I. B A N D - (1/1) Sonnenuntergang

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                                                              B A N D    I

               >>ES LIEGT GENAUSO VIEL SCHÖNHEIT IN DUNKELHEIT
                                            WIE SCHRECKEN IM LICHT.<<

ACHTUNG: Auf meinem Autorenkanal auf YT gibt es nun auch das Hörbuch zum WELTENTANZ und zu weiteren meiner Romane. Der Kanal: Bettina Deutsch Autorin

Er stützte sich auf die niedrige Mauer, den Sonnenuntergang im Rücken. Befremdet starrte er auf die ocker-und rosenfarbig leuchtenden Fassaden auf der anderen Seite des Kanals, staunte über das Bild, das die glühenden Wände vor der Dämmerung abgaben. Mit Hohn und Spott zeigten ihm die Fensterspiegel über den Säulengängen, wovon er sich abwandte - hinter seinem Rücken führte der Himmel ein dramatisches Schauspiel auf. Die ganze Welt schien zu wissen, wie es in ihm aussah, schrie es in leuchtenden Farben quer über die gigantische Bühne des Horizontes hinweg: Sein Leben stand in Flammen. Dies war seine Dernière, seine letzte Vorstellung an diesem Ort. Und er konnte tun oder lassen, was er wollte, die Rolle des weinenden Narren war seine. Es gab kein Ausweichen, denn so ging das Spiel.

Es machte keinen Sinn hier anzuhalten, ebenso wenig, wie es Sinn machte, noch viel weiter zu laufen. Er hatte sich vorgenommen, an diesem letzten Abend vor der Heimreise beschäftigt genug zu sein, sich ganz dem Laufen hinzugeben, dabei die Tauben zu zählen, bis die Dämmerung sie verschlucken würde; vielleicht ein Eis zu essen, die nachtschwärmenden Touristen zu beobachten, Gesprächsfetzen aufzunehmen - all dies, um sich abzulenken. Es war eine idiotische Idee gewesen. Er hatte geglaubt, er könnte seinem Leben ausweichen, indem er sich in den abendlichen Trubel der Stadt stürzte. Aber die Menschen waren hier selten allein, das hatte er nicht bedacht. Immer wieder begegneten ihm Paare, Hand in Hand, in Sympathie und Interesse einander zugewandt, entschlossen, Hürden gemeinsam zu nehmen und Herausforderungen zu trotzen um der Liebe willen. Und schon holte ihn ein, wovor er weglief: Schmerz. Und eine wachsende Angst bei der Vorstellung, dass dies hier nicht der einzige Ort war, an dem sie ihm fehlen würde.

Die Brücken und Gassen, die bröckelnden Fassaden, die zahllosen Geräusche, das goldene Licht und die Schatten, die tiefer sein konnten als irgendwo anders auf der Welt – und dazu die Erinnerungen, die diese seltsame Stadt atmete – Venedig würde er aufgeben. Er musste nicht wieder herkommen, es war besser für ihn. Harald konnte ihm andere Aufträge geben, es musste nicht ausgerechnet Venedig sein. Er würde mit ihm reden, wenn er zurück war. Aber Zuhause, dort, wo er nicht weglaufen konnte, wartete eine ganze unvorstellbar leere Welt auf ihn. Und Zeit und Zukunft, von der er keine Ahnung hatte, wie er sie jemals füllen, gestalten oder auch nur überleben sollte.
Sie verließ Frankfurt und die Firma, in der sie einander kennen gelernt hatten; zukünftig wollte sie in Stockholm arbeiten. In der Tochterfirma, in der Christian, ihr Ex, Personalchef war. Er selbst hatte buchstäblich nichts davon gewusst, sie hatte ihm ihre Pläne verschwiegen. Sie würde bei Christian wohnen, so lange, bis sie eine eigene Wohnung fand. Wenn sich die Suche dann nicht erübrigte. Christians Geständnis, an alte Zeiten anknüpfen zu wollen, sagte genug. Mit der Trennung von ihm hatte sie gestern Abend nun die Brücken nach Deutschland abgebrochen, sie wollte es wissen, setzte alles auf eine Karte. Schon sehr lange redete sie davon, dass sie eine Veränderung brauchte. Dass diese nun so aussah und dass sie sich dermaßen radikal auf sein Leben auswirkte, traf ihn wie eine Handgranate. Und doch hatte er es irgendwie geahnt, er war nicht ganz blind für die subtilen Anzeichen gewesen. Sie hatten ihre Themen gehabt, das konnte er nicht verleugnen. Christian allerdings war nie Thema gewesen. Wenn er nur aufmerksamer gewesen wäre - vielleicht hätte er es aus der Stille zwischen ihnen heraus hören können.

Sie war abgereist, heute Vormittag bereits. Nach dieser langen Nacht, in der er noch einmal alles versucht und nichts erreicht hatte. Seitdem fiel er ins Nichts. Und bis jetzt, beinahe vierundzwanzig Stunden später, war er noch nirgends aufgeschlagen, es ging immer noch tiefer abwärts mit ihm. Er hatte nicht einmal versucht zu schlafen. Erst würde er weinen wollen, aber das war nicht so einfach. Wenn die Tränen kamen, dann erst würde er schlafen. Weil er dann sicher sein konnte, dass er auf dem Boden der Tatsachen angekommen war und sich nichts mehr vormachte. Denn wenn er auch nur mit dem Hauch einer Illusion und Hoffnung einschlief, befürchtete er beim Aufwachen an der Realität zu sterben. Ja, er wollte wach bleiben, bis der Zustand der Akzeptanz erreicht war. Er wartete bereits so lange auf den Aufprall, dass er ihn nicht mehr fürchtete, sondern beinahe schon herbeisehnte.

Jemand stand auf der Brücke, einige Meter neben ihm. Er registrierte ihn nur aus dem Augenwinkel, fixierte weiter die flammenden Spiegel des Palazzos. Der einsame Spaziergänger schien dasselbe zu tun, darum beachtete er ihn nicht weiter. Er war nur ein nichtssagender Schatten in der Kulisse, so wie die Häuser ringsum. Die völlige Unbeweglichkeit und Stille dieses Menschen machte es ihm sogar leicht, ihn nicht als eine Person, sondern eher als einen Gegenstand oder sonst irgendein totes Ding zu betrachten. Wie die Pfeiler, die dort unten aus dem Wasser ragten und an denen die Gondeln festgebunden waren. Er ignorierte ihn. Diese Gestalt störte seine Gedanken nicht, sie schien selbst weit in ihre eigene Welt zurück gezogen zu sein.

Die Sonne war nun beinahe vollständig hinter seinem Rücken versunken, nur einzelne Strahlen trafen noch die Fläche der Fenster. An den Mauern, die die kleine Brücke umgaben, war es dunkel geworden. Der modrige Geruch von Algen und Fischen lag über dem Wasser. Er kniff die Augen zu Schlitzen zusammen, ließ die letzten goldenen Lichtpunkte in den Fenstern strahlenförmig aufblitzen. Er wollte kein Licht mehr; es passte nicht zu seiner neuen Realität, seinem Lebensgefühl. Lebensgefühl? Bei dem Wort verzog sich sein Mund zu einem gequälten Lächeln. Unwillkürlich schüttelte er den Kopf. Es war ein Todesgefühl! Plötzlich wurde ihm bewusst, wie sehr er die Nacht herbei sehnte.
Die einsame Gestalt neben ihm wandte sich ihm zu, er sah es aus dem Augenwinkel. Ihm war plötzlich kalt, er trug nur ein Hemd mit kurzen Ärmeln. Er hätte seine Jacke mitnehmen sollen, als er das Hotel verließ. Die Leute waren neugierig. Hoffentlich sprach dieser Kerl ihn nicht an, er wollte seine Ruhe haben.
Mit der flachen Hand rieb er über die Gänsehaut auf seinem Unterarm. Sie verschwand nicht. Notfalls würde er weiter gehen und sich einen anderen Platz für seine trübsinnigen Gedanken suchen. Der Mann schien sich wieder abgewendet zu haben. Soweit er das sagen konnte, er sah ja nicht direkt zu ihm hinüber. Diese einsamen Leute wollten reden. Wenn man sich ihnen zuwandte, signalisierte man Interesse - und dann wurde man sie nicht mehr los. Manchmal genügte schon ein kurzer Blick hinüber, ein Gruß, ein Nicken. Er wollte weder reden noch zuhören, er war an einem Endpunkt angekommen. Er hatte den Menschen nichts mehr anzubieten, nicht einmal seine schlichte Gesellschaft.

Es hatte gestern Abend mit dünner Zuversicht und guten Argumenten begonnen. Da hatten sie einen Platz auf der Terrasse ergattert und der Kellner hatte ihnen zugezwinkert, als seien sie ein Liebespaar, das hier einen ersten statt den letzten gemeinsamen Abend seines Lebens verbrachte. Der Kellner hatte ja keine Ahnung, dass er nicht am Rand einer Romanze assistierte, sondern der Geiger war, der das Abschiedslied spielte!
Als man ihnen den Salat servierte und das Windlicht anzündete, war noch nichts verloren, nichts ausgesprochen, keine Entscheidung gefällt. Alles war möglich, konnte gerettet werden, theoretisch jedenfalls, er war voller Hoffnung gewesen. Voll mit unsinniger, quälender Hoffnung, wie er nun wusste. Andere Leute, die mutiger waren als er selbst, nannten das, woran er sich geklammert hatte, einen Strohhalm. Der Moment, als der Kellner ihnen mit seinem Zwinkern den Gedanken an Liebe an den Tisch brachte und er wusste, sie empfand in dieser Sekunde bei der Geste des Angestellten denselben Irrsinn wie er selbst – dieser Moment war es gewesen, als ihm die herein strömende Nacht die Maske des Narren anlegte.

Da waren diese Schreckgespenster; gerade hatte er wieder vor Augen, wie sie sie nacheinander in die Abendluft redete. Wie sie ihm das Selbstvertrauen ins Wanken brachten und ihn hilflos und betäubt vor ihr sitzen ließen; und das war bei weitem nicht das erste Mal, nur diesmal hatte es schlimmere Auswirkungen. Diesmal machte sie ernst. Und wie sie ihm von Telefonaten mit Christian erzählte, davon, dass er sich geändert hatte und woran sie das festmachte! Er hatte sie fassungslos angestarrt, während sie redete, die ganze Zeit. Noch jetzt wurde ihm übel bei der Erinnerung daran, was er alles in seinem Innern gedreht, gewunden und verrenkt hatte, um das, was geschah, nicht als Realität akzeptieren zu müssen. Er musste nur standhaft bleiben, sich konzentrieren, das hatte er sich eingeredet. Er konnte in ihrem Gesicht, in ihrer Stimme, der Bewegung ihrer Hände nach Anzeichen von Unsicherheit oder Bedauern suchen. Das würde helfen, sich seine Chancen einzurichten. Denn ganz sicher würde es welche geben. In dieser Nacht wurde am Schicksalsrad seiner Gegenwart und Zukunft geschraubt. Er durfte nicht zulassen, dass sie ihn zwang, die Räder und Hebel aus der Hand zu geben. Er musste den Mechanismus kontrollieren, ihn beherrschen, die komplizierte Maschinerie ihrer Beziehung in Gang halten. Ja, das hatte er gedacht. Alles konnte noch gut werden. Wenigstens so gut wie zuletzt. Es musste. Er musste ... diese knirschenden Zahnräder dazu bringen, sich rückwärts zu bewegen.

Aber beim letzten Schluck war der Wein bitter, die Hoffnung gestorben. Sie hatte ihre Argumente gebracht, sie waren stärker. Ihm war am Ende nur der salzige Geschmack der Tränen geblieben, Tränen, die er bis jetzt nicht zu weinen wagte aus Angst, dann die letzte Illusion irgendeiner geglaubten Stärke und Fassung zu verlieren. Er verspürte Sehnsucht nach einem Mutterschiff, das ihn aus dieser fremden Welt abholte und nach Hause brachte. Nach Hause, wo immer das sein mochte. Möglichst weit weg, in eine ferne Galaxie, in der man keine Liebe kannte. Keine Liebe, kein Schmerz.
Seitdem fühlte er sich so entsetzlich leicht und dünn, so durchsichtig. So, als würde er gleich mit der nächsten Nachtbrise auf das offene Meer hinaus geweht und im steigenden Dunst aufgelöst werden. Als Hans Christian Andersen seine Kleine Meerjungfrau schrieb, musste er dieses Gefühl gekannt haben. Mit dem ersten Strahl der Morgensonne ließ er die kleine Meerjungfrau in ihrem Kummer zu blühendem Schaum auf dem Meer werden und ihr Prinz segelte mit seiner Braut davon und dachte nie wieder an sie. Er schnippte mit dem Finger über das Rädchen an seinem Feuerzeug, so dass es Funken sprühte, lachte auf bei dem Gedanken, dass er es bei Sonnenaufgang nicht einmal zu einem Meer von Seerosen aus rosa Schaum bringen würde, so gründlich zerstört würde er sein. Wahrscheinlich wäre ein unansehnlicher Ölteppich alles, was er zustande bringen würde. Öl aus der Maschinerie, die er bereits seit dem letzten Winter verzweifelt in Gang zu halten versucht hatte.

Die blasse Hand kam aus dem Nichts. Mit erstaunlicher Kraft legten sich die Finger um seine Hand, die das Feuerzeug hielt. Erschrocken wandte er sich nach links, blickte gegen die Gestalt, deren dunkle Kleidung sich beinahe in der Dämmerung aufzulösen schien. Ein Schwindel erfasste ihn. Er suchte mit der rechten Hand an der Mauer Halt, dann erst zog er die Linke unter der fremden Hand hervor. Der Fremde lächelte schmal. Seine Augen waren durch die Augenlider verborgen, noch immer blickte er auf die Hand mit dem Feuerzeug.

„Nicht. Der Funke entzündet das Öl."

Die Stimme war unglaublich. Tief, weich und schmeichelnd, wie er es noch niemals gehört hatte. Einen Moment lang dachte er, sein Herz würde aussetzen. Es war der Schreck, er hatte nicht damit gerechnet, dass ihm jemand so nahe kam. Und so plötzlich ... Der Mann war sehr schnell gewesen. Oder er so unaufmerksam.

„Welches Öl", hörte er sich fragen. Seine Stimme entgleiste. Sie klang heiser und er war auf einmal sehr müde.

Ende Teil 1


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