(14/1) Morgenröte

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[Wer sich die Musik zur Szene gönnt, erlebt den Film "Weltentanz", nicht das Buch! ;-) ]

Man sah es den Wolken noch an; die Ränder bizarr zerfetzt und aufgerissen,  ausgedünnt und flach, standen sie vor der sanften Morgenröte. Hinter der Silhouette der dichten Bäume konnte er die Sonne nur ahnen, aber ihr erwachendes Licht dehnte sich bereits über den Horizont.

Es war still hier draußen. Das war nicht in Ordnung. Gab es kein Vogelgezwitscher? Wo waren die Laute der Tiere? Nur der Wind, der sich seit der Nacht beruhigt hatte, bewegte mit leisem Rauschen die Wipfel und strich ihm kühl durch die Haare.

Barfuß stand er da, frierend trotz der Decke, in die er noch immer gehüllt war. Die Leere, die er spürte, kam nicht von seinem Magen.

Valerio war nicht zurück gekommen. Nicht in der Nacht - und auch bis jetzt nicht.

Es mochte gegen Sechs sein, vielleicht etwas früher. Vielleicht war er ungeduldig. Vielleicht beherrschte ihn die Angst mehr als angemessen war - aber was war in seiner Lage denn angemessen? Er kannte sich nicht aus! Der einzige Aspekt, den diese Situation barg und mit dem er bereits genug Erfahrung hatte, war... das Verlassensein. Der Alptraum des Vergessenwerdens, des Übrigbleibens. Die Unmöglichkeit gehört zu werden. Wie - wie sollte er Kontakt aufnehmen! Wie sollte das geschehen, wenn er die Wege nicht kannte? Oh, sie hatten die falschen Gespräche geführt, die falschen Themen besprochen. Er hatte ihn fragen wollen, wie er ihn gefunden hatte - Ob es überhaupt so war, dass Valerio ihn fand... oder ob er selbst ebenfalls Kontakt aufnehmen konnte. Bisher meinte er verstanden zu haben, dass es seine Emotionen waren, auf die Valerio reagierte. Oh verdammt, hier stand er doch! Schickte seine Verzweiflung, seine Fragen in die Welt! In diese Welt, die hier vor seinen Augen lag - was immer sie sein mochte.

Ja - Valerio war nicht hier, das verstand er. Er war in einer anderen Zeit. Aber hatte er nicht gesagt, er könne dort sein und zugleich auch auf ihn achten, als er im Wasser lag - in dieser Zeit, in dieser Sphäre? Dann musste es unwesentlich sein, in welcher Zeit, an welchem Ort er jetzt gerade war. Er musste ihn hier stehen sehen, ihn in seiner Angst wahrnehmen.

Einige Schritte stolperte er über das verdorrte, feuchte Gras, lief ziellos hierhin und dorthin. Suchte den Boden ab nach irgendwelchen Spuren, denn jetzt, wo die Wiese im Licht lag, gab es vielleicht Wichtiges zu entdecken. Zeichen. Lebenszeichen. Er hob den Kopf, seine Augen schweiften unruhig über die Begrenzung der Wiese, zum Kanalufer hinüber, dann zur anderen Seite und an den dunklen Bäumen entlang. Zögernd wandte er sich der Feuerstelle zu, der Boden war schwarz, verkohlte Äste lagen wie ein verwester Brustkorb darüber. Da war nichts. Die Worte von Nicolò Pellegrini kamen ihm wieder und wieder in den Sinn: Die Gehirnerschütterung. Man sah und erinnerte Dinge, die nicht real waren.

War gestern Nacht ... nicht real? War das hier, dieser Moment, in dem er hier stand, nicht real? Oder ihre gesamte Begegnung und auch Valerio selbst nicht - und er befand sich unter Medikamenten in irgendeiner Psychiatrie und halluzinierte? Vielleicht waren die Gehirnerschütterung und sein seltsames Verschwinden nach Giulias Abreise durchaus real gewesen und Nicolò hatte ihn später tatsächlich in die Klinik einweisen müssen. Und er selbst? Wusste er es nur nicht, weil sein Gehirn Schaden genommen hatte ... und war nun in einem inneren Niemandsland gefangen, einer ... nicht endenden Halluzination?

Die Idee war beängstigend. Wenn er darüber nachdachte, war er sehr froh, dass er Valerio unmittelbar vor dessen Verschwinden noch berührt hatte. Seine Hand, sein Arm waren keine Halluzination gewesen, sondern ... echt. Lebendig.

Ja, er wusste durchaus, dass eingebildete Dinge unter bestimmten Umständen absolut realistisch wirken konnten, er hatte davon gelesen! Er zog die Decke, die er vor seiner Brust zusammen hielt, noch ein wenig mehr an sich, beugte sich vor und besah seine nackten Füße. Es war ein wenig Ruß und Dreck daran, von der Umgebung der Feuerstelle und dem Boden unter den Zypressen, er war durch den Regen aufgeweicht. Zögernd bückte er sich, streckte den Arm aus und wischte mit dem Daumen kräftig über seinen großen Zeh. Wo der Daumen strich, löste sich der Ruß und übrig blieb eine helle Spur auf der Haut. Langsam richtete er sich wieder auf, besah nachdenklich den geschwärzten Daumen und verrieb den Ruß mit dem Mittelfinger. Er löste sich und verschwand. Sein Magen knurrte laut. Auch der Hunger war echt.

Er ertrug die Wiese nicht mehr, nicht das Warten auf die Sonne, auch die Stille nicht. Er wollte ins Haus gehen, sehen, dass er etwas zu essen fand. Er war übermüdet und in einem Schockzustand, er musste jetzt etwas Normales, Alltägliches tun, irgendetwas. Auf den Teppich kommen. Zeit vertreiben. Damit sie verging und er sich dem Zeitpunkt nähern konnte, an dem Valerio zurück kommen würde.

Ja, das war es! Er brauchte ein Konzept, das die Angst kontrollierte! Er nahm sich vor, erst einmal den Tag herum zu bekommen. Wie, das würde sich ergeben, es war egal. Wichtig war, dass er jetzt nicht durchdrehte und dass er nicht vor morgen früh neue Erwartungen an Valerios Rückkehr schürte. Damit er an seiner verzweifelten Hoffnung nicht weg stürzte, wenn er bis morgen nicht wieder kam. Und morgen ... morgen! Da würde er weiter sehen. Er musste die Zeit in Abschnitte teilen, Teile, die mit möglichst viel Beschäftigung und möglichst wenig Warten und absolut keinem Hoffen angefüllt waren. Denn mit enttäuschter Hoffnung konnte er jetzt gar nicht gut umgehen.

Wer wusste denn, was Valerio tat und womit er beschäftigt war! Er würde ihn nicht vergessen, er wusste doch genau, er konnte ohne ihn nicht wieder in seine Welt zurück finden. Er würde hier verhungern und an Einsamkeit und Verzweiflung sterben.

In den letzten Tagen hatte Valerio viel von Vertrauen gesprochen, das kam ihm nun in den Sinn. Von Mut und dem Vertrauen in sich selbst und in das Leben. So sehr er seine Worte auch fürchtete - denn ihre Bedeutung erschien ihm so fremd, wenn er versuchte sie nachzufühlen - so sehr machten sie ihm auch Mut. Was er gesagt hatte, seine Gedanken, seine Weltsicht hatte eine so große Kraft, das war stärker als er. Stärker als seine Angst. Man sollte nicht erstarren, sich nicht in seine Angst ergeben, sich nicht zu sehr in Ziele verbeißen. Man sollte einfach in Bewegung bleiben. Die Dinge würden einem entgegen kommen, hatte er gesagt.

Hier war er nun, ohne Netz und doppelten Boden, allein mit seiner Unvollkommenheit und seinem katastrophalen Zustand des Misstrauens und der Angst. Er hatte eine kleine, noch theoretische Anleitung zum Leben in seiner imaginären Tasche - und damit würde er heute etwas bewirken. Er musste. Zitternd und hungrig wandte er sich zum Haus und stapfte auf die alten Zypressen zu.

Ende Teil 118

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