(17/2) Die Abtei

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Die kleine Abtei fügte sich so idyllisch in die Umgebung ein, dass Valerio sich fragte, ob er hier nun tatsächlich einen weichen Punkt an dem machthungrigen Inquisitor gefunden hatte. Auf jeden Fall schien dieser einen Sinn für die Schönheit der Natur zu haben, ebenso wie für idyllische Orte. Während sie an den Mauern der zweistöckigen Gebäude entlang ritten, sah Valerio sich staunend um.

Die Kronen der Eichen nahmen das Dach mit seinen moosüberwucherten Schindeln in mütterliche Arme. Efeu und Wein rankten überall an den grauen Mauern empor und umkränzten die Fenster. Das zufriedene Gackern von Hühnern mischte sich träge mit Bienengesumm, Vogelgezwitscher und dem Rauschen der Bäume. Hinter einem dicht geflochtenen Weidenzaun hörte man Schweine grunzen. Eine am Wegrand angepflockte Ziege stimmte meckernd in den Gesang der Mönche ein, der durch ein offenes Fenster hinaus drang. Es war, als sei an diesem Ort die Zeit stehen geblieben.

"Gott zum Gruß, Hochwürden!" Der Mönch, zu dem die Stimme gehörte, kam durch das kleine Tor im Weidenzaun zu ihnen heraus. Er klopfte sich die erdigen Hände ab, trat an das Pferd des Kardinals heran und küsste den Ring, den Vincenzo Grassi ihm wortlos hinhielt.

"Eure Eminenz... Wenn Ihr die Pferde dort hinunter führen wollt..." Er zeigte in Richtung des schmalen Weges, der um eines der kleineren Gebäude herum führte. "Da vorne ist Schatten... Eure Männer können sie zu den Schafen bringen und absatteln. Das Gras ist hoch seit dem letzten Regen und die Tränke ist gefüllt. Bruder Stefano ist hinten am Stall, fragt ihn nach einigen Händen Stroh zum Abreiben."

Ohne sich nach seinen Männern umzusehen gab Vincenzo Grassi einen Wink mit der Hand nach hinten; ansonsten schwieg er, aber Pino und der Bärtige hatten das Angebot des Mönchs gehört. Der Kardinal und Valerio stiegen ab und sie nahmen die Pferde mit.

Valerio war sich der Unruhe bewusst, die ihn ergriffen hatte, seit sie am Kloster angekommen waren. Er mochte diesen stillen und beschaulichen Flecken - es gab keinen Grund, sich nun noch weiter zu sorgen.

Zwei Schweine standen ihnen beim Betreten des winzigen Hofes im Weg. Er musste warten, bis der Dominikaner sie mit dem Bein von dem Weidentor weg gedrängt und zurück gescheucht hatte. Sie liefen in eine Schar Hühner hinein, die gackernd auseinander stob.

Vincenzo Grassi schien es gewohnt zu sein, nicht durch den offiziellen Eingang und ins Hauptgebäude geführt zu werden; ohne Zögern folgte er dem Mönch, er schien den Weg zu kennen. Im hinteren Winkel des niedrigen Gebäudes, wo ein Stall untergebracht war, ging es durch ein weiteres Tor zur Rückseite des kleinen Klosters.

Vor ihnen tat sich ein wunderschöner Garten auf. Ein Drittel war in Beeten angelegt, der Rest wuchs wild, aber man sah, dass die Bäume und Büsche gepflegt wurden. Der Kräutergarten war nichts, was Valerio großzügig genannt hätte, aber die wesentlichen Heilpflanzen, dazu Zwiebeln, Knoblauch und Koriander, wuchsen in von Buchsbaum eingefassten Reihen.

Alles andere erschien ihm wie märchenhaftes Wunderland: Eine Quelle sprudelte unter einem alten Olivenbaum hervor, Mandelbäume reckten ihre fruchtbeladenen Äste in den Himmel und ein Pflaumenbaum, der Valerio an den Garten seiner Eltern erinnerte, bog sich unter der Pracht großer und zahlreicher Früchte. Am Boden wuchsen Rosen und Levkojen in verschiedenen Farben - und Lilien, Goldlack und Waldmeister verströmten ihren süßen Duft. Über allem lag die frühherbstliche Sonne, die inzwischen weit hinter dem Berg und der Stadt hervor gekommen war.

Vom Garten aus sah man die Stadtmauer nicht; so wirkte es, als sei man hier in einer zwischen Bäumen versteckten und von jeder Zivilisation abgeschlossenen Welt angekommen. Insgeheim seufzte Valerio auf, während der Dominikaner sie auf einem schmalen Weg in den hinteren Teil des Gartens führte. Er entspannte sich; alles sah danach aus, dass dies hier nun der letzte Abschnitt seines Abenteuers sein würde, friedlich, versöhnlich ... und hoffentlich auch kurz, denn seine Sehnsucht nach der Freiheit und Stille der Wälder war auf ein gutes Maß angewachsen. Vorher gab es aber noch etwas zu klären.

"Eminenz...", begann er halblaut, als er den Kardinal eingeholt hatte.

"Mein Sohn... Was gibt es?"

Valerio wartete ab, bis der Mönch, der voraus lief, hinter dem nächsten Busch verschwand; er musste nicht mithören, was es zu besprechen gab.

Vincenzo Grassi blieb stehen. Eine leise Ungeduld schwang in seinem Tonfall mit. "Nun, was wollt Ihr? Sprecht frei heraus."

Valerio räusperte sich nervös. Er wusste, wie leicht er alles verderben konnte, er musste es richtig anfangen. "Hochwürden... Ich habe über Euer Angebot nachgedacht. Mein Dolch... Ihr würdet ihn im Tausch gegen ein Pferd annehmen und ich danke Euch für Eure Großzügigkeit. Ich habe aber entschieden, zu Fuß weiter zu reisen. Ich brauche kein Pferd. Wenn es Euch genehm ist, hätte ich deshalb gern den Dolch zurück." Er sah dem Kardinal ins Gesicht. Würde er sich auf seinen Vorschlag einlassen?

Vincenzo Grassi wirkte erstaunt. Er schien nicht damit gerechnet zu haben, dass Valerio den Dolch zurück fordern könnte. Nachdenklich wiegte er den Kopf hin und her. "Euer Dolch ist hier. Ich trage ihn bei mir." Er hob zweifelnd die Brauen. "Aber... Ihr schuldet mir den Preis eines Schweines. Und dazu das Strafgeld für die Wilderei."

"Das ist mit dem Silber aus meinem Beutel abgegolten. Es war nur ein Ferkel. Und Ihr habt meinen Bogen."

Valerio wollte diplomatisch vorgehen und durfte sich hier nun nicht zu forschem Verhalten verleiten lassen. Seine Worte wurden hoffentlich nicht zu hart aufgenommen... Es konnte knapp werden; der Kardinal ließ ganz offensichtlich nicht leicht mit sich handeln.

Die Mundwinkel des Inquisitors gingen nach unten, während er zu überlegen schien, schließlich nickte er zustimmend. "Das ist ein Argument", gab er zu. "Ich denke, Ihr habt Recht. Euer Silber reicht für das Schwein. Nur scheint Ihr nicht im Auge zu haben, dass Ihr eine weitere Schuld zu begleichen habt, Angelo. Der Bogen soll dafür reichen. Ausnahmsweise! Denn Eure Schuld ist nicht zu tilgen. Ich wüsste nicht, wohin mit Euch und was ich verlangen könnte, wenn es gerecht zugehen soll. Ihr habt Glück. Ich erlasse Euch alles Weitere."

Valerio sah erstaunt auf. Es gab noch mehr Schuld? Was sollte das sein? Er wollte um eine Erklärung bitten, als der Kardinal die Hand hob.

"Eine Frage, junger Angelo, wenn Ihr mir erlaubt... Was, denkt Ihr, soll ein Kardinalpriester mit einem Mann anfangen, der ihn zum Gespött seiner eigenen Leute macht? Was fängt er an mit einem, der ungefragt in den teuren Sattel eines Inquisitors steigt und dessen Pferd reitet, dazu dem Tier auch noch Ungehorsam beibringt und es sogar in seinem Widerstand gegen seinen Herrn ermuntert und unterstützt? In dessen Angesicht - und während andere dabei zusehen?"

Was sollte er dazu sagen? Das war eine völlig verdrehte Darstellung der Geschehnisse im Eichenhain! Er hatte ihm sein Pferd eingefangen und zurück gebracht. Und scheu, wie der Schimmel war, hatte er ihn damit wahrscheinlich vor dem Sturz in die Schlucht gerettet!

"Ich... verzeiht, Eminenz, wenn ich widerspreche. Ich habe verhindert, dass Euer Pferd bis zum Wasserfall lief! Man hörte ihn rauschen, er war nahe! Ich dachte.... es würde sich die Beine brechen. Oder scheuen und dort hinunter stürzen."

Vincenzo Grassi schüttelte langsam den Kopf. Seine Augen waren rund und wässrig, der blassblaue Blick tadelnd, als würde er gerade einen kleinen Jungen bei einer Lüge ertappen.

"Meine Männer waren für mein Pferd zuständig und beide waren da", sagte er mit glatter Stimme. "Was geht Euch mein Pferd an? Oder die Aufgaben, die ich meinen Männern übertragen habe? Wenn ich Euch zur Hilfe gebraucht hätte, ich hätte Euch aufgefordert. Und? Habe ich?"

Valerio hatte den Kardinal vor Augen, wie er dem Mann zunickte, er solle ihn machen lassen und das Pferd nicht weiter scheuchen. Er erinnerte Vincenzo jetzt nicht daran, er hatte das Gefühl, dieser wusste genau, wie es tatsächlich gewesen war. "Aber...", entgegnete er vorsichtig und wagte sich damit weit hinaus, "Ihr habt doch sicher gesehen, dass Pino stürzte, als er versuchte, das Pferd aus dem Wasser zu bekommen? Und Euer anderer Mann lief hinter dem verschreckten Tier her und scheuchte es den Bach hinunter. Wenn ich nicht eingegriffen hätte ..."

"Er hätte es eingefangen." Die Miene des Inquisitors war grau und kalt.

Was ging hier vor? Sein Magen regte sich, er warnte ihn.

Es sah so aus, als würde er hier nicht gewinnen. Er konnte also nichts tun als es so stehen zu lassen. Es war gleich, wie der Kardinal es betrachten wollte! Oh, er verstand sehr gut. Er hatte den Stolz und die Eitelkeit des Inquisitors verletzt, ihn herab gewürdigt. Was er für sein Pferd getan hatte, trat dahinter zurück.

Was war nur mit ihm los! Ihm fehlte jeder vampirische Scharfsinn, seit er nicht an Wein oder Trauben kam, er hatte ein Gespür für Pferde, aber nicht für den menschlichen Feind vor seiner Nase. Das konnte so nicht weiter gehen! Er hätte damit rechnen müssen, dass Vincenzo Grassi keinen Gedanken, keinen Herzschlag an sein Pferd verschwendete. Dieser kaltherzige und gleichgültige Mann hätte sich am nächsten Tag ein neues gekauft, wenn sein Schimmel in den Tod gestürzt wäre.

Wie konnte er sich so gefährlich in der Situation verschätzen! Aber der Kardinal wollte sich für die Beleidigung mit seinem Bogen zufrieden geben. Das sollte er als Glück bezeichnen und es dabei belassen. Wichtig war allein, dass er nun hier weg kam - und rechtzeitig, denn all diese Konflikte und üblen Überraschungen triggerten das Tier in ihm. Er hatte vielleicht noch einige Stunden, dann wäre es zu spät. Also riss er sich zusammen und versuchte die Stimmung zu glätten.

"Oh... Hochwürden, bitte verzeiht mir. Erst bei Euren Worten geht mir auf, wie falsch ich lag mit meiner Einschätzung, Euer Pferd sei in Gefahr!" Er bemühte sich um einen reumütigen Gesichtsausdruck. "Ich versichere Euch, es tut mir aufrichtig leid. Und selbstverständlich wollte ich nicht die Fähigkeiten Eurer Männer in Frage stellen und Euch verärgern. Ich dachte nur, es wäre wenig Zeit und ich sah Pino am Boden. Das hat mich wohl bewegt, mich ungebeten einzumischen. Bitte verzeiht. Und nehmt den Bogen, er ist selbstverständlich Euer."

Fragend sah der Inquisitor Valerio ins Gesicht. Seine Züge wirkten jetzt milder, beinahe liebevoll, besorgt. Der schnelle Wandel in seiner Stimmung war verblüffend. Er ließ das Thema fallen, als hätten sie lediglich über das Wetter geredet.

"Nun gut, so sei es. Und ... Ihr wollt wirklich kein Pferd? Ihr wollt Euren Dolch?"

"Ja, Hochwürden", antwortete Valerio aufrichtig. "Das wäre sehr großzügig. Wenn Ihr ihn unter diesen Umständen nicht behalten wollt, denn das wäre Eurer gutes Recht und das Mindeste, was ich zur Wiedergutmachung beitragen kann. Seid versichert, Eminenz, ich bereue mein Verhalten aufrichtig. Es war ein grober und gedankenloser Fehler."

Der leichte Schlag gegen die Schulter, den Valerio von dem Inquisitor erhielt, ließ ihn zusammen zucken. "Na dann kommt, junger Freund. Die Beichte wartet." Mit einem Lächeln fügte Vincenzo hinzu: "Nein, es ist gut. Ich nehme den Bogen und das Silber. Den Dolch erhaltet Ihr gleich zurück in Eure Hand. Ihr habt mein Wort."

Er hätte nicht sagen können, was er fühlte oder dachte, so sehr verwirrte ihn die Situation. Wie sprunghaft der Kardinal war! Dieser Mann fiel von einer Stimmung in die nächste, nie konnte man sagen, wie ernst er etwas meinte oder wie er als nächstes reagieren würde....

Urplötzlich fiel ihm ein, an wen dieser undurchschaubare und unberechenbare Mensch ihn erinnerte. An seinen Vater! Damals hatte er nie gewusst, woran er war; Schläge ins Gesicht kamen oft völlig unvorbereitet und ohne dass man wusste, womit man ihn erzürnt hatte. Und wenn man Ärger erwartete, wurde man aus unerfindlichen Gründen ignoriert und in Ruhe gelassen und es passierte nichts. Gar nichts... Aber aus heiterem Himmel konnte ein Strafgericht über einen kommen, wenn man gar nicht daran dachte - und nie durfte man sicher sein, dass alles in Ordnung war.

Wie lange hatte er es bereits gespürt? Dieser Mann war wie sein Vater! Er spielte mit den Menschen! Es ging immer nur um eines: Sein Ansehen, seine Macht. Er gefiel sich darin, sich mächtig zu erleben. Und dafür ließ er Menschen über die Klinge springen.

Die Klinge. Sein Dolch. Er konnte froh sein, ihn zurück zu erhalten, das sollte ihm unter den Umständen völlig genügen!  Er hatte sich seine Lage selbst zuzuschreiben. Und er hatte Glück, dass er hier einigermaßen davon kommen sollte.

Ich danke Euch für Eure Großzügigkeit, Eminenz", wiederholte er und hoffte, dass es damit nun gut war.

Und das schien der Fall zu sein; die nächsten Worte des Kardinals ließen Valerio aufatmen.

"Lasst Euch das eine Lehre sein. Und nun kommt, mein Sohn. Pater Geronimo wird gleich die Messe beenden, Beichte und Abendmahl erwarten uns." Unbehaglich spürte Valerio die Hand des Inquisitors an seinem Rücken, als dieser ihn vorwärts schob.

Das Gebäude, das sie schließlich betraten, lag an der hinteren Mauer des Gartens. Im Winkel dazu standen das Kellarium und die Ställe; es lag entgegen gesetzt zu den Hauptgebäuden, in denen auch die Kapelle und der Wohntrakt untergebracht waren. Vielleicht wollte der Kardinal kein Aufsehen erregen, die Messe nicht stören, da sie durch das ausgebrochene Pferd zu spät gekommen waren, um daran teilzunehmen.

Als sie sich unter dem massiven Rundbogen duckten, um in den schmalen Gang einzutreten, regte sich etwas in Valerios Sinnen. Hell war es und scharf. Ein feines, ziehendes Gefühl, das im Rücken begann, zum Nacken hinauf lief und verschwand. Eine dünne, silberhelle Warnung... Ein Hauch nur zwischen Bienengesumme und Glockenläuten - und so schnell vergessen, wie es gekommen war.

Ende Teil 155



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