12 | E M M A

Màu nền
Font chữ
Font size
Chiều cao dòng

Während die Herren von Konjunkturzyklen und irgendwelchen Bärenmärkten reden, wandert mein Blick zu den anderen Damen. Ich kann mir nicht helfen, aber irgendwas sagt mir, dass sie das hier professionell machen. Oh mein Gott! Nicht, dass sie denken, dass ich auch ...

Du und eine Escortdame? Guter Witz, Emma!

Ein spöttisches Lachen unterdrückend, wende ich mich wieder den Gesprächen zu, obwohl ich absolut nichts dazu beitragen kann. So ist es immer. Doch John besteht darauf, dass ich an diesen Geschäftsessen teilnehme. Außerdem bin ich froh, wenn ich überhaupt etwas mit ihm unternehmen kann. Da nehme ich es gerne in Kauf mich zu fühlen wie eine Barbiepuppe, der man ein hübsches Kleidchen angezogen und die Haare gemacht hat, damit sie vorzeigbar ist. Schade, dass er mich ansonsten immer nur in die Vitrine stellt.

Heute sitzen wir in einem neuen Sternerestaurant. Eine Empfehlung von Jacob Bailey, der wohl ein potenzieller Investor werden könnte, wenn die Zahlen stimmen, wie Nolan eben noch mal ausdrücklich betont hat. Nolan Wright ist nicht nur Johns Berater, sondern auch so etwas wie sein Freund. Zumindest gehen die beiden öfter golfen oder genehmigen sich an Johns Bar den ein oder anderen Drink. Ich mag ihn nicht und denke das beruht auf Gegenseitigkeit. Jedenfalls seit ich dem Mittvierziger mit Wohlstandsbauch und Haaren, die aussehen als hätte ein sabbernder Hund sie nach hinten geleckt, eindeutig klargemacht habe, dass ich nicht an ihm interessiert bin. Seitdem ist er auch der Meinung, dass John, ich zitiere: ›etwas Besseres verdient hätte‹. Das habe ich jedenfalls mal gehört, als ich zufällig ein Gespräch der beiden mitbekommen habe. Dennoch unterlässt er es auch weiterhin nicht, mir anzügliche Blicke zuzuwerfen, die mir jedes Mal eine meterdicke Gänsehaut bescheren. John meint zwar, das bilde ich mir nur ein, aber ich habe doch Augen im Kopf.

Kurz darauf bringt ein passend zur Location vornehm gekleideter Kellner unser Essen. John hat für uns beide den Seeteufel gewählt. Dabei weiß er ganz genau, dass ich Fisch nicht ausstehen kann. Skeptisch nehme ich mir eine der vielen Gabeln von dem edlen Tischtuch und lenke meinen Blick auf den Teller, der außer ein paar hübschen Malereien nicht besonders viel zu bieten hat. Das große Aquarium, in dem bis vor kurzem wahrscheinlich noch mein Essen geschwommen ist, ignoriere ich. Sonst bekomme ich wirklich nichts herunter.

»Und? Was sagen Sie zu unserem Angebot, Jacob?«, fragt Nolan und starrt mir schon wieder in den Ausschnitt, der zusammen mit dem Doppel-Push-up-BH in diesem dunkelblauen Kleid besonders zur Geltung kommt. Leider hält ihn auch die Tatsache, dass ich den Herzausschnitt nach oben ziehe, nicht davon ab. Dabei hat er genauso wie Mister Bailey eine wesentlich attraktivere Begleitung dabei. Natascha und Leslie, wie sie sich eben kurz angebunden vorgestellt haben, sind der Inbegriff von Perfektion. Schlank und schön. Nicht mal im Traum könnte ich diesen beiden, die mir immer mehr vorkommen wie schmückendes Beiwerk, das Wasser reichen. Auch John scheint Gefallen an ihnen zu finden. Besonders an Leslie. Das merke ich an seinen Blicken, die mich wie ein spitzer Pfeil ins Herz treffen.

Während ich versuche, den Kloß in meinem Hals zusammen mit diesem glitschigen Fisch herunterzuschlucken, runzelt Mister Bailey die Stirn. »Lassen Sie uns doch später über das Geschäftliche reden und stattdessen den Abend mit einem Glas Whiskey und diesen reizenden Damen hier genießen«, schlägt er vor, sieht dabei aber nur Natascha und Leslie mit einem aufgesetzten Lächeln an. Mir wirft er den gleichen abwertenden Blick zu wie zu Anfang des Abends. Im Gegensatz zu Nolan sieht er zwar nicht so schmierig aus, aber ich mag seine arrogante Art trotzdem nicht und bin froh, wenn das hier vorbei ist. Wenn ich wieder ich sein kann.

Als ob du das inzwischen noch wärst.

Lucys Stimme in meinem Ohr gibt mir zusammen mit dem Seeteufel, der in meinem Magen weiterhin sein Unwesen treibt, den Rest. So unauffällig wie möglich lehne ich mich zu John und sage ihm, dass er mich kurz entschuldigen soll. Er nickt nur kaum merklich und wendet sich wieder Mister Bailey zu, dem er zusammen mit Nolan die ganze Zeit über schon dermaßen tief in den Hintern kriecht, dass sie sehen können, was er zum Frühstück gegessen hat.

So schnell es diese Mörderabsätze zulassen, entferne ich mich vom Geschehen und finde mich kurz darauf an meinem altbekannten Zufluchtsort wieder. Zum Glück ist der große Raum leer, sodass ich mich auf einen der Marmorwaschtische stützen und in den sorgfältig polierten Spiegel darüber blicken kann.

Du bist so armselig.

Leider hat die Stimme in meinem Kopf recht. Das wird mir spätestens bewusst, als ich länger in das Gesicht einer Frau blicke, die ich längst nicht mehr kenne. Tonnen von Make-up liegen auf ihrem Gesicht und lassen es noch blasser erscheinen. Die Haare sind ordentlich hochgesteckt und wurden mit Haarspray festbetoniert. Vielleicht ist es aber auch das falsche Lächeln, das sie mir zuwirft. Das Lächeln einer Frau, die sich vorkommt wie Rose auf der Titanic. Auch sie schreit in ihrem Inneren und niemand hört es.

Obwohl ... einer hat es doch getan.

Ich erschrecke und doch kann ich den Blick nicht abwenden. Dieses aufrichtige Lächeln und vor allem das Funkeln in diesen ... meinen Augen wirkt noch so viel fremder auf mich. Schlimmer ist jedoch dieses Kribbeln im Bauch. Bis jetzt geht Lucy mir auf die Nerven damit, dass ich Tom anrufen soll, weil er ja so viel besser zu mir passen würde als John. Leider kann man sich das nicht aussuchen. Zumal ein Mann wie Tom sicher nur auf eine Frau wie mich gewartet hat.

Nicht.

Schnell schüttle ich den Kopf. Blöderweise verziehen sich davon die nervigen Viecher in meinem Bauch auch nicht. Wahrscheinlich ist es sein Charme, mit dem er einem seine blöden Sprüche entgegenfeuert oder dieses Geheimnisvolle in seinen Augen. Vielleicht aber auch die Mischung aus beidem. Nicht umsonst fallen zahlreiche Frauen auf Männer wie ihn rein. Hoffen, dass wir diese Mauer durchbrechen können, um einen Logenplatz in seinem Herzen zu bekommen. Doch so romantisch sich diese Vorstellung, die Eine zu sein, auch anhören mag, sie ist fernab jeglicher Realität. Auch wenn ich mir das vorbete, bleibt dieses komische Gefühl, wenn ich nur an ihn denke. Diese Anziehungskraft, die mich glauben lässt, dass es doch so etwas wie ein Happy End gibt und wir irgendwann gemeinsam in den Sonnenuntergang reiten.

Mooooment! Falscher Gedanke, Emma! GANZ. FALSCHER. GEDANKE!

Wie eine Art Mantra sage ich mir diesen Satz immer und immer wieder. Egal, was es ist, ich darf das einfach nicht zulassen. Das Leben ist nun mal keine Hollywood-Lovestory.

Mal ganz abgesehen davon wissen wir ja wohl beide, wie das endet, meldet sich die Stimme meiner Vernunft prompt zurück, während mein Gehirn mir das Bild eines bibbernden Jacks mit Eiszapfen an den Haarspitzen vor mein inneres Auge projiziert.

Okay. Jetzt drehe ich durch. Ich hatte heute eindeutig zu viel Alkohol. Genau. Das muss es sein. Lovestory ... so ein Blödsinn! Mit zittrigen Händen drehe ich den goldenen Hahn auf und spritze mir etwas kaltes Wasser ins Gesicht, in der Hoffnung, dass es meine Gedanken endlich klärt.

Nachdem ich mein Make-up kontrolliert habe, beschließe ich, dass es an der Zeit ist wieder zu den anderen zurückzukehren. Die Teller sind mittlerweile abgeräumt worden und Gläsern mit Whiskey und Champagner gewichen. Die drei Männer scheinen sich über irgendwas zu amüsieren, während Natascha und Leslie immer noch wie Schaufensterpuppen neben ihnen sitzen und sie stumm anhimmeln. So als wäre das im Preis mit inbegriffen. Genauso wie andere Dinge, die nach diesem Essen höchstwahrscheinlich noch stattfinden werden.

Na toll! Jetzt habe ich auch noch Kopfkino à la Fifty Shades of Grey! Kann es noch schlimmer werden?

Es kann. Vor allem, als ich mitbekomme, was dieser widerwärtige Investor zu meinem Freund sagt: »Sagen Sie John, eines müssen Sie mir aber noch erklären. Ihre Begleitung ... waren die attraktiven Frauen schon ausgebucht oder sind Sie nur aus Versehen in der Kategorie verrutscht und haben deshalb eines der Plus-Size-Modelle dabei?«

Die Tatsache, dass sie allesamt dreckig lachen, bringt das Fass endgültig zum Überlaufen. Getrieben von Wut laufe ich schnurstracks zu dem Tisch, was John kurz sämtliche Farbe aus dem Gesicht entweichen lässt. Dennoch schafft er es noch, mir einen warnenden Blick zuzuwerfen, den ich ignoriere. »Und Sie?«, poltere ich los und stütze mich vor diesem Ekelpaket auf der Tischkante ab. »Haben es wohl nötig, sich Frauen zu kaufen. Es ist schon traurig, wenn man außer Geld nichts zu bieten hat.«

»Na hören Sie mal!«, echauffiert er sich und sieht mich dabei noch abschätziger an. »Was erlauben Sie sich?«

Doch ich bin noch lange nicht mit ihm fertig. Der ganze Frust, der sich über die letzten zwei Stunden hinweg in mir angestaut hat, muss einfach raus. Da ist es mir auch ganz egal, dass sich die anderen Gäste zu unserem Tisch umdrehen und sich murmelnd das Maul über mich zerreißen. »Moment! Ich war noch nicht fertig!«, werfe ich mit erhobenem Zeigefinger ein. »Wegen Männern wie Ihnen gibt es noch genügend Frauen auf dieser Welt, die sich zu Tode hungern!«

So als wäre ich gar nicht da, richtet er seinen Blick zu den anderen. »Na, davon ist sie ja zum Glück noch meilenweit entfernt.« Er lacht dreckig und nippt an seinem Glas.

Bin ich eigentlich ein schlechter Mensch, wenn ich mir wünsche, dass der Whiskey ihm die Speiseröhre verätzt?

Wobei mein Wunsch sowieso nicht in Erfüllung geht. Er liegt weder röchelnd auf dem Boden, noch scheint er große Schmerzen zu haben.

Okay. Ich bin ein schlechter Mensch.

Aber er steht mir da offenbar in nichts nach. Bei diesem Mann scheint der Spruch: Geld versaut den Charakter, wie die Faust aufs Auge zu passen. Vielleicht war er aber auch schon immer so. Denn ich glaube schon lange nicht mehr daran, dass Menschen sich grundlegend ändern können. Wir sind, wer wir sind, beziehungsweise das, was das Leben und die Erfahrung aus uns gemacht hat. Dennoch gibt uns das nicht das Recht, auf andere einzutreten.

»Ja und wissen Sie was? Ich bin froh darüber! Denn überheblichen Anzugträgern, die Frauen nur als Ware ansehen, will ich gar nicht gefallen!«, feuere ich mit vor der Brust verschränkten Armen zurück, obwohl John mich mittlerweile mit seinem Blick hypnotisiert. Es trifft mich, dass er mir nicht längst beigestanden hat, aber ich muss mich endlich damit abfinden, dass ich allein kämpfen muss. Nach all den Jahren sollte ich schließlich Übung darin haben.

»Unverschämt und unattraktiv«, meldet sich dieser Mistkerl wieder in seinem herablassenden Tonfall zu Wort und wendet sich an John. »Ich sage Ihnen, Sie sollten ihr Geld zurückverlangen.«

»Ja. Das sollte er«, pflichtet ihm Nolan bei, von dem ich nichts anderes erwartet hätte.

John hingegen räuspert sich und streckt die Arme aus, so als wolle er um Ruhe bitten. »Ich denke, es handelt sich hierbei um ein riesengroßes Missverständnis.« In der Hoffnung, dass er die Sache jetzt endlich aufklärt, bleibe ich still. Auf wessen Seite er steht, wird mir jedoch schmerzhaft bewusst, als er weiterredet. »Ich denke, ich muss mich für meine Begleitung entschuldigen. Das hat sie bestimmt nicht so gemeint, nicht wahr?« Erneut wirft er mir einen warnenden Blick zu, bevor er zu allem Überfluss von mir verlangt, dass ich mich bei diesem schmierigen Typen entschuldige.

Die letzten zwei Jahre waren zwischen John und mir wirklich alles andere als einfach, aber so gedemütigt wie heute Abend hat er mich noch nie. Krampfhaft versuche ich, die Tränen zurückzuhalten, die in meinen Augen brennen. Ich will einfach nur noch weg. Raus aus dieser Welt, in die ich nicht gehöre. Vorher muss ich jedoch noch etwas klarstellen. »Nur zu Ihrer Information, Mister Bailey«, spucke ich in meiner unterdrückten Wut seinen Namen regelrecht aus. »Ich bin keine Escortdame, sondern seine Lebensgefährtin. Er hat sich also mit voller Absicht für das Plus-Size-Modell entschieden. Schönen Tag noch.« Nachdem ich meine Hände, mit denen ich Anführungszeichen in der Luft angedeutet hatte, wieder heruntergenommen habe, wende ich mich mit einem gespielten Lächeln von den fünfen ab und verlasse so schnell ich kann das Restaurant.

»Kannst du mir mal sagen, was dieser Auftritt gerade sollte?«, herrscht John mich an, während ich draußen vergeblich auf ein Taxi warte.

»Das fragst du mich?« Ich bin immer noch so in Rage, dass ich meinen Arm mit einem Ruck aus seinem festen Griff befreie und in Richtung des Eingangs strecke. »Dieser widerliche Mistkerl hat mich bloßgestellt und dir fällt nichts Besseres ein, als mich zu fragen, was das sollte? Ich fasse es nicht!« Jetzt kommen die Tränen doch. Na toll! Und dabei wollte ich nicht mehr heulen. Schon gar nicht wegen so einem.

John stöhnt hinter mir. »Musst du immer gleich alles persönlich nehmen, Blondie?«

Ich hasse es, wenn er mich so nennt. Besonders wenn er Dinge wie diese sagt, habe ich jedes Mal das Gefühl, er hält mich für blöd. Ein kleines, naives Blondchen, das mal wieder ihre Tage hat und deshalb aus einer Mücke einen Elefanten macht. Doch das bin ich nicht. Ich bin ein Mensch mit Gefühlen, auf denen er ständig herumtrampelt. Eilig wische ich mir durchs Gesicht. Wenn das Taxi nicht bald kommt, laufe ich nach Beverly Hills, auch wenn diese verdammten Schuhe mich jetzt schon umbringen.

»Außerdem waren wir uns doch einig, dass wir diese Beziehung nicht öffentlich machen«, belehrt er mich weiter. »Du kannst von Glück reden, wenn Nolan ihn davon überzeugen kann, dass du das nur gesagt hast, um deine Ehre zu retten.«

Meine Ehre. Dass ich nicht lache. Die hat er bereits zerstört, da war ich noch gar nicht anwesend.

Da ich nicht reagiere, reißt John mich an meinem Handgelenk zu sich herum. »Jetzt pass mal auf!« Die Kälte in seinen stahlgrauen Augen lässt mich erschaudern und sorgt dafür, dass sich meine flammende Wut mehr und mehr in Rauch auflöst, um einem anderen Gefühl Platz zu machen.

Angst.

In den letzten Jahren hatten wir einige Diskussionen, die er allesamt für sich entschieden hat. So grob war er jedoch noch nie zu mir. »Du tust mir weh«, jammere ich leise, aber das interessiert ihn absolut nicht. Das hier ist nicht der John, den ich kennengelernt habe. Er hatte schon immer diese charismatische selbstsichere Art, die mich damals bereits bei unserem ersten Zusammentreffen fasziniert hat, aber dieser Mensch gerade ist einfach nur rücksichtslos und eiskalt.

»Du wirst mir jetzt genau zuhören.« Sein Griff um mein Handgelenk verstärkt sich, bevor er mich näher zu sich zieht. »Das war das erste und letzte Mal, dass du mich dermaßen vorgeführt hast! Ich habe deine Eskapaden langsam satt! Ist das der Dank dafür, dass ich dich nach deiner letzten Aktion vor einer Strafe bewahrt habe?«

»Es tut mir leid«, bringe ich mit erstickter Stimme hervor und hasse mich dafür.

John nickt kaum merklich und lässt mich endlich los. »Geht doch! Warum nicht gleich so?«

Ein eiskalter Wind weht um meinen Körper, während ich mit den Armen meine Taille umklammere und meinen Blick auf den Boden sinken lasse. Ich komme mir vor wie ein kleines Kind. Ein Mädchen, das gerade das Gefühl hat in einem Albtraum zu sein. Einen, den sie nur zu gut kennt.

Mit einem Unterschied. Diesmal habe ich niemanden, der mich weckt. Ich bin allein. In einem fremden Land und der einzige Mensch, den ich habe, wohnt über achttausend Kilometer weit weg. Doch ich bin selbst schuld. Lucy hat mich damals gewarnt. Ich hatte alles. Eine kleine gemütliche Wohnung, einen Job, der mich mit Freude erfüllt hat und eine Freundin, die mich nicht nur in irgendwelche Discos, sondern auch aus dem Dreck gezogen hat. All das habe ich aufgegeben. Für einen Mann, der mir unter dem Nachthimmel von Frankfurt versprochen hat, mir die Sterne vom Himmel zu holen. Wie dumm man doch selbst mit dreiundzwanzig noch sein kann.

»Ich werde jetzt wieder reingehen und sehen, dass ich den Schaden, den du angerichtet hast, beheben kann«, erklärt er mir in seinem üblich abgeklärten Tonfall. »Und du!« Erneut kommt er mir gefährlich nahe, sodass ich sofort einen Schritt zurücktrete. »Wirst jetzt in den Wagen steigen und nach Hause fahren.«

Beinahe hätte ich gelacht. Zu Hause. Was ist das denn schon? Gehören dazu nicht mehr als vier Wände und ein Dach?

»Ich will dich nicht mehr in der Nähe dieses Restaurants, geschweige denn von Jacob sehen. Haben wir uns verstanden?«

Ich nicke stumm, während John an mir vorbei greift und die Hintertür der Limousine öffnet. Am Steuer erblicke ich Mason, seinen Fahrer oder Mädchen für alles, wie er ihn gerne nennt. Eine Bezeichnung, die meiner Meinung nach ziemlich abwertend ist und diesem gutherzigen Mann mit der hageren Statur nicht mal ansatzweise gerecht wird. »Guten Abend, Sir«, sagt er und wirft mir wie immer ein freundliches Lächeln zu. »Miss.«

Auch wenn er stets versucht, professionell zu bleiben, gibt er mir dennoch das Gefühl, er würde mich mögen. Schließlich war er derjenige, der mich nahezu jeden Tag im Krankenhaus besucht hat, weil John wichtigere Dinge zu tun hatte, als sich in ein stickiges Krankenzimmer zu setzen und Händchen zu halten.

John dagegen sieht in ihm nur einen seiner vielen Angestellten, einen Diener, den er dafür bezahlt, dass er alles tut, was er will. Als wäre er sein persönliches Eigentum. Auch jetzt hat er nicht ein freundliches Wort für ihn übrig und weist ihn an mich zur Villa zu bringen.

»Ist alles in Ordnung mit Ihnen, Miss?«, fragt Mason, nachdem wir ein paar Straßen weiter gefahren sind und sieht prüfend in den Rückspiegel.

Eilig wische ich mir übers Gesicht. »Ja. Alles gut.« Leider klingt meine Stimme alles andere als gut, was auch Mason nicht entgeht. Doch ich ignoriere seinen forschenden Blick und sehe den Lichtern dabei zu, wie sie an mir vorbeiziehen. Wie immer wirkt die Stadt bunt und laut, doch in mir regiert die Dunkelheit und mein Herz ... das ist taub.

Als wir die Villa endlich erreichen, steige ich schnell aus und begebe mich zum Eingang. Mason hat sich Gott sei Dank verkniffen noch etwas zu sagen.

»Noch einen Tee, Miss?«, fragt er, doch ich verneine und nehme bereits die ersten Stufen der Treppe, dessen blau beleuchtetes Glas wie Eis wirkt.

»Danke, aber ich ... möchte mich nur noch hinlegen.«

»Ganz wie Sie wünschen, Miss«, sagt er in diesem Tonfall, den Tom an diesem Abend angeschlagen hat. Eine Erinnerung, die es tatsächlich schafft, mir ein kleines Lächeln auf die Lippen zu zaubern. Wenn auch nur kurz.

Frisch geduscht liege ich in dem großen Bett und starre an die Decke, bevor ich mein Tagebuch aus seinem Versteck hole. All diese Gedanken müssen einfach raus, bevor sie mich endgültig auffressen. Nicht, dass ich nicht gerade schon genug Probleme hätte. Nein. Jetzt denke ich schon wieder an Tom. Dabei sollte ich mir primär meinen Kopf darüber zerbrechen, wie ich es schaffe, John in Zukunft nicht mehr so wütend zu machen.

Erschöpft sehe ich auf mein Handgelenk. Man sieht zwar keinen Abdruck, aber allein der Gedanke an seinen festen Griff reicht, dass es schmerzt. Dabei habe ich mir damals geschworen, mich nie wieder so behandeln zu lassen.

Für einen Moment senke ich die Lider und atme tief durch. Leider hält das die Mauern, die mehr und mehr auf mich zukommen nicht davon ab mich langsam zu zerquetschen. Wie immer in solchen Momenten greife ich zu meinem Handy und sehe mir alte Fotos von John und mir an. Tauche ein in eine Zeit, in der noch alles in Ordnung war zwischen uns. Er war nie ein Mensch, der die Nähe genossen hat. Doch das war okay für mich. Denn im Grunde genommen bin ich das auch nicht. Wie soll man auch etwas vermissen, das man nie kennengelernt hat?

Mein Blick bleibt an einem Foto hängen, das vor dreieinhalb Jahren in NYC entstanden ist, als John und ich zu Weihnachten dort waren. Es ist eines der wenigen, das uns zusammen zeigt, weil er es noch nie mochte, wenn ich diese Erinnerungsbildchen von uns geknipst habe. Was er jedoch so abfällig bezeichnet, ist für mich essenziell. Momentaufnahmen, die für mich wie ein Parfum sind, das ich mir aufsprühen kann. Damit es mich mit seinem süßen Duft daran erinnert, dass es einst auch schöne Momente zwischen uns gegeben hat.

Genauso wie der, als wir uns kennenlernten. Ich erinnere mich noch genau daran. Ich saß in diesem Restaurant. Eigentlich war ich mit Lucy verabredet, aber sie hatte es mal wieder verschwitzt.

Bis heute betont sie, dass sie sich dafür in den Hintern beißen könnte. Ihre Abneigung gegen John bestand schon immer. Er hatte kaum drei Worte mit ihr gewechselt, da hat sie mich schon in meine Küche gezogen, um mir zu sagen, dass er nicht der Richtige für mich wäre. Einen triftigen Grund hat sie mir nie genannt. Es wäre einfach ein ungutes Bauchgefühl.

Nachdem ich mich dazu entschlossen hatte nicht länger auf sie zu warten und aus dem Restaurant gestapft bin, hätte er mir beinahe die Tür vor den Kopf geschlagen.

»Haben Sie eigentlich keine Augen im Kopf?!«, waren seine ersten Worte, die wirklich alles andere als freundlich waren. Gerade im Begriff mich bei ihm für meine Unachtsamkeit zu entschuldigen, traf mich sein Blick. In diesem Moment war es, als hätte jemand die Zeit eingefroren. Stahlgraue Augen, die sich in mich bohrten.

Im Nachhinein betrachtet kommt es mir vor, wie in einem dieser schrecklichen Rosamunde-Pilcher-Filme, die ich mir früher immer mit ihr ansehen musste. Wenn die beiden Liebenden sich am Ende auf dieser riesengroßen Blumenwiese treffen und sich einfach nur tief in die Augen blicken. Im Hintergrund natürlich das obligatorische Schloss, um den kitschigen Charakter dieser flachen Story zu unterstreichen.

Damals war es für mich jedoch pure Magie. Stundenlang haben wir an diesem Abend auf dieser Bank gesessen. Er hat mir von seiner Heimat – Amerika – erzählt und ich ihm davon, dass es mein größter Traum ist, dort Urlaub zu machen. Dass es mehr als das sein könnte, wussten wir zu diesem Zeitpunkt beide nicht. Obwohl von vorneherein klar war, dass John nach Ablauf seines Auslandssemesters wieder zurückgehen würde. Mehr weiß ich jedoch bis heute nicht über ihn. Außer der Tatsache, dass er Informatik studiert hat und damals schon fleißig an einer eigenen App herumgebastelt hat. Er weiß allerdings auch nicht viel mehr über mich. Es war mir recht, dass er mich nie gefragt hat, woher ich komme oder was ich vorher gemacht habe. Meine Vergangenheit ist nicht unbedingt etwas, auf das ich stolz bin. Ich will das alles einfach nur vergessen. Auch wenn sie mich in bestimmten Situationen gnadenlos einholt.

Als ich aus meinen Gedanken erwache, sehe ich erschrocken auf mein Handy. Denn auf dem Display befindet sich nicht mehr das Bild von John und mir, sondern diese Nummer. Kopfschüttelnd lasse ich meine Hand sinken und starre Löcher an die Decke.

Was stimmt denn nicht mit mir? Wie kann ich über John und unsere Beziehung nachdenken und dabei ausgerechnet auf die Nummer dieses Mannes stoßen, obwohl ich mir geschworen habe ihm aus dem Weg zu gehen? Das geht doch nicht mit rechten Dingen zu.

»Meld dich einfach, wenn du mal wieder jemanden brauchst, den du zuquatschen kannst.«

Ich seufze leise. Na wunderbar. Jetzt habe ich auch noch seine Worte im Ohr. Mal ganz abgesehen davon, dass ich gerade keinesfalls in der Verfassung dazu bin, überhaupt mit jemandem zu reden, wäre es nicht richtig, ihn nur anzurufen, weil es mir schlecht geht. Er ist ja schließlich nicht mein Kummerkasten. Außerdem ... was soll ich ihm denn bitte sagen, wenn er mich fragt, wieso ich mich erst jetzt melde?

Du musst ja gar nichts sagen. Wozu gibt es diese einmalige Erfindung, die sich Textnachricht nennt?, hallt eine Stimme in meinen Ohren, die verdächtig nach Lucy klingt.

Obwohl es genug Gründe gibt, die dagegen sprechen, greife ich zu meinem Handy und fange an zu tippen.

Hey! Na du? Wie geht's?

Oh ... das geht gar nicht! Frustriert puste ich mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht, die sich aus meinem Dutt gelöst hat, lösche den Text bis auf das erste Wort wieder und nehme einen neuen Anlauf.

Du wirst es kaum glauben, aber ich habe doch tatsächlich deine Nummer verloren und sie gerade erst wiedergefunden. Zufälle gibt's. Na ja, auf jeden Fall wollte ich ...

Diese Nachricht niemals abschicken, wenn ich eine Chance haben will, eine Antwort von ihm zu erhalten. Aber will ich das überhaupt? Oder spielt mein Gehirn mir nur wieder einen Streich, weil ich einsam und verzweifelt bin? Natürlich würde es mir guttun neben Lucy jemanden in der Nähe zu haben, aber vielleicht hat Tom mich auch längst vergessen und amüsiert sich mit einer anderen ... oder mehreren. Ich weiß nicht wieso, aber dieser Gedanke versetzt mir einen Stich. Natürlich kann er tun und lassen, was er will, aber ...

Ach verdammt! Wieso ist das alles so kompliziert?

Vielleicht weil du es kompliziert machst?

Stöhnend lasse ich mich noch tiefer in die Kissen sinken und lege meine Hände vors Gesicht. Ja. Vielleicht mache ich mir zu viele Gedanken, aber tun wir Frauen das nicht alle? Oft grübeln wir gefühlt Stunden, was wir schreiben können, wieso er nicht sofort antwortet, ob wir dann überhaupt noch mal schreiben sollen oder sonst zu aufdringlich sind.

Und Männer? Sie tun es einfach, ohne eine Sekunde lang darüber nachzudenken, dass es komisch wirken könnte. Wie machen die das bloß?

Mein Blick fällt erneut auf mein Handy.

Sei einfach ehrlich. Schließlich verlangst du das von anderen doch auch immer, flüstert mir Lucy schon wieder ins Ohr, wofür ich sie verfluche.

Vor allem, weil ich weiß, dass sie nicht unrecht damit hat.

Seufzend schnappe ich mir mein Handy und fange erneut an zu tippen. Zwischendrin schüttele ich mit dem Kopf über den Schwachsinn, den ich geschrieben habe und lösche Teile wieder, um neu anzufangen. Wirklich zufrieden bin ich am Ende nicht, weshalb ich beschließe, endgültig das Handtuch zu werfen.

Leider verrutschen meine Wurstfinger bei dem Versuch, den Mist zu löschen, was zur Folge hat, dass dieses Kauderwelsch nach oben rutscht.

Ich bin verloren! So was von tot. Toter geht's gar nicht!

Geschockt sehe ich auf den blau eingefärbten Text. Erkenntnis Nummer zwei lässt nicht lange auf sich warten. Etwas, das noch viel schlimmer ist als mein Wortdurchfall. Textnachrichten haben zwar den Vorteil, dass man nicht reden muss, sie haben allerdings auch einen entscheidenden Nachteil.

Man sendet immer seine Nummer mit.

Bạn đang đọc truyện trên: Truyen2U.Pro