(18/2) Quercus cortex

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Kaum hatte sich Crispino hinter dem Gefangenen auf dem Boden niedergelassen, spürte er auch schon, wie die Kälte durch die Wolle der Kutte hindurch an seine Beine drang. Es war so feucht in dem nachträglich geschaffenen Teil des Kellergewölbes, dass der Docht der Öllampe die Flamme immer noch nicht halten wollte. Als das Zischen und Zucken aufhörte und sie sich endlich nach oben streckte, setzte er das Gefäß mit dem breiten Fuß neben seinen Knien ab. Das Stroh. Es musste ausgekehrt werden und neues musste her. Der Mann zitterte, er sah es - und er konnte es auch hören, die Zähne klapperten aufeinander. Erschüttert starrte er auf den blutig zerfurchten Rücken, der sich im Licht von Lampe und Fackel offenbarte, dann wagte er ihm die Hand auf die Schulter zu legen.

"Junger Mann... Ich bin Crispino. Kannst du mich hören?"

Der Verletzte reagierte nicht. Nur das Zittern verriet, dass er lebte. Notdürftig schob der Mönch das Stroh hinter seinem Rücken zusammen. Es war so wenig, dass es selbst für die Länge eines einzigen Mannes nicht reichte. Er musste ihn mit dem Gesicht von der Wand weg bekommen, ihn vorsichtig auf den Rücken drehen. Und dann noch weiter zu sich herüber. Es würde schmerzhaft werden, aber für den Anfang wusste er nicht, wie er sonst seine Wunden behandeln sollte. Er musste sich ein Bild von den Verletzungen machen. Im Grunde brauchte der Mann ein Bett, oben in der Abtei, in der Krankenstube. Dort könnte er ihn besser versorgen; es gab Tageslicht, dazu frische Luft sowie trockene Wände und Böden. Aber er war ein Gefangener. Und aus der Art, wie man ihn zugerichtet hatte, ließ sich erahnen, dass das, was man ihm vorwarf, seinen Kerkeraufenthalt mehr als berechtigte. Ob es allerdings auch der Wahrheit entsprach, wagte Crispino zu bezweifeln. Er war alt genug zu wissen, wie viele Unschuldige die grausame Inquisition auf dem Kerbholz hatte. Er hatte Mitgefühl mit dem jungen Mann. Was immer er verbrochen haben mochte, das hier war unmenschlich.

Hinter der Tür wurden eilige Schritte laut, an dem unsicheren und näselndenTon erkannte er Bruder Leone, die raue Stimme Dasios antwortete. Wenige Augenblicke später wurde der Riegel kreischend zurück gezogen und die Tür aufgestoßen. Das Dröhnen, als sie außen gegen die Wand schlug, hallte durch den Gang. Der Gefangene zuckte unter Crispinos Hand zusammen, die Arme gingen reflexartig zum Kopf, aber er blieb zur Wand gewendet liegen.

"Es ist gut... Nichts geschieht dir. Das ist nur Bruder Leone. Er wird mir hier zur Hand gehen." Er wies hinter sich, wo der junge Mönch stehen geblieben war. Die schwere Tür fiel polternd in ihre steinerne Höhlung zurück, der Riegel wurde vorgeschoben. Crispino bemerkte, dass der Gefangene seine Geste ja nicht sehen konnte; er nahm die Hand aus der Luft zurück und warf Leone, der jetzt neben ihn trat, einen vielsagenden Blick zu. Die Schulter des Verletzten fühlte sich eiskalt an, er zitterte jetzt sehr stark. "Niemand ist hier", sagte der Heiler und bemühte sich in überzeugendem und beruhigendem Ton zu sprechen, "nur Bruder Leone und ich. Wir kümmern uns jetzt um deine Wunden."

Langsam nahm der Mann die Arme vom Kopf weg. Mit Sorge und einiger Wut im Bauch blickte Crispino auf seine Hand. Im Fackelschein glänzte sie dunkelrot und schwarz, als hätte sie im Feuer gelegen. Die gebrochenen Finger... Sie waren angeschwollen und schienen völlig unbeweglich. Das verhieß nichts Gutes. Sie mussten sehen, ob sie die Finger vor einer Amputation retten konnten. Wenn dieser arme Kerl ein Handwerk hatte - er würde es nicht mehr ausüben. Aber er hatte sie gehört. Er war wach. Jetzt bewegte er den Kopf, wollte sich auf den Rücken drehen, um seine Helfer sehen zu können.

Crispino hielt ihn auf. "Warte noch. Wir legen erst eine Decke ins Stroh. Leone..."

Der Angesprochene stellte den eckigen Korb auf dem Boden ab, legte das große Bündel, das er darüber gepackt hatte, daneben, wickelte es auseinander und nahm eilig die Dinge heraus, die darin waren. Was nicht in den Korb gepasst hatte, war in die Decken gewickelt. Die Schalen und Dosen aus Olivenholz und auch einige Leinenbeutel mit unterschiedlichem Inhalt fanden oben auf dem Korb Platz. Er faltete die Decke aus dicker, gewalkter Wolle doppelt und half Crispino, sie hinter Rücken und Beinen des Mannes auszubreiten.

Seit er bei Bewusstsein war, zitterte er heftiger. Er musste starke Schmerzen haben. Seine blasse Haut und die bläulichen Hände und Füße verrieten, dass er furchtbar unterkühlt war. Vorsichtig drehten die Mönche ihn nun zu sich herum und auf den Rücken, so dass er auf der Decke lag. Sie war dicht gewebt und sorgfältig gefilzt und würde die Kälte, die vom Boden herauf drang, von dem ausgekühlten Körper abhalten. Einen Moment lang hielt der Verletzte die Luft an, verkrampfte sich, verzog den Mund und ließ eine Reihe gesunder Zähne sehen. Er schien sich zusammen zu reißen, atmete zuerst ächzend, entspannte sich aber schließlich, soweit es das Zittern erlaubte.

"Gut so", murmelte Crispino, während er das schmerzverzerrte und erschöpft wirkende Gesicht des Mannes musterte. Kaum konnte er seinen Worten genug Stimme verleihen, so sehr berührte ihn der Anblick der blutverkrusteten Züge; er konnte die Augen nicht öffnen, die Lider waren zugeschwollen. "Hab Geduld, es wird gleich besser", schob er nach und war nicht sicher, ob er einhalten konnte, was er da versprach.

Leone löste die Reste der Fesseln von den Fußgelenken, während Crispino sich um die Handgelenke kümmerte. Die Seile hatten tief ins Fleisch geschnitten, insbesondere an den Füßen. Was immer man mit ihm angestellt haben mochte, er musste sich lange gewehrt haben.

Die Öllampe, die Crispino dem Mann über das Gesicht hielt, brachte kaum neue Erkenntnisse über sein Alter. Wegen der Schwellungen und Blutergüsse war es nur schwer zu schätzen. Er konnte knappe zwanzig, vielleicht aber auch schon fünfundzwanzig sein. Die vollen schulterlangen Haare wuchsen noch dicht um Stirn und Schläfen und der Körper wirkte kräftig und gesund. Um das Alter aber besser bestimmen zu können, fehlte ihnen der Blick aus seinen Augen.

Am Haaransatz gab es zwei Platzwunden. Das Blut war nicht mehr frisch, die Krusten zeigten, dass die Verletzungen mindestens einen oder zwei Tage her waren. Die tiefen Risse in Mundwinkeln und Lippe allerdings und die Prellungen am Kiefer schienen relativ neu. Gewalteinwirkungen im Gesicht zeigten sich farblich anders, wenn sie in Heilung begriffen waren, als wenn die Verfärbungen sich gerade erst durch die Haut arbeiteten, um erstmals sichtbar zu werden.

Halt die Lampe", murmelte Crispino, "ich muss mir den Schädel genauer ansehen." Mit beiden Händen tastete er Schläfen und Wangenknochen ab, prüfte, ob die Nase gebrochen war, bewegte den Unterkiefer hin und her. Der Verletzte ließ ihn gewähren. Der Heiler spürte, wie er trotz der Schmerzen versuchte seine Bemühungen zu unterstützen, indem er die angespannten Muskeln lockerte und still hielt, so weit es eben möglich war. Crispino schnaufte zufrieden; er tatstete noch einmal nach, dann nickte er.

"Es ist nichts gebrochen?"

Er hörte das feine Beben in der Stimme des Jüngeren. "Nein, ich denke nicht", beruhigte er ihn. "Zumindest auf den ersten Blick sieht es nicht ganz so übel aus, wie ich dachte. Allerdings machen mir Rücken und Hand Sorgen..."

Leone nickte nur. Crispino ahnte, dass der sensible Junge sich während seiner Assistenz in dieser Sache arg zusammen reißen musste. Allein die klamme und düstere Atmosphäre sowie die schlechte Luft hier unten gaben ihm bereits den Rest. Dazu kam der vor ihnen liegende Beweis, dass in diesem Gewölbe Folterungen durchgeführt wurden... Als Crispino einen prüfenden Blick in das Gesicht seines Schülers warf, bemerkte er die schneeweiße Haut um Nase und Mund. Wie um sich zu beweisen hob Leone tapfer die Lampe höher, so dass sie den Rest des geschundenen Körpers genauer in Augenschein nehmen konnten.

Die Rippen waren grau verfärbt, die Seiten ebenso. Man musste ihn geschlagen oder getreten haben, aber am Brustkorb gab es noch andere Spuren gewaltvoller Einwirkung; im flackernden Schein von Fackel und Öllampe zeigten sich mehrere etwa handbreite Spuren über den Rippen. Die äußeren Ränder waren als blutunterlaufene Linien rings um den Oberkörper sichtbar. Das waren die eisernen Klammern, die der Kardinal nicht selten so streng anwenden ließ, dass die unteren Rippen brachen.

Seit es in den Gewölben unter der Abtei begonnen hatte, sprach man hinter vorgehaltener Hand von den Methoden des Inquisitors und was sie bei den Gefangenen anrichteten. Es hatte sich schnell herum gesprochen, so dass nicht nur Salomone als erster Wundmeister die Anzeichen kannte; auch Crispino als sein Vertreter und zweiter Heilkundiger hatte inzwischen so viel davon gehört, dass ihm der Anblick regelrecht vertraut vorkam - beinahe so, als hätte er selbst die Spuren der peinlichen Verhöre bereits viele Male gesehen. Alles andere, was er weiter feststellen konnte, sah aber nicht nach den üblichen Anwendungen aus, immerhin gab es gesetzliche Regelungen. Die Tritte mussten ihm verpasst worden sein, während er auf dem Boden lag. Das war das schändliche Werk der Wächter.

Auch die Hand- und Fußfesseln waren wohl Teil der Misshandlungen, die man dem Mann hier im Kerker zugefügt hatte, dachte er, während er vorsichtig einen der angewinkelten Arme nahm und ihn vom Oberkörper weg zog. Kalt war der Arm und steif, aber der Gefangene ließ es mit zusammen gebissenen Zähnen zu; er schien zu spüren, dass es zu seinem Guten war.

Am Hals fanden sie mehrere blutverkrustete Male. Einige hatten zu eitern begonnen. Crispino kannte die mit Stacheln versehenen Eisenbänder, die man widerspenstigen Gefangenen um den Hals legte, wenn man sie von einem Ort zum nächsten brachte. Damit schob man sie in vergitterte Wagen hinein, um sie zur Richtstätte zu bringen, aber an den langen Stangen, die sich in den Halsring einhaken ließen, konnte man sie auch lebendig ins Feuer schieben. Es gab kein Entkommen, wenn man diese grausame Fessel trug. Trotz seiner schweren Verletzungen musste dieser Mann ein kämpferischer und wehrhafter Delinquent sein. Man hatte ihn auf die furchtbarste Art gesichert... Entweder war seine Aussage von großer Wichtigkeit und sein Vergehen extrem hoch bewertet, oder er wurde aus anderen Gründen gefürchtet.

Crispino mochte sich die Qual und Angst nicht vorstellen, die der junge Mann erlitten haben mochte. Zügig brachte er die unguten Gedanken zum Schweigen und wandte seine Aufmerksamkeit wieder dem geschundenen Körper zu.

Dünne Laufspuren getrockneten Blutes führten von den Halswunden über die Brust bis zum Bauch hinab. Die rechte Hand, auf die der Mönch nun einen zweiten Blick warf, ließ ihn beinahe verzweifeln. Die Fingernägel waren heraus gerissen worden und man konnte wegen der Schwellungen nicht sagen, ob die Gelenke noch intakt waren. Wenn er das nicht sauber hin bekam, würde der Wundbrand die Sache schneller erledigen als neue Fingernägel nachwachsen oder gequetschte Knöchel heilen konnten. Hier würde man spätestens morgen Abend eine Entscheidung treffen müssen. Besser er verlor die Hand, als dass ihn der Wundbrand tötete... Aber noch immer wusste er nicht, ob er ihm mit seiner Rettung überhaupt einen Gefallen tat.

Leone hatte die ganze Zeit stumm dabei gesessen und die Handgriffe seines Meisters beobachtet. Es war untypisch für ihn, dass er so wenige Fragen stellte, seine wissbegierige Natur stand schon immer im auffälligen Kontrast zu seiner Zurückhaltung. Seit er sich mit seinem Meister vertrauter gemacht hatte, siegte beinahe immer die Neugierde über die Schüchternheit, sobald er aufgetaut war - Hier jedoch wirkte er, als würde er am liebsten sofort wieder ans Tageslicht zurück kehren. "Kann er die Augen öffnen", flüsterte er jetzt leise. Ein klares Lebenszeichen des Verletzten sollte ihn wohl beruhigen.

"Ich denke... heute noch nicht. Aber hab keine Sorge, das ist das geringste Übel."

Der Gefangene hatte sie gehört. Die blutverkrusteten Lider zuckten, aber die Schwellung ließ offenbar keinen Blick zu, sie blieben geschlossen.

"Das wird schon noch", murmelte Crispino und deutete seinem Schüler, einen Lappen mit warmem Wasser zu begießen. Er drückte ihn über einer der Schalen aus und begann das Gesicht abzuwaschen. "Nun füll mir die Schale mit heißem Wasser. Und dann bereite den Trunk vor, wir müssen ihn betäuben, wenn es an den Rücken geht. Aber vorher deck ihn zu, fürs Erste haben wir genug gesehen."

Leone breitete eine zweite Decke über den Verletzten. Mit bebenden Händen füllte er die Schale auf, damit sein Meister den Lappen eintauchen konnte, dann fischte er im Korb nach einem Becher.

"Zwei Maß... nein, drei von dem mittleren", wies Crispino ihn an. "Er verträgt drei." Mit mehreren kurzen Seitenblicken vergewisserte er sich, dass Leone den Messlöffel gut füllte, aber nicht versehentlich daneben goss und dann zu viel im Becher hatte; seinem Zögling zitterten die Hände ein wenig zu sehr, als dass er ihm diese ernsthafte Aufgabe heute allein überließ. Aber er machte seine Sache gut, das Maß stimmte. Jetzt wurde warmes Wasser zum Schlafmohnsaft gegossen.

"Nicht so voll, Leone. Falls er nicht alles austrinkt. Klares Wasser kann er danach noch haben, so viel er will."

Crispino wusch den Lappen mehrmals aus, goss dann einen guten Schuss Essig in die Schale und rieb behutsam Dreck und Blut von den Händen des Mannes herunter, so gut es bei dem wenigen Licht möglich war. Er musste sehen, ob es offene Wunden zu behandeln gab. Die Hand zitterte. Als der Verletzte plötzlich hustete, stieß er einen Schmerzenslaut aus. Die geprellten Rippen machten ihm zu schaffen, hinderten ihn gleichmäßig zu atmen. Der Heiler warf einen Blick auf den Becher mit dem Schlaftrunk, der in der Hand des jungen Mönchs wartete. 

"Kann er überleben", fragte Leone ein wenig beherzter, "ich meine, wenn er hier unten im... Keller liegt?"

"Ich befürchte, man wird nicht erlauben, dass wir ihn mitnehmen", flüsterte Crispino mit einem Blick über die Schulter. Sie mussten vorsichtig sein, was sie besprachen. Der Wächter, Dasio... er klebte womöglich mit dem Ohr hinter der Tür. "Aber lass mich überlegen.... Mir wird noch etwas einfallen." Nachdenklich ging sein Blick über das geschwollene Gesicht. Wenn sie ihm helfen wollten, mussten sie mehr über ihn erfahren.

"Sag...", begann er leise, "wie ist dein Name?"

Vielleicht war er wieder bewusstlos geworden - oder er wusste nicht, dass er gemeint war, denn die eingerissenen Lippen blieben unbewegt. Doch dann zeichnete sich eine Regung im Gesicht des jungen Mannes ab, die Brauen zogen sich leicht zusammen, als müsse er Schmerzen überwinden, um zu sprechen. Heiser und rau war seine Stimme.

"Va... lerio."

"valere... der Starke, der Gesunde", entgegnete der Heiler erstaunt. Trotz der Heiserkeit und einer hörbaren Schwäche lag in der Stimme noch so viel Kraft und Tiefe... Er musste doch älter sein als Crispino es sich gedacht hatte. Da klang Persönlichkeit durch, wenn er sich nicht täuschte. Und im Grunde täuschte er sich kaum jemals, wenn es um die Einschätzung von Menschen ging. Er nickte anerkennend. "Ein guter Name, mein Sohn. Du wirst es schaffen." Wenn mir einfällt, wie wir dich hier heraus bekommen, dachte er besorgt. Er wechselte einen schnellen Blick mit Leone. Keine noch so große Stärke und Willenskraft überstand auf Dauer solche Torturen. Der Arme war bereits am Ende. Wenn sie ihn retten wollten, mussten sie herausfinden, was man ihm vorwarf. Aber jetzt galt es erst einmal seine Lage zu verbessern, ihn gesund zu pflegen und den Prozess aufzuschieben. Sie mussten Zeit gewinnen.

Gemeinsam hoben sie seinen Oberkörper an, stützten ihn, warteten, bis sich die Schmerzen am Rücken einigermaßen gelegt hatten, und hielten ihm den Becher an die Lippen, um ihm den Trunk einzuflößen. Plötzlich wehrte er sich, bäumte sich auf, trat um sich. Beinahe hätte Leone den Becher fallen gelassen.

"Das ist gegen die Schmerzen", erklärte Crispino geduldig. "Du musst es trinken, denn gleich geht es an deinen Rücken. Wir können nicht..." Irritiert hielt er inne, als Valerio tastend beide Hände ausstreckte.

Crispino nickte Leone zu. "Gib ihm den Becher in die gesunde Hand. Er hat einiges erlebt. Er muss das allein machen."

Bewegt sahen sie zu, wie Valerio zuerst an der Flüssigkeit roch und dann, bevor sie auch nur erklären konnten, was sie ihm da gaben, den Becher ansetzte und alles in einem Zug austrank.

Als sie ihn wieder auf die Decke hinunter ließen, stöhnte er laut auf.

"Lass mich die Rippen noch einmal ansehen", murmelte Crispino mehr zu sich selbst. "Wenn wir Glück haben, ist eine gebrochen."

Leone starrte seinen Meister fassungslos an. "Wenn wir Glück haben? Ihr meint sicher, wenn er Pech hat."

Crispino schüttelte den Kopf. "Ich meine es so, wie ich es sage. Eine gebrochene Rippe schenkt uns drei Wochen, vorausgesetzt, er hat sein drittes Verhör nicht schon hinter sich. Denn wenn er schuldig befunden wurde, steht nun seine Hinrichtung an. Den Henker interessiert eine gebrochene Rippe nicht."

Leone schluckte. "Seine Hinrichtung...", flüsterte er. "Aber vielleicht ist sein Vergehen ja gar nicht so arg?"

Sieh ihn dir an", raunte Crispino zurück. Er ignorierte das dumpfe Stöhnen des Verletzten, während er die Rippen bis hinten zum Rücken hin abtastete. "So geht man nicht um mit einem, der eine Dirne um ihr Geld betrogen oder Äpfel aus Nachbars Garten gestohlen hat. Auch für Brotraub hätte man ihm drei Finger seiner Hand genommen und gut. Er wäre längst frei." Er wies auf die blutunterlaufenen Prellungen, auf das Gesicht. In seinem Ton lag beißende Ironie, als er mit gesenkter Stimme fortfuhr. "Hier siehst du die grausamen Spuren der neuerdings wieder aufblühenden Pest des Geistes, mein Sohn. Die Inquisition kümmert sich um die Feinde Gottes und der Kirche, aber nicht um weltliche Verbrechen. Ich vermute Ketzerei oder ein ähnlich schwerwiegendes Vergehen."

"Ketzerei", hauchte Leone. Der Heiler sah ihm seine Fassungslosigkeit an, in der Stimme seines Lehrlings schwang leises Entsetzen mit. Crispino bewunderte den festen und überzeugten Geist des Jungen. Aber er wusste auch, dass es nur einen Schritt hinüber brauchte zu Fanatismus und Wahn, wenn man noch keine Phase des Zweifels durchlebt und die Inhalte seines Glaubens noch niemals in Frage gestellt hatte. Um die Macht und Gewalt des Glaubens zu begreifen und auf der Hut zu sein vor der gefährlichen Blindheit, die zu großen Irrtümern und furchtbaren Taten führen konnte, brauchte es weitaus mehr Reife. Glaube forderte blindes Vertrauen. Und genau dies war das Problem. Darum versuchte Crispino den Traum des Glaubens mit einem schlafenden und einem wachen Auge zu durchreisen.

Für ihn war Ketzerei nichts anderes als ein Zweifel an Gott. Zweifel waren menschlich. Und vieles, was man im Leben dachte und glaubte, war großen Wandlungen unterworfen, Hoffnung bestand also immer. Er war nicht dafür, dass Ketzer verfolgt und vernichtet wurden. Während sein junger Schüler jeden Unglauben instinktiv als Frevel und Schande empfand, hielt er selbst diesen für menschlich. Er fand es nicht richtig, einen Menschen von seinem Glauben mit Gewalt abzubringen oder jemanden zu zwingen, überhaupt irgendetwas zu glauben. Sein Vertrauen in Gott war ganz anderer Art: Er wollte das Drohende und Strafende nicht annehmen, das überall gepredigt wurde, sondern sich einen liebenden und geduldigen Vater vorstellen. Dieser würde jedes verlorene Schaf jederzeit aufnehmen, wann immer es ihm folgen wollte - und sei es auch erst in der letzten Stunde seines Lebens. Ketzer... das waren Schafe auf der Suche nach dem richtigen Weg, nicht mehr. Und manche brauchten eben ihr Leben lang, um zu besseren Einsichten zu kommen.

Crispino wollte wissen, ob er Recht hatte. Er beugte sich nahe zu dem jungen Mann hinunter, senkte seine Stimme. "Valerio... Was wirft man dir vor? Wie lautet die Anklage?" Er starrte in das Gesicht des Verletzten, hoffte, dass er antwortete. Er schien mit sich zu kämpfen.

"Mord..., brachte er schließlich mühsam hervor. "An einem... Jungen. Raub... "

"Aber das ist weltliche Zuständig..."

Crispino gebot Leone mit einer energischen Hand zu schweigen. "Das wird aber doch nicht alles sein", tastete er sich vorsichtig weiter vor. "Der Kardinal... er ist an dir interessiert, wie man sieht. Er macht viel Aufwand wegen dir. Warum hält er dich hier fest? Er richtet im Interesse der Kirche. Mord ist nicht sein Hoheitsgebiet."

Das Zittern der Hände verriet, dass das Thema den Gefangenen bewegte. "Sprich leise, wir hören dich", mahnte Crispino und beugte sich noch ein wenig weiter vor.

Valerios Gesicht wurde plötzlich lebendiger, seine Mundwinkel zuckten, als wollte er lächeln, dann nahmen sie einen zynischen Ausdruck an. "Magie", flüsterte er rau und so deutlich in Crispinos Ohr, dass auch Leone es gehört haben musste. Eine Gänsehaut kroch die Arme des Heilers hinauf. Das war heikel - weitaus mehr, als er gedacht hatte. Ein schwaches Lachen ließ jetzt den Oberkörper unter der Decke beben. Dann sah es einen Moment so aus, als wollte der junge Mann weinen. "Sterbe.... zauber", brachte er flüsternd hervor.

"Magie. Sterbezauber...", wiederholte Crispino sanft. Er bemühte sich sein Erschrecken über die Schwere der Worte nicht in seiner Stimme mitschwingen zu lassen und spürte doch, wie sein Hals sich verengte. "Und? Ist das wahr?" Das entsetzte Gesicht seines Schülers ignorierte er.

Die Augenbrauen zogen sich schmerzlich zusammen. "Ja."

Crispino stieß den angehaltenen Atem scharf durch die Nase aus. Energisch stopfte er die Decke um Valerios Schulter. "Wir werden dich jetzt auf die Seite drehen. Uns bleibt nicht viel Zeit. Dein Rücken braucht Behandlung. Bevor man uns hier rauswirft."

Der Verletzte murmelte etwas. Die Worte waren diesmal nur schwach zu hören, der Schlafmohnsaft tat bereits seine Wirkung. Crispino verstand es nicht gleich. "Quer... cus,"wiederholte Valerio, das Sprechen schien ihm langsam schwerer zu fallen. "Quercus... cortex."

Crispino runzelte die Stirn. "Quercus cortex. Eichenrinde,  ja. Die haben wir." Er nickte zum Korb hinüber.

"Thymus... der dunkle.... langblättrige. Dazu... Calendula. Und... Lactuca. Lactuca... Nicht vergessen..."

Es schien, als wollte er ihnen ein Rezept für eine Medizin geben. Crispino war erstaunt über die Kenntnisse des jungen Mannes. "Lactuca... Lattich... Das lass unsere Sorge sein", beruhigte er ihn. "Ich bin Wundheiler, hab's im Kloster gelernt. Und Bruder Leone hier, der ist auch schon bald ein Jahr dabei. Wir mischen dir etwas Gutes, du wirst sehen, das wird helfen... "Suchend tastete er sich durch die Sammlung der Dosen, Beutel und Fläschchen, die neben ihm auf dem Boden lagen. "Leone... Mohnsamen, hast du die mitgebracht?"

Leone zuckte ratlos die Schultern. "Nur den Saft für den Trunk. Die Mohnsamen sind alle schon verarbeitet."

"Zu Pulver? Kannst du welches holen?"

Sein Schüler schüttelte den Kopf. "Da ist nur noch Hustenmittel. Kugeln zum Einnehmen. Für den Winter. Damit ist hier nichts anzufangen." Er hob die kleine Flasche hoch und schüttelte sie. "Und der Saft hier, das ist der Rest. Aber ich könnte fragen, ob..."

Valerio hob eine Hand und beide verstummten. "Nicht... Mohnsamen. Honig. Tymus... Quercus, Lactuca und... Calendula."

"Er hat Recht." Crispino packte Leones Arm. "Honig ist besser... und Lattich! Lactuca statt Mohn! Die Mohnsamen wachsen in die Wunden ein, sie machen Schwierigkeiten, wenn es zuheilen will. Das Auswaschen ist schmerzhaft und durch das viele Waschen heilt es schlechter zu. Diese Risse sind zu tief... den Honig nimmt die Wunde aber auf, er wirkt und verschwindet. Lattich... Ja, natürlich! Ein hervorragendes Mittel, auch gegen die Schmerzen. Das kann uns den Mohn ersetzen."

"Und wir haben so viel davon, dass wir es dem Apotheker in der Stadt verkaufen", ergänzte Leone eifrig.

"Lauf, Junge. Bring Honig her, einen Topf voll oder mehr. Wir rühren Eichenrindenpulver und dazu eine gute Handvoll geriebenen Lattich, Calendula und Thymian hinein. Das ist gut." Valerios Hand sank auf die Decke zurück.

Leone stand auf und ordnete sein Gewand. Er ließ sich von dem Wächter die Tür öffnen, dann hörte Crispino, wie sich seine Schritte eilig im Gang entfernten.

Ende Teil 164


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