3 ▪ Strategie und Tradition

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Der einzige Trost war, dass ich mich nicht um um ein Valentinstagsgeschenk sorgen musste. Als Single konnte man sich dafür mit niveauvolleren Sachen beschäftigen, wie in einer kindischen Verkleidung vor Untoten das Untotsein vorzutäuschen.

Madison trommelte mit den Fingern auf dem Tisch herum, während sie mich argwöhnisch-finster beobachtete. Jeden anderen Menschen hätte ich höflich darauf hingewiesen, diese nervige musikalische Untermalung sein zu lassen, aber bei Madison war das verzwickter. Erstens war sie nicht wirklich ein Mensch, und zweitens lag mir meine Gesundheit auch bei unfreiwilligen Undercover-Missionen am Herzen.

,,Wie du weißt", begann das auf Teilzeit verrottende Mädchen unheilverkündend, ,,lieben Wesen im Nachleben es, Menschen Schrecken einzujagen".
Darin seid ihr ziemlich gut, dachte ich in Plattgetretener Chihuahua-Tonfall. ,,Klaro", sagte ich.

Hätte Bailey eine Stirn aus Haut gehabt, hätte sie sie wohl in Falten gelegt. ,,Du bist informiert darüber, Connor? Aber du warst doch nicht an der Rezeption".
Das Trommeln verebbte. Obwohl ihre auf mich gerichtete Mimik nur so vor Missgunst sprühte, sympathisierte ich in diesem Moment mit Madison, die den Knirps gewöhnlicherweiße mit Schmähungen ansprach, anstelle des Namens.

,,Bitte?", fauchte Madison. Bailey schlug die Stummel seiner Ärmchen vor dem Mund zusammen, als müsse er sich vor Reue glatt übergeben, und krächzte schuldbewusst auf. ,,Connor, ich wollte nicht verraten, dass du nicht an der Rezeption warst! Ich verplappere mich sonst nie!"
,,Du hast den Anmeldeschalter übersprungen? Wie denn das?", fragte Madison.

Meine Wangen schwollen zu Tomaten an, zu dieser richtig ekligen Sorte, die nach saurem Kerzenwachs schmeckte und zwei Stunden nach Öffnung der Packung bereits vom Schimmel weich wurde. Ich ließ meinen Blick durch den Saal schweifen, wie um ein Buch oder einen Aushang finden, mit dem ich nachholen konnte, was mir durch die Lappen gegangen war. Ich wertete es als Diffamierung, dass die Details meiner Ankunft in den klobigen Händen dieses verpeilten Sandsacks lagen.

In Madisons milchiger Iris flammte eine Nuance von Spott auf, als wöllte sie in die Runde brüllen: Seht ihr, meine böse Vorahnung über den Pony-Typen hat sich bewahrheitet!
,,Also hast du auch die Schilder nicht gelesen und verfügst nicht einmal über Grundwissen". Sie stupste Bailey an, der daraufhin wie ein drolliger Hamster auf den Po plumpste. ,,Sag mal, hast du dir diesen Trottel nur geangelt, damit du in deiner Unfähigkeit nicht alleine bist?"
,,Er ist weise und gnädig!", klagte Bailey. ,,Bloß ein bisschen... sonderbar".

Da Madison nicht mehr den Eindruck machte, als würde sie mich bei einer falschen Bemerkung akut zersägen, wagte ich zu fragen: ,,Wozu tut ihr das? Die Menschen erschrecken, meine ich".
Sie zuckte mit den Schultern, und ganz ehrlich, ich fühlte mich so langsam unwillkommen. ,,Weil es Spaß macht". An dieser Stelle erlitt jeder aus der Ethikkommission einen Herzinfarkt.

,,Das mag schlimmer klingen, als es ist", säuselte eine melodische Stimme hinter mir. Ich zuckte zusammen wie neulich- beziehungsweise vor vier Monaten an Halloween-, als ich zum ersten Mal einen richtigen Horrorfilm gesehen und mir jede noch so winzige Bewegung auf dem Bildschirm Paranoia injiziert hatte. Señora Ludwig war so schweigsam, dass ihre Anwesenheit in Vergessenheit geraten war.

Sie erklärte: ,,Wir gruseln Menschen, um von ihnen erinnert zu werden. Dadurch ranken sich Mythen um Gespenster, Vampire und andere Wesen aus den Schatten, an denen die Lebenden Vergnügen haben. Das ist Tradition".
Die Magd hatte die Lippen fest aufeinander gepresst und, eventuell bildete ich mir das nur ein, sie flackerte noch mehr als vorher, wie die Bilder unserer 1990er-Projektoren aus der Schule. Auch ohne ein Diplom in Psychologie konnte ich daraus ableiten, dass sie verunsichert war. Als sei ich nicht der erste Neuankömmling, der diese Tradition dumm fand.

Madison beugte sich über den Tisch, weshalb ein herrliches Parfüm á la sich zersetzender menschlicher Organismus zu mir herüberwehte. ,,Ach, komm bloß nicht damit, dass wir nicht den einunddreißigsten Oktober haben und nur dann jagen könnten! Das Brechen der ungeschriebenen Gesetze macht den Nervenkitzel aus".
Ich schielte prüfend zu Bailey, aber die schwatzte nicht darüber los, wie ich bei meinem Aufwachen genau davon überzeugt gewesen war: Dass wir Oktober hatten. Stattdessen sagte sie: ,,Heute, am Tag der Liebe, wird keiner eine Katastrophe erwarten. Und dann, boom, verdunkeln wir urplötzlich die Sonne!"

Bailey streckte das Bäuchlein nach vorne. Ich nahm an, dass er sich groß machen und beeindrucken wollte, aber was er dadurch besonders präsentierte, war die ,,schlechter Sex"- Bestickung in der Mitte des fußgroßen Rumpfes. Wenn meine Schöpferin mich mit einem expliziten Tattoo dafür bestraft hätte, dass ihr Mann eine Niete im Bett war, wäre ich an Valentinstag auch auf Rachefeldzug gegangen. Aber hatte ich mich bezüglich der Sonne verhört?
Leider musste ich hier prinzipiell davon ausgehen, dass das nicht als infantile Verarsche gemeint war.

,,Warum schaust du jedes Mal so betrübt drein, wenn ich dir ein großes Vorhaben darstelle? Die sind doch erste Sahne", sagte Bailey enttäuscht.
,,Weil Connor ein erste Sahne Weichei ist", gluckste Madison und ritzte mit ihren Fingernägeln ins feuchte Holz. Garantiert konnte sie es nicht erwarten, das mit Pärchen auszuprobieren, die sich heute Abend auf offener Straße abschleckten.

,,Was unser geehrter Bailey meint", erläuterte Señora Ludwig, ,,ist, dass ich in der Lage bin, kurzzeitig Naturerscheinungen oder -katastrophen heraufzubeschwören. Das kostet enorm Kraft, aber unsere Truppe hat den Menschen dadurch schon ordentliches Muffensausen eingejagt. Viele sibyllinische Ereignisse, die sich in der Stadt zutrugen, waren in Wirklichkeit unser Verdienst. Die ein oder anderen Überschwemmungen sind seit Jahren burleske Anekdoten am Buffet".

Sie strahlte mich an wie ein Tantchen aus dem Bilderbuch, was jetzt krass miese Vibes hatte. ,,Tja, heute Abend erwartet niemand eine totale Sonnenfinsternis und Unwetter. Das wird die Furcht steigern!"
Señora Ludwig tippte eine unauffällige Pergamentrolle an ihrer Hüfte an, die mit einem Strick befestigt war. ,,Euer Auftrag ist es, die markierte Stelle in San Francisco aufzusuchen und bis dahin selbstverständlich für Gänsehaut unter Passanten zu sorgen. Danach bin ich an der Reihe".

Ich wehrte mich gegen das Bedürfnis, mir meine Kapuze mit Glitzer-Antenne überzustreifen und mich darin zu verkriechen, bis die Gefahr vorüber war. Aber ich wollte keine Aufmerksamkeit erregen. Mit meiner grellen Kleidung stach ich zwischen diesen tristen Kreaturen ohnehin hervor wie ein trotzig schreiendes Baby in einer stillen Kirchgemeinde.

Ich würfelte mir eine angemessene Reaktion zusammen. Interessiert zu tun, war Gebot Nummer Eins, das hatte ich in der Schule gelernt. ,,U-Und Sie kommen nicht mit?"
Señora Ludwig schüttelte den Kopf. Blonde Strähnchen peitschten um ihre bleichen Züge, als wäre sie die mittelalterliche Miley Cyrus. ,,Ein Aufenthalt außerhalb der Totenheime zerrt an unserer Energie. Da ich es mir nicht erlauben kann, vor meinem Zauber Kraft zu verbrauchen, werde ich mich zu euch teleportieren lassen, wenn ihr am richtigen Ort seid".

Jetzt war ich eine Fusion aus Einhorn und Schaf, denn die zottigen Paarhufer konnten äußerst blöd aus der Wäsche gucken, wie ich gerade. ,,Teleportieren lassen?", nuschelte ich. Wie es mit mir geschehen ist?
,,Also ist das beschlossene Sache", verkündete Madison, bevor mir jemand eine Antwort und dadurch noch mehr Fragezeichen im Kopf geben konnte. ,,Connor ist offizielles Mitglied der Operation Valentinstag".

Etwa, mein Anzug dehnte sich aus, oder ich ging ein wie ein Shirt, das zu oft in der Waschmaschine war. Ich war inzwischen zwar dezent abgehärtet gegenüber... nun ja, dem ganzen Wahnsinn hier, aber ich konnte nicht leugnen, dass dieser Plan meine Nerven auf einem neuen Level strapazierte. Schlimmer, als es ein gammeliger Taco mit vergeudetem Potenzial tat oder Justin Bieber in Dauerschleife.

Einem Schabernack-Junkie wie Miguel hätte dieser Rotz vielleicht Spaß bereitet. Doch ausgerechnet ich, Nullnummer und Asriel-zertifiziertes Weichei, hatte das Amulett unseres Abuelos zuerst in die Finger bekommen und durfte mich nun durch diese Folter quälen, ohne etwas ausrichten zu können.
Shit, es musste einen Ausweg geben. Irgendein Stoppschild, welches verhinderte, dass jede Sekunde, die ich an diesem Ort festsaß, meine Hirnwindungen pürierte. Irgendeine Möglichkeit, diesen Untoten einzutrichtern, dass sie von vorne bis hinten schräg waren und eine fragwürdige Kultur pflegten und dass ich damit nichts zu tun haben wollte. Es musste.

Noch hatte ich Vertrauen darin, dass mich mein klingender Wecker aus diesem Albtraum retten würde. Oder dieses Vertrauen war lediglich Verzweiflung.

Señora Ludwig flötete: ,,Eine unvorhergesehene Sonnenfinsternis, überlegt euch das! Das Ereignis wird berühmt werden, nein, in die Geschichte eingehen". Die Grübchen um ihre Lippen glommen wie der Stiel einer ausgepusteten Kerze. Ich musste sagen, wenn sie nicht entzückt darüber war, dass Meteorologen gleich die Krise kriegen würden, gefiel mir der Singsang der Magd besser.

Adriane Ludwig befreite die Pergamentrolle von ihrer Taille und faltete sie auf dem Konferenztisch auseinander. Das matte Netz aus Fasern zeigte eine Google Maps-reife Karte von San Francisco.
Bailey zog sich eine rote Stecknadel aus dem Allerwertesten und erdolchte damit den Mount Davidson.

,,Das ist der höchste Punkt der Stadt, er ist dem Himmel am nächsten", sagte sie. ,,Von dort aus müsste es Señora Ludwig am leichtesten fallen, ihre Kräfte einzusetzen. Das bedeutet, dass wir den Hügel besonders in Angriff nehmen werden". Bailey führte einen eindrücklichen Freudentanz auf, oder vielleicht versuchte er, das Gleichgewicht wiederzufinden, weil er auf einem nassen Fleck ausgerutscht war. Bei ihr konnte ich das schlecht unterscheiden.

,,Madison hat die Route bereits ausgekundschaftet, haltet euch an sie. Wenn ihr oben angelangt seid, teleportiert ihr mich zu euch. Dann beginnt der Spuk. Hach, wie sehr ich diese Pläsanterie herbeisehne!" Señora Ludwig legte sich theatralisch den Handrücken an die Stirn.
,,Wir können nicht verlieren, solange wir zur richtigen Zeit am richtigen Ort sind", sagte Bailey und das klang- wohl unbeabsichtigt- wie eine unmögliche Aufgabe.

,,Sind alle bereit?", fragte Madison und strich sich süffisant über das dunkle, lederne Strumpfband, weil es bei Möchtegern-gruseligen Operationen von Vorteil war, passenden Schmuck zu tragen.
,,Ja", erscholl es im Chor, mit mir als schwächlichstem Sänger.
Madison richtete ihre karamellbraune Murmel einer Iris auf meine Wenigkeit. Warum musste ich bei attraktiven Ghulinnen zu jeder Sekunde bangen, dass sie mich kannibalisch anfallen könnten? Und war Ghulin ein existentes Wort?

Sie brummte: "Ist unser kompetenter Lehrling auch bereit für sein erstes Versagen?" Ich hob meine zitternden Daumen.
"Fein. Wenn nicht, ist es mir auch egal". Madison schnaubte und aus ihrer Nase, beziehungsweise dem Relikt davon, sprudelte eine blutige, eitrige Brühe. Jetzt erschloss sich mir, warum man die linke Seite ihres Hijabs mit einer Panzerteststrecke verwechseln konnte. Er musste auch als Sabberlätzchen herhalten.

Madison packte mein Handgelenk. Ich zuckte zusammen, weil ich dachte, sie wöllte es mir brechen, damit sie nicht länger unter meinem verzagten Habitus litt. Aber Bailey schmiss sich an Madison wie ein nah am Wasser gebauter Fan auf sein Idol und dann- zapp!- landete ich auf einer Wiese in San Francisco.

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