(14/7) Kein Grund

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Meine Güte, dachte er und wandte sich vom Fenster ab. Das Starren brachte doch nichts! Aber er konnte nicht anders, er machte sich Sorgen. Zwei, drei Stunden noch, dann stand der Mond genau so wie gestern Nacht. Dann waren es schon vierundzwanzig Stunden...

Es wurde Zeit, dass er den Wein holte. Er würde nicht zulassen, dass nun alles wieder von Neuem begann. Er hatte heute hart daran gearbeitet, die Unsicherheit und Angst zu durchbrechen... und erfolgreich, wie er fand!

Heute brauchte er kein Buch mehr, er konnte kaum noch die Augen aufhalten. Er sollte zusehen, dass er Valerios Wein fand - in der Küche meinte er eine angebrochene Flasche gesehen zu haben - und dann konnte er am Feuer sitzen, sein Glas austrinken und ins Bett gehen. Der Abend war so gut wie zuende, jedenfalls für ihn, denn er war nun beinahe zwei Tage ununterbrochen wach. Lass den Mond alleine wandern und beende diesen Abend, dachte er todmüde, gab sich einen Schubs und schlurfte durch den Raum und zur Küche hinüber. Im Vorbeigehen nahm er den Leuchter vom Tisch mit.

Die Küche wirkte fremd. Er wusste erst nicht, was anders war, dabei war es so simpel. Das hier war nicht mehr Valerios Küche. Sein Geist, seine Persönlichkeit war kaum noch spürbar. Er hatte gründlich aufgeräumt; alles war so steril und blank, dass er sich beinahe wünschte, es möge hier und da ein Stück Leber herum liegen, eine fettige Pfanne, ein Stück Zwiebelschale, ein Messer. Kräuterreste auf dem Schneidebrett. Als er sich mit seinen Beschäftigungen durch den Tag rettete, hatte er über solche Dinge nicht nachgedacht.

Er ertappte sich dabei, dass er nach Spuren suchte. Er wollte Nähe herstellen - aber was hatte er getan! Er hatte alle Spuren beseitigt, die beiden Tüten mit Valerios Rosinen, beide aufgerissen und halb leer, hatte er zusammen geschüttet und verschlossen, die leere Tüte weg geworfen, der Ordnung halber. Nein, nicht wegen der Ordnung. Er hatte sich an dieser Küche abgearbeitet. Er hatte das gebraucht, und heute Mittag war es ihm wie eine gute Idee erschienen ... hätte er nicht Holz hacken können? Draußen? Anstatt hier drinnen die Dinge zu verändern?

Oh, er wusste ganz genau, dass er sich schon wieder etwas vor machte! Eine weitere fixe Idee spann er sich hier nun zurecht. Er war in einem nicht enden wollenden Strudel gefangen - der ihn nicht entließ, obwohl er eine These nach der anderen entwickelte, um die Auflösung dieser unfassbaren Situation zu erreichen. Irgendeine Stimme in seinem Bauch flüsterte ihm ein, dass Valerio vielleicht nicht zurück kommen konnte, wenn man sein Haus veränderte, seine Sachen wegräumte, die lebendigen Spuren seines Lebens beseitigte.

Was für ein Quatsch! So dachten Eltern über das Zimmer und die persönlichen Sachen ihres Kindes, wenn es vermisst wurde und man es nicht wieder fand. Und er verstand das auf einmal so gut. Vielleicht, weil in diesem Gedanken, so unrealistisch er sein mochte, auch für ihn selbst so viel Hoffnung steckte; Hoffnung, dass es Valerios Leben, seine Dinge, seine Räume hier sein würden, die ihn letztlich zurück holen konnten.

Ratlos blieb er in der Mitte der stillen Küche stehen. Er sah sich um, dachte nach. Und als er an dieser Idee schließlich noch ein wenig tiefer grub, stieß er auf einen ungeheuerlichen Gedanken: Darauf, dass er selbst und allein für Valerio keinen Grund darstellen konnte zurück zu kommen. Es klang verrückt und vollkommen albern, aber er wollte, dass buchstäblich alles hier auf Valerio wartete. Seine Leber, sein Wein, seine Zwiebelschalen, seine fettige Bratpfanne, die Asche in seinem Kamin, die Wiese hinter dem Haus ... und dann auch er selbst, ganz zum Schluss, mit brennender Angst.

Ja, er ganz besonders. Aber würde er ihn zurück locken können? Er allein gab doch keinen guten Grund ab - eigentlich für gar nichts, er war kein lohnenswertes Argument zurück zu kehren! Um es in Valerios Worten zu sagen: Er war weder Motivation, noch konnte er inspirieren. Ängstlich befürchtete er, dass das die Wahrheit über ihn war. Denn bisher hatte es immer gestimmt. Für seinen Vater. Für seine Mutter, die ihn niemals anrief, nicht nach ihm fragte... und zuletzt auch für Giulia. Sie hatte ihn in Venedig zurück gelassen, war verschwunden und nicht wieder gekommen. Ja, er wusste, sie hatte ihn nicht geliebt. Weil er selbst nicht einmal sagen konnte, wer er war und was er wollte.

Er war ein Niemand, ein Waschlappen. Fragte man seinen Vater, seine Mutter, sie würden dasselbe von ihm sagen. Und wer wusste schon, was Lena in Wahrheit über ihn gedacht hatte... oder Harald. Oder andere Freunde, die es ihm vielleicht nur nicht ins Gesicht sagen würden. Weil sie ihn kannten - und daher wussten, wie leicht sein Kartenhaus einstürzen konnte, wenn man ihm das Idealbild nahm, das er über sich selbst hatte. Valerio hatte dieses feine, scharfe Messer, mit dem er an ihm herum schnitt. Schale um Schale entfernte er seine Schutzmäntel und Tarnkappen, schnitt tief in die Schicht aus Lügen, Rechtfertigungen und erbärmlichen Glaubenssätzen. Um die Angst frei zu legen. Und dahinter zu sehen.

Oh ja... Valerio wusste, wie wenig inspirierend er war. Niemals hatte ihn jemand schneller und tiefer durchschaut. Das war es, was ihn so sehr verzweifeln ließ: Zu dieser Feigheit und Schwäche, diesem elenden Gejammer und Gewinsel, das ihn ausmachte, würde Valerio bestimmt nicht zurück kommen. Er konnte nur hoffen, dass diese Art plötzlichen Verschwindens nicht Valerios genereller Stil war, wenn er seinen Wohnort und seine Lebensumstände wieder einmal verändern wollte. Und dass er in ihm wenigstens ein interessantes Studienobjekt sah - denn er hatte die Faszination, mit der Valerio ihn und seine Regungen beobachtete, durchaus bemerkt.

Wie er seine Jammerei hasste! Selbstmitleid - das war noch viel schlimmer als Wein, wenn man sich emotional in einem so negativen Modus befand, es tat ihm nicht gut.

Er hatte Recht gehabt; es war noch etwas von dem Wein da, mit dem Valerio die Leber hinunter gespült hatte. Er nahm ein Glas aus dem Schrank. Er goss es nicht ganz voll, stellte die Flasche mit dem Rest wieder an die Wand zurück, dort konnte sie stehen bleiben. Die Flasche nahm er ganz bewusst nicht mit, denn er wollte sie nicht austrinken. Nur dieses kleine Glas, mehr nicht. Weil er es sich vorgenommen hatte - und weil ihm Regeln und deren Einhaltung jetzt irgendwie wichtig erschienen. Und dann ins Bett, damit das hier ein Ende hatte. Er ertrug es nicht mehr, sich beim Denken zuzuhören.

Den Leuchter in der Linken, das Weinglas rechts haltend ging er zurück ins Kaminzimmer. Er war viel zu müde, jetzt noch die beinahe herunter gebrannten Kerzen auszutauschen; also verzichtete er darauf, zündete nur schnell eine Fackel daran an und steckte sie in die Halterung auf dem Tisch. Bis die Kerzen ganz verbraucht waren, würde er fertig sein mit dem Glas...

Die Karten. Ob er mal eine ziehen sollte? Lena hatte das manchmal gemacht. Bei klaren Fragen, die klare Antworten brauchten, wie sie damals immer sagte. Natürlich wusste er die Bedeutungen dieser Karten nicht! Aber es war ja auch ein Spiel, nicht mehr! Und er hatte Lena auch nie ganz geglaubt, dass diese Motive tatsächlich sehr spezifische, festgelegte Bedeutungen haben sollten. Wenn er Kartenleger im Fernsehen beobachtete, wirkte es immer, als würden sie sich die Antworten in diesem Moment ausdenken...

Er sehnte sich nach der leichten und positiven Stimmung zurück, die er während der Beschäftigung mit den Karten empfunden hatte. Er war so herrlich fokussiert, so interessiert gewesen - und kein trübsinniger Gedanke hatte ihn mehr gequält! Und spielen... Es gab nicht viel, was mehr entspannte und zuverlässiger die Sorgen vertrieb.

Also! Warum sollte er den Abend nicht mit dem Ausprobieren dieser Karten beenden, dachte er und fühlte sich plötzlich viel weniger schläfrig. Er würde noch einmal lachen vor dem Schlafengehen, er würde sich gut unterhalten - und was die Deutung der Karten betraf, so musste er sich etwas ausdenken, musste sein Gehirn anstrengen und sich aus den Bildern etwas zusammenreimen.

Er nahm einen großen Schluck von seinem Wein, schob das Glas zur Seite, um mehr Platz zu haben, und setzte sich in seinen Armlehnsessel. Nun war er doch ein wenig unsicher. Wenn er dieses Tarot-Ding schon ausprobierte, dann musste das natürlich gut überlegt sein! Was immer er von Lena wusste, er wollte versuchen es umzusetzen, so gut es ging.

Zunächst, fiel ihm ein, brauchte er eine vernünftige Frage. Drei! Er wollte drei Fragen stellen! Das würde lustig werden... Erwartungsvoll nahm er die Karten in beide Hände, fühlte die abgegriffene Weichheit der Pappe. Unvorstellbar, dass sie Jahrhunderte alt waren und immer noch verwendet wurden... und jetzt von ihm.

Er wollte wirklich alles in seine Fragen legen, die Sache so ernsthaft beginnen, wie er konnte. Wenn er dabei nicht ernst war, würde der Spaß nur halb so groß sein! Außerdem hatte Lena auch immer betont, wie wichtig es war, dass man sich konzentrierte! Man durfte nicht mit den Gedanken sonstwo sein oder mit den Karten nur spielen, dann funktionierte es nicht. Er gab zu, er wollte spielen. Es war ein spielerisches Experiment. Aber das mussten die Karten ja nicht wissen!

Während er zu mischen begann - vorsichtig, damit er das Deck nicht noch mehr verschliss und beschädigte als es bereits war - dachte er über seine Fragen nach. Natürlich brannte ihm die Frage in der Seele, wann Valerio wieder kam - und auch, ob mit ihm alles in Ordnung war, ob es ihm gut ging. Aber diese Fragen waren ernst. So ernst, dass er sie in sein Spiel nicht einbeziehen wollte. Das war nicht gut, denn damit spielte man nicht. Damit machte man keine Witze.

Aber was sollte er fragen? Er konnte sich selbst einbringen, er hatte ja auch noch andere Fragen, zu seiner eigenen Person! Er war aber aktuell gerade so fern von seinem alten Leben, wie man nur sein konnte. Und er hatte daher Schwierigkeiten, hierzu ausgerechnet jetzt irgendwelche sinnvollen Fragen zu entwickeln - Denn wenn er darüber nachdachte, interessierte ihn momentan sein altes Leben gar nicht so sehr! Er war ganz hier.... und hier gab es völlig andere Fragen zu klären. Warum sollte er seine neueste Situation also nicht im Spiel einsetzen! Er konnte sich ganz auf sich selbst beziehen! Fragen gab es hier genug, aber er wollte gleich mit etwas Großem beginnen, um die Spannung zu erhöhen. Also wählte er Fragen, deren Beantwortung er sich tatsächlich sehr wünschte.

Was ist meine Situation, dachte er. Ja, das sollte seine erste Frage sein!

Gut, es war ja nicht so, dass er gar nichts darüber wusste; im Gegenteil, er war nicht völlig blind in seiner Lage, er wusste einiges. Aber dass er seine Situation bereits kannte, war ja gerade der Spaß daran! Denn was immer die Karte, die er zog, hierzu aussagen konnte: Er würde es mit der Realität vergleichen und dabei hoffentlich einiges zu lachen haben.

Ende Teil 124

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