Wehr dich doch!

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Natürlich fügt Per doch noch etwas dazu. Tobias hat ihn erst drei Seiten mit Siebenern vollschreiben lassen, sich dann für die Nachrichten vor den Fernseher gesetzt und Per befohlen, mindestens noch fünfhundert Worte anzufügen.

Während Per schreibt, putzt Nora das Bad. Tobias hat ihr befohlen, die Küche zu verlassen, solange Per mit den Hausaufgaben beschäftigt ist. „Du korrigierst ihm nur Fehler rein! Hast doch selbst keine Schulbildung! Ich will nicht, dass man meinen Sohn für ein sozial schwaches Kind hält, auch wenn seine Mutter so was von bildungsfern ist!"

Ich bin ins Kinderzimmer zurückgeglitten. Und jetzt überlege ich, was ich machen soll. Joel hat mich ermahnt, mich jeden Tag mindestens einmal zu zeigen, weil eben das mein Job als Schwarzer Mann ist. Aber ich habe mir nie gewünscht, so ein Monster zu werden und ich will dieses eingeschüchterte Kind nicht noch mehr verschrecken. Wenn es etwas gibt, was Per in seinem Leben nicht braucht, so ist es noch ein Monster, das ihm Angst einjagt.

Nach einer Weile kommt Per herein, nass, bibbernd und in ein Handtuch gewickelt. Nora folgt ihm mit einem kleineren Handtuch in den Händen, drückt ihn sacht aufs Bett und rubbelt ihm sanft die Haare trocken. Zumindest versucht sie es.

Nach kaum einer Minute poltert Tobias ins Zimmer, packt Nora am Arm und zerrt sie hoch. „Raus mit dir! Der Junge ist alt genug, der kann alleine ins Bett gehen! Behandle ihn doch nicht wie ein Baby!"

Nora versucht sich an schwachem Widerstand. „Er ist erst acht, Tobias. Natürlich kann er das alles alleine, aber er braucht doch auch Liebe und das Gefühl, dass man sich um ihn kümmert."

Daraufhin schleudert Tobias sie aus dem Raum und als sie sich am Türrahmen festhält, um nicht zu fallen, tritt er sie zu Boden. „Ich habe dir gesagt, du sollst ihn nicht verhätscheln! Sich um ihn kümmern? Du kannst ja nicht einmal für dich selbst sorgen, wie willst du ihm da eine gute Mutter sein? Das bleibt doch alles an mir hängen!" Er wendet sich an Per: „Und du siehst zu, dass du ins Bett kommst! Morgen ist Schule!" Dann knallt er die Tür hinter sich zu.

Per hat sofort die Beine hochgezogen, als seine Eltern das Zimmer verlassen haben. Er wirkt sehr klein und verlassen, wie er da auf dem Bett sitzt, sich mit eigenartig langsamen Bewegungen abfrottiert und dann eine Weile blicklos vor sich hinstarrt.

Irgendwann fasst er Mut. Er schaltet die kleine Lampe über dem Bett an, nimmt beide Handtücher in die Hände und springt vom Bett herunter. Splitterfasernackt rennt er durch das Zimmer, legt die Handtücher über die Heizung, öffnet den Schrank und holt Schlafanzug und Unterhose heraus. Frisch eingekleidet löscht er das Deckenlicht, steht momentelang still und sprintet dann aufs Bett zu. Sein Sprung auf die Matratze geht so schnell, dass jeder davon überrascht würde. Zweifellos auch die Kreatur, der er zu entkommen hofft.

Per zieht die Decke über sich, achtet sorgsam darauf, dass außer dem Kopf kein Körperteil unbedeckt bleibt und kein Zipfel der Decke über den Bettrand hinausragt. Ich kenne dieses Verhalten von mir selbst, als ich klein war. Aber im Gegensatz zum Schwarzen Mann ist mir das Ungeheuer unter dem Bett schon lange nicht mehr begegnet. Nicht mehr, seit ich Mutters Blumenspritze mit ins Kinderzimmer genommen habe und jedes Mal, bevor ich ins Bett gegangen bin, Wasser darunter gesprüht habe. Einige Tage lang habe ich mir eingebildet, danach ein Fauchen zu hören. Als das zwei Tage lang ausblieb, habe ich die Spritze zurückgestellt. Weder Mutter noch Vater haben je erfahren, wo die Spritze diese Zeit verblieben war.

Im Bett ist nun leises Schluchzen zu hören. Das Kind hat stundenlang durchgehalten, jetzt endlich fließen die Tränen, da es keine Ohrfeigen mehr zu fürchten hat, allerdings auch keinen Trost. Kinder sollten niemals alleine weinen müssen. Aber ich kann hier und jetzt nichts weiter tun, außer meinen Job zu erfüllen. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass es in irgendeiner Weise hilfreich sein soll, dieses verängstigte, verzweifelte Kind noch mehr zu erschrecken.

Einmal pro Tag soll ich mich zeigen. Na gut. Nachdem das Deckenlicht aus ist, bin ich im Schatten des Schranks vermutlich zu sehen und hören soll mich Per ja auch können. Joel hat mir zwar gesagt, wann und wie oft ich meinen „Job" machen soll, aber keine genaue Anweisung erteilt, wie ich es tun soll. Also sage ich nur leise und in ruhigem Tonfall: „Buh."

Per fährt in seinem Bett hoch. Seine Augen sind weit aufgerissen und er klammert sich an die Decke, die er vor sich hält wie einen Schutzschild, aber er schreit nicht. Er sucht das Zimmer ab und starrt dann direkt auf mich. Flüsternd fragt er: „Schwarzer Mann?"

Ja."

„Willst du mich hauen?"

Nein."

„Oh." Nach einer Weile dann: „Soll ich was machen?"

Ja. Dich wehren." Ich weiß selbst, dass das eine dumme Forderung ist. Wie soll das Kind denn alleine dieser Situation entkommen? Ich habe das ja nicht einmal als Erwachsener geschafft.

Per weiß das auch. „Das kann ich nicht, Schwarzer Mann." Er schweigt eine Weile, dann fragt er: „Was tust du mit mir, wenn ich nicht gehorche?"

Nichts."

Anstatt sich zu beruhigen, wie ich gehofft habe, beginnt Per zu zittern. „Du lügst. Erwachsene lügen gerne. Du wirst mir wehtun."

Ich weiß nicht, was ich darauf sagen soll. Seine Fragen beantworten ist in Ordnung, aber ihm von mir aus erklären, dass ich harmlos bin, verstößt ganz sicher gegen die Regeln. Und wenn ich das tue, ziehen sie mich von hier ab und es wird ein anderer Schwarzer Mann für mich kommen, der Per besser erschrecken können wird. Das will ich aber vermeiden.

Per wickelt die Decke fest um sich. „Ihr lügt", wiederholt er. „Ihr sagt immer, ihr tut nichts und seid freundlich, aber dann..." Ihm kommen die Tränen und er kuschelt sich tiefer in die Decke und auf die Matratze. „Ihr macht es doch alle", flüstert er. „Auch wenn ihr was anderes sagt, ihr macht es alle."

Schweigend höre ich zu, wie das Schluchzen leiser wird und die Atemzüge flacher. Das Kind hat sich in den Schlaf geweint. Und ich fürchte, dass es das jede Nacht tut.

Wieder einmal bin ich hilflos. Ich habe Jura studiert, weil ich wenigstens anderen beistehen wollte, wenn ich schon mir selbst nicht helfen kann. Aber das ist mir auch nicht geglückt, im ganzen Leben nicht und jetzt als Schwarzer Mann sieht es auch nicht so aus, als ob ich Erfolg haben könnte.

Aber versuchen werde ich es.

Mitten in meiner Grübelei fällt mir auf, dass der Schatten unter dem Bett dunkler geworden ist. Und jetzt schiebt er sich sogar höher hinauf.

Ich werfe einen Blick zum Fenster, aber draußen ist es unverändert düster. Die Veränderung des Schattens ist also nicht auf ein vorbeifahrendes Auto oder eine defekte Straßenlampe zurückzuführen.

Als ich wieder zum Bett sehe, ist der Schatten noch gewachsen. Ich kann jetzt erkennen, dass sich eine Hand oder besser gesagt eine zottige Pranke nach oben schiebt. Wie es aussieht, hat Pers Furcht vor dem Bettungeheuer einen durchaus realen Hintergrund.

Aber dürfen Bettungeheuer das überhaupt? In Pers Alter habe ich geglaubt, dass ihr Revier nur unter dem Bett ist und ich sicher bin, solange ich nichts von mir über den Bettrand hinaushängen lasse. Per und seine Decke bilden ein fest zusammengerolltes Knäuel in der Mitte des Bettes und bieten somit keine Angriffsfläche für das Ungeheuer unter dem Bett.

Ich würde gerne eingreifen, aber ich weiß nicht, ob ich das überhaupt darf. Von den Strukturen und Hierarchien unter den Monstern der Dunkelheit hat mir Joel nichts erzählt. Möglicherweise ist das Bettungeheuer mir gegenüber weisungsbefugt, weil ich neuer und jünger bin oder Schwarze Männer generell die Untergegebenen.

Die Pranke bewegt sich inzwischen auf die Decke zu. Und dann krallt sie sich fest ein und zieht dem schlafenden Kind mit einem Ruck die Decke fort.

„Waaah!" Per fährt aus dem Schlaf hoch. „Mama! Das Monster ist wieder da!" Er bricht in Tränen aus. Im Gegensatz zum verzweifelten, halb unterdrückten Schluchzen vorhin ist das nun ein lautes Wehgeschrei.

Ich höre Schritte, dann stürzt Nora herein, barfuß und im Snoopi-Sleepshirt. Sie macht Licht, woraufhin das Ungeheuer sich sofort zurückzieht, setzt sich zu Per aufs Bett und nimmt das zitternde Kind in die Arme. „Per, mein Liebling, ich bin ja da! Dir darf kein Monster etwas tun!" Sie tritt unter das Bett. „Autsch!" Sie hat sich den Zeh an der Kante angeschlagen, trotzdem lächelt sie. „Das hast du davon! Lass gefälligst mein Kind in Ruhe!"

Weitere Schritte, langsamer und gewichtiger, künden Tobias an. „Kann man denn nicht eine Nacht in Ruhe schlafen!" Er fasst Nora am Arm und reißt sie von Per und dem Bett los. „Was ist denn jetzt schon wieder los, Kruzitürken!"

„Das Ungeheuer unter dem Bett hat mir die Decke weggezogen", bibbert Per. Tobias hebt die Decke auf und wirft sie aufs Bett. „Du machst hier so einen Lärm, weil du im Schlaf die Decke weggestrampelt hast? Wie ein Kleinkind! Und rede nicht dauernd von Ungeheuern, du bist groß genug, um zu wissen, dass es keine gibt!"

„Ja, Papa, ich weiß", erwidert Per mechanisch. Ich würde am liebsten zufügen, die Ungeheuer wissen das leider nicht. Aber Tobias kann mich ja nicht hören.

„Nora, mach, dass du ins Bett kommst", blafft Tobias jetzt seine Frau an. „Wenn du nicht immer gleich hochspringen würdest, sobald das Balg sich rührt, hätte er diese Sache längst aufgegeben. Solange du gleich auf der Matte stehst und ihn tröstest, schreit er bei der nächsten Gelegenheit wieder, damit du zu ihm kommst. Und du fällst auch noch darauf rein, dumm wie du eben bist!"

Nora steht hilflos in der Tür und reibt sich den Arm, der vermutlich schon voller blauer Flecken ist. Tobias wedelt ärgerlich mit der Hand. „Husch, ab mit dir! Ich übernehme das jetzt. Der Junge muss dieses kindische Verhalten endlich überwinden lernen!"

Nora verschwindet sichtlich widerstrebend und Tobias wendet sich Per zu, der ihn mit weit aufgerissenen Augen anstarrt. „Ich habe dir schon oft gesagt, dass du damit aufhören sollst. Du willst es nicht begreifen, oder?" Er hält Per die Hand vors Gesicht und ich sehe jetzt erst, dass er ein langes Holzlineal darin hält. „Dann muss ich es dir so beibringen. Wenn du mit Küssen und Kosen für dein Geschrei belohnt wirst, legst du es ja nie ab. Du musst deine nächtlichen Störaktionen mit Schmerzen verbinden, dann wirst du dich auch im Schlaf daran erinnern und es sein lassen." Und er hebt die Hand.

Ich schließe die Augen. Und öffne sie dann doch wieder. Ich will es sehen, mir jedes Detail einprägen, was diesem Kind angetan wird. Und nach einer Möglichkeit suchen, es diesem Mann heimzuzahlen.

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