(17/3) Verrat

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Dieser Gebäudeteil schien der älteste zu sein. Das runde Gewölbe wies  dunkle Flecken auf. Ein muffiger Geruch stand in der Luft. Das feine, beißende Gefühl in seiner Nase verriet ihm, dass sich Schimmel in den feuchten Wänden festgesetzt hatte. Vorsichtig sah er sich in der Dämmerung des niedrigen Ganges um, während der Inquisitor ihn zwischen den eng beieinander stehenden Wänden vorwärts schob.

Weiter hinten öffnete sich der Gang in eine Art Vorraum. Links in der Wand gab es eine massive Eichentür; in Kopfhöhe hatte man - wohl zur besseren Belüftung - ein geschmiedetes Gitter eingelassen. Dahinter war es dunkel, nichts war zu erkennen. Dieser Gebäudeteil konnte ein ehemaliges Lager sein. Eines, das man wegen der Feuchtigkeit nicht mehr nutzte, zumindest nicht für den alten Zweck. In diesen Bereich drang wenig Licht, es gab keine Fenster.

Vincenzo Grassi führte ihn weiter geradeaus und in einen sonnendurchfluteten Raum hinein. Nur klein war er, auch in der Höhe gab es nicht viel Platz. Die niedrige Decke hätte er mit der ausgestreckten Hand berühren können. An der gegenüber liegenden Wand stand ein Holztisch mit einem Leinentuch darüber. Es war ein kleiner Altar; das Kruzifix in der Mitte des Tisches wurde von einem Kelch und einer Deckelschale flankiert.

Den Altar hatte man zwischen den beiden weit geöffneten Fenstern aufgestellt. Aus dem Garten drang das Summen der Bienen herein, dazu ein lauer Wind, der den Duft von Erde und Blumen mit sich brachte. Die Fensterhöhlungen ließen erkennen, wie dick die Wände waren.

Obwohl genug Licht herein strömte und die Sonne den Garten flutete, fühlte er sich eingesperrt. Einen Moment lang verspürte er den Impuls durch eines der Fenster zu flüchten ... und tat es nicht. Es ging um den Wein, der auf ihn wartete, und darum, dass er den Dolch brauchte, wenn er später schnell an Tierblut kommen wollte. Dennoch zog das helle Sonnenlicht, das Grün dort draußen seinen Blick an und er quälte sich damit, sich disziplinieren zu müssen. In der Hoffnung, dass es ihn ablenken und seine Unruhe dämpfen würde, wandte er sich von den Fenstern ab und sah sich um.

In dem kahlen Raum gab es außer dem kleinen Altar noch einen weiteren Tisch und zwei Stühle sowie eine große Truhe. Der Kardinal wies auf den Tisch an der Wand. Darauf lag ein dickes Buch in einem schweren ledernen Einband. Als sie näher traten, erkannte Valerio, dass es eine Bibel war.

"Setzt Euch", sagte er tonlos und wies auf einen der beiden Stühle.

Valerio tat wie der Kardinal ihm sagte. Offenbar mussten sie hier nun auf den Prior warten; Vincenzo Grassi schien mit den Abläufen in der Abtei gut vertraut zu sein. Der Mönch, der vor ihnen durch den Garten gelaufen war und von dem er geglaubt hatte, er würde sie führen, war verschwunden.

Die Stimmung war angespannt. Wieder spürte er die Worte, die nicht ausgesprochen wurden - mit der Folge, dass er nichts zu fragen wagte. Gedanken standen im Raum, schwerwiegend und ernst; er stieß sich an ihnen, hatte aber den subtilen Eindruck, er sollte ihre Bedeutung besser nicht berühren, sich davon fern halten, aber entschlüsseln konnte er sie sowieso nicht. Nicht in seinem Zustand.

Entgegen den Vorstellungen, die viele Menschen über Vampire hatten, konnte er keine Gedanken lesen. Das war das plumpe und vereinfachte Bild, das man von vampirischen Fähigkeiten hatte: Man benannte und beurteilte stets nur, was man selbst wahrnahm. Ja, oft wirkte es tatsächlich so, als würden menschliche Gedanken von den Unsterblichen wie Worte gelesen. Wie unaufmerksam, wie wenig präzise und unbewusst war die Wahrnehmung der Menschen! Sie bemerkten nicht einmal, dass auch sie selbst nicht in klaren Worten und Sätzen dachten, sondern dass ihre Gedanken sich auf einem Bett tieferer und vielschichtiger Emotionen bewegten und mit diesen unlösbar verflochten waren. Man dachte nicht auf dieselbe Weise wie man sprach.

Er las keine Gedanken. Er las Emotionen. Er konnte diesen vielschichtigen inneren Teppich orten, der so immens viel Information enthielt. Er tastete ab, worauf die Emotionen der Menschen sich fokussierten, woran sie hingen und auf welche Weise und nach welchen Mustern sie sich verhielten. Und das wiederum verriet ihm vieles über die Interessen und Absichten, die Ängste und Motivationen der Menschen. Gefühle waren starke Träger von Information.

Jetzt, wo es sehr schwierig wurde, dem aggressiven Drang der Bestie zu widerstehen, musste er sich auf menschliche Sinne beschränken, aber diese waren irritiert und abgelenkt, seit er in Gefangenschaft geraten war. Der Kardinal wandte jede Gerissenheit und Hinterhältigkeit an, die er aufbringen konnte, um seine Spiele mit ihm zu spielen. Und ja, der emotionale Teppich dieses verdorbenen Mannes, dieser versumpfte, katakombenartige Untergrund, der die Brutstätte all seiner Pläne und Gedanken war, webte im Raum und stand wie eine Wolke um ihn. Er musste sich davon abwenden. Er durfte das nicht berühren, so aufschlussreich es auch gewesen wäre. Wenn seine Sinne da hinein rauschten, würde es ihn in seinem instabilen Zustand leer saugen, so dicht, so weit und tief waren die emotionalen Keller des Inquisitors. Und die Inhalte erst, die sich dort hinter stählernen Türen versteckten, er wollte ihnen nicht begegnen. Nicht mehr, als es bereits geschehen war.

Er war absolut gefährdet. Er konnte kein Risiko mehr eingehen, musste seine letzten Energien beisammen halten. Jeder Einsatz vampirischer Kräfte ließ das Tier in ihm aggressiver werden, denn er bediente sich immer wieder seines Angebots und verweigerte ihm aber die Bezahlung: Er diente der Bestie nicht.

Dabei tobte sie immer lauter in ihm, rang um Macht und Kontrolle. Wenn er seinem Blutdurst nachgab, war er verloren. Darum wandte er sich von alldem ab, ignorierte es, richtete seine Sinne mit aller Kraft nach außen. Auf die Oberfläche, die nie die ganze Wahrheit zeigte, in dieser Situation schon gar nicht. Er war blind ohne seine Sinne.

Lange würde das Abwenden nicht mehr helfen. Die Versuchung griff immer stärker nach ihm. Und was um ihn geschah, überforderte ihn, reizte ihn ständig, brachte ihn dazu, seine Vorsätze immer wieder zu vergessen, den Fokus zu verlieren. Dazu der Inquisitor, dem er nicht trauen durfte und bei dem er jederzeit mit allem rechnen musste ... Es brauchte inzwischen so viel Energie, seinen Zustand einigermaßen unter Kontrolle zu halten. Ein weiterer Ausfall und Kontrollverlust, dazu hier, in der Stille dieses Raumes und vor den Augen des Kardinals, und er wäre geliefert.

Zu allem Unglück lief hier irgendetwas gerade nicht so, wie es sollte. Er musste seinen Kopf klar bekommen, so weit es ihm in seinem geschwächten Zustand jetzt überhaupt noch möglich war. Er musste weg von hier, so schnell wie möglich. Die offenen Fenster wurden zur Qual.

Schon wieder ertappte er sich dabei, wie er in endlosen Gedankenschleifen festhing. Das musste sein Bewusstsein sein, es veränderte sich unaufhaltsam. Langsam hob er den Blick. Vincenzo ... beobachtete ihn. Sein Gesicht, seine Augen verrieten eine Neugierde, die ihm unheimlich war. Unter dem starren Blick des Inquisitors straffte er den Oberkörper, richtete sich auf dem Stuhl auf. Tief atmete er durch die Nase ein, versuchte sich mit dem frischen Duft des klaren Herbsttages zu beleben und seine Konzentration wieder zu finden. Der Kardial ließ ihn nicht aus den Augen.

Es war so still im Raum. Warum sagte er denn nichts? Sollte er vielleicht selbst ein Gespräch anfangen? Nachdem er eben so überraschend erfahren hatte, wie sehr er den Kardinal mit seinem Tun doch bloßgestellt und beleidigt hatte, wusste er überhaupt nicht mehr, wie er sich ihm gegenüber verhalten sollte.

Noch immer starrte Vincenzo Grassi ihm unmittelbar ins Gesicht. Mehrmals hob er seinen Blick, um zu prüfen, ob der Kirchenmann ihn noch ansah - immer mit demselben Ergebnis. Also sah er weg, wich ihm aus, versuchte es zu ignorieren.

"Wessen Augen sind das?"

Er zuckte zusammen. Verstand er die Frage richtig? Ihm war nicht wohl dabei, als er verwundert antwortete. "Meine Mutter ... sie hat ganz ähnliche. Und sie hat sie von ihrem Vater. Meinem Großvater."

"Ah", ließ der Kardinal hören und fixierte weiter sein Gesicht. "Und ... der Rest?"

"Ich sehe ihr ähnlich." Er wollte diese Unterhaltung nicht. Seine Mutter ging ihn nichts an, ebenso wie sein Gesicht.

"Eine schöne Frau. Und Euer Vater? Was habt Ihr von ihm?"

"Mein Vater hat graugrüne Augen und ein runderes Gesicht. Eine breitere Stirn. Seine Haare sind heller und haben keine Wellen. Er ist kleinwüchsiger als ich." Er zuckte mit den Schultern, versuchte gleichmütig zu wirken, zeigte, dass das Thema keines war, das Spannung oder interessante Erkenntnisse bot. Er wollte sein Äußeres nicht mit dem Kardinal besprechen.

Vincenzo griff in sein Gewand hinein. Als er die Hand wieder heraus zog, hielt er darin den Dolch. Valerio machte sich bereit, die Hand danach auszustrecken, aber der Kardinal behielt ihn noch, er spielte damit, ließ die scharfe Schneide über seine Finger gleiten, prüfte die geschliffene Spitze. Er besah die filigrane, in hellen und dunklen Schattierungen glänzende Maserung. "Wirklich... Ein schönes Stück", sagte er nachdenklich, hob den Blick von der Klinge und sah ihn mit demselben intensiven Blick an wie zuletzt.

Da er den Dolch offenbar noch nicht aus der Hand geben wollte, versuchte Valerio die eigenartige Situation ein wenig zu lockern; der Dolch war hier, bei dem Tisch, an dem er saß. Fehlte noch der Wein ... Er war absolut nicht erpicht auf ein förmliches Abendmahl mit allen offiziellen Riten, erst Recht nicht in Gegenwart des Inquisitors. Aber es brachte ihm den zugesagten Wein, und der würde einen Unterschied in seinem Zustand machen, ihn ausreichend stabilisieren für sein Verschwinden und bis er ein Tier erlegt hatte. Nur durfte darüber nicht die Sonne untergehen. Es war Herbst, in der Schlucht wurde es früh dunkel. So ließ er den Kardinal mit dem Dolch spielen und brachte das Gespräch auf Beichte und Abendmahl.

"Prior Geronimo weiß sicher, dass Ihr inzwischen da seid?"

Vincenzo Grassi lächelte. Er ließ ihn auf eine Antwort warten. Schließlich sprach er und seine Stimme hatte diesen schnarrenden Ton, der Valerio an den Moment erinnerte, als er ihm seinen Ring ins Gesicht gestoßen hatte. "So ungeduldig ... mein Sohn?"

"Ja. Das gebe ich zu." Er zwang sich zu lächeln. "Ich habe ... zwei Tage Zeit verloren. Meine Braut glaubt, ich wäre längst in Rom. Sie erwartet mich in drei Tagen zurück. Die Wege durch Terni sind nicht ungefährlich; sie wird sich Sorgen machen, wenn sie nichts von mir hört."

"Wie rührend. Sie muss Euch sehr lieben." Der Kardinal drehte die Spitze des Dolches auf dem Tisch hin und her und lächelte ihm weich ins Gesicht.

Draußen vor der Tür hörte man Stimmen und Schritte. Ein Schlüsselbund rasselte, das Knarren einer Tür drang zu ihnen herein.

Vinvenzo Grassi lauschte, bis die Geräusche erstarben, dann wurde er ernst. Es schien, als wollte er nicht weiter mit ihm spielen. Der Dolch stoppte mitten in der Drehung, er umfasste ihn mit der Hand, die andere schob ihm die mächtige Bibel entgegen.

"Na kommt, Angelo", sagte er. "Ich habe Erbarmen mit Euch. Erneuert Euren Schwur auf die heilige Schrift. Und dann nehme ich Euch selbst schon einmal die Beichte ab. Das Abendmahl können wir dann gemeinsam einnehmen, der Prior scheint noch beschäftigt zu sein."

Die Worte des Kardinals ließen ihn aufatmen. Nun würde er sehr schnell frei und unterwegs sein! Selbstverständlich wollte er lieber jetzt sofort als später die letzten Schritte hinter sich bringen; er legte die Rechte auf den ledernen Einband, öffnete den Mund, um die Worte zu sprechen.

Was in diesem Augenblick  geschah, kam so gänzlich unerwartet und überraschend, dass er vollständig aus der Wirklichkeit der Situation heraus fiel. Als Vincenzo Grassi ihm den Dolch mit aller Kraft durch seinen flach ausgestreckten Handrücken rammte, spürte er zuerst nur, wie die Klinge unter seiner Hand tief ins Leder der Bibel fuhr und dort stecken blieb. Erst der verspätete Reflex, der ihn die Hand zurück ziehen ließ und der Schock darüber, dass diese, von der Klinge durchstoßen, auf der Bibel feststeckte, ließ ihn schlagartig wach werden und den scharfen brennenden Schmerz erstmals fühlen.

Er schrie nicht. Er gab keinen Ton von sich, so sehr war er überrumpelt von der plötzlichen Erkenntnis, dass die Falle, in die er ahnungslos gegangen war, sich bereits seit ihrem Aufbruch am Morgen immer weiter um ihn geschlossen hatte. Seine Gedanken rasten. Sein Herz hämmerte gegen sein Brustbein. In Bruchteilen von Sekunden kam die Erkenntnis. Alles war inszeniert! Und was er durch eigenes Handeln und Tun mit eingebracht hatte, war geschickt benutzt worden, um ihn zu beschäftigen, ihn abzulenken! Wie ein naiver Welpe war er freiwillig und selbst in diese Falle gelaufen. Zu keiner Reaktion fähig starrte er auf seine Hand und den Dolch. Das Blut füllte die Vertiefungen auf dem geprägten Leder innerhalb von Sekunden auf, dann begann es über den Rand der Bibel auf den Tisch hinab zu laufen.

Er löste den Blick von seiner Hand, hob ihn dem Inquisitor entgegen. Hasserfüllt sah er ihm in die lächelnden Augen, in dieses völlig ruhige Gesicht. Erst jetzt kam die Wut - und mit ihr das Tier, das er aber sofort zurück drängte. Oh, nicht für seinen Hass auf diesen Mann würde er sich verlieren! Dieser niederträchtige und verkommene Mensch war einen so hohen Preis nicht wert. Mühsam presste er seine Worte zwischen den Zähnen hervor.

"Ihr ... seid... die Hölle für so viele, ... Eure Pestilenz. Jetzt ... bin ich Eure."

Mit der linken Hand umspannte er den Dolch und wollte ihn aus der Bibel ziehen, aber das schwere Buch hob sich zusammen mit der Hand vom Tisch, die Klinge war zu tief eingedrungen.

Schneller als er es ihm zugetraut hätte, sprang Vincenzo Grassi auf, umrundete den Tisch, stand plötzlich hinter ihm und riss ihm den Kopf an den Haaren zurück. Die andere Hand fuhr auf seinen Unterarm nieder und presste ihn auf den Tisch, so dass er seine Hand nicht befreien konnte.

"Hast du tatsächlich gedacht, du führst den Inquisitor von Terni an der Nase herum?", zischte er ihm halblaut ins Ohr. "Ich bin schon mit ganz anderen fertig geworden, das kannst du mir glauben." Rückwärts gewandt rief er: "Wo bleibt Ihr? Ihr könnt ihn mitnehmen!"

Valerio warf sich nach hinten, versuchte sich aus dem Griff des Inquisitors zu befreien und mit dem Stuhl vom Tisch ab zu rücken, aber Vincenzo umfasste seine Haare mit eiserner Faust und stieß ihm den Kopf so hart nach vorne und auf die Tischplatte, dass ihm das Blut aus der Nase schoss.

Pino und der Bärtige rumpelten in den Raum, der Bärtige sah staunend auf den Dolch, der in seiner Hand steckte. Er trat an den Tisch, stemmte eine Hand auf die Bibel, die andere zog die Klinge heraus. Wütend schrie Valerio auf, er tobte und versuchte aus der Ecke zwischen Wand und Tisch heraus zu kommen, als man ihm die Arme auf den Rücken drehte und ihm einen Schlag gegen den Hinterkopf versetzte.

Bevor ihn die Dunkelheit umfing, blitzte vor seinen Augen ein letztes grelles Bild auf: Das sonnenbeschienene Fenster, wenige Schritte entfernt ... Weit offen.

Ende Teil 156




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