(2/1) Die Flucht

Màu nền
Font chữ
Font size
Chiều cao dòng

Das Wasser auf dem Boden, es verriet ihn. Die weitläufige Halle verstärkte die Geräusche, die seine nackten Füße verursachten. Zwischen den Wänden hin und her geworfen multiplizierte sich der Klang seiner Schritte, wurde zu einem nicht endenden Plätschern und Patschen, als wenn tausend Füße sich über den gefluteten Boden hinweg tasteten. Jetzt stand er still wie eine Statue, rührte sich nicht mehr, und das Echo lief aus und erstarb. Er hatte es tatsächlich vom unteren Ende der Treppe bis an die Tür geschafft. Die Hände ins Dunkel hinein gestreckt, war er seinem räumlichen Vorstellungsvermögen und Instinkt gefolgt. Erleichtert legte er seine Hände an die Schnitzereien des alten Türblattes, lauschte angestrengt zur Treppe in seinem Rücken. Wenn Valerio ihn gehört hätte, wäre er längst hier.

Die unvermeidbaren Geräusche seines gepressten Atems begannen die Stille in der Halle anzufüllen. Es klang gespenstisch. Die Schmerzen im linken Bein, in den Schultern und Handgelenken ließen ihn taumeln, eine dumpfe Übelkeit wuchs in seiner Magengegend. Was war nur mit ihm los, was war geschehen?

Erschöpft lehnte er den Kopf gegen die Tür. Er musste sich sammeln, einen Augenblick verschnaufen, bevor er die nächsten Schritte wagte. Und nachdenken. Dieses Zimmer ... wie lange hatte er dort gelegen? Seltsame Träume und wispernde Stimmen hatten ihn aus dem Schlaf geweckt. Der Raum, in den er gebracht worden war, lag am hinteren Ende des Ganges. Abgesehen von den beunruhigenden Bildern in seinem Kopf, die auch nach dem Aufwachen nicht verschwinden wollten, war es ihm zunächst einigermaßen gut gegangen; die furchtbaren Schmerzen stellten sich urplötzlich ein, als er das Treppengeländer ertastete und den Fuß auf die erste Stufe setzte. Nicht auszudenken, wenn er da hinunter gestürzt wäre! Schritt für Schritt, den Arm in die Verstrebungen des Geländers eingehakt, hatte er sich vorwärts gequält. Seinen Händen und Handgelenken fehlte jede Kraft, es war, als habe man mit dem Hammer darauf geschlagen.

Hier unten gab es kein Licht. Kein Mond schien in die Halle hinein, sie hatte keine Fenster. Das Pochen und Bohren in seinem Knöchel wurde unerträglich. Mit den Füßen im kalten Wasser stehend begann er zu frieren, aber wenigstens linderte es die Schmerzen ein wenig. Was hatte dieser Valerio mit ihm angestellt? Er erinnerte sich an gar nichts. Stattdessen schoben sich - wie die zuckenden Bilder eines alten Films - immer wieder Szenen aus seiner Vergangenheit vor sein Bewusstsein. Es mischte sich mit dem, was er gerade durchlebte, kaum konnte er Trug und Realität auseinander halten. Wenn sein Kopf nur endlich Ruhe gab! Wurde er wahnsinnig? Oder stand er unter Drogen?
Zitternd tasteten seine Finger die Tür ab, suchten nach dem Knauf und fanden ihn. Irgendetwas stimmte nicht mit seinen Handgelenken. Wenn das überhaupt möglich war, machten sie ihm nun noch mehr Schwierigkeiten als auf der Treppe. Er nahm sich zusammen, Blitze zuckten vor seinen Augen, als er das verzierte Metall mit beiden Händen packte, es drehte. Er unterdrückte ein Ächzen, es fühlte sich an, als würden sich Nägel in seine Handknochen bohren. Noch einmal versuchte er es mit zusammen gebissenen Zähnen, dann gab er auf. Die Tür war verschlossen. Innerlich lachte er verzweifelt auf. Natürlich war sie das.

Und nun? Beinahe dachte er daran, an Ort und Stelle auf den Boden nieder zu sinken und sich in seinen erbärmlichen Zustand zu ergeben. Wenn er sich auch an nichts erinnerte, eines war klar: Die Schmerzen wurden schlimmer, je länger er sich auf den Beinen hielt. Er hatte keine Zeit mehr. Da war nur diese eine Chance, er durfte jetzt nicht aufgeben. Dieser Valerio musste ein Irrer sein, er war gefährlich.

Was also tun? Gedanken an Giulia und seine Mutter, an Harald und andere Menschen aus seinem Leben drängten sich in seinem Kopf. Gesichter, Fetzen erlebter Szenen, auch Worte und Sätze, die gesprochen worden waren, alles wirbelte und wogte durcheinander und ließ ihn keinen klaren Gedanken fassen. Mit Mühe gelang es ihm, sich den Bauplan eines typischen venezianischen Renaissance Hauses vorzustellen. Da musste es irgendwo ein Wassertor geben. Für die Gondel. Meistens befand es sich in der Halle, oft gegenüber vom Eingang oder an einer der Seiten. Verdammt, dass es so dunkel war! In der Schwärze schloss er die Augen, rief die Erinnerung an den Moment herbei, als Valerio ihn in die Halle hinein geführt hatte. Mit der Fackel in der Hand ... sie beleuchtete die Treppe ... und halb versteckt in den Schatten dahinter ... eine schmale Tür. Die Tür! Sie musste es sein!

Mit klopfendem Herzen wandte er sich rückwärts, versuchte sich schräg zur Treppe zu halten, deren Lage er in der Finsternis nur ungefähr schätzen konnte, und wagte einige Schritte über den Boden. Dann noch mehr und weitere – bis seine Zehen an die unterste Stufe stießen. Jetzt schnell ... er fischte im Dunkeln nach dem Geländer und bekam es zu packen. Schritt für Schritt wandte er sich nach rechts und am Geländer vorbei, verfolgte den Lauf des kalten Metalls so weit nach oben, wie sein Arm reichte und wollte im Weitergehen gerade loslassen ... als seine Finger eine Hand ertasteten.

Der Schreck kam so plötzlich, dass sich seine geschundenen Muskeln an Bauch und Rücken verkrampften. In einer einzigen Bewegung zog er die Hand weg, hechtete mit weit aufgerissenen Augen und ausgestreckten Armen nach vorne weg ins Dunkel, er fiel mehr, als er lief - bis er mit dumpfem Schlag auf eine hölzerne Fläche prallte. Als Hand und Schulter gegen die Barriere stießen, ließ der Schmerz ihn beinahe in die Knie gehen; aber er blieb stumm in seiner Panik, tastete wild die Seiten der Tür ab, fand den Knauf, drehte ihn ... und stolperte blind hinaus, als der Mechanismus nach gab und die Tür aufschwang.

Wie im Fieber nahm er die riesigen Schatten der Zypressen wahr; der Mond schien blass darüber hinweg und beleuchtete eine Reihe halbrunder Bohlen unter seinen Füßen. Er spürte sie rau und feucht, es musste geregnet haben. Die Gondel ... wo konnte sie sein? Die Vorstellung, dass Valerio jeden Augenblick hinter ihm durch die Tür kommen und ihn packen würde, ließ ihn beinahe durchdrehen. Panisch suchte er die Seite der Plattform ab, an der der Kanal entlang ging, aber er fand nichts. Schließlich warf er sich auf den Bauch und angelte blind unterhalb des Stegs herum ... Da war ein dünnes Seil! Als er daran zog, rumorte und polterte etwas unter ihm. Das Wasser war gestiegen, das Gefährt hatte sich unter dem Holz verkeilt. Fester zog er, ohne Rücksicht auf seine Hände, und manövrierte endlich den aufgewölbten Bug unter der Plattform heraus. Dann ging alles sehr schnell, während er jeden Augenblick damit rechnete, dass eine Hand ihn am Kragen packte und vom Boden hoch zog. Aber es geschah nicht. Als er in die Gondel kletterte und nach dem Stecken griff, sah er nicht mehr zurück.

In wahnsinniger Angst beeilte er sich, das Wasserfahrzeug zu wenden und Tempo aufzunehmen. Der Kanalabschnitt verlief um die Hausseite herum; danach ging es eine ganze Strecke nur geradeaus und er konnte die Geschwindigkeit steigern. Seine Handgelenke spürte er nicht, so sehr stand er noch unter dem Schock dessen, was zuletzt geschehen war.

Valerio hatte dort in der Dunkelheit auf der Treppe gestanden, er war sich ganz sicher. Er hatte seine Hand gespürt, die Finger. Es gab keinen Zweifel: Er hatte seine Flucht beobachtet. Und ihn nicht aufgehalten. Oder kam er nun hinter ihm her? Wollte er ihn jagen, hatte er Spaß daran? Allein der Gedanke ließ ihn frösteln. Wenn er es tat, gab es nichts, was er ihm entgegen setzen konnte, er war verloren. Er hatte derartige Mühe, trotz der furchtbaren Schmerzen voran zu kommen, dass er sich entschied, den Fokus zu behalten. Gegen Valerio war sowieso nichts auszurichten. Also wandte er sich nicht mehr um, sondern heftete verbissen den Blick auf die Silberspur, die der Mond vor ihm über das dunkle Wasser goss.

Ende Teil 9


Bạn đang đọc truyện trên: Truyen2U.Pro