2 ▪ Grübchen und Kettensäge

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Hätte Bailey sich als horrorhafte Mörderpuppe á la Chucky offenbart, war mein SOS-Notfall-Plan bis dato gewesen, den kleinen Wicht irgendwie ins Koma zu prügeln, dann irgendwie die Tür aufzureißen und irgendwie davon zu galoppieren, wie das für heroische Einhörner geläufig war. Als er mir zeigte, was sich dahinter befand, wurde mir klar, dass ich nicht weit gekommen wäre; zumal mich mein Fluchtinstinkt fast wieder in Baileys Wohnung gescheucht hätte.

Eine mittelalterliche Halle mit Kuppel erstreckte sich vor mir. In diesem Saal hätte es sich ein Finnwal gemütlich machen können.
Das Zentrum bildete eine lange Tafel. Sie war garniert mit Blumenvasen, aus denen aschfahle Blüten hervorlugten, Tellern mit süßen und pikanten Snacks und einer Legion aus Dokumenten. Das Mosaik unter meinen Füßen ließ meine zaghaften Schritte dumpf durch die Kuppel hallen. Ein gewaltiger Kronleuchter an ihrer Spitze spendete gelbliches Licht, mit dem ich gerade so Zeitung lesen könnte.

Das Bizarrste hatte ich noch nicht erwähnt: In jeder Ecke wuselten, wie hätte es auch anders sein können, Untote herum, die ich mit viel Fantasie mit Menschen assoziieren konnte.

Hagere, hochgewachsene Gestalten in Kittel und Sneakers schlenderten durch die Menge. Greisinnen mit blassen Wangen und schneeweißen Zöpfen, die am Scheitel qualmten wie Rauch aus einem Schornstein, saßen auf Bänken am Tisch. Sie wendeten indifferent die Papiere hin und her und fauchten sich an. Alter und Weisheit im Nachleben bewahrten einen auch nicht vor der lüsternen Rivalität um Nachos.

Gammelige Zombies mischten sich darunter, deren Haut so grün war wie das, was fortwährend in meinem Magen rebellierte. Einige waren in meinem Alter, trugen Emo-Frisuren und Lilhuddy-Merch, der ihnen über die knochigen Arme rutschte. TikTok verschonte selbst die inoffiziellen Katakomben von Woauchimmer nicht, damit fühlte ich mich doch gleich wohler.
Wenigstens gab es keine Skelett- Hunde oder echte Einhörner.

Bailey schwadronierte darüber, dass das die Lobby war, in der organisiert und sich zum Kaffeeklatsch getroffen wurde, und wie er hier in seiner Jugend Tango tanzen gelernt hatte. Aller fünf Meter führten Türen, identisch mit der der Puppe, in ein privates Zimmer.

So weit, so imposant und gehirnzermalmend. Wäre da nicht die Feststellung, dass dieser Raum noch muffiger war als der von Bailey. Die spärlich mit Gemälden verschönerten Granitwände waren mit Schimmel und Ansätzen einer Tapezierung getupft. Es roch vage nach Verwesung und Kräutern. Eine glitschige Flüssigkeit rann über die Fliesen, als wäre hier ein Tanklaster verunglückt. Ich hatte Mitleid mit meinen Pantoffeln. Etwa, die Bewohner waren Fans von maroder Barock-Ästhetik oder das Putzpersonal erhielt nicht einmal Mindestlohn.

Bailey wackelte auf die schönste Person in der Halle zu. Abseits der Masse lehnte am Kopf der Tafel ein Mädchen und starrte Löcher in die Luft. Ihr Schopf wurde von einem flanellgrauen Kopftuch verhüllt, was wahrscheinlich das einzige an ihr war, das den Vorschriften des Korans entsprach.

Unter ihrer dunklen Shorts trug sie ein mit Strass verziertes Strumpfband aus Leder, worunter bräunliche Haut zu sehen war. An einer Fahrradkette, die sie wiederum an ihrem Gürtel befestigt hatte, baumelte eine große, überhaupt nicht beängstigende Kettensäge. Sie hatte die Arme über dem schwarzen Pullover verschränkt und uns die rechte Schulter zugedreht. Im Anbetracht der restlichen Gesellschaft wirkte sie erstaunlich normal.
,,Hier sind wir!", quäkte Bailey, der vor mir her stolperte, sodass ich ihm mehrmals fast einen Tritt versetzt hätte.

Dann drehte sich das Mädchen zu uns um und meine Speiseröhre füllte sich mit Galle. Meine Beine verwandelten sich in Gummi, wie wenn ich in eine Achterbahn stieg und realisierte, dass es kein Zurück mehr gab.
,,,Bailey! Wo hast du so lange gesteckt?", zischte sie. ,,Und wer ist das denn?" Ihr Wörtchen das sprach sie aus, als handele es sich bei mir um einen fetten, ekligen Käfer.

Bailey plapperte unbeirrt weiter: ,,Das ist Madison Asriel, ein Ghul und Verbündete. Maddie, das ist Connor, ein ganz besonderer Neuankömmling". Ja, meine pastellene Einhorn-Verkleidung war inmitten einer Lobby aus düsteren Untoten etwas Besonderes. Aber keine Maske aus Silikon und auch nicht die talentiertesten Face Painting-Künstler hätten Madison gerecht werden können. Sie wäre der Hit auf jeder Halloween-Party.

Ein absolut grässlicher Albtraum, der alles Hübsche an ihr ausmerzte: So ließ sich ihre linke Gesichtshälfte am besten beschreiben. Schnipsel von fauligem Fleisch, in dem sich Sehnen abzeichneten, bildeten eine Kruste über einem grinsenden Totenschädel. Die leere Augenhöhle schien mich in einen Sog zu ziehen. Dunkle Haarbüschel quollen unter dem Hijab hervor, welcher auf dieser Seite schmutzig und zerknittert war. Das Ganze sonderte ein Miasma ab, dass mir die Augen prickelten.
Madison musterte mich mit einer angewiderten Grimasse, als sei ich der laufende Leichnam, und nicht sie.

Bailey tippte mir gegen das Bein und sagte stolz: ,,Madison ist eine exzellente Kämpferin, Schätzchen".
Ich merkte mir: Puppen mussten gar nicht blutverschmierte Fratzen haben und mit einem Messer herumfuchteln, um gruselig zu sein. Sie konnten mich einfach unironisch Schätzchen nennen und schon würde ich nie wieder in der Lage sein, in Frieden zu schlafen.

Madison brachte Baileys Zuneigung mir gegenüber nichts als Abscheu entgegen. Mit dem Kompliment war sie ebenfalls nicht zufrieden. Vielleicht war sie das mit Baileys gesamter Existenz nicht, denn sie wütete weiter wie Miguel, wenn ich die Lieblingssorte seiner Gummibärchen stibitzte und er dahinter kam. ,,Wo hast du den denn aufgetrieben?", donnerte Madison. ,,Er hat wohl kaum Erfahrung, oder?"
Ich stand regungslos vor ihr wie ein verschrecktes Kaninchen und brachte keine Antwort hervor. Warum musste ausgerechnet eine exzellente Kämpferin mit Kettensäge so aggressiv sein?

,,Außerdem", fuhr Madison tadelnd fort, ,,hast du verschlafen. Nicht mehr lange, und ich wäre zu dir gestürmt und hätte dich zum Fußabtreter verarbeitet, du unzuverlässiges..." Erstaunlicherweise hatte sie sich so weit unter Kontrolle, dass sie die Beleidigung herunterschluckte.
Eines musste ich Bailey lassen, sie ließ sich nicht einschüchtern. ,,Siehst du, unser Gast hat bereits eine Heldentat vollbracht und mich rechtzeitig geweckt! Also, beinahe. Wir sollten ihm eine Chance geben".

Madisons aasiger Blick fixierte erneut mich, woraus resultierte, dass ich mir gerne eine Scheibe von Baileys Lebensmüdigkeit/Mut abgeschnitten hätte. Ich verlagerte nervös mein Gewicht von einem Fuß auf den anderen. Meine schweinchenrosa Pantoffeln saugten sich mit benzinfarbener Soße voll und klangen wie ich beim Limonadeschlürfen. Deshalb sollte man nie einen Ozean aus Kaffee und Gelee züchten und in einen Festsaal gießen.

Madison schnaubte und schien damit zu ringen, mich dabei nicht anzuspucken. ,,Wenn es sein muss. Eine Garantie für Sicherheit gibt es aber nicht, Weichei. Jetzt folgt mir, wir müssen uns mit jemandem treffen und sind spät dran". Sie schob die Daumen in ihren Gürtel und stolzierte davon.
Der Knoten in meiner Kehle löste sich ein klein wenig. Nicht, weil die Angaben zu meiner Sicherheit ohne Schusswaffe waren, sondern weil Madison mir das mitgeteilt hatte, anstatt mich durch den Wolf zu drehen. Das war schon mal etwas.

Wir schlurften und schlürften zu einem Konferenztisch am Rande des Saals, wo uns niemand belauschen und uns kein Zombie-Eboy anflirten konnte. Nehmt es mir nicht übel, aber das war das Letzte, womit ich in dieser Situation noch hätte umgehen können.
Das schmale Konstrukt war ähnlich am Verrotten wie Madison links von der Nase. Verschüttete Getränke hatten immerfeuchte Flecken auf dem Holz hinterlassen, an den Stelzen sammelte sich Rost.
Jedenfalls erfüllte es seinen Zweck als Treffpunkt, denn kurz darauf schwebte eine füllige, weiße Dame zu uns herüber- buchstäblich ,,schweben".

Alles an ihr schien aus der Renassaince entflohen zu sein: Das bäuerliche Gewand mit Schleifen am Dekolleté und Rüschen, sowie ihre geflochtene, honigblonde Frisur. Na ja, alles, bis auf ihren gespenstischen Zustand, denn ich konnte mich nicht daran erinnern, dass ich im Gesichtsunterricht so etwas aufgeschnappt hatte wie: Fun Fact, manche von denen können fliegen und flimmern wie eine Fata Morgana.

Ich musste das Positive sehen. Durch die Konfrontation mit übermotivierten Voodoopuppen, Kettensägen schwenkenden Ghulen und pubertären Zombies drohte meinem Gehirn kein Kollaps mehr, sondern nur noch unbeschreibliches Irritiertsein.

,,Hallihallo", flötete die verschwommene Dame und flugs fiel ihre Aufmerksamkeit auf mich.
,,Huch, haben wir einen Neuen im Team?", fragte sie. Sie hatte eine warme, bezirzende Stimme wie eine dieser Moderatorinnen von CNN, und die gleichen Grübchen über den Mundwinkeln wie meine Abuela.

Diese durch und durch menschlichen Attribute verstärkten mein Verlangen, den Kopf in den Sand zu stecken und diese Begegnungen für immer aus meinem Gedächtnis zu löschen. Wären diese Untoten blutrünstige, verlumpte Bestien, hätten sie wenigstens Sinn ergeben. Dass ich es mit menschlichen Individuen zu tun bekam, die mich bemüht freundlich begrüßten- gut, Madison war die Ausnahme-, brachte einiges in mir zum Zerbersten.

,,Korrekt. Ein fremder Kerl, der die Klappe nicht aufbekommt", knurrte Madison, was die Begeisterung der Frau nicht ausbremste.
,,Wunderbar! Ich sollte einen ersten Eindruck von mir geben", sagte sie und untermalte das mit einer Pirouette in der Luft. ,,Ich bin der Geist von Adriane Ludwig und war im neunzehnten Jahrhundert Magd an Versailles und im Deutschen Kaiserreich. Hier im Totenheim kennt man mich als Señora Ludwig, eine der ältesten und mächtigsten Bewohnerinnen. Und du, freundlicher Bube?"

Bevor ich die Begrüßung erwidern konnte, schüttelte Señora Ludwig mit ihrer schwieligen Hand die meine. ,,Connor. Die Ehre ist ganz meinerseits", nuschelte ich und verkniff es mir, meine Hand am Kostüm abzuwischen. Dass ich ,,Ehre" mit ,,Panikattacke" verwechselte, störte bestimmt niemanden.

Personen mit dem Namen Madison Asriel und Adriane Ludwig hätten eine aufstrebende Metal-Band hergeben können, deren finstere viktorianische Werbeposter die Shopping-Szenen von Großstädten zukleisterten. Ob Bailey auch einen Familiennamen hatte, unter dem ich mir einen adeligen Schnösel vorstellte, statt ein spirituelles Stofftier?

,,Genug der Schmeicheleien", rief Madison dazwischen und ein einziges Mal war ich dankbar für ihr Temperament. ,,Damit sind wir komplett. Es wird Zeit, unseren Lehrling in den Plan einzuweihen".
Sie rückte näher an den Tisch, Señora Ludwig rückte näher an den Tisch und die Gruppendynamik zwang mich dazu, auch näher an den Tisch zu rücken. Der Lärm des Saals drang in den Hintergrund, als sei ich der Protagonist in einem Young Adult-Film und würde in Slow Motion meinen Schwarm beim Tanzen in der Disco begaffen- in meinem Falle nur ohne Sabber und Disco und einem Schwarm. Was für ein Valentinstag.

Typischerweise zerstörte Bailey den mystischen Moment, indem er sein Können beim Stangenklettern präsentierte. Irgendwie hatte er sich am Stuhlbein hochgezogen und hievte sich nun strampelnd durch eine stinkende, ölige Pfütze auf die Tischplatte, was keine Mäkel an seiner guten Laune hinterließ. Weil es halt Bailey war.
"Bei so einem großen Einsatz kann ich finito beweisen, dass ich nicht so nutzlos bin, wie ich rüberkomme!", jauchzte die Puppe und startete die nächste euphorische Einheit ihres Morgensports.

Madison verdrehte das Auge, wobei ihre Kadaver-Seite sich kaum merklich rekelte, als würden Maden darin Schächte buddeln. Ich hätte nicht über diesen Vergleich sinnieren sollen, denn jetzt wurde mir noch flauer. ,,Und ich darf die gefährliche Arbeit vermutlich wieder ganz alleine übernehmen, weil du bei jedem Einsatz genauso nutzlos bist, wie du rüberkommst".

,,Ach, sei nicht so streng mit ihr", tadelte Ludwig.
,,Doch", sagte Madison.
,,Das ist meine Chance!", rief Bailey.
Das ist mein Untergang, dachte ich.

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