(13/7) Lazzaretto Vecchio

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Dunkelheit wogte in der Tiefe, er schwebte in einem Meer aus geflüsterten Worten und Geschichten. Manche waren wahr oder würden wahr werden, auf ihre Weise, andere sollten niemals geschehen... Sie zeigten nur, was hätte sein können, denn die Welt bestand aus Befürchtungen, Wünschen und Inspiration - und nicht allein aus den Dingen, die sichtbar wurden und waren. Zeit lagerte sich in unendlichen Schichten über ihm ab, deckte ihn zu, Kilometer hoch, strich über ihn hinweg und holte ihn doch nicht in ihre Dimension hinein. Er war frei und ausserhalb jedes geschlossenen Systems. Er war jenseits allem, was war und nicht war. Ein stummer Beobachter am Rand der Welt.

Er lag im endlosen Ozean des Lebens, er schlief, er trieb dahin. Doch während er sich der dunklen Zeitlosigkeit hingab, geschah etwas, das einen Teil seines Bewusstseins unmittelbar an die Oberfläche zurück holte: Der Pinsel aus dem Tuschkasten seiner Kindheit senkte sich tief in sein Halb-Sein hinein und spülte Wolken aus Preußischblau ins Dunkel. Die tuscheblauen Wolken stiegen auf, höher und höher, vorbei an den unsichtbaren Haien, nahmen ihn mit, hoben ihn an die Oberfläche und darüber hinaus...

Es war pechschwarze, sternenlose Nacht. Der Eindruck von Kälte und Nässe, eintauchende Ruderblätter und das rhythmische Vorwärtsgleiten eines Bootes ließen ihn unter seiner Decke frösteln. Beinahe wurde er wach... Er zog die Beine an, rollte sich zusammen und sank wieder in die dunkle Szenerie zurück.

Ein Mann ruderte das Boot. Ein anderer saß ihm gegenüber. Und da war ein dritter - aufrecht saß er und still, ganz hinten, abseits der beiden und in Richtung der Fahrt. Er war in einen weiten, dunklen Mantel gehüllt, sein Gesicht verbarg sich im Schatten der Kapuze. Bei den Füßen des Verhüllten hockte eine schmale Gestalt. Eine Frau mochte es sein. An die raue Bank gelehnt schien sie zu schlafen. Ihr Kopf war nach vorne gefallen, die Hände lagen kraftlos neben dem Körper auf den Bodenplanken.

Er selbst saß nicht in dem Boot. Er schwebte knapp darüber, hinten am Heck. Bei dem Mann mit dem Umhang und der Kapuze. Eine Weile begleitete er die stille Fahrt der Vier durch die Lagune. Er wusste nicht, wie lange. Das fade Mondlicht verschmolz den wolkenschweren Himmel mit der Wasseroberfläche. Dunkelheit und Nebel verbargen das Ziel der Fahrenden.

Wie lange noch? Sie waren schon weit draußen. Unsicher sah er über das schwarze Wasser zurück. Hinter ihnen lag die schlafende Stadt; die Silhouette von San Marco mit dem hoch aufragenden Campanile hob sich klein und fern gegen den nächtlichen Himmel ab.

Sie fuhren nach Südosten, Richtung Meer. Es war ein weiter Weg von San Marco zum Lazzaretto Vecchio, der Insel der Verdammten. Zur Pestinsel.

Die Pestinsel. Er wollte sich vom Boot lösen, aber es hielt ihn dort, es ließ ihn nicht los. Diese Nacht, dieses kalte schwarze Wasser, der Anblick der fernen Stadt von dieser Seite der Lagune... all das war ihm schrecklich vertraut! Das Geräusch, das die Ruder beim Eintauchen verursachten, das Knarren der Lederschlaufen, wenn der rudernde Mann sich nach hinten lehnte und das Boot sich vorwärts schob... Zug und Schub... Zug und Schub... Nach Südosten, schnurgerade, weil es der kürzeste Weg war, trotz der Strömung... Er wusste, man wollte nicht so lange mit der Kranken im Boot sein. Ein Feuer flackerte vom niedrigen Turm der Kapelle zu ihnen herüber. Sie waren bald da.

Dieses winzige, matte Licht, das durch den Nebel zuckte, während die weißen Umrandungen der Wassertore langsam Gestalt annahmen... Panik überkam ihn bei ihrem Anblick, wie sie da im Dunkel auftauchten. Todesangst. Er durfte dem Boot nicht folgen, er wollte nicht! Er musste weg, doch die Insel wartete in Nacht und Nebel, flach auf das Wasser gekauert wie eine Katze vor dem Angriff. Die Pestinsel zog ihn an. Sie rief ihn. Sie wusste längst, dass er kam! Es war zu spät... Wenn er weg blieb, würde sie ihn finden. Heute Nacht, morgen, in einer Woche. Es gab kein Ausweichen.

Nein... Nein! 

Mit einem lauten Keuchen kam er von seinem Lager hoch. Hatte er geschrien? Valerio sollte ihn nicht hören, das war sein erster Gedanke. So saß er eine Weile, die Fäuste in die Decke gekrallt, und atmete nur... starrte in die Dunkelheit, wartend, dass sein Herzschlag sich beruhigte.

Langsam fand er wieder zu sich. Die Stille machte ihn fertig. Er war hellwach, seine Augen wurden trocken, denn er starrte immer noch in die absolute Schwärze des Raumes, versuchte sie zu durchdringen. Von Sekunde zu Sekunde erwartete er darin den Turm auftauchen zu sehen, das Feuersignal... Er fuhr mit den Handflächen über sein Gesicht, fühlte Nase und Stirn. Wie kalt sie waren! Er rieb seine Augen und blinzelte. Er starrte wieder... Da war kein Turm, kein Feuer. Kein Wassertor. Er atmete tief durch. Er war wach.

So viel war auf ihn eingestürmt, seit er hier war... Und kaum war Zeit gewesen, es zu verarbeiten. Kein Wunder, dass er unruhig schlief und solche Träume hatte!

Er zog die Decke vor der Brust hoch und stopfte sie hinter seinem Rücken fest. Als er ein kleiner Junge war, hatte er das immer so gemacht. Wenn er in Panik aufgewacht war. Es war dasselbe Dilemma wie jetzt: Im Sitzen fühlte er sich unsicher, weil nichts seinen Rücken schützte - aber wenn er sich nach dem Schreck zu früh wieder hinlegte, erschien ihm seine Position unerträglich hilflos... Also blieb er aufrecht sitzen und gruselte sich ein wenig wegen des fehlenden Schutzes im Rücken, beschäftigte sich damit, seinen Kopf möglichst schnell von Fantasie und "alles ist möglich" auf Realität und "alles ist unter Kontrolle" umzustellen.... und scheiterte kläglich. Beinahe lachte er über sich selbst. Er befand sich im Haus eines Vampirs! Und er war außerhalb der Sphäre, in die er hinein geboren war... Das war die Realität, die er seinen überreizten Nerven anbieten konnte! Das reichte keinesfalls, um beruhigt zu sein.

Gut, dachte er. Das Licht. Er musste Licht haben. Valerio hatte die Streichhölzer am vergangenen Abend dazu verwendet, die Kerzen im Leuchter anzuzünden. Irgendwo hier neben seinem Lager mussten sie liegen! Unsicher tasteten seine Finger über die Holzdielen. Da waren sie! Blind angelte er nach dem Leuchter, den er an seinem Kopfende stehen gelassen hatte, warf die Decke zurück und schwang die Beine über die Kante.

Der Leuchter fand Platz zwischen seinen Füßen, seine Finger öffneten zitternd die Streichholzschachtel und er fischte eines der dünnen Hölzer heraus. Das erste brach ab und er ließ es auf den Boden fallen. Das zweite Streichholz zischte, die Flamme blitzte auf und erstarb beinahe wieder in der Zugluft - aber dann erholte sie sich. Mit bebenden Händen hielt er sie an den ersten Docht.

Flamme um Flamme breitete sich das warme Licht im Raum aus und Magnus begrüßte es erleichtert. Der hölzerne Fußboden und sein Lager wurden sichtbar, die verwaschenen Blüten und Zweige seiner gesteppten Decke - dann gewann der Schein an Umfang und erfasste auch seinen Kleiderstapel, den Kamin und die wenigen Möbel. Das war schon besser! Erleichtert warf er die Streichholzschachtel auf seine Bettecke, schob den Leuchter aus dem Weg und stemmte sich hoch.

Im Raum war es kalt. Eine Gänsehaut überzog seine nackte Brust, als er ratlos stehen blieb. Warum war er aufgestanden? Und wie spät war es überhaupt? Sein Handy... hätte es hier funktioniert, wenn er es mitgenommen hätte? Es gab keinen Strom im Haus... Er hätte es nirgends aufladen können. Und seltsam - Valerio schien keine Uhren zu besitzen, jedenfalls hatte Magnus in keinem der Räume eine gesehen.

È mezzanotte, es ist Mitternacht, hörte er Valerio in seiner Erinnerung sagen - In der dunklen Gasse hatte er es gesagt, als er ihm das Feuerzeug an seine Uhr hielt. Valerio hatte selbst gar nicht hingesehen, er hatte ihm nur das Ziffernblatt gezeigt. Auch auf eine eigene Armbanduhr hatte er keinen Blick geworfen... Er hatte keine getragen. Er hatte es einfach gewusst.

Den Kerzenleuchter im Rücken starrte er auf die Fensterscheibe, die jetzt eine unscharfe Spiegelung des spärlich erhellten Raumes zeigte - und ihn selbst als schattenhafte Silhouette darin. Hinter der Scheibe war schwarze Nacht. Oder nein, was war das... Irgendein Licht musste da draußen flackern, denn die Krone der alten Eiche hob sich ganz schwach von der Finsternis ab. Ihr unteres Drittel leuchtete in mattem Rost, während alles andere sich im nächtlichen Dunkel auflöste.

Wer konnte dort draußen sein? Valerio fiel ihm ein, aber was sollte er dort mitten in der Nacht zu tun haben? Andererseits.... Magnus hatte ihn nicht gefragt, ob sie in dieser Zeit und an diesem Ort auch anderen Menschen begegnen würden. Irgendwie hatte er sich vorgestellt, sie seien allein - aber wenn er jetzt darüber nachdachte, fand er nichts, was diese Annahme begründen würde. Er überlegte noch, ob er hier oben am Fenster gesehen werden konnte - und ob es überhaupt notwendig war, sich zu verstecken - da war er auch schon die zwei Schritte bis ans Fenster getreten.

Dort unten saß jemand, inmitten einer Fläche aus wildem Gras und umgeben von alten Bäumen. Er sah eine dunkle Silhouette, die körperliche Umrisse, aber keine Kleidung erkennen ließ. Der Mann schien nackt zu sein. Er saß unbeweglich und mit dem Rücken zum Haus. Vor ihm loderte ein Feuer. Auch ohne den imposanten Drachen, den die Dunkelheit vor Magnus verbarg, indem sie seinen Rücken in Schatten hüllte, erkannte er ihn jetzt. Der Wind zerrte an den Bäumen, den Flammen und seinen Haaren. Es war Valerio.

Er war auf einmal hellwach. Was tat er dort unten um diese Nachtzeit? Es musste kalt sein.

Unsicher wandte er sich in den Raum zurück. Seine Kleidung fiel ihm ins Auge. Er dachte nicht nach, er hätte nicht sagen können, was ihn antrieb. Er ging hinüber, griff sich die Hose und schlüpfte hinein. Die Ärmel waren noch an die Tunika geschnürt, den Gürtel ließ er liegen. Wo waren eigentlich seine Schuhe? Er hatte sie nicht mehr gesehen, seit... es fiel ihm nicht mehr ein. Barfuß lief er zum Leuchter hinüber, nahm ihn vom Boden auf, öffnete die Tür und ging in den zugigen Flur hinaus.

Das Haus war still. Nur der Wind heulte in den Kaminen, wie die Stimmen unruhiger Geister drang es an sein Ohr. Einen Moment lang fühlte er sich sehr klein bei der Vorstellung, dass er hier nun allein war. Wie hielt Valerio das aus, wie lebte er in diesem Haus, Jahr für Jahr, ohne jede Gesellschaft, ohne Freunde und Nachbarn oder ein Leben da draußen? Oder lud er sich Freunde ein? Kannte er hier irgendwen - erhielt er vielleicht Besuch aus der Vergangenheit? Wahrscheinlich war er oft gar nicht hier, sondern irgendwo in vergangenen Jahrhunderten und an anderen Orten unterwegs. Wie wenig er doch über ihn wusste.

An der Treppe zögerte er kurz. Kalte Zugluft kam ihm vom Erdgeschoss entgegen. Sie wuchs hier zu einem Wind an, der die Kerzen beinahe ausblies. Die Halle raunte und wisperte unter ihm, der Wind schien sich dort unten zwischen den hohen Wänden zu fangen. Seine Füße wagten vorsichtig einige Schritte über die kalten Stufen, aber nach den ersten Metern wurde er schneller. Die eine Hand am Treppengeländer - vorsichtshalber, denn die Treppe jagte ihm Respekt ein - und mit der anderen Hand den Leuchter umklammernd, rauschte er geradezu die Stufen hinunter.

Du erbärmlicher Feigling, schalt er sich und war zugleich ganz auf der Seite des Angsthasen, der er war, seit ihn der seltsame Traum geweckt hatte. Diese Eindrücke der Pest, die ihm auf unterschiedliche Weise begegneten... Wie sie einander ähnelten!

Er erreichte das Ende der Treppe. Seltsam ... da war der Traum, der ihn gerade aus dem Schlaf gerissen und in dem er nicht viel zu sehen bekommen hatte - und doch hatte er gewusst, dass die Fahrt zur Pestinsel ging! Und davor hatte er diese eigenartige Vision gehabt, während Valerio ihm demonstrierte, wie gefährlich das Reisen durch die Zeit ohne Augenbinde war... Er war verrückt gewesen, sich von ihm auf der Insel absetzen zu lassen! Immer noch dachte er mit Grauen an den Mann, der ihn an der Schulter berührt und gelacht hatte. Und an die Karren voller Leichen. Und dann war da noch die Zeitreise nach Assisi und Caterinas Traum in Valerios Haus - Ihr Traum, den er so intensiv miterlebt hatte, als sei es sein eigener gewesen. Und immer ging es um die Pest! Vielleicht konnte Valerio ihm Antworten dazu geben, dachte er, während er vermied in die hohen Spiegel zu blicken. Mit schnellen Schritten durchquerte er die Halle Richung Wassertor.

Wie unwohl er sich hier unten fühlte, wenn Valerio nicht bei ihm war. Er gab sich große Mühe nicht auf das flüsternde Echo zu achten. Er wusste, es war nur der Wind - und doch gab seine Fantasie den aberwitzigen Glauben nicht auf, die Stimmen könnten ein Widerhall vergangener Leben sein, die aus den Spiegeln kamen... Er hatte den Mann mit dem Pferd darin gesehen. Den Mann, der seine Augen hatte.

Ende Teil 113







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