(13/6) Schuld

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Magnus zuckte zusammen. "Eine Frau anrufen!", stieß er aus und war auf einmal hellwach. "Du meinst doch nicht etwa... ich soll sie anrufen?"

Valerio sagte nichts. Sein Blick war ruhig auf ihn gerichtet.

Irritiert schüttelte er den Kopf. "Aber das ist doch Unsinn", stammelte er. "Das... das wird nichts bringen. Sie hat sich entschieden. Das wird nichts mehr, niemals!"

Das schmale Lächeln, das Valerio zeigte, ließ ihn wütend werden. "Entschuldige bitte", brauste er auf, "aber du hast keine Ahnung! Ich würde damit gar nichts erreichen!"

Allein die Idee, noch einmal mit ihr zu sprechen, ihre Stimme zu hören, machte ihn nervös und brachte gegensätzliche Gefühle in ihm hervor: Angst... und Scham über sein Versagen. Dachte Valerio tatsächlich, er könnte eine Chance haben? Das glaubte er ja wohl nicht ernsthaft!

Er stand auf, trat zum Feuer hinüber und wandte sich zu ihm um. "Du schätzt das vollkommen falsch ein", erklärte er. Die Vorstellung, die er ihm da in den Kopf redete, begann sein mühsam stabilisiertes Nervenkostüm in Übelkeit erregende Vibrationen zu versetzen. Seine unruhigen Finger suchten an der geschnitzten Umrandung der Feuerstelle Halt. Zur Ablenkung nahm er einen der schlanken, bronzenen Becher in die Hand und ließ ihn beinahe fallen. Mit zittrigen Fingern stellte er ihn wieder an seinen Platz zurück.

"Nein.... auf keinen Fall!" Die Hand vom Becher lösend fegte er eine Streichholzschachtel vom Kaminsims herunter. Sie fiel auf den Boden, bevor er sie auffangen konnte. Ungelenk hob er sie wieder auf und legte sie auf die Ablage zurück. "Das werde ich nicht tun", bekräftigte er noch einmal und ignorierte Valerio, der ihn offenbar genau beobachtete. "Ich mache mich doch vollständig lächerlich! Sie wird mir nicht zuhören!" Energisch gestikulierte er in der Luft herum. "Diese Erfahrung kann ich mir schenken. Ich brauche nicht noch einen Versuch, ganz bestimmt nicht."

"Doch, Magnus. Den brauchst du."

Entgeistert sah er Valerio an. Dessen gleichmütiges Gesicht machte ihn nun ernsthaft wütend. Er mochte vieles wissen, ja! Und er begann seine Lebenserfahrung zu schätzen, das wollte er gerne zugegeben - aber hier übernahm er sich wirklich. "Was meinst du damit, ich brauche das?", fragte er und bemerkte selbst, dass sein Ton zunehmend mehr Aggression enthielt. "Was willst du damit sagen? Meinst du etwa, ich hätte noch nicht genug eingesteckt? Ich habe ein zweites blaues Auge verdient, nicht wahr?"

"Es geht nicht um Schuld. Oder Strafe."

"Ach, es geht nicht um Schuld? Worum geht es denn dann, bitte?" Er ahnte in diesem Moment, dass er sich wie ein trotziges Kind benahm - was ihn jedoch nicht daran hinderte, weiter auf seiner Sicht der Dinge zu beharren. Wenn er meinte, er habe hier tatsächlich auch nur den Hauch einer Chance, dann sollte er das begründen!

Valerio schüttelte den Kopf. "Du hast völlig Recht", sagte er. "Du hast keine Chance. Ich bin ganz auf deiner Seite."

"Warum dann dieser blöde Vorschlag?" Magnus schnaubte gereizt. "Ich würde mich doch nur blamieren, sie würde niemals..."

"Hör mir zu. Was du brauchst, ist, dass du es loslassen kannst. Damit du die Hände frei hast, dein Leben anzupacken und Entscheidungen für dich selbst zu treffen. Jetzt bist du nicht in der Lage sie los zu lassen, du schaffst es nicht. Weil du nicht willst. Wenn du mit ihr sprechen würdest, wenn du ihre Antworten auf deine Fragen hören könntest - du würdest dich verabschieden können. Denn das steht noch aus. Es geht mir darum, dass du frei wirst - nicht, dass du in alte Muster zurück kehrst, die schon einmal nicht funktioniert haben. Denn das ist es, was geschehen würde, wenn sie dir eine weitere Chance gäbe. Sie wird es nicht mehr tun. Weil du ihr jedes Mal, wenn sie dir eine weitere Chance gab, gezeigt hast, dass du dich nicht entwickelst."

Magnus schwieg betroffen. Valerio hatte Recht. Die Wahrheit war, dass er Giulias Worte fürchtete, weil sie ein zweites Mal aussprechen würde, was er noch immer nicht an sich heran lassen wollte. Sein wackeliges Kartenhaus würde zusammenbrechen! Sie würde ihn bald vermissen, sie würde erkennen, was er ihr bedeutete, und dann... würde sie zu ihm zurück kommen, ja! Das war es, was der Träumer  und Spinner in ihm hoffte! Der, der sich nicht mit der Realität befassen und nicht an seinen Problemen rühren wollte! Darum war er wütend geworden, als Valerio ihn  bei seinem ersten Besuch in dessen Haus gefragt hatte, was er tun würde, wenn sie zurück käme. Und auch jetzt zeigte er schon wieder dieselbe Angst und Abwehr, wenn es darum ging, der Realität ins Auge zu sehen. Denn sie kam nicht zurück. Weil es nichts gab, wohin sie zurück kommen konnte, selbst  wenn sie gewollt hätte. Es gab ihn nicht.

"Sie ... hat dich nicht geliebt."

"Was?" Erschüttert hob Magnus den Blick. Die Tränen, die ihm bei Valerios Worten in die Augen schossen, ließen den dämmrigen Raum verschwimmen. Die Lichtreflexe der Kerzen blendeten ihn. " Sie hat mich nicht geliebt? Wieso... wieso glaubst du das?"

Valerio schloss die Augen. "Sie hat geliebt, was sie in dir sehen wollte. All das, was sie sich ersehnte, was sie für sich im Leben suchte, hat sie in dich hinein gesehen. Du solltest all das für sie sein."

Magnus hörte ihm wie betäubt zu, dann nahm er beide Hände vor das Gesicht.

"Nimm es ihr nicht übel. Sie hatte keine Chance mit dir, weil du dich ihr doch gar nicht aufrichtig angeboten hast. Wie sollte sie dich kennen, wie sollte sie wissen, in welchem Dilemma du steckst und wo du tatsächlich stehst, wenn du ihr - genauso wie dir selbst - die ganze Zeit etwas vorgemacht hast? Glaube mir, das passiert vielen Menschen. Wenn man den Film des eigenen Lebens nicht auf seine Leinwand bekommt, bleibt sie leer. Andere Menschen spielen dann ihren eigenen Film über dich auf dieser Leinwand ab - einen Film, der ihren Bedürfnissen und Wünschen entspricht. Auch sie hat das getan, es war ihr lange Zeit kaum bewusst. Aber dann... wachte sie mehr und mehr auf. Sie fing an, dich nach deiner wahren inneren Geschichte zu fragen. Und sie erkannte, dass sie ein Abbild geliebt hatte: das Bild über dich... das nur in ihrem Kopf bestand."

Magnus stöhnte hinter seinen Händen auf. "Dann habe ich also doch Schuld. Ich habe es völlig vermasselt."

"Nein. Es gibt keine Schuld. Es gibt nur Entwicklung. Und die hat nun einmal bei jedem Menschen einen ganz individuellen Stand. Dazu ist Leben da. Um mit sich selbst auf dem eigenen Weg weiter zu kommen - nicht, um im Hafen von jemand anders anzukommen." Valerios Stimme enthielt eine Sanftheit, die ihn beinahe umbrachte. "Du hast keine Schuld. Aber du hast... Verantwortung."

Magnus nahm die Hände vom Gesicht und richtete sich auf. Er atmete tief durch. "Gut... meinetwegen. Aber dann ist es zumindest meine Schuld, dass ich sie über meinen... erbärmlichen Entwicklungsstand nicht aufgeklärt habe. Ich hätte es tun müssen."

"Das konntest du nicht."

Magnus ging zu seinem Sessel zurück und warf sich hinein. "Nein", seufzte er frustriert. "Ich konnte nicht. Ich habe es ja selbst nicht wahrgenommen." Er verzog das Gesicht und kniff die Augen zusammen. "Autsch. Sie hat es oft angesprochen! Sie hatte es bemerkt, sie wusste davon, dass ich irgendwie nicht..." Er schüttelte den Kopf über sich selbst. "Ich war es, der davon nichts wissen wollte. Ich bin ein Volltrottel. Ein Idiot."

"Du hast keine Schuld", beharrte Valerio. "Dass du von deinem eigenen Zustand nichts wissen wolltest und mit ihren Versuchen, dir auf den Zahn zu fühlen, nicht umgegangen bist, auch das ist ... ein Entwicklungsthema."

"Ich hatte Angst", flüsterte Magnus heiser. Er räusperte sich. "Ich dachte, wenn ich mich zeige, wie ich wirklich bin, dann lehnt sie mich ab. Oder ich löse mich auf, und... es gibt mich nicht mehr." Er raufte sich die Haare. "Oh, das ist albern, nicht?" Er lachte auf. "Ich bin ein Kind! Ein albernes, naives und unwissendes Kind!"

Valerio lachte leise. "Kinder haben solche Konflikte mit sich selbst nicht. Sie wissen, was sie sind und haben darüber nicht den geringsten Zweifel - so lange, bis ihr sie in die Zange nehmt und dafür sorgt, dass sie sich von sich selbst entfremden. Wenn Kinder über sich selbst in Zweifel kommen, wenn sie unsicher werden, dann haben Erwachsene ihnen das angetan. Nein, Magnus, dein Problem mag in der Kindheit begonnen haben, aber es ist mit dir zusammen erwachsen geworden."

Magnus lachte erneut auf. "Erwachsen? Wohl kaum!"

"Doch", sagte Valerio. "Du darfst sicher sein: Das, was ihr in eurer Gesellschaft erwachsen nennt, hat nichts mit Reife oder Weitsicht zu tun. Ihr funktioniert im Sinn des Systems, das ihr geschaffen habt und das ihr für gut haltet. Ihr verinnerlicht Normen und Werte, ihr unterschreibt unsichtbare Verträge zur Übernahme bestimmter, fixierter Perspektiven. Ihr macht Deals mit der Gesellschaft und mit euch selbst. Das ist es, was Erwachsensein bedeutet." Er wirkte nachdenklich. "Kinder mögen noch nicht viel Überblick haben... aber sie sind zumindest frei in ihrem Blick auf die Dinge, die vor ihrer Nase liegen. Ein Erwachsener sieht, was man ihm zu sehen beigebracht hat. Und er denkt dazu, was man ihn zu denken lehrt."

Eine Weile sagte niemand mehr ein Wort. Das Feuer knisterte und rauschte. Magnus konnte seinen Fuß nicht daran hindern, nervös auf und ab zu wippen. Zögernd unterbrach er schließlich die Stille. "Du meinst wirklich... ich brauche diesen Anruf?"

Valerio antwortete mit einer Geste seiner Hand und einem Blick, der sagte: Entscheide selbst.

Er fühlte sich wie betäubt. Allein die Vorstellung, mit ihr zu sprechen, ließ seine Gedanken in wirren Kreisen dahin rauschen. In ihm tobten Schlachten, sein Kopf summte - bis er schließlich an einer Frage hängen blieb. "Kann ich sie denn überhaupt von hier aus anrufen... geht das?"

Valerios Blick war wieder auf die Flammen gerichtet. Als er sprach, wirkte es, als sei er auf einmal sehr weit weg, er schien zu träumen. "Nein", flüsterte er. "Das ist nicht möglich."

"Wegen dieses... Zeit-Dings? Dieser anderen Dimension?"

Er nickte langsam. "Auch."

"Weswegen noch?"

"Dein Handy liegt im Hotel."

Warum war ihm das nicht selbst eingefallen! "Das heißt, ich müsste von hier weggehen, um sie anrufen zu können?"

"Ja. Das müsstest du."

"Dann rätst du mir also zu gehen?" Verwundert nahm er die kleine, brennende Enttäuschung wahr, die sich unangenehm bemerkbar machte. Ja, er war regelrecht frustriert, dass Valerio ihn offenbar so leicht gehen ließ. Seine Gefühlsebenen gerieten zunehmend  durcheinander. Darum schwieg er. Als auch Valerio nichts weiter sagte, wagte er einen unsicheren Blick in dessen Gesicht. Es wirkte vollkommen neutral, seine Mimik verriet nicht die geringste Regung.

Valerio richtete sich im Sessel auf. In seinem Blick lag ein dunkles Flackern, als er über Magnus' Gesicht hinweg huschte. "Vielleicht solltest du darüber schlafen. Es ist spät. Du bist heute weit gereist."

Magnus griff nach seinem Glas und trank aus. "Du hast Recht", sagte er und unterdrückte das Bedürfnis zu weinen. "Ich denke nicht, dass ich das heute entscheiden kann... Um ehrlich zu sein, dein Vorschlag, noch einmal mit ihr zu sprechen, überfällt mich hier nun ein wenig. Von selbst wäre ich nicht auf die Idee gekommen, immerhin hat sie..."

Valerio unterbrach ihn in ironischem Ton. "Mir wäre es lieb, wenn wir nun bei der Wahrheit bleiben könnten. Ich bin es nicht gewohnt, mich so intensiv mit Hirngespinsten über angebliche Realitäten zu beschäftigen. Verzeih mir, aber ich empfinde es als Zeitverschwendung. Und Zeit, Magnus, hast du noch viel weniger als ich."

Magnus schnappte nach Luft, er wusste nicht, was er sagen sollte. "Die Wahrheit, also...", murmelte er beschämt und stand von seinem Sessel auf.  "Doch, das geht schon klar. Natürlich."

Valerio nickte. "Gut. Dann lass uns festhalten, dass es bis jetzt keinen Augenblick gab, in dem du nicht hofftest, dass ihr noch einmal miteinander ins Gespräch kommt, unter welchen Umständen auch immer. Die Hoffnung, dass sich euer Verhältnis fortsetzt, war alles, was dich beschäftigte."

Darauf wusste er nun gar nichts mehr zu sagen. Der Boden schwankte unter ihm und ein Frösteln ging durch seinen müden Körper, als er abwartend stehen blieb, unsicher, ob er nun allein den Raum verlassen oder auf ihn warten sollte.

"Ich bleibe noch hier sitzen, bis das Feuer herunter gebrannt ist", beantwortete Valerio seine stille Frage. "Nimm dir Licht mit."

Magus nickte stumm. Es gab nicht mehr zu sagen. Er ergriff den Leuchter, den Valerio ihm reichte. Dann tappte er auf kalten Füßen zur Tür und in den Gang hinaus.

Ende Teil 112


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