Wölfe und Hunde

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Natürlich bin ich heute nicht der erste. Ezanie füllt gerade frisches Wasser in die Kühlbottiche und Garol kommt mit zwei Eimern Holzkohle aus dem Keller, als ich in die Werkstatt eintrete. Und wie immer steht Meister Engal an einem der Ambosse und formt gerade ein langes, schmales Stück Stahl mit geschickten Schlägen noch länger aus. Er nickt mir freundlich zu. „Guten Morgen, Navlin!"

„Guten Morgen, allerseits", ich lege die Tasche ab, hole die Lederschürze heraus und lege sie mir um. „Was steht heute an?"

„Wir brauchen mindestens ein Schaff Nägel, Größe drei." Meister Engal begutachtet den Stahl, setzt noch zwei Schläge und schiebt das Teil dann ins zentrale Schmiedefeuer, um das sich mehr als ein Dutzend Ambosse gruppieren. „Nimm Platz acht und wenn Tayhat kommt, zeig ihm, wies geht."

„Ist gut." Tayhat ist seit einem halben Jahr bei uns; ich hingegen habe bereits drei meiner insgesamt sieben Lehrjahre hinter mir. Meister Engal arbeitet zurzeit fast nur mit Lehrlingen, lediglich zwei Gesellen stehen uns zur Seite. Drei andere Gesellen sind gerade auf Wanderschaft, einer hat letzthin die Meisterprüfung bestanden und richtet sich gerade eine eigene Werkstatt ein und zwei haben sich in anderen Städten anwerben lassen. Wer bei Meister Engal gelernt hat, findet in so gut wie jeder Stadt gut bezahlte Arbeit. Und um eine Familie zu gründen, sollte man sein eigener Meister sein, auch das ist ein Grund, warum so viele Gesellen nach der Wanderschaft nicht zurückkommen. Das ist nicht nur bei uns so.

Ich werde wohl auch nach der Gesellenprüfung und der Wanderschaft bei meinem Meister bleiben. Eine Familie kommt für mich ohnehin nicht in Frage, keine Frau interessiert sich ernsthaft für einen elternlosen Höllenhund. Und als Geselle würde ich bei Meister Engal genug verdienen, um recht angenehm zu leben. Mehr brauche ich eigentlich nicht.

Als ich den dritten Nagel aus dem Nageleisen klopfe, taucht Tayhat neben mir auf. „Ich soll dir zusehen?"

Ich nicke nur und zeige ihm die einzelnen Schritte der Nagelherstellung. „Du erhitzt erstmal ein Stabeisen und formst das Ende zu einer Nagelspitze." Tayhat blinzelt verschlafen, konzentriert sich dann aber darauf, wie ich das Ende mit wenigen Schlägen konisch und spitz hämmere und dann das Eisen erneut ins Feuer halte.

„Hier", ich zeige ihm die Stelle, „habe ich seitlich ein Kanteisen angeschraubt. Daran siehst du die Länge des Nagels. Du setzt die Spitze auf das Eisen und biegst den Eisenstab um die Ambosskante herum und schrotest das Ende dann ab." Da ich gleichzeitig erkläre und vorführe, muss Tayhat meine Worte aus dem Hämmern meiner Schläge ausfiltern. Aber daran sind wir alle schon gewöhnt, das ist eben so, wenn man in einer Schmiede arbeitet.

„Dann steckst du das Ende ins Nageleisen und hämmerst den Kopf flach. Jetzt kannst du den Nagel aus dem Eisen klopfen und in den Wasserbottich werfen."

„Bei dir sieht das so einfach aus, Navlin", seufzt Tayhat.

Ich grinse ihn an, was ihn zusammenzucken lässt. Tayhat ist ein Mensch, mit seinen vierzehn Jahren zwei Jahre jünger als ich und zudem wesentlich kleiner, und mit meinen langen, aschebedeckten Reißzähnen jage ich auch gestandenen Männern schon mal einen Schrecken ein. In der Schmiede nehme ich darauf keine Rücksicht. Hierher kommen Wesen aller Art und die Lehrlinge gewöhnen sich besser schnell an Geschöpfe, die etwas anders aussehen. Tayhat hat wie die anderen Lehrlinge schon begriffen, dass ich  mit meinen martialischen Reißzähnen und dem Feueratem abenso harmlos bin wie Ezanie mit ihren bekrallten Flügeln und ihrer Fähigkeit, in die Träume anderer Geschöpfe einzudringen.

Am Anfang ist Tayhat hinter Meister Engals breitem Rücken verschwunden, wenn ich ihn angelächelt habe. Jetzt ist nur noch das leichte Zucken geblieben und das, habe ich mir geschworen, bekommen wir auch noch weg.

„Geh mal an Meister Engals Kuriositätenschrank und sieh in meine Schublade", schlage ich ihm vor. „Er hat meinen ersten Nagel aufbewahrt. Wenn du es noch schlimmer hinbekommst, gebe ich dir heute Abend eine Haselmaus am Spieß aus."

Tayhat lächelt verschwommen und trappelt zur Kommode, in der Meister Engal unsere schlimmsten Fehler aufbewahrt. Mehr als einem verzagten Lehrling hat er schon völlig verdorbene Erzeugnisse vor die Nase gehalten und ihn daran erinnert, wie sehr er sich seitdem verbessert hat. Und Neulinge bekommen als erstes Meister Engals eigene Fehlschläge zu sehen, damit sie von Anfang an lernen, dass niemand als Meister geboren wird.

Wie sehr das hilft, bemerke ich auch jetzt. Tayhat kommt mit deutlich muntereren Schritten und haltlos kichernd zurück. „Ich bezweifle dann doch, dass ich mir die Haselmaus verdienen werde." Er wirkt angespornt, aber auch traurig. Von seinem Lohn kann er sich kein Fleisch leisten, nicht einmal die billigen Mäuse, Frösche und Ratten, die ich mir doch fast jede Woche holen kann. Ich beschließe prompt, ihm den gegrillten Bilch auf jeden Fall zu gönnen. Ich kann auch mal auf meine wöchentliche Fleischration verzichten, immerhin bin ich ein Hund und  kein Werwolf, dem eine solche Diät schwerer fallen würde.

Tayhat bereitet einen zweiten Amboss unter meiner Anleitung mit Kant- und Nageleisen vor und holt sich einen vorbereiteten Eisenstab. Am Platz fünf ist Garol mittlerweile damit beschäftigt, den diesbezüglichen Vorrat wieder aufzufüllen. Während die meisten Schmieden sich auf wenige Erzeugnisse konzentrieren, wird hier bei Meister Engal alles gemacht. Auch darum beträgt die Lehrzeit für jene wie mich, die alles lernen wollen, sieben statt drei Jahre.

Die nächste Zeit bin ich vollauf beschäftigt, weitere Nägel zu fertigen und gleichzeitig Tayhat im Auge zu behalten. Wir stehen einander gegenüber und anfangs arbeitet Tayhat getreulich und spiegelbildlich alles mir nach. Meine Linkshändigkeit ist hierbei ein Vorteil und Meister Engal hat das schon längst erkannt und setzt mich gerne ein, um die Neulinge einfache Kniffe zu lehren.

Zuerst bemerken wir die Besucher gar nicht. Erst als ein Schatten auf meinen Amboss fällt, sehe ich auf. Zu uns haben sich drei Werwölfe gesellt und mir stellen sich automatisch die Nackenhaare auf. Ich würde gerne nichts gegen Werwölfe haben, leider aber haben die meisten etwas gegen mich.

„Daher kommt also der Kötergestank", einer der Werwölfe rümpft die Nase. Die drei sind in ihrer Mischform, also in der Gestalt von übergroßen Menschen, voll befellt, mit Krallen, Schwanz sowie einer langen Schnauze in einem annähernd menschlichen Gesicht ausgestattet. Eine solche Form kann ich als Höllenhund nicht annehmen; entweder bin ich Hund oder Mensch. Für die Werwölfe ist das normal, Wolfsform nehmen sie fast nur zum Vollmond an und in einen Menschen verwandeln sie sich nur, wenn sie sich tarnen wollen. In Venla ist das nicht nötig.

„Ich wusste ja, dass Engal fast jeden einstellt, aber dass er sich eines Straßenkläffers annimmt, hätte ich nicht gedacht", stimmt einer der anderen zu, dessen grauschwarzes Fell gemasert ist wie guter Damaststahl.

Tayhat duckt sich, obwohl er gar nicht gemeint ist. Ich reagiere nicht. Egal, was ich tue, diese Gruppe wird es als Provokation auslegen. Wenn ich unberührt bleibe, werden sie zwar nicht von mir ablassen, aber mir kann nachher niemand vorwerfen, ich hätte es auf Streit angelegt gehabt.

„Der scheint auch noch taub zu sein", kichert die kleinste der drei, eine junge Fähe mit gelbgestromtem Fell.

„Es dürfte Angst sein, die ihm das Maul verschließt", entgegnet der braune Wolf, welcher der Sprecher der drei zu sein scheint. „Oder Bewunderung. Wahrscheinlich hat er noch nie echte Wölfe gesehen und merkt nun, dass er nur eine jämmerliche Nachahmung ist."

Oder eine bessere Weiterentwicklung, denke ich, sage das aber nicht laut. Mir ist bewusst, dass ich in unserer Gesellschaft ganz unten rangiere, aber die Gründe dafür erschließen sich mir nicht, wenn ich solchen Wesen gegenüberstehe.

Tayhat beginnt zu zittern. Als Mensch ist er ebenfalls ein potentielles Opfer für pöbelnde Werwölfe und zudem ist ihm klar, dass er bei einer Rangelei zwischen mir und den Werwölfen zwischen die Fronten geraten würde. Und er ist noch zu kurz in der Lehre, um sich die eisenharten Muskeln eines Schmieds erarbeitet zu haben.

Die Fähe legt den Kopf schief und mustert mich sehr genau. „Ich frage mich, wie er als Hund aussieht."

Da mein Kopfhaar in meiner menschlichen Gestalt auf dem Schädeldach braun und an Seiten und Nacken weiß ist sowie sehr buschig und mein Körper zudem größer und breiter als der eines menschlichen Sechzehnjährigen, könnte sie sich das eigentlich denken. Sieht aber nicht so aus, als ob diese Fähe es drauf hat, logische Schlüsse zu ziehen.

„Der ist bestimmt ein niedliches kleines Schoßhündchen, das den Menschen ständig um die Beine streift und nach Aufmerksamkeit und Leckerli bettelt", stellt der gelbe Wolf verächtlich fest. „Gezähmte können sich ja nicht einmal selbst ernähren. Und was eine gute Jagd bedeutet, davon haben sie keine Ahnung."

Der braune Wolf lächelt, was sich bei Werwölfen darin äußert, dass sie das Maul aufreißen und die Zunge heraushängen lassen. Wenn ich Hund bin, ist das bei mir auch nicht anders.

„Wir sollten ihm die Jagd einmal zeigen. Mit ihm als Beute natürlich."

Das ist in Venla verboten. Von beiden Gesellschaften aus. Aber die Drohung damit ist natürlich erlaubt und allein diese reicht oftmals aus, um die verschiedenen Fabelhunde zuverlässig in Demut vor den Werwölfen erstarren zu lassen.

Bei mir wirkt das allerdings nicht. Die Werwölfe haben zwar meine hündische Natur erkannt, nicht aber meine Spezifikation. Ich bin weitaus weniger wehrlos als andere Hundewesen.

Tayhat hämmert verbissen auf das Nageleisen ein, aus dem sich der Nagel nicht lösen will. Ohne die Werwölfe zu beachten, begutachte ich seine Arbeit. „Der sitzt fest", belehre ich Tayhat. „Das passiert manchmal. Gieß kaltes Wasser drüber."

„Wie ..." Tayhat, hin- und hergerissen zwischen Angst und Eifer, begreift nicht gleich. Dann nickt er und sieht sich nach einem Eimer um, mit dem er Wasser aus dem Bottich schöpfen kann.

„Schwächling!", höhnt der braune Wolf und greift sich den Bottich. „Sieh mal her, das hat er gemeint!" Er hebt den schweren Bottich hoch über unsere Köpfe und gießt ihn aus. Über das Nageleisen, den Amboss, dessen hölzernen Sockel, Tayhat und das zentrale Schmiedefeuer. Ein halbes Dutzend Nägel – ich hatte zum Glück kurz zuvor die abgekühlten Nägel herausgefischt – fällt zwischen die Holzkohlen, die zischend erlöschen und das Wasser schwappt über alle Seiten der Feuerstelle, benässt die Füße und zum Teil auch die Ambosse der anderen Arbeitenden.

Augenblicklich wird es still in der Schmiede. Nur wenige haben mitbekommen, was überhaupt geschehen ist, die meisten sehen sich verwirrt nach der Ursache des plötzlichen Wasserschwalls um oder bringen ihre glühendheißen Werkstücke in Sicherheit. Und die drei Werwölfe starren auf das Malheur, das sie angerichtet haben, offenbar unsicher, ob sie triumphieren sollen oder sich besser entschuldigen.

Meister Engal kommt vom anderen Ende der Schmiede gelaufen. „Was ist hier los?" Er bemerkt die klatschnasse Holzkohle auf der Feuerstelle und ruft einigen Lehrlingen zu: „Räumt die Kohle weg, schnell!" Die Kohle muss zum Anzünden völlig trocken sein und darauf können wir nicht warten.

Garol kommt mit einem Ascheschieber angelaufen. Ich nehme dem braunen Wolf kurzerhand den leeren Bottich aus den erschlafften Händen und reiche ihn Garol. „Schipp es da rein!"

Meister Engal nickt mir zu und wendet sich an den zwei Köpfe größeren Wolf. „Was bitte sollte das werden?"

„Der da wollte Wasser haben!", der braune Wolf zeigt auf mich.

„Aber ganz sicher nicht von dir!", schnappt Meister Engal. „Ich habe euch gesagt, ihr sollt warten, bis ich eure Rüstungen zum Anpassen bringe. Ich habe nichts dagegen, wenn ihr euch in der Schmiede umseht, aber von Stören ist nie die Rede gewesen!"

Jetzt ist dem Werwolf wieder sein Stand eingefallen. „Wie redest du eigentlich mit mir, du Menschlein?" Er bleckt ein beachtliches Gebiss.

„So wie man mit Idioten redet, die sich aufspielen und dann nur Chaos anrichten." Meister Engal lässt sich nicht so leicht beeindrucken.

„Wir sind Kunden!", faucht die Fähe jetzt. „Du solltest uns besser behandeln, sonst bist du uns los!"

„Wenn du meinst. Ihr könnt ja mal ausprobieren, ob Oberrat Melchton bereit ist, eure Rüstungen bei einem anderen Schmied in Auftrag zu geben." Die drei Wölfe tragen die übliche Tracht der Werwölfe, tiefsitzende Shorts, bauchfreie Tops und hochgeschnürte, an den Zehen offene Halbsandalen. Die Farben, tiefes Schwarz mit roten Streifen, weist sie als Angehörige der Fabelwachen aus. 

Vermutlich sind sie Rekruten, die sich ihre erste Rüstung abholen. Bei Werwölfen besteht die aus Helm, kurzem Brustpanzer und Eisenhandschuhen mir Krallenschutz. Material und Machart sind vorgeschrieben, ebenso wie die Fertigung durch Meister Engal. Es ist nicht sehr wahrscheinlich, dass sich letzteres ändert, weil Meister Engal einigen übermütigen Neuankömmlingen in der Wache eine wohlverdiente Standpauke gehalten hat.

Ein Feldwebel der Fabelwache gesellt sich nun zu uns. „Stillgestanden!", donnert er – sowas können Feldwebel gut. Die drei versuchen sich prompt an einer Art Hab-acht-Stellung, sind aber sichtlich ungeübt darin. Die Fähe salutiert mit der falschen Hand, der gelbe Wolf legt die Hand an die Nase statt an die Stirn und der braune steht breitbeinig und krummrückig da. Selbst ich könnte das besser.

Der Feldwebel, ein Bärserker, schnaubt verächtlich. „Nicht mal das könnt ihr, aber Ärger machen!" Er wendet sich an den braunen Wolf. „Entschuldige dich! Ist dir klar, was uns das kosten kann? Hier steht jetzt sämtliche Arbeit, bis das Schmiedefeuer wieder heiß genug ist und das kann Stunden dauern! Und die Werkstücke, an denen gerade gearbeitet worden ist, sind bis dahin verdorben! Meister Engal hat alles Recht, von uns Schadenersatz zu verlangen!"

„Der ist aber nur ein Mensch!", beschwert sich die Fähe.

„Wohl wahr, aber auch der beste Schmied in der Stadt. Wir sind mehr auf ihn angewiesen als er auf uns." Seiner Grimasse nach scheint dem Feldwebel diese Tatsache nicht zu gefallen. Fabelwesen hassen es, auf Menschen zählen zu müssen.

Stotternd bittet nun der Werwolf meinen Meister um Verzeihung für sein Benehmen. Den durchnässten Tayhat und mich, den er beleidigt hat, lässt er dabei aus.

Garol hat inzwischen unter Mithilfe der anderen Lehrlinge die nasse Kohle abgeräumt und frische aufgeschüttet. Ich blicke fragend zu Meister Engal hin und als er nickt, atme ich tief ein und dann, mit voller Feuerkraft, über den Kohlen wieder aus.

Mein Höllenfeuer ist heiß genug, die Holzkohlen ohne Zunder und Anmachholz zu entfachen. Eine Runde um die Feuerstelle und etliche heiße Atemzüge später bin ich zwar ziemlich außer Atem, aber das Feuer flackert munter, als wäre nichts geschehen.

Die drei Werwölfe weichen vor mir zurück, als ich an meinen Amboss zurückkehre. Ich grinse sie nur freundlich an, nehme meinen Hammer auf und schiebe das Stabeisen in die Flammen.

Manchmal hat es Vorteile, ein Höllenhund zu sein.

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