Ausdruck in ihrem Gesicht ließ Caterina um einiges älter wirken, als sie wohl war. Sie lachte bitter auf. "Ich kann dort draußen in der Welt nicht einmal als Hure überleben! Du vergisst, ich habe nicht einmal Haare auf dem Kopf. Da müsste ich dann wohl zum Drittel des üblichen Preises..." Sie funkelte ihn wütend an. "Was meinst du, wieviel bringe ich wohl ohne Haare ein? Reicht das zum Verhungern? Und für ein Begräbnis im Wasser der Lagune?" Sie atmete tief ein. "Ich weiß, dass die Kirche Verfolgte schützt und aufnimmt, sicher auch in Venedig. Aber ganz bestimmt nicht, wenn es die Kirche ist, die mich verfolgt."

Wie recht sie hatte! Ein anderer Plan musste her. "Und wenn du eine Geschichte erzählst? Dass du Vater und Mutter auf einer Reise verloren hast? Oder vor einer unzumutbaren Ehe flüchtest?"


"Einer Ehe?", rief sie. Du meinst... ein vor Gott geschlossenes Bündnis? Das der Mensch nicht trennen soll? Und da soll ich die Kirche um Unterstützung und Schutz bitten?"

Ihre Wut ließ ihn beschämt und hilflos dastehen. Was war mit ihm los, dass er ihr solche Dinge vorschlug... er wollte, dass es ihr gut ging!
Sie hob die Hände und griff unterhalb des Schleiers in ihre Haube hinein. Mit einem Blick, der ihm tief ins Herz ging, zeigte sie ihm ihren kurz geschnittenen Haaransatz über der Stirn. Er schimmerte kupferfarbig im Licht der Kerzen.
"Ich werde gerade vorbereitet, eine Ehe mit dem Sohn dieses Gottes einzugehen, von dem wir sprechen." In ihren Worten lag Verzweiflung. "Ich bin so gut wie verheiratet. Was glaubst du, wie lange die brauchen, um wieder zu wachsen?" Sie flüsterte nun, ihre Augen schimmerten im Halbdunkel. "Man wird mir zwei Jahre lang ansehen, dass ich einem Kloster entlaufen bin. Man wird wissen wollen, wo und warum. Du siehst, was Haare wert sind. Für Huren. Und für freie Frauen. Sie machen den Unterschied zwischen Leben... und nichts."

Er sah, wie sie ihre Tränen unterdrückte; er zwang sich dem Impuls zu widerstehen, sie in diesem Moment einfach in die Arme zu nehmen. Er fühlte ihren Schmerz, als wäre es sein eigener.

"Seit drei Tagen ist mein Wert unter den Preis einer Hure gefallen", erklärte sie. "Soweit sie Haare hat und ich nicht."

Ernst, beinahe vorwurfsvoll, ruhten ihre Augen auf ihm. Niemand sprach mehr ein Wort. Als er schon dachte, er hätte alles zwischen ihnen verdorben, sagte sie etwas, das sein Herz in aufgeregter Freude zusammenpresste.

"Es sei denn ... ich bleibe hier." Ihr Blick huschte scheu zu ihm hinauf. "Dann bin ich eine Novizin dieses Klosters ... und mein Wegbleiben von der Familie, die mich nicht haben will, ist wenigstens einen Fuchshengst wert." Sie musste seinen fragenden Blick bemerkt haben. "Der Erlös aus seinem Verkauf ... war der Preis, den es kostete, mich an die Kirche loszuwerden", erklärte sie und zog die Brauen zusammen. Sie lachte unglücklich auf. "Ich sollte zufrieden sein, dass er ein Vermögen wert war."

Ihre Worte versetzten Valerio einen Stich. Er schämte sich, ihr einen so schlecht durchdachten Vorschlag gemacht zu haben. Die Lebensumstände waren für Frauen und Mädchen so vollkommen anders als für junge Männer wie ihn. Dass er sich hier nicht besser hinein denken konnte! Er sah seinen Fehler ein. Nachdenklich nickte er. "Du hast Recht. Und ich bin ein Dummkopf. Solange du nicht frei von deiner Familie bist, kannst du nirgends hingehen."

Wieder schwiegen beide. Er wagte einen tiefen Blick in ihre Augen. Sie errötete. Sie hielt ihm nicht lange stand und er fand das zauberhaft. Ihre Finger spielten mit den Säumen ihres Ärmels, er beobachtete es, als sie weg sah. Er unterdrückte ein Lächeln, aber so ganz wollte es ihm nicht gelingen.
"Dann kannst du also nur... hier bleiben", sagte er sanft.

Ihre Reaktion überraschte ihn. Ihre Augen blitzten in dem schummrigen Kerzenlicht auf, als sie ihm ihr Gesicht entgegen hob. Ihr breites Lächeln, das seinem antwortete, ließ nun zwei Grübchen in ihren Wangen erscheinen - das eine sehr tief, das andere nur ein kleiner Schatten. Valerios Herz machte einen Sprung. Und während er in diesem Moment eigentlich denken wollte, dass er sich in den Hintern treten könnte für so viel Ungeschick, war der Gedanke, der den ersten rücksichtslos zur Seite drängte, schließlich der: dass er sie auf dieses Grübchen küssen wollte. Auf das tiefere. Und dann auch auf das andere. Und dann...

"Nun, ich denke, ich treffe es hier immer noch besser als in den Badehäusern Roms oder Venedigs." Sie lächelte immer noch. Und er wusste genau, sie bemerkte seinen träumenden Blick. Aber das wollte er! Er konnte es ihr nicht mit Worten sagen, aber er wollte, dass sie es in seinen Augen sah. Man hatte ihm oft gesagt, dass sie sehr "sprachen", und darauf verließ er sich jetzt.

"Und ich denke sogar, dass es hier gar nicht so... übel ist." Wie langsam und gedehnt sie jetzt sprach! Es irritierte ihn. Sie trat die zwei Schritte zu ihm herüber. Was wollte sie? Vorsichtig streckte sie ihre Hand aus, nahm sein Kinn zwischen Daumen und Zeigefinger, drehte sanft sein Gesicht ins Licht und besah die kleine Platzwunde auf seinem Wangenknochen. Valerio ließ es geschehen. Sein Herz schien nun hier und da auszusetzen, aber das war ihm egal.

"Ich müsste mich nur... ein wenig besser einleben", murmelte sie und befühlte vorsichtig die Wunde an seinem Oberarm. Dann sah sie ihm wieder ins Gesicht.

Er bemerkte den nachdenklichen, intensiven Ausdruck in ihren Augen. Mit einer fließenden Bewegung, die er als vollkommen end- und zeitlos empfand, strich sie ihm die Haare aus der Stirn und hinter das Ohr. "Und ich müsste... mir über meine Zukunft Gedanken machen." Ihr Blick glitt über seine Wangen und seinen Kiefer zu den Lippen und blieb dort. "Wenn mein Novizenjahr vorbei ist", sie strich nun mit dem Daumen ganz leicht über das getrocknete Blut in seinem Mundwinkel, "kann ich entscheiden, ob ich gehe... oder ob ich die Profess ablege." Ihre Augen wanderten wieder zu seinen zurück. "Das ist Zeit genug, denke ich."

"Zeit... wofür?" Er wusste nicht, ob er noch auf seinen Beinen stand. Da war etwas in ihrer Stimme, dem er Tag und Nacht lauschen konnte. Die Stimme war es, diese Blicke... und ihre Berührungen. So selbstverständlich und vertraut. Und das Lächeln und die Grübchen.... Was sie im Einzelnen gesagt hatte, war ihm aber irgendwie entglitten. "Zeit... wofür?", fragte er noch einmal mit belegter Stimme.

Sie trat nun ganz nahe an ihn heran und sein Herz brachte ihn beinahe um. Ihre Worte streichelten ihn wie Sommerwind. "Zeit genug, um zu sehen, was ich... von hier mitnehmen kann, wenn es soweit ist. Bis dahin werde ich wohl... hier bleiben." Er stürzte in ihren offenen Blick hinein und verschwand. Ihre nächsten Worte waren nur mehr ein Hauch. "Es gibt viel Schönes... hinter diesen Mauern." Ihre Nähe hüllte ihn ein. "Der Kräutergarten..." Sie nahm ihre Augen nicht von ihm. "Der Blick... über die Ebene..." Er spürte die Wärme, die sie abstrahlte, auf seiner Brust. "...und der dunkle große Berg hinter der Stadt...", murmelte sie. "Wie heißt er noch?"

"Monte...", flüsterte Valerio heiser. Er wusste nicht mehr den Namen des Berges, in dessen Schatten er aufgewachsen war. Fieberhaft suchte er hinter dem Vorhang aus wogendem Nebel nach dem vollständigen Namen. "Monte Subasio", schob er schließlich nach und wusste schon nicht mehr, wie sie auf den Berg gekommen waren. Er sprach den Namen aus wie etwas, das man essen konnte. Mit Honig und Feigen.

Seine Hand machte ganz von selbst Anstalten sich zu ihrem Gesicht, zu dieser weichen Wange hinauf zu bewegen - aber bevor aus einer Idee wunderbare Realität werden konnte, wich sie aus, um an ihm vorbei und zum Altar hinüber zu sehen. Sie trat einen Schritt zur Seite - und er zog seine Hand zurück, um sich nicht noch mehr Dummheiten zu leisten. Heute war bereits genug schief gegangen. Er war blutig und verdreckt, ganz sicher war dies kein guter Moment, körperliche Nähe anzubieten. Er durfte ihr so nicht einmal eine Hand reichen, geschweige ihr Gesicht berühren.

Erschrocken zuckte er zusammen, als sie im Vorbeigehen ganz plötzlich nach seiner Hand griff und ihn mit sich zog. Nur einige Schritte liefen sie so hintereinander her, während sie ihn zum Altar hinüber führte. Bevor er sich von seiner Überraschung erholen und sich das Gefühl einprägen konnte, das ihre kleine, zarte Hand in seiner bewirkte, war es auch schon vorbei und sie hatte ihn los gelassen. Gerade so, als sei das alles selbstverständlich.

"Wir müssen hier Ordnung machen." Ihr Ton wurde bestimmt. "Ich bleibe hier. Ich werde erklären müssen, dass ich in der Kapelle eingeschlossen worden war. Und ich ahne schon, das es Ärger geben wird, wenn man mir nicht glaubt. Aber das hier", sie wies auf den verrutschten Altartisch und die Dinge auf dem Boden, "nehme ich nicht auf meine Schultern. Man würde mich hinaus werfen. Dann könnte ich auch gleich nach Rom gehen." Sie wandte sich zu ihm um. "Na komm. Du hast hier einigen Schaden angerichtet. Bringen wir das in Ordnung!"

Schnell sammelten sie die Kerzen und Halter vom Boden auf; sie fanden auch die kleine Leinendecke und das Gefäß für die Oblaten wieder - und sie sammelten die Scherben der flachen Schale ein, so gut dies bei dem wenigen Licht möglich war. Die Schale samt ihren Scherben stellten sie in eine der kleinen Nischen, die sich ringsum an der Wand befanden.

Beide zugleich entdeckten sie den Bronzekelch, der an der Madonna vorbei und bis an die Wand gerollt war. Als Valerio sah, dass sie hinüber gehen wollte, beeilte er sich, ihr zuvor zu kommen. Die Verwüstung war seine Schuld, er wollte nicht, dass sie sich seinetwegen unnötig bücken musste. Sie tat einen kleinen Sprung an ihm vorbei und hatte den Kelch schon aufgehoben, als er dort ankam.
Die Wand im Rücken richtete sie sich wieder auf. Er stand dicht vor ihr. Er tat gar nichts. Er stand nur da. Den Kelch in der Hand schien sie zu warten, dass er ihr Platz machte. Als sie bemerkte, dass er sich nicht von der Stelle rührte, sah sie ihn unsicher an; beinahe wirkte sie ein wenig ängstlich. Aber sie wich nicht aus - und sie schob ihn auch nicht beiseite. Natürlich wäre er gegangen, aber... etwas hielt ihn dort, wo er stand.

Die Lichter der Madonna schmeichelten ihrem Gesicht mit ihrem weichen Schein. Täuschte er sich... oder war ihre helle Haut gerade ein wenig dunkler geworden? Er sah ihre Sommersprossen, die Flammen der Lichter in ihren Augen. Er wollte das Blau aus der Nähe sehen. Bei Tageslicht. Hier war es so dunkel, dass auch ihre Augen dunkel wirkten... Sie waren speziell, etwas Besonderes, das hatte man schon von weitem sehen können. So wie ihre Grübchen. Und die Lippen, sie bewegte sie jetzt. Er musste sich das alles unbedingt  bei Licht ansehen, am Besten gleich morgen...

"Hörst du?" Ihr Blick wirkte fragend.

"Hast du etwas gesagt?", fragte er zurück und wunderte sich selbst über den schelmischen Unterton und die raue Sanftheit in seiner Stimme.

Sie lachte ein kleines, schüchternes Lachen. Und ja, dachte er. Über Stirn und Wangen ging eine rosige Welle hinweg, vorhin bereits - und auch jetzt schon wieder. Er hatte es richtig beobachtet, sie mochte ihn!

"Du hörst nicht zu." Ihre Grübchen erschienen plötzlich wieder und leisteten frech gespitzten Mundwinkeln Gesellschaft.

"Was denn", murmelte er sanft. Er hatte ernsthaft Mühe sein Gleichgewicht zu halten und nicht seitwärts oder nach vorne zu kippen. Der Schwindel gefiel ihm. Es war ein bisschen so, als hätte er zu viel Wein getrunken und versuchte in diesem Zustand die Sterne zu zählen... oder Sommersprossen. Trotz der Schwere seines müden Körpers fühlte er sich jetzt so leicht, als könnte er fliegen, und das machte ihn mutiger. "Ich höre dir nicht zu", murmelte er, "weil ich... beschäftigt bin. Abgelenkt." Während er leise sprach, wanderte sein Blick über ihr Gesicht hinweg, blieb einen Moment hier und da, bis er bei ihren wunderbaren Lippen ankam.

"Also... was sagtest du noch?" Er sah zu ihren Augen hinauf und wieder zu den bebenden Lippen hinunter.

Caterina räusperte sich. Er spürte, wie nervös sie die Wanderlust seines Blicks machte. "Ich sagte, das hier...", sie zeigte in dem engen Raum zwischen ihrem und seinem Körper hin und her, "... das hier fühlt sich beinahe so an wie der Moment, als wir an der Tür standen. Weißt du, was ich meine? Nur, da hattest du... ich meine, du warst nicht..."  Sie vermied, mit ihren Fingern seinen nackten Bauch zu berühren.

"Hmm...", brummte er und beugte sich noch ein wenig mehr zu ihr herunter. "Ja, ich weiß. Ich hatte die Bücher. Und du hattest...", er näherte sich ihrem Mund, "...mein Herz, glaube ich..."

Sie musste lachen. Und er erwischte das Grübchen.

Ende Teil 96

Ein Wattpad-KapitelTEIL-Ende ist in diesem Roman N I C H T = Szenenende! Zerhackt Euch nicht die schönsten Szenen beim Lesen! Wenn Eure Zeit es zulässt, achtet darauf, ob auch die Szene am Ende eines Wattpad-Kapitelteils zuende ist. (Hier z.B. gehen Szene und Stimmung weiter, die beiden sind in diesem Moment noch nicht miteinander fertig!)

Die Kapitelteile habe ich auf Wattpad nur deshalb so portioniert, wie sie hier zu sehen sind, weil sie sonst auf Euren Handies zu lang für vernünftiges Laden wären! Mit "Kapitelende" und "Lesepause"  haben diese Unterteilungen nichts zu tun, sie sind nicht inhaltlich, sondern allein technisch bedingt.

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