(6/3) Die Höhle des Löwen

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Bonifatia Agostina ließ die Perlen ihres Rosenkranzes durch die Finger gleiten. Sie starrte zum Fenster hinaus, als gäbe es dort Interessanteres zu sehen als die dichter werdenden Wolken am Himmel oder den Südhang des Monte Subasio. „Und warum sollte sie nicht?", fragte sie langsam, ohne sich zu Maria umzudrehen. Ihre Stimme klang knarrend, hart. Wie immer, wenn sie einer Sache Unverständnis oder Gleichgültigkeit entgegen brachte und man damit rechnen musste, dass sie das Thema innerhalb weniger Minuten als beendet betrachtete.

„Weil sie jung ist." Der kurze Nachhall ihrer eigenen Worte ließ Maria aufhorchen.  Er kam von den steinernen Wänden zurück und brach weg, bevor er die Mitte des langgestreckten Raumes erreicht hatte. Es war nicht gut, wenn bereits ihre Einleitung so dominant im Raum hängen blieb. Es war so still hier drinnen, wenn niemand sprach. Der Anfang war also gemacht... mit Nachhall. Es gab kein Zurück. Und am Ende - ob das nun in einer Minute oder einer Stunde sein würde - war ein Ergebnis vorhanden, mit dem sie leben musste. Und Caterina.

Es konnte entsetzlich schiefgehen, und dann hätte sie womöglich alles noch schlimmer gemacht! Maria wusste, sie hatte nur einen Versuch. Ihre Argumente waren wohl durchdacht, aber nun war sie nicht mehr so sicher, dass ihr Vorhaben gelingen würde.

Weil sie jung ist, hatte sie gesagt - und hatte keine Ahnung, ob dies in Bonifatias Welt ein Argument darstellte. "Und unglücklich", ergänzte sie daher. „Das Mädchen ist noch nicht einmal Achtzehn. Sie wird sich einleben und bessern. Und es wird ihr leichter fallen, wenn sie nicht gleich zu Beginn ihres Postulats in die Einsamkeit getrieben und... geärgert wird." Maria hatte eine sehr milde Umschreibung der Schikanen gewählt, denen Caterina seit ihrer Ankunft im Kloster ausgesetzt war. „Es würde ihren Trotz nur verstärken", erklärte sie.

„Verärgert ist das Mädchen also?", schnaufte die Äbtissin und wandte sich wieder in den Raum. „Besteht unsere Aufgabe darin, unsere neuen Novizinnen bei Laune zu halten? Ich dachte, sie lernen... Demut?"

Bei dem Wort Demut hatten sich ihre Augenbrauen gehoben und ihr Blick hatte einen gespielt erstaunten Ausdruck angenommen, hinter dem Bosheit und Arroganz lauerten. Maria empfand diese Mimik als enormen Kontrast zu allem, was man mit dem Begriff Demut auch nur in Verbindung bringen konnte – wenn man bedachte, dass echte Bescheidenheit ohne Aufrichtigkeit und Güte nicht denkbar war! Sie hielt es für möglich, dass Bonifatia keinerlei brauchbare Erfahrung mit Demut in irgendeiner Form hatte.

Sie musste diplomatisch sein, wenn sie etwas für Caterina erreichen wollte. „Sie wird Demut lernen, davon bin ich überzeugt", beteuerte sie und befürchtete sofort, zu leise und zögernd gesprochen zu haben. „Härte bringt nur Härte hervor", fuhr sie daher in deutlicherem Ton fort. „Das Mädchen verhält sich widerspenstig, weil sie  Härte bereits durch ihre eigene Familie erfahren hat. Sie ist nicht freiwillig bei uns, das sollten wir bedenken. Ihre Familie hat für ihre religiöse Erziehung eine große Schenkung beigesteuert. Es liegt bei uns, mit dem Mädchen nun keinen Fehler zu machen, Bonifatia. Wenn wir sie für den Glauben gewinnen wollen, bevor sie uns von sich aus verlassen könnte, müssen wir geduldig und geschickt vorgehen."

Das Geld - und dazu die Tatsache, dass Caterina in ein Alter kommen würde, in dem sie selbst über sich entscheiden durfte - hatte Maria wie nebenbei erwähnt. Ihr war nicht entgangen, wie in diesem Moment die Körperhaltung der Äbtissin gewechselt hatte, wie sie wacher, gespannter geworden war. Der Wink hatte gewirkt.

Ihr war sehr bewusst, dass jeder Appell an menschliche Haltungen hier vergeblich sein würde. Dies war ein Schachspiel, ein strategischer Kampf. Er musste gewonnen werden, um des Mädchens willen. Maria selbst war nur ein einzelner Bauer auf dem gefährlichen Feld, auf das sie sich hier begab. Dies bedeutete, dass sie andere Figuren in ihren Reihen in Gefahr bringen konnte, wenn sie die gegnerische Linie überschritt. Bonifatia Agostina hingegen war die Dame. Sie beherrschte die Szenerie; sie hatte einen religiösen Hofstaat hinter sich und konnte auf beiden Seiten nach Belieben Figuren für ihre Ziele opfern.

Die Äbtissin hatte die Hände auf den Rücken gelegt. Der Rosenkranz mit dem schweren Kreuz daran baumelte gegen ihr dunkles Gewand. Sie begann durch den Raum zu wandern.

„Meine liebe Maria", schmeichelte sie. „Ist es nicht so, dass die traditionelle Auferlegung des Schweigens dazu dient, in sich zu gehen – weg von weltlicher Oberflächlichkeit und Ablenkung, hin zu den wahren Fragen des Lebens, den tatsächlichen Bedürfnissen der nach Erlösung durstenden Seele?" Sie bedachte die Jüngere mit einem kalten Blick. Maria hatte Mühe, diesem stand zu halten. "Caterina Appiani mag von ihrer Familie in unsere Obhut gegeben worden sein, und ja, die Undankbare mag dies jetzt nicht befürworten. Noch nicht. Aber sie ist jung! Ich gebe dir hier vollkommen recht. Formbar wie heißes Eisen."

Im Vorübergehen wandte sie den Blick zur Seite, wo Maria nach wie vor still auf der Stelle stand. "Vorausgesetzt, der Hammer fährt hart genug auf sie nieder", ergänzte sie. Maria zuckte zusammen. Bonifatia blieb stehen und besah den gekreuzigten Jesus, der über der Tür hing. „Wir sind uns im Grunde nicht uneinig, wir beide. Nur unterscheidet sich die Methode, die ich gewählt habe, von deiner, meine Gute."

Maria lag die Frage auf der Zunge, die sie nicht zu stellen wagte. Zu gern hätte sie gewusst, ob Orazia die Äbtissin hier inspiriert hatte oder ob die Idee eines umfassenden Schweigens für mindestens drei Monate tatsächlich eine Order von Bonifatia gewesen war.

Ohne Orazias Zutun und Willen hätte die Äbtissin gar keinen so frühen Bericht über Caterinas Verhalten bei der Ankunft der Novizinnen erhalten. In der Regel gab es gar keine berichtenswerten Vorfälle in diesen Situationen. Es war daher üblich, nur die Ankunft der erwarteten Novizinnen formal zu bestätigen - oder zu melden, wenn es hier Änderungen gegeben hatte. Es ging niemals um die Bewertungen von Charakter oder persönlicher Dinge, nicht in diesen ersten Tagen. In Caterinas Fall war vollständig außerhalb der üblichen Regeln gehandelt worden.

Maria kochte innerlich vor Wut. Wie sollte sie diesen Punkt ansprechen, ohne die bisssige Pförtnerin zu erwähnen? Vielleicht konnte sie Orazia umgehen und das Pferd von der anderen Seite aufzäumen...

„Ich möchte um ein wenig Zeit bitten, Bonifatia", tastete sie sich behutsam vor. „Nicht für das Mädchen selbstverständlich, sondern für mich. Du hast Recht... Wir sollten sie nicht gewähren lassen und sie auch nicht mit Samthandschuhen anfassen. Noch ist sie in einem Alter, in dem die Familie über sie entscheidet – und mit ihrem Eintritt ins Kloster sind wir es nun, in deren Händen ihre Entwicklung liegt. Bis zu ihrer Profess in einem Jahr, vorausgesetzt, sie wäre dann bereit für das Gelübde. Dann entscheidet sie selbst über ihr weiteres Leben."

Sie wagte einen Blick zu Bonifatia hinüber, die ihr aufmerksam zuhörte. „Sie weiß, dass ihr weder eine Mitgift noch ein Erbe zustehen", fuhr sie fort, "und sie hat bisher nichts gelernt, womit sie sich draußen in der Welt am Leben halten könnte. Eine Heirat wäre die übliche Lösung für junge Frauen wie sie. Aber ohne Mitgift wird dies also ebenfalls keine Möglichkeit sein. Alles, was sie gebrauchen könnte, haben wir ihr zu bieten und sie ist ein kluges und einsichtiges Mädchen, dafür würde ich bürgen! Ich sehe keine Notwendigkeit, sie nun mehr als nötig unter Druck zu setzen, denn ihre Lage tut dies bereits genug, ich müsste sie nur erinnern. Wenn sie schweigen soll, damit sich ihr der göttliche Funke offenbart, dann soll es so sein. Ich möchte aber vorschlagen, dies zu begleiten und ihr – nur probeweise zunächst – regelmäßige Erleichterung und Lockerung zu gewähren. Denn ich bin überzeugt, dass Gespräche und menschlicher Kontakt ebenfalls ihrer guten Entwicklung sehr förderlich sind."

„Du willst sagen, du möchtest sie unter deine Fittiche nehmen? Unter deinen Regeln? Ohne Einmischung weiterer Instanzen?"

"In meine strenge Obhut, ja." Maria klopfte das Herz bis zum Hals. Sie bemühte sich, an diesem brisanten Punkt ihre Stimme fest und sicher wirken zu lassen. "Ich würde das Mädchen beaufsichtigen, aber allein", sagte sie. "Zumindest für die nächsten Wochen. Ich erkläre mich während dieser Zeit vollständig für ihr Verhalten und Handeln verantwortlich, Bonifatia. Strafe mich, wenn ich meine Aufgabe nicht im Sinn der Kirche erledige. Strafe mich für jeden kleinsten Fehler, den sie macht. Und nimm die Entscheidungsgewalt gänzlich von mir, wenn ich scheitere. Aber bis dahin lass mich alles versuchen, um sie auf unseren Weg zu führen und ihr die Möglichkeiten aufzuzeigen, die sie durch die christliche Gemeinschaft erhält. Niemand sonst bietet ihr Essen, Kleidung, ein Heim, Nahrung für die Seele, eine Gemeinschaft, Bildung und sinnvolle Aufgaben, das wird sie wissen. Lass mich mit ihr arbeiten, Bonifatia! Aber ich muss es allein tun dürfen, ohne weitere Einflüsse."

Die Äbtissin lächelte dünn. „Du sprichst kühn, Maria! Dein Ehrgeiz in allen Ehren. Du wirst verstehen, dass ich mich frage, welchen Narren du an diesem Mädchen gefressen hast. Und was die „Einflüsse" betrifft, die du nicht haben möchtest... gehe ich recht in der Annahme, dass du von Orazia sprichst?"

Maria zeigte der Älteren einen gleichmütigen Blick. Weder Spannung noch Angst sollte Bonifatia ihr ansehen. Sie hatte ihr Ziel beinahe erreicht! Nun hoffte sie, dass die private Verbindung zwischen Orazia und der Äbtissin nicht zuletzt noch zu einer Mauer wurde, an der alles in Scherben ging.

„Ja, das ist richtig", gestand Maria frei und offen ein und sah der Äbtissin in die Augen. Pure Aufrichtigkeit konnte auf den Gegner entwaffnender wirken als jede gerissene Strategie, das wusste sie. Bestimmt fuhr sie fort: „Ich denke, dass Orazias Eifer sicher im Dienst der Kirche steht. Aber sie fürchtet das Mädchen aus Gründen, die in den Einflüssen ihres eigenen schlichten Elternhauses und der ländlichen Gegend zu finden sind, in der sie aufwuchs."

Sie wartete einen Moment, beobachtete, wie ihre Worte aufgenommen wurden. Die Äbtissin schien ungerührt. "Das Kloster", fuhr Maria fort, "ist eine Bildungsstätte, die fortschrittlichste im Land, Bonifatia. Und nur die Universitäten in Rom und Florenz sind hier ebenbürtig. Um ein so... wildes und eigensinniges Geschöpf wie dieses Mädchen zu bändigen, braucht es an der Basis keine Furcht und keinen Aberglauben, sondern Vernunft, Zuversicht und ein ruhiges Gemüt. Und ich erlaube mir, dies für meine Person zu bestätigen. Ich traue mir diese Arbeit zu und werde nicht zögern, jede Strenge und Härte einzusetzen, immer dann, wenn ich es für nötig halte. Ich bezweifle, dass Orazia und ich hier Hand in Hand arbeiten können, da Angst und abergläubige Befürchtungen blind machen für die Notwenigkeit der richtigen Maßnahmen im... richtigen Moment."

Sie hatte Mühe ruhig zu atmen, das Herz schlug ihr bis zum Hals. Im Raum war es still geworden. Die Äbtissin schien den Vorschlag zumindest abzuwägen, sie war wieder mit dem Anblick des stürmischen Himmels am Fenster beschäftigt. Ihrem Rücken, ihrer Haltung war nicht anzusehen, wie sie nun entscheiden würde.

„Du würdest das Schweigen als Mittel einsetzen, es nicht aufheben?"

Maria bemerkte die Falle, die ihr hier gestellt war. „Nein, selbstverständlich nicht", antwortete sie mit fester Stimme. In ihr keimte Hoffnung, dass sie dieses Gespräch doch noch zu einem guten Ende führen konnte. „Nein, sie soll durch das Schweigen geläutert werden und Zeit zum Nachdenken erhalten", bekräftigte sie. "Es wird gut für sie sein. Aber ich würde anordnen, dass sie im Singen unterwiesen wird. Weltliche Lieder würden ihr verboten sein, sie würde ihre herausragende Stimme und Gesangsfähigkeit aber zu Gottes Ehre einsetzen und sie als ein Gottesgeschenk begreifen, wann immer sie singt."

Die Äbtissin warf ihr einen zweifelnden Blick zu. "Dies wird aber doch nicht alles sein?"

"Nein. Sie wird zu bestimmten Tageszeiten und mit bestimmten Personen sprechen dürfen, soweit es um ihre persönliche Entwicklung oder um christliche Inhalte geht. Sie wird an den Freitagabenden zwischen dem Komplet und dem Schlafengehen nach Sonnenuntergang frei sprechen dürfen und außerdem jeden Tag für jeweils eine halbe Stunde am Vormittag und am Nachmittag bei der Arbeit. An den Freitagen wird die halbe Stunde am Nachmittag daher ausfallen, versteht sich.

Maria holte tief Luft. "Sie muss regelmäßig das Schweigen für kurze Zeit unterbrechen dürfen, Bonifatia. Ich halte es für sinnvoll, da sie sich sonst nicht ausreichend in die Klostergemeinschaft einlebt. Auch wird Camilla das befürworten, da Caterinas Stimme durch das Schweigen in einen Zustand käme, in dem sie nicht gut ausgebildet werden kann - sie muss ihre Stimme regelmäßig benutzen können, auch, wenn sie gerade nicht singt, da dies eine Reinigung der Stimme bewirkt und das Sprechen sie auch für den Unterricht im Gesang vorbereitet. Du weißt selbst, dass die Stimme morgens nicht dieselbe Gesangsqualität hat wie am Nachmittag, aus demselben Grund: Weil wir nachts einige Stunden ruhen und die Stimme in dieser Zeit nicht nutzen. Die Auferlegung eines Schweigens über ein viertel- oder ein halbes Jahr würde ihr gesangliches Potenzial zunichte machen. Ich möchte anmerken, das alle unsere Fähigkeiten von Gott geschenkte Gaben sind - und mit diesen gehen wir nicht auf diese Weise um, sondern wir schützen, pflegen und wertschätzen sie. Bei jeder von uns."

Es war erstaunlich, dass die Äbtissin sie nun all ihre Argumente bringen ließ, ohne sie zu unterbrechen. Sie schien endlich empfänglich für ihre Worte zu sein. Maria war zuversichtlich, dass sie Bonifatia für ihre Idee erwärmen können würde. "Ich möchte Caterina aufrichtig für uns gewinnen, Bonifatia", versicherte sie und wagte ein Lächeln. "Sie ist couragiert und eigensinnig. Sie wird das Kloster verlassen, sobald sie selbst entscheiden kann. Es sei denn, sie kann bis dahin unsere Gemeinschaft als Familie empfinden und die anderen Novizinnen als Schwestern liebgewinnen. Sie muss lieben können, was sie hier tut! Sie muss singen dürfen, sie muss Kontakt mit den anderen Novizinnen pflegen können, sonst bleibt sie am Rand unserer Gemeinschaft stehen. Draußen hat sie niemanden, das weiß sie. Wir haben sie nur dann unter Kontrolle, wenn wir ihr ermöglichen, einen persönlichen Bezug zur Gemeinschaft und zu unserem vielseitigen Tun zu finden."

Ihr Plädoyer hätte hier zuende sein können. Da die Äbtissin sie jedoch bis an diesen Punkt ihrer Argumentation nicht weiter unterbrochen hatte, schloss sie mit dem letzten Wort, das sie für den schlimmsten Fall aufbewahrt hatte und hängte es noch hintenan: „Wenn wir es versäumen, dieses Mädchen für die Kirche zu gewinnen, wird dem Kloster die Schenkung entzogen... Und wie ich meine, wäre dies die Summe, die zur Erneuerung der Dächer von Novizenschule und Schwesternunterkünften benötigt wird. Der Sommer geht zuende und der Winter hier am Berg ist streng und hart. Wenn das Dach vor Wintereinbruch fertig werden soll, können wir nicht auf weitere und andere umfangreiche Spenden warten, die womöglich in diesem Jahr gar nicht mehr kommen." Sie ließ ihre Worte wirken. Mehr gab es nicht zu sagen.

Bonifatia Agostina nickte langsam. „Gut. Ich werde Orazia sagen, dass du allein mit der Erziehung des Mädchens betraut bist und dich um alles kümmern wirst."

Gespannt hielt Maria den Atem an. Sie konnte kaum glauben, dass es ihr tatsächlich gelungen sein sollte, Catarina aus den Händen Orazias und der Äbtissin zu ringen und selbst in eine Position zu gelangen, die ihr möglich machte, das Mädchen zu schützen – vorerst zumindest, aber dies genügte ihr für diesen Moment.

Bonifatia Agostina war noch nicht fertig. „Ich gebe dir sechs Wochen", erklärte sie. „Wenn dann alles zu unserer Zufriedenheit ist und Caterina sich einfügt, kann es so fortgehen. Ich selbst werde sie im Unterricht prüfen und nicht schonen, ebenso wenig, wie ich dies bei den anderen neuen Mädchen tun werde, die nun das Noviziat durchlaufen... wie waren noch ihre Namen?"

„Scalea", beeilte Maria sich zu antworten. "Das ist die kleine, schmächtige, sie ist zwölf, wird dreizehn in diesem Winter. Dann Evelina mit vierzehn Jahren, sie scheint sich ein wenig um Scalea zu kümmern, das wird beiden in der ersten Zeit helfen. Und dann ist da noch Luisa, sie ist eineinhalb Jahre älter als Caterina, sie ist neunzehn. Ein unkompliziertes, freundliches Mädchen. Fügsam und fleißig erscheint sie mir jetzt schon. Sie wird sich gut einleben, denke ich."

„Gut", sagte die Äbtissin noch einmal. "Dann ist der Fall Caterina Appiani vorerst genug besprochen. Sollte es Schwierigkeiten geben, stehst du dafür ein, ich habe dein Wort." Die Lippen zum Strich zusammen gekniffen sah sie Maria scharf an. Eine Geste ihrer Hand entließ die Schwester. "Ich habe nun zu tun."

„Ich danke dir für dein offenes Ohr und deine Zeit. Einen gesegneten Abend."

Bonifatia erwiderte den Gruß nicht. „Du kannst die Tür offen lassen, wenn du gehst", sagte sie nur.

Maria nickte. Befreit von gewaltigem Druck und Sorge wandte sie sich zur Tür. Im Gehen atmete sie erleichtert auf und hätte sogar gejubelt, wenn sie den Blick der alten Äbtissin nicht wie ein stumpfes Messer im Nacken gespürt hätte. Sie würde ihren Dank heute im Nachtgebet direkt an den Herrn richten. Es war keine Zeit gewesen, sich seiner Gunst und Güte vor dem Gang in die Höhle des Löwen zu versichern, denn dieses Gespräch hatte sich spontan ergeben und Maria hatte die Gelegenheit genutzt, als sie ihr vor die Füße fiel – aber sie war sich sicher, diese Caterina wurde vom Höchsten geliebt. An dem Mädchen war etwas, das ihr Herz sehr berührte. Sie wusste, es war nicht Sinn und Ziel, das Besondere an einer zukünftigen Nonne heraus zu arbeiten oder es auch nur zu erwähnen, denn im Gottesdienst und vor dem Herrn waren sie alle gleich niedrig und ergeben.

Aber sie war ganz sicher: Sie, Maria, war bestimmt, dem Mädchen zu helfen. Und heute hatte der Herr ihr zur Seite gestanden. Noch niemals hatte sie gehört, dass die Äbtissin sich auf einen Vorschlag derart leicht eingelassen hätte. Eine ganze Engelschar oder auch der heilige Franziskus persönlich mussten ihr eben die Rede geführt haben.

Bonifatia Agostina sah Maria nach, bis sie im dunklen Gang und aus ihrem Blickfeld verschwunden war. Sie schlang den Rosenkranz um ihren Gürtel, der das Obergewand zusammenhielt und schloss die Fensterläden mit so viel Kraft, dass sie gegen die Rahmen knallten. Dann verließ sie in schnellem Schritt den Raum.

Ende Teil 43


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