49 - Aleyna - Es war Absicht

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Ich weiss nicht genau, wie ich noch am Leben sein kann. Wie ich noch um mein Leben laufen kann, obwohl ich womöglich tot sein könnte. Obwohl mein Auto verkehrtherum liegt, nur noch für den Schrotthaufen zu gebrauchen ist, und aus allen möglichen Öffnungen gefährlich raucht. Und ich weiss erst recht nicht, wie mich niemand sehen konnte. Immerhin bin ich aus dem Auto gesprungen und dann hysterisch weggerannt, das muss doch jemand gesehen haben?

Schwer keuchend schleppe ich mich Meter für Meter weiter, mit der kleinen Hütte vor Augen, die immer wie näher kommt. Ein Blick auf meinen Bauch lässt mich hoffen, dass ich keine Blutspur lege, denn ich will wirklich nicht, dass mich jemand von Ramírez' Leuten finden könnte. Oder sogar er selbst. In meinem Zustand könnte ich unmöglich flüchten, und schon nur der inszenierte Autounfall war ein wahres Wunder.

Ich knicke ein, und mit einem schmerzerfüllten Laut lasse ich mich kurz auf den Rasen fallen, um mich etwas auszuruhen, und neue Kraft für den letzten Teil zu sammeln. Ich stütze mich mit den Händen und den Knien auf dem Boden ab, und versuche, so tief wie möglich ein und aus zu atmen. Es schmerzt höllisch, und immer mal wieder beiße ich mir auf die Unterlippe, um die Tränen zu unterdrücken. Wenn ich jetzt etwas nicht brauche, dann ist das eine verschleierte Sicht.

Wenn ich mich selbst versorgt habe, kann ich von mir aus mehrere Jahre nur weinen und versuchen, irgendwie über dieses Erlebnis hinwegzukommen, doch jetzt habe ich wichtigere Sorgen.

Ich zähle innerlich bis zehn, ehe ich mich langsam wieder aufrapple. Ich würde gerne schreien, doch stattdessen beiße ich erneut in meine mittlerweile blutende Lippe. Schritt für Schritt kämpfe ich mich vorwärts, und mit jedem Meter schwanke ich mehr. Mit meinen Händen presse ich auf meinen Bauch, um den Blutschwall so gut wie möglich zurückzuhalten, damit ich nicht noch verblute. Die Wunde ist nicht sehr groß und auch nicht sonderlich tief, doch trotzdem fließt eine ganze Menge Blut aus ihr raus.

Meine Hände sind dunkelrot verfärbt, meine Kleider kleben an mir, und meine Haare hängen mir wirr ins Gesicht, während mir der Schweiß von der Stirn tropft. Doch ich gebe nicht auf, denn so bin ich nicht erzogen worden. Dad hat nie aufgegeben. Er war immer derjenige, der auch in den schlimmsten Situationen nach einer Lösung gesucht hat, und sie dann auch gefunden hat. Als ich nach sicher einem Jahr noch immer kaum die Tonleiter auswendig konnte, hat er mich so lange dazu gezwungen, sie zu repetieren, bis ich sie konnte.

Der Gedanke an meinen Vater schmerzt, und ich schlucke schwer. Ich bin noch lange nicht über seinen Tod hinweggekommen, auch wenn er schon eine ganze Weile zurückliegt. Immer noch liege ich nachts ab und zu mal wach und denke an ihn, und an all die guten Erinnerungen, die ich an ihn habe. Ich erlaube es mir nur selten, um ihn zu weinen, doch weh tut es trotzdem.

Röchelnd erreiche ich endlich das kleine Häuschen, drücke mit aller Kraft die Klinke runter, und falle fast in den Flur hinein. Ich stütze mich an der Wand ab, während ich die Türe hinter mir schliesse, und schleppe mich sofort ins Badezimmer, wo ich mein Shirt hochkremple, und trocken schlucke. Mit zitternden Fingern durchforste ich alle Schränke, bis ich endlich den Verbandskasten finde, und ihn rausreiße.

Dann schnappe ich mir ein Tuch, befeuchte es, setze mich auf den Toilettendeckel und fange an, die Wunde langsam und vorsichtig mit dem lauwarmen Tuch abzutupfen. Das Blut fließt sofort nach, doch ich kriege es trotzdem hin, die schon leicht getrockneten Blutkrusten rund um die Wunde herum etwas zu entfernen. Das muss einfach reichen. Dann greife ich nach einem grossen Pflaster, welches ich auf die Wunde klebe, ehe ich mir selbst einen Verband so stark um den Bauch wickle, dass ich erneut vor Schmerzen schreien könnte.

Ich bin mir bewusst, dass das die Blutung auf keinen Fall lange aufhalten wird, doch es sollte reichen, um selbst ins Krankenhaus zu gehen. Ich lehne meinen Hinterkopf an die kühle Fliesenwand hinter der Toilette, und schliesse kurz die Augen, um mich etwas zu sammeln. So gut wie möglich versuche ich, den Vorfall zu vergessen, doch immer wieder schießen die Erinnerungen daran, wie ich im Auto brutal festgehalten wurde, in mein Hirn.

Das alles wird von dem Moment gekrönt, in dem ich aus dem Auto gesprungen bin, und obwohl ich fast befürchte, mir ein Stück meiner Lippe abzubeißen, gelingt es einigen Tränen trotzdem, durch meine Augenlieder langsam meine Wangen runterzulaufen. Mit jeder neuen Erinnerung wird mein Widerstand gegen die Tränen schwächer, und ich sacke immer wie mehr in mich zusammen, bis ich leise aufschluchze und mein Gesicht in meinen Händen vergrabe.

Dass diese noch blutverschmiert sind, ist mir egal, schließlich kann ich mir immer noch das Gesicht waschen, bevor ich wieder rausgehe.

Ich ziehe meine Beine vorsichtig an mich, und platziere meine Fersen auf dem Rand des Toilettendeckels, bevor ich meine Arme um meine Knie schlinge, und mir erneut ein etwas lauterer Schluchzer entfährt. Fast betäubt fasse ich mir vorsichtig an meinen Hals, wo mich der Typ festgehalten hat, und zucke kurz zusammen, als meine Fingerspitzen gleich mehrere schmerzende Stellen ertasten.

Meine Tränen laufen in immer kürzeren Abständen meine Wangen runter, und ich atme immer flacher, während ich zitternd im Badezimmer des kleinen Häuschens sitze, und darum bete, dass mich niemand hier findet. Je mehr ich eigentlich von innen gegen die Tränen ankämpfen möchte, umso mehr werden es, und ich vergrabe meine Finger in meinen Schultern, während ich mich selbst umarme. Meine Fingernägel bohren sich unangenehm in meine Haut, doch es ist mir egal. Es ist fast, als wäre ich betäubt, und würde keinen physischen Schmerz spüren. Dafür ist jedoch der psychische Schmerz umso stärker.

Ich weiss nicht, ob es möglich ist, aber es fühlt sich fast so an, als könnte ich daran sterben.

Alle Erinnerungen daran, was ich wegen Javier Ramírez schon durchmachen musste, prasseln unaufhörlich auf mich ein, und widerholen sich unendliche Male in meinem Kopf. Ich will ihn loswerden. Ich will nicht, dass er solch eine Macht über mich, mein Umfeld und vor allem meine Gedanken haben kann. Ich will nicht, dass er in meinem Kopf kommen und gehen kann, wann er will, nur, weil er gefährlich ist und mir womöglich sofort das Leben nehmen könnte.

Ich will nicht mehr immer das Gefühl haben, verfolgt zu werden, wenn ich alleine oder mit Leuten unterwegs bin, die nichts von Ramírez wissen. Ich will nicht mehr das Gefühl haben, ständig beobachtet zu werden, so als wäre eine Videokamera die ganze Zeit, vierundzwanzig Stunden am Tag, sieben Tage die Woche, vier Wochen pro Monat und zwölf Monate im Jahr auf mich gerichtet.

Obwohl ich schon etwas länger nichts mehr von Javier gehört habe, wusste ich, dass das noch lange nicht einfach das Ende sein würde. Ich wusste, habe es tief in meinem Inneren gespürt, dass noch was kommen wird. Etwas, was uns alle aus der Bahn werfen wird. War die versuchte Entführung schon alles? Oder hat Ramírez schon einen Plan B auf Lager? Und wenn ja, wie wird dieser aussehen?

Angst und Verzweiflung machen sich in mir breit, und so laut wie ich kann schreie ich in den Stoff meiner Jeans hinein, doch meine Stimme bricht schon nach dem ersten Ton, der meiner Kehle entweicht. Ich will das alles nicht mehr. Ich habe definitiv schon zu viel erlebt, um das auch noch durchmachen zu müssen. Diese unglaubliche Angst, ich könnte hinter jeder Ecke, in jeder kleinen Gasse getötet werden, skrupellos und ohne Vorwarnung.

Für viele mag das bloss der Nervenkitzel in einem guten Horrorfilm sein, doch für mich ist das die Realität. Und man bedenke, wir haben 2019. Wie kann sowas überhaupt noch möglich sein? Wie kann es möglich sein, dass mit so einem gut ausgebildeten Polizeiteam, immer noch solche Dinge geschehen können? Und wie kann es sein, dass keiner was davon mitkriegt, bis jemand stirbt?

Erneut werde ich von einem Heulkrampf geschüttelt, und erst als ich merke, wie meine Atemwege sich langsam verschließen, verstehe ich, dass ich nicht mehr nur noch am Weinen bin. Sofort versuche ich, mich auf meine Atmung zu kontrollieren, doch es ist zu spät. Gleichzeitig hämmert irgendwer fast mörderisch gegen die Haustüre, und ich scheitere kläglich bei dem Versuch, still zu sein.

„Aleyna?"

Noch mehr Tränen rinnen aus meinen Augen, als ich Nates Stimme vernehme, und ich nehme all meine Kraft zusammen, um zu antworten. „Ich bin hier" wimmere ich, und bete dafür, dass Nate es gehört und verstanden hat. Kurz nachdem er anfängt, die Türe einzutreten, verfalle ich in eine Schnappatmung, und alles was ich noch sehen kann, ist mich selbst im Auto, und ein Mann hinter mir, der mir die Luft abschnürt und mir eine Pistole an den Kopf hält.

Ich fange an um mich zu schlagen und zu schreien, in der Hoffnung, das Bild könnte so verschwinden. Ich schüttle mich und falle fast von der Toilette, kann mich aber im letzten Moment noch fangen. Ich höre weit entfernt, wie sich Schritte nähern, und nehme nur oberflächlich wahr, wie Nate das Badezimmer betritt. Sobald er mich auf dem Toilettendeckel entdeckt, bückt er sich zu mir, und legt beide Hände an meine Wangen.

„Aleyna" murmelt er, und versucht, Blickkontakt zu mir aufzunehmen. Ich gebe mein Bestes, um ihm dabei zu helfen, doch die Geschehnisse der letzten Stunden möchten einfach nicht verschwinden. „Aleyna schau mich an" befiehlt mir Nate, doch ich schüttle nur meinen Kopf, und vergieße noch mehr Tränen. „Ich k-kann nicht" stottere ich, und schliesse die Augen. „Doch, du kannst" flüstert Nate, und seine Stimme ist viel weicher als sonst. Ich glaube, tatsächlich sowas wie Sorge in ihr zu hören, doch vielleicht habe ich mich auch einfach verhört.

Erneut schüttle ich nur erschöpft den Kopf, und ringe weiterhin nach Luft. Eine Weile scheint Nate zu überlegen, dann seufzt er laut, zieht mich an sich und legt seine Lippen ohne jegliche Vorwarnung auf meine. Und tatsächlich bleibt alles, was eben noch in meinem Kopf wild umherschwirrte, einfach stehen. So, als würde die Zeit stillstehen. Es gibt nur Nate, der vor mir kniet, und mich, wie ich völlig fertig mit allem auf dem Toilettendeckel sitze.

Und unseren Kuss. Klar, ich habe Nate schon einige Male geküsst – aber das hier fühlt sich nicht an, wie ein einfacher, blöder Kuss. Das hier ist viel mehr, und ich weiss nicht, wie ich es beschreiben soll, aber Nate hat es geschafft, meine ganze Konzentration nur auf ihn zu lenken.

Langsam bewegt er seine Lippen gegen meine, als er merkt, dass ich wieder ganz da bin, und seine Hand wandert leicht in meinen Nacken. Ohne lange zu überlegen, lege ich ebenfalls eine Hand in seinen Nacken, und bin mir sicher, dort eine Blutspur zu hinterlassen. Doch das ist mir gerade wirklich egal. Der salzige Geschmack meiner Tränen vermischt sich mit dem sonst eher süßen Geschmack unserer Münder, und es wirkt fast elektrisierend zwischen uns beiden. Ich habe immer noch das Gefühl, die Zeit stünde still, und ich genieße es in vollen Zügen.

Ich genieße es, dass es jetzt gerade nur Nate und mich gibt, und sonst niemanden, der sich ungebeten in meinen Kopf drängen kann, um dort ein Chaos anzurichten. Mal davon abgesehen, dass ich sowieso gerade nicht denken kann, und mich das Chaos somit nicht weniger interessieren könnte, als jetzt gerade.

Nate löst sich nach gefühlten Stunden von mir, und wir legen unsere Stirn gegeneinander. Meine Tränen kleben noch immer zwischen meinen Wimpern und auf meinen Wangen, und fast gedankenverloren streicht Nate sie weg. Sein Blick ist dabei immer auf meine Augen gerichtet, bis er irgendwann kurz die Augen schließt. Dann zieht er mich ganz an sich, und ich lege meinen Kopf gegen seine Brust, während er sein Gesicht in meiner Halsbeuge vergräbt.

Eine ganze Weile sitzen wir einfach so da, bis Nate sich leise räuspert. „Ich bin froh, dass du noch lebst" murmelt er, und ich schlucke trocken. „Als wir dein Auto gesehen haben, hätte ich ehrlich damit gerechnet, dass es vorbei ist. Dass Javier sein Ziel erreicht hat." Ich schüttle nur den Kopf, entferne mich etwas von Nate und lege ihm einen Finger auf die Lippen, als er erneut dazu ansetzen will, etwas zu sagen.

„Ich lebe noch. Es ist alles okay, Nate. Ich... muss nur mal kurz ins Krankenhaus. Aber mir geht es gut." Nate nickt langsam, ehe er mich fragend ansieht. „Wieso musst du ins Krankenhaus?" Ich seufze und kremple mein Shirt erneut hoch, und als Nates Blick auf den Verband fällt, der an einer Stelle schon etwas rötlich ist, weiten sich seine Augen. „Hast du das alleine verbunden?" fragt er mich fast fassungslos, und ich nicke. „Aber es wird nicht lange halten."

Nate nickt langsam und schüttelt dann den Kopf. „Ich fahre dich. Aber eine Frage habe ich noch." Ich schaue abwartend zu Nate hoch, der sich schon wieder langsam aufgerichtet hat. „War es ein Unfall oder Absicht?" Er hebt mich hoch, und ich überlege, ob ich ihm einfach die Wahrheit sagen soll. Immerhin muss er mich ja beschützen, da wäre es unfair von mir, zu lügen. Also hole ich tief Luft, und halte mich an Nate fest, während er mit mir das Häuschen durchquert.

„Es war Absicht."

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Ich habe definitiv viel zu lange für dieses Kapitel gebraucht, dafür bin ich umso zufriedener damit haha. Ihr wisst, ich lade keine halben Sachen hoch.

Was haltet ihr so von dem Kapitel?

Und wusstet ihr, wo Aleyna sich befindet?

- Xo, stay safe, Zebisthoughts

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