(8/4) Relikte

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Valerio führte ihn durch den dunklen Flur und in einen anderen Raum hinein. Hier gab es alte Schränke an den Wänden, und Kisten und Kartons standen davor auf dem Boden herum. Er drückte ihm den Leuchter in die Hand, stemmte eine große Kiste beiseite und öffnete die Tür des Schrankes, der dahinter stand. Im Halbdunkel wühlte er zwischen Schachteln, Beuteln und unförmig zusammengeschnürten Paketen herum und warf einiges davon hinter sich auf den Boden. Er schien nicht zu finden, wonach er suchte; schließlich schob er mit dem Bein einen alten Sattel zur Seite und öffnete die zweite Schranktür. Magnus bemühte sich, ihm so viel Licht wie möglich zu geben, aber er hatte den Eindruck, dass Valerio den Leuchter nicht für sich selbst, sondern für ihn mitgenommen hatte.

Von einem der mittleren Borde zog er eine Laute hervor. Er pustete den Staub weg, der auf dem rundlichen Korpus lag, besah sie mit einem liebevollen Blick und legte sie vorsichtig hinter sich auf dem Boden ab. Als er das nächste Mal hinein griff, kam ein Stapel Stoff zutage - ein Bündel, sorgfältig geschnürt mit einem Streifen gerissenen Leinens. "Hier, nimm das", sagte er knapp und drückte es Magnus in den Arm.

Magnus bewegte den Leuchter näher an das Bündel heran. Er erkannte feine, handgemachte Nähte. Die Webart des Stoffes, der ganz oben lag, war... alt. Dieses Gewebe musste auf einem antiken Webstuhl entstanden sein. Man sah das Garn, das hier und da Unregelmäßigkeiten aufwies, winzige Wülste, die ein wenig aus der ansonsten ebenen Fläche hervorkamen. Das war Kleidung! Und sie hatte Jahrhunderte überdauert.

Er war fasziniert. Einen Platz auf dem verschlissenen Teppich suchend wich er einige Schritte zurück, ging auf die Knie, stellte den Leuchter auf dem Boden ab und besah das Bündel genauer. Mit den Fingern strich er über den Stoff, das Leinen fühlte sich weich, glatt und geschmeidig an. Was immer das hier war - es musste lange getragen und oft gewaschen worden sein...

Während Valerio sich weiter mit dem Schrank beschäftigte, zog Magnus an dem Band, das das Bündel zusammenhielt. Ein Knoten löste sich, es gab nach. Er zog das Band vorsichtig unter dem Stapel weg und legte es neben sich auf den Teppich. Kaum wagte er zuende zu denken, was hier vor ihm lag. Als er das erste Kleidungsstück, ein fein gewebtes Hemd mit losen, dazu gehörenden  Ärmeln, vom Stapel hob und beiseite legte, stutzte er. Sein Herz begann schmerzhaft und langsam zu schlagen, der Puls drückte in seinem Hals, als er auseinander faltete, was als Zweites zum Vorschein kam: Es war Valerios Tunika. Die, die er getragen hatte, als er für Uberta das Wasser vom Brunnen geholt hatte. An dem Tag, als Caterina am Fenster gestanden und ihn beobachtet hatte. Er war sich ganz sicher. Die feinen Stickereien an den Ärmeln und über den Schultern fielen ihm auf - und die aufgenähten schmalen Borten an der vorderen Schnürung. Er mochte es kaum berühren, es wirkte so... lebendig! So wie etwas, das erst gestern noch getragen worden war! Mit Mühe unterdrückte er den Impuls, an dem Stoff zu riechen.

Wenn er tatsächlich Valerios Tunika in den Händen hielt, dann war dieses Kleidungsstück beinahe fünfhundert Jahre alt! Es bedeutete, dass Valerios Geschichte womöglich bis in alle Details wahr sein musste. Alles, was er gesehen hatte... er hielt die Tunika gegen das Licht der Kerzen. Keine Motte, kein Käfer schien den Stoff in Jahrhunderten angefressen zu haben. Lediglich ein kleiner Riss am Ärmel und einige Ausfransungen sowie eine aufgeraute Stelle auf der rechten Schulter und an den Ellenbogen zeigten, dass diese Tunika oft getragen worden war. Die raue Stelle auf der Schulter musste von dem Riemen seiner Laute stammen. Am unteren Saum entdeckte Magnus einen länglichen Schatten, der ein Gras- oder Ölfleck sein konnte. Wie gern hätte er gewusst, ob man noch eine Spur von Assisi, den Staub der Gassen, vielleicht einen Hauch von Rosmarin daran riechen konnte. Er nahm das Hemd vom Licht der Kerzen weg. Er beugte sich vor, hob den Stoff an sein Gesicht und atmete tief ein.

"Und? Bin ich... noch drin?"

Erschrocken zuckte Magnus zusammen. Blitzschnell nahm er seine Nase aus dem Hemd. Erst jetzt wurde ihm bewusst, wie das, was er hier tat, wirken musste. Valerio musste ihn beobachtet haben. Er stand vor dem Schrank, still und mit einem seltsamen Funkeln in den Augen, seine Mundwinkel zuckten. Entweder machte er sich lustig über ihn, oder... Er war froh, dass sie nur diesen einen Leuchter mitgebracht hatten, denn er spürte, wie er rot wurde.

Und wieder hatte Valerio die Wahrheit eher erkannt als er selbst. Ja, er hatte sehen wollen, ob er eine Spur von Valerio an dieser Tunika finden konnte. Oh, verdammt, was war nur los mit ihm? Wie konnte er sich so dermaßen... und dazu war es völliger Irrsinn anzunehmen, man könne hier nach diesen vielen Jahrhunderten auch nur die geringsten Eindrücke... dieser Art finden!

Valerios Worte fielen in seine Gedanken ein. "Ich trage es manchmal. Es erinnert mich an gute Zeiten."

Magnus kannte bereits den speziellen Blick, diesen besonderen Zug um seine Lippen, wenn er solche Dinge sagte. Er wagte nicht aufzusehen. "Oh, es ist.... das sind wunderbare Stücke! Sie sind originial, nicht? Wie alt genau?" Er kam sich erbärmlich vor.

Valerio stieg über das Chaos hinweg, das er vor dem Schrank auf dem Fußboden angerichtet hatte. Er kam zu ihm hinüber, schob den Leuchter beiseite. Er beugte sich zu ihm herunter. Seinem weiten Hemd, das vom Hals abwärts eine gute Hand lang offen war, entströmte ein Duft nach... Patchouli und Ambra... und dahinter nahm Magnus wahr, was auch Caterina bemerkt und sich tief eingeprägt hatte, als er mit dem Stapel Gesangsbücher so dicht vor ihr gestanden hatte.

"Du bist ein schlechter Lügner", raunte Valerio weich an seinem Ohr. Er hielt seine Schultern gefasst. Seine Hände drückten leicht zu, bevor er sich wieder aufrichtete. Er sah auf ihn hinab, zeigte auf das Bündel in Magnus' Schoß. "Wir nehmen dies mit - und auch das andere dort vorne." Mit dem Kinn wies er über die Schulter hinweg zu der hohen Kiste, auf der ein weiterer geschnürter Stapel lag. "Etwas davon wird dir passen. Es ist alles dabei, was du brauchst."

Magnus dachte, er habe nicht richtig gehört. "Aber... das sind Antiquitäten! Sie sind phantastisch erhalten! Hast du eine Ahnung, wie wertvoll das ist?"

Valerio hatte sich schon wieder dem Schrank zugewendet. "Die Museen der Welt sind voll mit Zeugnissen meines Lebens und dem meiner Zeitgenossen. Dies hier ist meine persönliche Kleidung. Sie gehört mir, so lange ich lebe - oder bis sie zerfällt. Und bis dahin, Historiker, leihe ich sie meinen Freunden, wann immer mir der Sinn danach steht." Er drehte sich noch einmal zu Magnus um. "Oder möchtest du mir sagen, wie ich meinen Besitz verwenden soll? Hältst du mich für tot?"

Magnus schüttelte den Kopf. "Nein, natürlich nicht", antwortete er. Mehr wusste er nicht zu sagen. Er begriff, dass Valerio in diesen kostbaren Stücken keinen historischen Wert sah, sondern ausschließlich persönliche Erinnerung und praktischen Nutzen. Solange er lebte, waren das keine bedeutsamen Relikte, sondern tragbare Kleidungsstücke, die in sein Leben gehörten.

"Was ist mit der Laute dort", fragte Magnus und versuchte den emotionalen Kokon abzuschütteln, den Valerio um ihn gelegt hatte, als er ihm so nahe gekommen war. "Ist das die Laute, die du...."

"Nein", unterbrach Valerio ihn mit harter Stimme. "Die Laute, die meine Mutter mir geschenkt hatte, gibt es nicht mehr. Diese hier ist eine ihrer Nachfolgerinnen. Sie wurde um sechzehnhundertzwölf gebaut." Die Aggression verschwand aus Valerios Ton, als er weitersprach. "Sie ist noch spielbar. Sie hat einen wunderschönen Klang... Ich müsste neue Saiten aufziehen." Er seufzte. "Wir nehmen sie mit."

Magnus wagte nicht weiter zu fragen. Er stand vom Boden auf, steckte sich das Bündel mit der Kleidung unter den Arm und ergriff den Leuchter. Als Valerio ihm das zweite Bündel zu warf, gelang es ihm knapp, es aufzufangen und zu dem anderen unter den Arm zu stopfen.

Valerio hängte sich die Laute über den Rücken und hob eine große Schatulle vor die Brust. Obenauf lag ein flaches, mit Schnüren umwickeltes Paket.

Magnus wies auf die Dinge in Valerios Armen. "Was ist das?"

Valerio bedachte ihn mit einem Blick, den Magnus nicht deuten konnte. Dann schien er sich einen Ruck zu geben - er stellte die Schatulle auf einem der bereits vollen Tische ab, nahm das flache Bündel von dem hölzernen Deckel herunter und begann die Schnüre von dem Stoff herunter zu wickeln. Magnus fiel der Ausdruck auf, der sich um Valerios Züge gelegt hatte. Ernst wirkte er, nachdenklich. Aber da war auch noch etwas anderes in der Art, wie er auf das Bündel herab sah, in der Vorsicht und Behutsamkeit, mit der seine Finger die Schnüre lösten... Es musste etwas Wertvolles darin sein.

Valerio schlug den Stoff zurück. "Vorsicht mit den Flammen", sagte er leise, als Magnus mit dem Leuchter näher kam. Auf dem Stück Stoff in Valerios Händen lag ein Zopf von rostrotem Haar.

Magnus brauchte einige Sekunden, bis er verstand. Aber das konnte nicht sein! Nach allem, was er wusste, konnte es nicht Caterinas Zopf sein!

"Aber... ich dachte, du hast ihn Maria gegeben? Dann war es gar nicht... ihr Zopf, den du Maria in den Korb gelegt hattest?" Er mochte Caterinas Namen nicht aussprechen, zu sehr fühlte er, dass Valerio den Schmerz über ihren Verlust bis heute nicht überwunden hatte.

Valerio schwieg. Er starrte auf den Zopf. Seine Brust hob sich, als er tief einatmete. Magnus dachte, er würde etwas sagen, aber Valerio blieb stumm. Schließlich faltete er das Leinen wieder um den Zopf. Sein dunkler Blick traf Magnus. "Du willst die Geschichte hören? Die ganze Geschichte?"

Magnus nickte. "Ja." sagte er. "Wenn du sie mir erzählen möchtest."

Valerio nickte nun ebenfalls, langsam - sein Blick driftete ab, er schien auf Dinge gerichtet, die weit zurück lagen. "Du sollst sie erfahren", murmelte er schließlich wie zu sich selbst. Er wandte sich zur Tür. "Komm mit."

Im Gang hielt Valerio so plötzlich an, dass Magnus beinahe in ihn hinein gelaufen wäre. "Warte." sagte er. "Wir brauchen mehr Licht." Er trat mit dem Fuß gegen eine große, beschlagene Kiste, die im Schatten neben der Tür stand. "In dieser Kiste sind Fackeln, wir nehmen sechs mit."

"Wohin gehen wir? Was hast du vor?"

"Du hast ein interessantes Verhältnis zu Wasser. Wir werden baden." Valerios Worte hatten diesen vollkommen entspannten und neutralen Ton - unter dem es aber dunkel vibrierte. Magnus wusste bereits: Je ruhiger er wirkte, je harmloser seine Worte klangen, desto haarsträubender waren zumeist die Überraschungen, die er für ihn bereit hielt. Magnus hatte gelernt, auf die Schwingungen im Untergrund dieser Stimme zu achten. Hier konnte er nun absolut nicht sagen, was ihn erwartete. Wahrscheinlich war es gut so.

Valerio nahm die Fackeln aus der Kiste; er legte sie quer über die Schatulle und hob diese wieder auf. Er warf Magnus, der verblüfft schwieg, einen Blick zu, dann ging er mit großen Schritten durch die Schwärze des Ganges voraus. Magnus folgte einige Schritte hinter ihm mit dem Leuchter und den Kleiderbündeln.

Ende Teil 60


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