(15/8) Anklage

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"Wir, das waren... Angelo und ich... Wir hatten uns bei Anbruch der Dämmerung aufgemacht, an den bewaldeten Hängen nach Wild zu suchen. Wir hatten den Jungen mitgenommen. Der Mann blieb bei seiner Frau und den Töchtern unten am Weg, sie kümmerten sich um das Nachtlager und das Feuer und bewachten ihren Karren. Wir wollten ihnen Fleisch für ein Abendessen bringen. Wir alle hatten Hunger."

Der Kardinal fuchtelte ungeduldig mit der Hand in der Luft herum. "Ja, ja, ist ja schon gut. Wir denken uns das. Aber weiter?"

Mauro sprach nun beherzter und schneller. Er wollte es hinter sich bringen. "Der Junge hatte das Geld in einem Beutel am Gürtel bei sich. Er hatte es sich für seine Begleitung bei meinen Handelsreisen verdient, es war der Lohn eines Jahres. Er wollte es seinem Onkel zur Verwahrung bringen..."

"Das Geld, das später gestohlen werden sollte", ergänzte Vincenzo Grassi. "Aber lasst Euch nicht aufhalten, fahrt fort."

"Wir kletterten den Hang ein gutes Stück hinauf. Weiter oben gab es ebene Erde und eine kleine Lichtung zwischen den Bäumen... Da war eine Wildsau mit ihren Ferkeln. Der Junge rief laut, als er sie sah, und sie entdeckte uns. Der Pfeil sollte eines der Ferkel treffen..."

"Welcher Pfeil? Wer war der Schütze?"

"Angelo. Er hatte einen Bogen bei sich."

"... und er traf den Jungen?"

"Nein. Der Pfeil traf das Ferkel. Aber die Sau ging auf Floriano los, sie trieb ihn zwischen die Bäume und der Junge verlor den Halt... und stürzte die Böschung hinunter."

"Aber er war nicht tot?"

"Nein. Er lebte."

Der Kardinal hatte die Hände auf den Rücken gelegt und wieder begonnen im Raum auf und ab zu laufen. Mit einem Ruck drehte er sich zu Valerio um. "Und Ihr - Was sagt Ihr dazu? Würdet Ihr dem beipflichten, was der Kaufmann berichtet? Hat es sich so zugetragen?"

Valerio schwieg, zeigte aber mit einer Geste seiner Hand, dass er zustimmte. Jetzt kam der wichtige Teil - und da Mauro bis jetzt die Geschichte korrekt wiedergegeben hatte, mussten nun Lügen folgen. Lügen, die ihn in große Schwierigkeiten bringen würden, während sich für Mauro die Türen in die Freiheit öffneten. Er war so gespannt auf Mauros Variante der Geschichte, dass es ihm leicht fiel, sich nicht von dem Blut auf der Kleidung des Toten oder dem Puls des Wächters hinter ihm ablenken zu lassen. Dieser stand sehr nahe... er spürte die metallene Energie des Dolches, den der Mann in der Faust für ihn bereit hielt.

Seine Sinne funktionierten so unauffällig, als sei er in den letzten Tagen gut mit Weintrauben und Wein versorgt gewesen. Aber es gab Trigger, die das dünne Gleichgewicht in einem Augenblick umkippen und ihn wieder in den heißen Sog des Wandlungsprozesses zurück stoßen konnten. Es würde unsägliche Kraft brauchen, sich von dort noch einmal zurück zu retten - und wenn ihn Wut überkam, war es umso schneller um ihn geschehen. Erasmo hatte Recht, wenn er ihn zur Mäßigung bewegte, der Diener wusste gar nicht, wie sehr. Was immer Mauro nun behauptete, und ganz gleich, was der Inquisitor daraus machen würde: Er durfte sich nicht von seiner Wut mitreißen lassen! Er musste alle Beherrschung aufbringen, zu der er fähig war.

"Sagt es in Worten", forderte Vincenzo Grassi ihn auf. "Laut. Ich will das hören. Für das Protokoll."

"Was Mauro de Lorca berichtet, hat sich genau so zugetragen."

Der Kardinal schien noch nicht zufrieden zu sein. "Und Ihr trefft ein Ferkel in der Abenddämmerung - mit einem einzigen Schuss? Unmittelbar, nachdem Ihr einen steilen Hang der Art bewältigt habt?"

"Ich bin ein passabler Jäger."

Vincenzo Grassi versah ihn mit einem nachdenklichen Blick. "Und Ihr", fragte er Mauro, "Warum seid Ihr da mit hinauf geklettert? Ihr seid ein Kaufmann und habt wohl eher andere Fähigkeiten, denke ich. Was war Eure Aufgabe bei dem Unternehmen?"

Mauro errötete ein wenig. "Ich sollte das Wild treiben. Oder ihm den Weg versperren, falls uns ein Tier begegnen sollte."

"Ah." Der Kardinal nickte, dann runzelte er die Stirn. "Sagt einmal ... Mauro de Lorca ... Findet Ihr es nicht eigenartig, dass drei Männer sich aufmachen, Wild für ein Abendessen zu suchen, versuchsweise den nächstgelegenen Berg ersteigen ... und dass ihnen dann zufällig eine Sau mit mehreren Ferkeln direkt vor die Füße läuft, sobald sie oben sind? Wessen Vorschlag war es, die Böschung hinauf zu klettern?"

"Nicht meiner, Eminenz", beeilte sich Mauro zu antworten. Er zeigte auf Valerio. "Er hier, Angelo, der hat es vorgeschlagen. Und da ich nichts vom Jagen verstehe, wie Ihr ganz richtig anmerkt, bin ich ahnungslos mitgegangen. Und natürlich auch, weil ich verantwortlich für den Jungen war. Der Junge war nicht zu bremsen, er wollte den Mann mit dem Bogen unbedingt begleiten." Mauro lächelte gequält. "Wie Jungen nun einmal sind. Es war ihm nicht zu verdenken, dass er da mitgehen wollte. Und mir nicht, es ihm zu erlauben."

Valerio wusste, worauf es hinaus lief. "Wenn ich das erklären darf, Hochwürden: Es ist nicht ungewöhnlich, dass Säue mit ihren Ferkeln in der Abenddämmerung den Boden nach Eicheln durchwühlen. Sie kommen auf die Lichtungen, weil sie hier den Luchsen ausweichen können, da diese sich im bergigen Gelände eher zwischen den Bäumen aufhalten. So nehmen sie sie frühzeitig wahr, sollte einer näher heran kommen."

"Dass da oben zu dieser Zeit eine Sau mit ihren Ferkeln war, hattet Ihr also nicht gewusst?"

Valerio verneinte. "Wie ich schon sagte - Es ist wahrscheinlich, früher oder später an solchen Stellen Wild anzutreffen. Dass es sofort geschehen würde, habe ich natürlich nicht gewusst. Woher auch."

Der Kardinal nickte. Er nahm seine Runde durch den Raum wieder auf. "Und weiter, Kaufmann? Der Junge stürzte also die Böschung hinunter und verletzte sich. Wo genau? Zeigt es mir an der Leiche."

"Hier oben." Mauro wies auf seinen eigenen Kopf. An der Seite und bis zum Auge hinüber, Eminenz."

"Schwer? Ich meine... sah es übel aus? War es eine Verletzung, die zum Tod führen konnte?"

Mauro zuckte mit den Schultern. Dann stand er vom Tisch auf und kam zögernd zur Trage hinüber. Unsicher zeigte er auf die rechte Schläfe des Jungen. "Es sind die Kratzer hier oben, seht Ihr? Es war nicht schlimm", erklärte er. "Aber ob er daran gestorben wäre... ich bin kein Medicus, Eminenz. In der Nacht ist er jedenfalls nicht daran gestorben."

Valerio stieß die Luft aus, die er angehalten hatte. "Das ist nicht wahr, Mauro. Das weißt du."

Der Kardinal horchte auf. "Was waren dann seine Verletzungen von dem Sturz?", fragte er Valerio. "Ihr spracht vorhin von zwei Wunden, wenn ich mich richtig erinnere... Bitte. Zeigt sie mir."

Valerio bedachte Mauro mit einem intensiven Blick. Der Kaufmann sollte sich hüten, das Begonnene nach seiner Korrektur noch weiter voran zu treiben. "Es gab unten vor der Straße einige Meter Holzschlag", erklärte er dem Inquisitor. "Die Bäume mussten frisch gefällt worden sein, die Schnittstellen waren noch hart und spitz." Einen Moment lang verspürte er den Impuls, an die Trage heran zu treten und die Verletzungen an der Leiche zu zeigen; im letzten Augenblick besann er sich aber und beschrieb sie nur. "Er ist dort hinein gefallen. Einer der jüngeren Stümpfe hatte den Oberschenkel durchstoßen, ein anderer die Bauchdecke. Wir mussten ihn von den Stämmen herunter heben und über die letzte Strecke der Böschung und bis zur Straße hinab tragen. Er lebte, aber er war schwer verletzt."

"Er lügt!" Panik glitzerte in Mauros Augen. "Er lügt! Glaubt ihm nicht! Ich sage die Wahrheit!"

Der Inquisitor lächelte dünn. "Seht ihr?" Als seien sie Publikum eines öffentlichen Spektakels, richtete er das Wort an die umstehenden Wachen. Er wies auf Valerio und Mauro. "So steht es mit den Menschen, Sie beschuldigen sich gegenseitig, legen einander die Schlinge um den Hals. Und oft stellt sich heraus, dass keiner von ihnen die Wahrheit sagt! Jeder sündigt auf seine Art, sie stehen sich in nichts nach."

Er sah in die Runde, dann trat er ganz nahe an Mauro heran, der sich wieder auf seinen Platz gesetzt hatte. Er lehnte sich über die Schulter des Kaufmanns. "Wem soll ich glauben", raunte er ihm ins Ohr. "Euch? Oder diesem Mann da?" Er zeigte auf Valerio. Als Mauro stumm blieb, klopfte er ihm auf die Schulter. Dann lachte er leise und trat vom Tisch zurück. "Es scheint, als gäbe es ab diesem Zeitpunkt verschiedene Versionen der Geschichte. Seht mich an, Kaufmann."

Die Augen des Kardinals gingen zwischen Mauro und Valerio hin und her, als wolle er abwägen, wessen Aussage der Wahrheit näher kam. "Ich möchte, dass Ihr", er zeigte mit beringtem Finger zu Mauro hinüber, "mit Eurer Variante fort fahrt. Lasst hören: Der Junge war also nur leicht am Kopf verletzt. Wie kam er dann zu Tode?"

Valerio spürte Mauros Angst so intensiv, dass sich in seiner eigenen Brust ein unangenehmer Druck aufbaute und sein Herz kräftiger schlug, als es dies ohnehin bereits tat. Er war auf alles gefasst. Die nächsten Worte würden sein Todesurteil sein. Keine Wut, kein Hass, dachte er und konzentrierte sich auf das äußere Geschehen im Raum, als Mauro seine Erzählung fortsetzte.

"Der arme Junge ... Floriano ... er hatte Kopfschmerzen und wollte nichts essen. Wir brieten das Ferkel, aßen und legten uns schlafen. Für den Jungen hatten wir ein gutes Stück Fleisch aufbewahrt... für den Morgen, wenn es ihm besser ging."

Unsicher sah Mauro von seinen Händen auf. Als der Kadinal ihn mit einer Geste drängte weiter zu berichten, fasste er sich, nahm einen Schluck von seinem Wein und sprach weiter. "Ich schlief tief und fest. Aber irgendwann in der Nacht weckte mich ein Geräusch, da war eine Bewegung im Dunkeln ... Und da sah ich von meinem Schlafplatz aus, wie ... Angelo ... den Jungen bedrängte, er sollte ihm das Geld heraus geben. Ich ... ich war unfähig mich zu bewegen oder etwas zu sagen, es war eigenartig... Aber ich konnte hören, wie Floriano sich zur Wehr setzte. Dann ... dann hörte ich ihn röcheln und sein Kopf fiel leblos zurück. Er hatte ihn umgebracht."

Im Raum war es totenstill. Erasmo, der zu Beginn noch mitgeschrieben hatte, hielt die Feder in der Luft, Tinte tropfte auf das Pergament. Alle hatten gebannt zugehört, die beiden Wächter, die nahe am Tisch standen, richteten ihre Waffen auf Valerio, dieser dachte aber weder an Flucht noch an Angriff. Er wusste, dass weitere Wachen draußen vor der Tür standen. Er war noch längst nicht weit genug, um die Kräfte der Bestie in sich wach werden zu lassen, noch hatte er die Sinne und Fähigkeiten eines Zeitwanderers zur Verfügung, wie er sie kannte. Er hing unglücklich zwischen beiden Welten und war... gar nichts, nur ein gefährlich geschwächter Krieger, eingesperrt in einer Umgebung, die er nicht genug überblickte, um eine Flucht gelingen zu lassen.

So stand er am Tisch, starrte auf den Weinkrug, der sich eine gute Armlänge entfernt befand, und wusste: Wenn er sich jetzt regte, stieß man ihm womöglich die Lanze in den Rücken - oder einen Dolch. Seine Selbstheilungskräfte waren in einem erbärmlich schlechten Zustand, er durfte nichts riskieren.

Während Mauro seine Mordgeschichte zuende spann, glitt seine Aufmerksamkeit vom Geschehen am Tisch weg. Mit der Energie, die er aufbringen konnte, tasteten seine Sinne die Fenster vor der Abenddämmerung ab. An den massiven Mauern versagten sie; er konnte nicht erfassen, wie tief es da draußen hinab ging, wie steil der Berg, wie dicht die Wälder waren oder ob und wie tief dort unten die Nera lag - der Fluss, der sich unterhalb von Narni am Fuß der Berge entlang wand.

Es gab keinen brauchbaren Anhaltspunkt bezüglich der Gegebenheiten hinter diesen Fenstern, das musste er verzweifelt einsehen. Und vor allem hatte er keine Orientierung, was seine Kräfte und deren Zustand betraf... Inmitten der Wandlung war alles möglich! Da war keine Kontrolle, keine verlässliche und klar definierte Situation, alles war Prozessen und Schwankungen unterworfen und veränderte sich in Stunden oder Minuten. Wenn Trigger hinzu kamen, konnte ihm der Überblick innerhalb eines einzigen Augenblicks vollkommen verloren gehen... Oh, er verfluchte diese Situation, er musste sie in den Griff bekommen... jetzt und hier! Mauro zimmerte in diesem Augenblick an seinem Galgen.

Das Verhör ging auf ein Ende zu. Er brauchte nicht zuzuhören, er kannte den Rest. Es war das, was seit Jahrhunderten jeder Einzelne erzählte, der seine Fähigkeiten nicht verstand, sie fürchtete und sie ihm daher schlecht auslegte. Bei dem, was Mauro gerade behauptete, würde Valerio die Nacht ganz sicher in einem tiefen, dunklen Kerker verbringen... Eine letzte menschliche Nacht, denn bereits am nächsten Morgen würde sich ein guter Teil der Wandlung vollzogen haben, das spürte er. Wenn er sich also noch retten wollte, musste es jetzt geschehen. Auch die gemäßigte Version des Tieres - die, die er mit Wein zu zähmen wusste - würde ihm beim Ausbruch aus der Festung nützlich genug sein. Wenn heute Nacht die Bestie in ihm jedoch vollständig erwachte, würde es zwar ein Leichtes sein, aus der Festung frei zu kommen, aber er hatte zugleich jedes menschliche Leben verwirkt. Er würde niemals wieder nach Hause kommen. Auch Magnus wäre verloren... Wenn er es wagte sich ihm zu nähern... Und ebenso, wenn er ihn seinem Schicksal überließ.

"....und bin daher Ankläger des Mordes, den dieser verbrecherische Mensch am Neffen meines Freundes verübt hat." Mauros Stimme hallte im Raum nach, der Kardinal klatschte langsam, anerkennend in die Hände.

Als es ausgesprochen war, dachte Valerio im ersten Augenblick, er müsste weinen. Er war verwirrt - und so furchtbar müde, was völlig neu für ihn war. Alles erschien ihm fremd, beinahe traumhaft. Es durfte nicht sein. Sein Plan war nicht aufgegangen, nichts hatte gewirkt. Mauro hatte die Nerven verloren und sich seine Freiheit mit Valerios Leben erkauft. Der Prozess war seiner. Aber zumindest einen Sieg musste er erringen, bevor die Nacht anbrach: Er musste das Tier in sich zurück treiben. Er brauchte den Wein.

Es ging um Sekunden, er hatte nichts mehr zu verlieren. Er langte über den Tisch, griff den Krug und riß ihn zu sich herüber. Bevor man ihm den Dolch an den Hals setzte und das bauchige Gefäß aus seinen Händen wand, stürzte er einige Schlucke Wein hinunter. Eine wilde Euphorie ergriff ihn, als er das dunkle, herbe Aroma und die Süße schmeckte. Es war genug, um seinen Zustand zumindest für die Nacht und den morgigen Tag zu stabilisieren, wenn er mit seinen Energien besonnen umging. Er wusste nicht, was ihn erwartete. Ab jetzt konnte er nur von Augenblick zu Augenblick sehen, wie er sich am Leben hielt. Und auf Gelegenheit für sein Entkommen hoffen.

Der Tumult, der sich um ihn erhob, erreichte ihn nicht. Er ließ zu, dass man ihm den Krug aus den Händen riss, wehrte sich nicht, als die Lanzen der Wächter sich auf ihn richteten, als man ihn packte, ihm die Arme auf den Rücken wand.

Ende Teil 141

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