(14/3) Magnus

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Der Effekt der Ablenkung, den er sich durch das Essen erhofft hatte, hielt viel zu kurz an. Während er von seiner zweiten Scheibe Brot abbiss, hatten die angstbesetzten Gedanken seinen Kopf bereits zurück erobert.

Er wollte das hier durchstehen! Bis morgen würde er sich keine weiteren Gedanken oder Sorgen machen. Valerio wusste erstens ganz sicher, worauf er sich einließ, und zweitens würde er sehr bald wieder zurück sein. Und was ihn selbst betraf: Für ihn war doch gesorgt! Nichts konnte ihm passieren, alles war ok. Soweit. Von nichts anderem sollte er hier überzeugt sein. Er konnte ruhig und gelassen überlegen, was in diesem Haus zu tun war, um den Tag und die nächste Nacht herum zu bekommen. Und wenn Valerio zurück kam, konnte er ihn verfluchen und auf ihn schimpfen, dass er ihm einen solchen Schreck eingejagt hatte. Bis dahin zählte nur eines: dass er die Nerven behielt.

Trotzdem - er brauchte Beschäftigung. Es gab keinen Fernseher, kein Radio, kein Handy, kein Internet, keine anderen Menschen. Er brauchte also entweder etwas sehr Körperliches, das ihn müde machte und ihn heute Nacht gut schlafen ließ, oder etwas für seinen unruhigen Geist. Etwas Starkes musste es sein, etwas, das ihn wirklich fesseln konnte.

Ja! Er wollte seine Leidenschaft für Entdeckungen und Geheimnisse zum Einsatz bringen. Vielleicht sollte er das Haus erkunden. Er konnte sich nach und nach die Räume und Ecken vornehmen, die ihm interessant erschienen. Aber es war sinnvoll, sich alles ein wenig aufzuteilen, denn wer wusste schon, wie lange er sich hier allein beschäftigen musste. Und danach... danach konnte er lesen! Er dachte an die Bücher in Valerios Raum. Dort lagen sie kreuz und quer um sein Lager herum, auf dem Fußboden und in greifbarer Nähe. So, als würde er sie um sich brauchen. Sie vielleicht gerade lesen, in stillen Stunden danach greifen.

Was beschäftigte jemanden wie ihn, was waren seine Interessen? Einen Moment lang starrte er still in die kalte Asche des Kamins. Oh, er wollte nicht in seinen Sachen stöbern, so meinte er es nicht! Er würde nichts Privates anrühren. Nur ein wenig mehr Klarheit über das magische Wesen, das Valerio war, wollte er finden. Es ging nicht darum, irgendwelche intimen Geheimnisse aufdecken, er wollte nicht in Persönliches vordringen, sondern nur ...

Er schob sich den Rest seines Brotes in den Mund, aß die zweite Tomate, trank sein Wasser aus und stand entschlossen auf.

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Die Flügeltüren des Kaminzimmers ließ er weit offen, das Tageslicht drang aus dem großen Raum einige Meter in den Gang hinein. Dahinter blieb es dunkel. Als er unter dem breiten Türrahmen stehen blieb, schützte er die flackernden Kerzen mit dem Körper vor der Zugluft. Er horchte nach links zum Treppenaufgang hinüber. Das gehörte zum Plan, es war kein Rückfall. Es war realistisch anzunehmen, dass Valerio auch mitten am Tag, auch heute schon, ganz unerwartet zurück kehren konnte. In diesem Fall sollte er ihn nicht mit hochgekrempelten Ärmeln und kopfüber in seinen Sachen finden! So etwas war höchstens ab dem fünften Tag zu entschuldigen - dann, wenn alles eindeutig nach einer ernsten Situation aussah und man verständlicherweise nach Hinweisen suchen musste, die einen besseren Überblick über die Lage geben konnten. Oder nach Dingen, die für das eigene Überleben notwendig waren.

Aber er war erst seit gestern Nacht weg. Bisher galt also eher, dass man sich nach Verpflegung, Unterhaltung und einer Notiz, einer Nachricht umsehen durfte; vielleicht hatte er ihm etwas hinterlassen, das ihm bisher entgangen war. Etwas, das sein Verschwinden erklären konnte.

Er wollte darauf achten. Aber jetzt brauchte er erst einmal wirklich fesselnde Lektüre - und dazu durfte er wohl Valerios Raum betreten! Es war nicht falsch anzunehmen, dass er seine wichtigsten Bücher nahe bei sich aufbewahrte, und nicht zum Beispiel in dem staubigen und dunklen Chaos, das im Gang zwischen Kaminzimmer und Küche herrschte.

Noch einmal hielt er den Atem an und lauschte zur Treppe hinüber. Von unten aus der Halle hörte er nichts. Der stürmische Wind hatte sich seit Stunden gelegt, es war ein schöner Tag. Vielleicht sollte er nachher noch ein wenig nach draußen gehen? Die frische Luft tat ihm sicher gut. Tief atmete er ein und wandte sich nach Rechts und in den dunkleren Teil des Ganges, an dessen Ende Valerios Raum lag.


...agnu...ss...

Es war der Hauch einer Stimme, nicht mehr. Jemand - etwas ... hatte seinen Namen gesagt.

Wie angewurzelt blieb er stehen. Den Fuß bereits zum nächsten Schritt erhoben hätte er beinahe das Gleichgewicht verloren, den Leuchter fallen gelassen. Sein Herz hämmerte. Sein Mund war trocken. Es war von links gekommen, über die Treppe. Von unten. Aus der Halle.

Der Wind, dachte er. Es war der Wind. Angestrengt und mit einer schmerzenden Gänsehaut auf den Unterarmen horchte er auf Stimmen und Geräusche von der Halle. Aber da war nichts. In seinem Kopf fiel alles durcheinander. Der Wind war es also. Der Wind ... der heute nicht wehte.

Also gut. Er schluckte trocken. Er musste nachdenken. Logisch und klar. Als er das Fenster in der Küche geöffnet hatte, war an den Zweigen der alten Ulme, die auf der anderen Seite des Kanals wuchs, kein Hauch zu sehen gewesen. Als er die Vorhänge im Kaminzimmer beiseite zog, hatte das Efeu in den Fensterhöhlungen nicht ansatzweise gezittert.

Es gab keinen Wind. Es war ... eine Stimme. Ganz leise zwar, schwach und fern irgendwie. Und entweder fehlte etwas vom Klang, von den Lauten seines Namens, oder er hatte zu spät hin gehört. Oder nicht genau genug, aber es hatte nicht nach Valerio geklungen. Denn seine Stimme enthielt so vieles, was hier eben gänzlich gefehlt hatte. Sie hatte sich ihm in die Seele gebrannt. Auch, wenn er nur geflüstert hätte: Er hätte gewusst, dass er es war. Und das war es, was ihn von dem Gedanken ab brachte, es könnte überhaupt jemand nach ihm gerufen haben. Denn wenn an diesem Ort jemand seinen Namen sagte, sich an ihn wandte, dann musste es Valerio sein. Wer sonst konnte wissen, dass er hier war!

Er ignorierte das leise Flattern seines Atmens und das Gefühl der plötzlichen Kraftlosigkeit in der Hand, die den Leuchter hielt, als er sich mit vorsichtigen Schritten dem Geländer der Treppe näherte. Nur halb wollte er hinunter gehen. Höchstens. Einen kurzen Blick in die Halle werfen, einen Moment lauschen. Vielleicht ein "Ist da jemand", ein fragendes "Hallo" in die Dunkelheit schicken - so wie man es in Spukhäusern tat. In diesen erdachten Geschichten, die so altmodisch und albern waren. Jedenfalls hatte es in den Geschichten, die Lena gerne gelesen hatte, immer diese klassischen Szenen gegeben. Jemand war allein in einem großen Haus, es gab einen zugigen, dunklen Flur, einen Treppenaufgang. Und dann: eine Stimme aus dem Off. Und Gänsehaut.

Gut, gestand er sich,  die Gänsehaut hatte er! Aber kalte Luft verursachte so etwas - und Müdigkeit. Er hatte in der letzten Nacht höchstens drei Stunden geschlafen. Dass er eine reale Gänsehaut hatte, bedeutete ja nicht automatisch, dass all das andere, was da gewesen sein mochte, ebenfalls Fakt sein musste!

Als sie jünger waren, hatte Lena ihn hier und da überredet, ihr zuzuhören, während sie ihm die besonders spannenden Stellen vorlas. Szenen, die ihn gelangweilt hatten. Weil er sie für Quatsch hielt. Mit Lena hätte er jetzt darüber lachen können. Sie hätten zusammen am Kamin sitzen und die restliche Salami und die Weintrauben aufessen können, während sie ihm etwas über diese anderen Sphären erzählte. Vielleicht hörte er Stimmen, weil er sich allein nicht wohl fühlte. Weil er wünschte und hoffte, dass Valerio ihn hier erlöste, dass er zurück kam und die Stille dieses Hauses wieder mit Leben füllte. Ja, das musste es sein: er hörte, was er hören wollte. Sein Unterbewusstsein erfüllte sich Wünsche. Und das ging ganz offensichtlich ein wenig auf Kosten seiner Nerven.

Die Erklärung war komplett und wasserdicht, die Sicherheit wieder hergestellt - im Grunde war sie ja nie gefährdet gewesen - und er auf dem Weg nach unten. Die Hälfte der Treppe genügte, auch wenn der Schein der Kerzen natürlich nicht die gesamte Halle ausleuchten konnte. Aber ob sich da unten ein Schatten bewegte, ob etwas anders war als sonst, das konnte er von hier oben einigermaßen erkennen. Vorsichtshalber fragte er nach. Er wollte alles erfüllt haben, was die Leute in diesen Spukgeschichten taten. Um dann alles zu den Hirngespinsten zu packen.

"Hallo...? Ist da jemand?"

Mit seinem Kerzenleuchter und der Art, wie er sich mit langem Hals über das Geländer beugte, kam er sich albern vor. In seinem Kopf lachte er laut über diese Situation. Das war pures Klischee - mit ihm in der Hauptrolle!

Wenn er dieses Spiel jetzt nicht beendete, löschte die Zugluft ihm noch die Kerzen. Kopfschüttelnd nahm er den Arm vom Treppengeländer und wandte sich wieder nach oben.


...agnu... ss.... Magnusss...

Er erstarrte. Der Druck auf seinen Brustkorb war plötzlich so groß, dass er nicht wusste, wie er Luft hinein bekommen sollte. Also stand er. Stand ... und starrte eine innere Ewigkeit lang auf die Treppenstufen, die vor ihm hinauf führten. Wollte sie nehmen, in riesigen Laufschritten. Weg. Weg von hier. Und zitterte doch nur mit gelähmten Beinen, mit versteinertem Rücken, wartete, bis die Welt sich wieder zu drehen begann, bis Luft in ihn hinein strömte und ihn wiederbelebte ... und lief.

Er lief die Treppen hinauf, sprang, wie gestern Nacht, gehetzt wie ein Tier, das unausprechbare Grauen im Nacken. Beinahe brachen ihm die Rückenmuskeln durch wie ein Brett, so steif und starr waren sie von dem furchtbaren Schreck.

Er sah nichts mehr, er hörte nichts mehr, achtete nicht auf die Flammen, ob sie brannten, ob sie aus gingen, nicht auf das heiße Wachs auf seiner Hand oder seine Füße auf den glatten Dielen. Er rannte den oberen Flur entlang, an den beiden Flügeltüren und dem Tageslicht des Kaminzimmers vorbei und weiter ins Dunkle hinein, er ließ seinen eigenen Raum links liegen, dann auch den Raum mit den Schränken und Valerios alten Sachen ... mit der Schulter prallte er hart gegen Valerios Tür, riss sie auf, wand sich hinein, schlug sie hinter sich zu und lief bis an die gegenüber liegende Wand. In äußerster Panik wandte er sich zur Tür um. Er dachte, sein Herz müsste sich selbst zermalmen.

Seine Faust umklammerte den Leuchter. Eine Kerze von sechs brannte noch. Er rang nach Luft, als hätte man versucht, ihn zu ertränken. Er schluchzte auf, er musste eine Haltung zu allem finden, irgendwie - irgendetwas, das hier jetzt funktionieren konnte. Zitternd, mit Übelkeit im Magen, drückte er sich von der Wand weg, ging in die Knie und stellte den Leuchter vor sich auf dem Boden ab. Dann lehnte er sich rückwärts gegen die Wand zurück, glitt daran hinunter, bis er saß, spürte den Boden unter sich, er gab ihm Sicherheit. Er lehnte sich nach links, gegen Valerios Schlaflager, ergriff die Decke, die da unordentlich zwischen den Kissen lag, zerrte sie zu sich herüber, über seine hochgezogenen Knie. Er fror. Er zog die Decke bis vor seine Brust, unter das Kinn, kauerte sich darunter, drückte die Nase hinein. Ambra. Patchouli.

Er musste zurück kommen. Er musste. Er hatte Angst vor der Nacht.

Ende Teil 120




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