Erste Begegnung

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Ich vertraue dieser Hexe noch weniger als allen anderen, die ich bisher kennengelernt habe. Denn als ich sie das erste Mal getroffen habe, ist etwas geschehen, was ich mir nicht erklären kann.

Sie ist am frühen Morgen in der Stadt eingetroffen, ohne den Hut, da der erst von den beiden Stadtvorstehern verliehen wird, wenn sie jemanden zur Stadthexe ernennen. Daher habe ich sie damals nicht erkannt als das, was sie ist.

Sie ist ohne Zögern auf mich zugekommen, der ich gerade das einzige Geschöpf auf der Straße gewesen bin, was auch nicht verwunderlich gewesen, da es an diesem Tag geschüttet hat, als würden die Götter ihr Badewasser ablassen. Nach einem freundlichen Gruß hat sie mich gefragt, ob ich ihr den Weg zu Rathaus weisen könne. 

Die Szenen danach haben sich in meiner Erinnerung festgesetzt und spielen sich immer wieder in meinen Träumen ab. Ich erinnere mich an jedes Detail dieser ersten Begegnung und gehe sie in der Nacht wieder und wieder durch, wie um den Fehler darin zu finden. Bisher ist es mir nicht gelungen, zu entdecken, was damals falsch gelaufen ist.

„Entschuldige, aber ich bin neu hier. Kannst du mir sagen, wie ich zum Rathaus komme?"

„Zu welchem?" Sonst bin ich nicht so begriffsstutzig, aber diese klaren grünen Augen hatten mich vom ersten Moment an in den Bann gezogen.

„Hm, dasjenige, in dem die Entscheidungen über diese Stadt getroffen werden, würde ich sagen", war die rasche Entgegnung.

„Schon, aber wir haben zwei hier. Äh – willst du zum menschlichen oder zum Fabel-Magistrat?"

„Ah, verstehe. Naja, eigentlich wohl zu beiden. Wer von ihnen ist denn näher?"

„Äh – um diese Zeit ist noch keiner in den Rathäusern. Die Magistrate liegen sicher noch im Bett, soll ich dich hinführen?"

„Danke, kein Bedarf, ich hoffe doch sehr, dass ich ein eigenes Bett bekomme. Dann machen wir es so, du zeigst mir, wo die Rathäuser sind und danach eure Hexenhütte und ich richte mich schon mal ein und suche die Damen oder Herren auf, wenn sie wach sind." Ihr fröhliches Zwinkern nahm ihrem Spott sogleich die Schärfe.

„Herren", warf ich ein.

„Hm?"

„Es sind Herren – beide."

„Danke sehr für diese Auskunft. Darf ich nun um eine kurze Stadtführung bitten?"

„Natürlich!" Ich fand allmählich das bisschen an Manieren wieder, welches mich Meister Engal gelehrt hatte. „Du siehst müde aus, soll ich dir etwas Gepäck abnehmen?" Sie war beladen wie ein wandernder Händler, trug einen riesigen Rucksack, an dem allerlei Beutel und Gerätschaften hingen, eine große Tasche über der einen Schulter und zog noch einen vollbeladenen Handkarren hinter sich her.

„Danke, das ist sehr lieb von dir. Aber pass auf." Sie überließ mir ihren Rucksack und rieb sich die Schultern. „Tut gut, das Gewicht los zu sein." Worauf ich aufpassen sollte, hatte sie nicht gesagt. Ich fand es aber umgehend heraus, denn beim ersten Schritt rührte sich etwas hinter mir und dann tönte mir ein ärgerliches „MAU!" im Ohr.

„Huaff!" Vor Schreck sprang ich in die Luft.

„Sie sagt, du riechst nach Hund", übersetzte die Frau ganz gelassen und wandte sich dann an die Katze. „Margoli, das ist eben ein Höllenhund und er erträgt deinen Katzenduft ja auch. Entweder nimmst du den Geruch hin und lässt dich tragen oder du spazierst auf deinen eigenen vier Pfoten."

„Woher weißt du das?" Wenn ich ein Mensch bin, bemerken nur wenige Menschen und auch längst nicht alle Fabelwesen meine eigentliche Art. Vor allem aber nehmen sie es nicht so gleichmütig hin wie dieses Mädchen, sondern distanzieren sich von mir.

Sie zuckte gleichmütig mit den Schultern. „Das sieht man doch!"

Dieses Mädchen war eindeutig die erste „man", die das gesehen hatte. Aber vorsichtshalber fragte ich nicht genauer nach. Diese Person begann mir allmählich unheimlich zu werden.

„Ihr lebt hier bunt durcheinander, oder?"

„Äh, wie meinst du das?"

„Naja, Fabelwesen und Menschen in fröhlichem Miteinander?"

Ich schüttelte den Kopf. „Eher in misstrauischem Nebeneinander."

„Oh." Sie wirkte enttäuscht. „So hatte ich mir das nicht vorgestellt." Sie runzelte die glatte braune Stirn. „Aber ich hätte es mir denken können, als du meintest, ihr habt hier zwei Schultheißen."

„Zwei was?"

„Schultheißen. So nennen wir in meiner Heimat die Stadtvorsteher."

Ja, sie sah definitiv nicht aus wie jemand von hier. Dass sie eine anliegende Hose und ein weites, verschlussloses Hemd aus Wildleder trug, war gar nicht mal so besonders. Die Jugendlichen in Venla hüllen sich zwar eher in Leinen und Baumwolle, aber Schnitt und Machart ihrer Kleidung unterschied sich nicht so sehr von der hiesigen Tracht. Aber schon mit ihrer gebräunten Haut, dem schwarzen, glatten Haar und den mandelförmigen grünen Augen sah sie anders aus als die Mädchen in unserer Stadt. Auch ihre Gesichtszüge wirkten fremd auf mich; die lange, spitze Nase, der breite Mund, das spitze Kinn, die betonten Wangenknochen und die dichten, geraden Brauen hoben sie von den Menschen ab, die ich kannte. Und ihr Benehmen irritierte mich. Sie schien nur wenig älter zu sein als ich, doch sie sprach selbstbewusst und bestimmt wie eine Erwachsene.

„Wo kommst du denn her?", erkundigte ich mich schüchtern.

„Aus dem Süden", beschied sie mich knapp. Mehr wollte sie sichtlich nicht bekanntgeben, also fragte ich nicht weiter und zeigte ihr lieber die Stadt, soweit sie zwischen dem Marktplatz, auf dem wir uns getroffen hatten und dem Magnolienweg lag, dem sie zustrebte.

Gerade als ich erklärte: „Die Bäckerei hier solltest du dir merken; Meister Fult backt das beste Brot in der Stadt und es schmeckt auch nach einer Woche noch gut", landete etwas mit Wucht auf dem Rucksack, den ich trug. Hastig griff ich zu, da ich an eine Elster dachte, die sich einen der silbern glänzenden Schöpflöffel stehlen wollte, die an dem schweren Gepäck befestigt waren. Tatsächlich erwischte ich einen Haufen Federn und Krallen, aber was ich dann fest im Griff hielt, war wesentlich größer als eine Elster, besaß einen langen, kräftigen Schnabel und war von einem seltsamen, cremigen Weiß. „Das ist ja ein Rabe!"

„Ach ja?" Das Mädchen beäugte meinen Fang. „Könntest recht haben, Höllenhund. Ich habs glatt für nen Bären gehalten."

Ihr Spott trieb mir das Blut ins Gesicht. „Es gibt hier nicht gerade viele Raben."

„Bären hoffentlich auch. Du kannst ihn loslassen, es ist meiner und er wollte nur auf seinen Sitzplatz auf meinem Rucksack zurück."

Ich zögerte einen Moment, denn noch hielt ich dem Viech den Schnabel zu und ich hegte keinen Zweifel, was der Rabe als erstes tun würde, wenn ich ihn freiließ. Die funkelnden, dunkelblauen Augen jedenfalls verhießen nichts Gutes für mich.

„Hack nicht nach ihm!", befahl das Mädchen dem Tier und das Funkeln erlosch. Jetzt wagte ich es, meinen Griff zu lockern, woraufhin der Rabe mir kurzerhand den Arm hochkletterte bis auf meine Schulter und mir ins Ohr krächzte: „Schnell bist du ja. Aber wenn Isovre mir nicht befohlen hätte, dich in Ruhe zu lassen, hättest du jetzt ein Auge weniger!"

Die Katze fauchte zustimmend. Diesmal brauchte ich keine Übersetzung, um zu verstehen, dass sich Margoli dann über mein anderes Auge hergemacht hätte. „Er gehorcht dir aber gut. Verstehen die beiden dich denn, wenn du ihnen Befehle gibst?"

„Nee, ich lenke sie mit unsichtbaren Fäden!", schnappte das Mädchen.

Mein Gesicht wurde noch wärmer; vermutlich war ich inzwischen knallrot. So dumm hatte ich mich noch nie bei einem Mädchen angestellt. Aber diese Person, dem Aussehen nach in meinem Alter, dem Verhalten nach mindestens doppelt so alt, brachte mich völlig durcheinander. Und diese merkwürdigen Geschöpfe, die sie begleiteten und die wohl irgendwo zwischen Tieren und intelligenten Wesen standen, machten es auch nicht besser.

Zumal der große Vogel auf meiner Schulter nicht gerade normal aussah. „Dein Rabe ist ja weiß!"

„Echt? Ist mir noch gar nicht aufgefallen!"

„Wo hast du denn diesen tumben Idioten aufgegabelt?", wollte der Rabe nun wissen.

„Ach, er war die erste Person, die mir hier über den Weg gelaufen ist. Und er ist nicht tumb, sondern ein sehr liebes Geschöpf, das sich nicht über meine Spötteleien aufregt und mir hier alles zeigt." Sie lächelte mir entschuldigend zu. "Ich neige dazu, alles durch den Kakao zu ziehen. Tut mir leid, wenn ich dich damit verunsichere, ich mein es aber nicht böse."

„Ich habe dich ja gewarnt, dass wir früh dran sind", krakeelte der Rabe.

„Mecker nicht, Kandreo, du willst dich doch auch so schnell so möglich vor einem warmen Feuer trocknen lassen."

„Das wäre allerdings ne nette Idee", gab der Rabe zu.

„Mmmprrr!" Auch die Katze war der gleichen Meinung.

Inzwischen hatten wir den Magnolienweg erreicht. „Das hier ist das Hexenhaus", ich wies auf das düstere Häuschen inmitten einer Wildnis, die irgendwann mal Rasen und Kräuterbeete gewesen waren.

„Vielen Dank fürs Herbringen." Das Mädchen schauderte bei dem Anblick. Das hatte nicht mal der Dauerregen geschafft, den sie mit stoischem Gleichmut ertragen hatte. „Das gibt ne Menge zu tun, sehe ich schon."

„Äh", wieso fiel mir das jetzt erst ein? „Du wirst dort keine Hilfe bekommen. Wir haben gerade keine Hexe in der Stadt."

Isovre – so hatte der Rabe sie jedenfalls genannt – hatte bereits ihren Rucksack entgegengenommen und stiefelte nun dem Häuschen zu. Bei meinen Worten drehte sie sich noch einmal zu mir um. „Dass ihr gerade keine Hexe habt, ist mir bewusst. Ich bin die neue!"

Verwirrt und eingeschüchtert sah ich ihr nach. Es hatte mich allerdings weniger überrascht, dass dieses junge, fremde Mädchen eine Hexe war, sondern was sie mit mir getan hatte.

Manche sagten, Hexen könnten den Wesen die Seelen stehlen. Bis dahin habe ich das nicht geglaubt. Aber als ich der jungen Hexe nachsah, die sich anschickte, ihr neues Heim in Besitz zunehmen, begriff ich, dass wohl etwas dran sein musste.

Für Sekunden raste ein irrsinniger Schmerz durch meinen Körper. Und als er so rasch nachließ, wie er gekommen war, spürte ich überdeutlich, dass mir etwas fehlte.

Sie hatte mir ein Stück meiner Seele entrissen. Und seitdem fürchte ich, dass sie sich den Rest auch noch holen wird.

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