(14/10) Stumm

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Mit einem Stoß entwich alle Atemluft aus seinem Brustkorb. Er vergaß einzuatmen. Seine Beine, die Knie knickten von selbst ein, er fiel mit dem Rücken gegen den Türrahmen, rutschte daran herunter, bis er auf dem Boden saß. Das war zu schnell gegangen. Er kam nicht mehr mit, es war zu viel auf einmal. Lena... und der kleine Tom! Er fuhr sich mit den Händen durch das Gesicht, er wischte den Schweiß von Stirn und Nase, dann blieben seine Finger über den Lippen liegen. Wild blickte er um sich, fassungslos, die Dunkelheit gab ihm keine Orientierung. Er knetete seine Unterlippe, strich seinen Bart über dem Kinn, kräftig und immer wieder, so dass er es zwischen Daumen und Zeigefinger spürte... Zitternd atmete er ein. Er brauchte Sicherheit, dass er diesmal nicht träumte.

In einem anderen Leben, zu einer anderen Zeit, da hätte er sich an die Stirn geklatscht und sich gefragt, ob er völlig durchdrehte! Aber hier, jetzt... Das war echt! Er hatte sie gesehen! Und sie... Lena... Sie hatte ihn gesehen! In dem Moment, als er auf ihren Ruf antwortete, da... da war sie aufgestanden aus dem Armlehnstuhl! Hatte sich zu ihm umgedreht und... war einfach durch diesen Stuhl hindurch gelaufen. Wie nichts! Wie... Wie durch ein Laserbild, das jemand in die Luft projizierte!

Oh, er konnte so stur sein! Wenn er etwas nicht haben wollte, dann konnte er es einfach verleugnen! Er machte das immer so, er hatte Übung darin - und es funktionierte! Geister gab es nicht, verdammt nochmal! Aber wenn einer auf ihn reagierte... Er hörte auf, Lippe und Bart zu bearbeiten und knetete nun stattdessen seine Finger. Er drehte und presste die Knöchel, bis sie schmerzten, seine Gedanken gingen im Kreis. Er musste das ernst nehmen! Er musste... Ruhe haben, einen klaren Kopf. Ja. Er brauchte jetzt Ruhe. Schlaf. Er musste sich sortieren. Er war seit zwei Tagen und Nächten wach.

Als er sich vom Boden hoch stemmte, war sein Gesicht eiskalt. Er fühlte seine Lippen; sie kribbelten, ihm war schwindelig. Zweimal wandte er sich in den zugigen Gang, zweimal sah er über die Schulter in den Kaminraum zurück. Da war nichts mehr. Nichts. Nur das Licht der Blitze zitterte über die Wände... Er mochte sich kaum von dem Raum lösen. Du kannst dich hier jetzt nicht hinstellen und warten, bis das noch einmal geschieht, sagte er sich. Es ist vorbei. Du bist fertig. Geh ins Bett. Schlaf.

Die rechte Hand an der Wand tappte er durch den dunklen Flur, wie betäubt, Schritt für Schritt, ohne Zeitgefühl, während hinter ihm das Licht der Blitze aus dem Kaminraum hinaus und gegen die fleckigen Wände zuckte. Er war ganz nach innen gekehrt, er konnte gar nicht sagen, was er dachte, alles rauschte und drehte sich in ihm. Beinahe hätte er seine Tür verpasst... Als er den rechteckigen Schatten in der Wand sah, wandte er sich nach links, auf die andere Seite des Ganges hinüber, taumelte unter dem Türrahmen hindurch und drückte die schwere Tür hinter sich zu. Die Vorhänge standen offen. Der Mond warf einen Silberstreifen über den dunklen Boden.

Er wusste nicht, wie er zu seinem Lager hinüber gelangt war. Als seine Zehen gegen etwas Festes stießen, kam er einen Moment zu sich - nur, um sich auf die Matratzen sinken zu lassen, seine Decke zu greifen und sich halbwegs darunter zu rollen. Kaum hatte er die Beine an den Körper gezogen und die Augen geschlossen, schlief er auch schon.

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Rastlos irrte er durch die Gassen. In der Dunkelheit konnte er kaum etwas erkennen; nur aus dem seltsamen Nebel, der über den Boden kroch, glomm ein schwaches, krankes Licht. Er suchte etwas, verzweifelt, voller Angst... Er hatte keine Zeit, er musste sich beeilen. Die Häuser standen so eng. Sie wechselten ihren Platz, wandelten Größe und Gestalt, so oft er ihnen den Rücken kehrte. War er hier schon gewesen? Oder da vorne? Dort drüben? Wo ging es weiter? Die Gassen wurden immer schmaler, ihm blieb keine Zeit mehr... Sie führten zu Kanälen, die allesamt gleich aussahen, sie waren nicht zu unterscheiden. Das Wasser war schwarz. Er suchte den Kanal mit der Gondel, er wollte den Weg zu Valerios Haus finden, musste ihn dringend sprechen. Aber das Labyrinth der Häuser, Treppen und Wasserwege war gigantisch groß. Und es veränderte sich fortwährend, es machte ihn verrückt, er war chancenlos. Nur wenn er still stand, sich nicht mehr rührte, hörte es auf. Aber so kam er niemals ans Ziel. Also lief er weiter, verwirrt und müde, immer weiter und weiter, bis der Mond hinter rostigen Wolkenschleiern hervor kam und den Platz mit der Treppe beleuchtete.

Hier hatte er ihn gefunden ... aber er war nirgends zu sehen. Der Platz war leer unter dem kalten Mond, die Treppe lag verlassen da. Eine wilde, schmerzvolle Verzweiflung übermannte ihn, und die grausame Erkenntnis: Er war unerreichbar. Er kam nicht mehr zurück, er hatte ihn vergessen. Wie stumme Zuschauer standen die Schatten an den Hauswänden; sie waren Zeugen, sahen zu, wie das Mondsilber, das ihm im ersten Moment so viel Hoffnung gemacht hatte, zu Staub zerfiel. Er sank auf die Knie nieder, starrte zur Treppe hinauf, wartete. Entgegen jeder Vernunft. Er ist tot, er ist tot, die Worte echoten in jeder seiner Zellen. Er kam nicht wieder. Er weinte. Seine Welt war nicht mehr. Sie war verschwunden, aufgelöst, weg gefallen.

...Magnusss.

Lena stand vor ihm. Schmal war sie, sie sah unendlich blass und müde aus. Sie hielt den schlafenden Tom auf dem Arm, presste ihn an sich. Er wirkte wie tot. Magnus. Fahr uns nach Hause. Wir wollen nach Hause. Er schüttelte den Kopf, er konnte nicht sprechen. Fahr uns nach Hause, sagte sie und ihr Mund bewegte sich nicht. Ihre Augen waren geschlossen. Er konnte nicht antworten. Noch einmal bat sie ihn. Fahr uns nach Hause, wir ... sind müde. Er konnte nicht. Er konnte sich nicht bewegen, er brachte keinen Ton heraus. Also schüttelte er den Kopf, immer und immer wieder, aber sie öffnete ihre Augen nicht, sie sah ihn nicht. Sie wandte sich ab. Er wollte sie aufhalten, aber sie stieg in das Auto. Nicht, dachte er. Fahr da nicht mit. Steig wieder aus. Steig aus! Aber es war zu spät.

Die grausame Schuld brannte in ihm, sie erstickte ihn. Du hast Schuld, sagte seine Mutter und sah an ihm vorbei. Sie streckte eine Hand aus, blind, reichte ihm eine Karte. Die Nummer dreizehn der großen Arkana. Der Tod auf dem Pferd. Der Reiter war Valerio. Er wollte sich bemerkbar machen, aber auch jetzt konnte er nicht sprechen, er blieb stumm. Valerio zog die Kapuze seines Mantels über den Kopf, trieb das Pferd an und ritt davon. Panisch schrie er hinter ihm her, wortlos, verzweifelt ... bis er ihn in der Ferne aus den Augen verlor.

Valerio hatte ihn nicht gehört. Niemand würde ihn jemals mehr hören. Er hatte keine Stimme. Die Hauswände waren so nahe... schwarzes Wasser floss um seine Füße, bedeckte die Malereien unter seinen Sohlen, die Engel, Spruchbänder und Wolkenformationen. Die Sterne ... die Bodenfliesen brachen auf, sie schoben sich auseinander und der Schlamm der Lagune quoll dazwischen hervor. Er versank in der kalten, dickflüssigen Masse, sank tiefer und tiefer, bis auf den dunklen Grund, hinab zu den bleichen Gerippen von Ratten und Menschen. Millionen farbiger Glassplitter lagen dort unten... das Licht des Mondes würde niemals bis in diese Tiefe reichen.

Ende Teil 127



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