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Früher habe ich mich immer an diesem Ort versteckt. Tja ... So wie es aussieht, hat sich auch das nicht geändert. Mein Blick wandert zu meinen Fingern. Ein Teil meiner Nagelhaut hängt in blutigen Fetzen herum. Ich muss schlucken, als ich an seine Worte denke.

»Bevor du dich weiter aufisst.«

Seitdem ich denken kann, habe ich diese blöde Angewohnheit. So hat es zumindest meine ... wie nennt man so einen Menschen eigentlich? Gut. Lassen wir das. Wo war ich? Ach ja. Nägel kauen. Leider ist es nicht alleine das. Tom hat recht. Ich fresse mich wirklich regelmäßig auf. Vor allem dann, wenn ich mich am liebsten in Luft auflösen würde. Ich kann halt nicht gut mit Komplimenten umgehen, was daran liegen könnte, dass ich nie welche bekommen habe.

Und jetzt? Verstecke ich mich hier wie ein erbärmlicher Feigling.

Ich schrecke hoch, als ich sehe, dass die Klinke runtergedrückt wird, um kurz darauf erleichtert festzustellen, dass ich es trotz meiner Verfassung noch geschafft habe, abzuschließen.

»Emma?« Lucy rüttelt erneut an der Klinke. »Was ist? Steckst du im Klo fest?«, fragt sie und schafft es auch diesmal, mir ein kleines Lächeln auf die Lippen zu zaubern.

»Nein.«

»Ist alles okay bei dir? Du klingst so komisch und Tom meinte, du wärst eben so schnell weg gewesen.«

Mist! Ich hätte es wissen müssen. Bestimmt ist er direkt zu ihr gelaufen. Dabei will ich mich einfach nur in Ruhe in meinem Selbstmitleid suhlen. »Alles gut«, antworte ich und versuche, möglichst fröhlich zu klingen. »Ich ... komme gleich.«

»Okay. Aber beeil dich. Hier draußen ist 'ne Schlange, die ist länger als vorm Beschwerdeschalter der Deutschen Bahn.«

Von draußen höre ich Gemurmel. Na toll! Jetzt denken die auch noch, ich hätte Durchfall oder sonst irgendwelche Verdauungsprobleme. Wie kommt man als Besitzer einer Bar auch bitte schön auf die dämliche Idee, dass eine Toilette reicht? Mein Blick wandert zu dem Fenster an der Wand links neben mir. Definitiv zu klein. Da passe ich mit meinem dicken Hintern nie und nimmer durch.

Kacke.

Ich seufze ausgiebig. Das heißt dann wohl, dass ich da tatsächlich wieder rausmuss. Langsam erhebe ich mich vom Toilettendeckel, um zum Waschbecken zu gehen. Obwohl der Spiegel völlig verschmiert ist, offenbart er mir keine Sekunde später schonungslos die Auswirkungen meines kleinen Gefühlsausbruchs.

»Was ist denn jetzt?«, höre ich draußen jemanden verärgert rufen, so dass ich nicht anders kann als zurückzuschreien.

»Ja verdammt!« Soll sie doch woanders hingehen, wenn sie es so eilig hat!

»Na endlich«, stöhnt die Blondine, nachdem ich die Tür geöffnet habe. Ich erkenne sie sofort wieder. Wie sollte ich auch nicht? Nachdem sie mich vorhin mit ihren Blicken nahezu erdolcht hat. Vor allem, als Tom und ich uns für einen kurzen Moment so nah waren. Ich bilde mir das bestimmt nur ein, aber ich spüre immer noch die Wärme seiner Hand auf meiner Wange.

Auch jetzt sieht sie mich abschätzig an, während sie ihren Hintern, der bestimmt genauso unecht ist wie ihre prallen Brüste, an mir vorbeischiebt. »Hat ja auch lange genug gedauert!«

Blöde Kuh.

Den Blicken der anderen ausweichend, schleiche ich durch den schmalen Gang. Bis zum Barraum stehen sie. Dabei war ich doch gar nicht so lange weg. Oder?

Die Tatsache, dass ich kurz darauf eine böse Überraschung erlebe, spricht eindeutig dagegen. Also nicht, dass Tom das nicht könnte. Dennoch ist es mir unheimlich peinlich, dass er anfängt, Happy Birthday zu singen, als er mich sieht. Dabei klingt es wirklich schön. Kein Wunder bei so einer Stimme. Wie viele Talente hat dieser Mann eigentlich noch? Die Welt ist dermaßen ungerecht! Einige bekommen alles und andere gehen dafür leer aus. Ich glaube, ich muss an dieser Stelle wohl kaum erwähnen, zu welcher Kategorie ich gehöre.

Natürlich weiß meine verräterische Freundin nichts Besseres, als zusammen mit Samuel lauthals einzusteigen, sodass nun endgültig alle Blicke auf mich gerichtet sind. Sogar Luftschlangen und eine Tröte hat sie sich besorgt.

Ich hasse mein Leben.

Und vor allem hasse ich gerade Lucy. Ich weiß, sie meint es gut, aber wieso musste sie ihm sagen, dass ich Geburtstag habe? Torkelnd kommt sie auf mich zu und umarmt mich. »Alles Gute, Süße!«

»Das hast du ja mal wieder toll hinbekommen«, zische ich ihr ins Ohr, was zur Folge hat, dass ihr blödes Grinsen noch breiter wird.

»Danke. Ich geb mein Bestes.« Sie lacht ausgelassen und klatscht in die Hände. »Jetzt wird aber erst mal angestoßen.« Mit einer schwungvollen Bewegung dreht sie sich zur Theke, auf der ein Tablett mit vier Sektgläsern steht. Während Samuel direkt zugreift und ich ihr grummelnd das Glas aus der Hand nehme, lehnt Tom dankend ab, weil er noch fahren muss. »Ach komm schon! Einen Kleinen«, versucht Lucy ihn zu überreden, beißt jedoch weiterhin auf Granit.

»Alkohol und Autos sind keine besonders gute Kombi.«

Sein Blick hinterlässt bei mir ein ungutes Gefühl. Ob er weiß, wie es zu dem Unfall kam? Aber woher sollte er? Schließlich hat John alles dafür getan, diesen Umstand zu verheimlichen. Bis heute erinnere ich mich an seine Vorwürfe. Er meinte, ich würde mit meinen Eskapaden noch seinen guten Ruf ruinieren, wenn die Presse doch mitbekäme, dass wir eine Verbindung zueinander haben. Ich habe zwar nicht gefragt, wie viel Geld es ihn gekostet hat, dass es nicht zur Anzeige kam, aber ich denke, es war eine Menge. Zum Glück wurde kein Unbeteiligter dabei verletzt. Das hätte ich mir niemals verzeihen können.

»Er trinkt nie was, wenn wir auf Beutezug sind«, mischt sich Samuel ein und kassiert dafür einen bösen Blick von seinem Kollegen. Der kleine Mann aber zuckt mit den Schultern und verpasst Tom glucksend einen Schlag auf den Oberarm. »Mir soll es recht sein. Habe ich wenigstens immer ein kostenloses Taxi.«

»Noch ein Wort und du kannst für den Rest deines Lebens laufen«, knurrt Tom.

Bevor wir überhaupt richtig angestoßen haben, kippt Lucy schon ihr Glas in einem Zug herunter. Bei dem Tempo dauert es nicht lange, bis sie total betrunken ist. Und ich weiß jetzt schon, wer sie dann zum Taxi schleppen darf.

»Ja, dann, sag ich mal Willkommen im Club, ne?« Irgendwie sieht es witzig aus, wie Tom sich mit der Hand über den Nacken reibt. Dieses schiefe Lächeln hat was von einem kleinen Jungen, der gerade die Lieblingsvase seiner Mutter mit dem Fußball zerdeppert hat. Es gibt seinen sonst eher strengen Gesichtszügen eine gewisse Leichtigkeit.

Diese Schuldgefühle scheinen an ihm zu nagen wie ausgehungerte Ratten. Zeit, das herauszufinden, werde ich jedoch keine haben. In ein paar Stunden ist das hier vorbei. Dann geht jeder von uns in sein altes Leben zurück und dieser Zauber, den ich seit seiner zärtlichen Berührung verspüre, wird verfliegen. Oh Gott! Das hört sich dermaßen kitschig an, dass ich am liebsten meinen Kopf auf die Theke schlagen würde.

»Siehste! Der ist doch gar nicht so jung«, platzt Lucy dazwischen, bevor ich mich bei ihm für das kleine Ständchen bedanken kann.

Immer mehr verspüre ich den Wunsch, sie endlich zum Schweigen zu bringen. Egal, wie. Ob tot oder lebendig. Hauptsache sie hält endlich ihre blöde Klappe!

Als ich Toms fragenden Blick bemerke, versuche ich zu einer plausiblen Erklärung anzusetzen. »Also nicht, dass ich mir darüber Gedanken gemacht hätte, aber ...« Ich seufze leise. So wird das heute nichts mehr. Leicht verzweifelt blicke ich mich um, doch Lucy und Samuel sind bereits verschwunden.

Verräterin.

»Du hättest mir ruhig sagen können, dass du heute Geburtstag hast«, meint Tom und klingt dabei beinahe vorwurfsvoll.

»Ich ... mag meinen Geburtstag eben nicht.« Es ist zum Verrücktwerden. Dieser Mann bringt mich dazu, Dinge zu sagen, über die ich nicht mal nachdenken will.

»Darf man fragen, warum nicht?«

Ja. Warum eigentlich? Vielleicht weil es noch nie jemanden interessiert hat? Weil ich keinen einzigen dieser Tage gefeiert habe? Wen hätte ich auch einladen sollen?

Ich zucke mit den Schultern. »Einfach nur so.«

»Okay.«

Sollte ich mich jemals darüber aufgeregt haben, dass er mich auslacht, revidiere ich meine Meinung hiermit offiziell. Denn dieser durchdringende Blick ist keinesfalls angenehmer. Schnell richte ich meinen Blick zur Bar. »Ich glaube, jetzt habe ich doch Durst.«

Um kurz nach zwei ist Lucy dann endgültig erledigt. »Ich glaube, du bringst sie besser nach Hause.« Samuel ächzt und versucht seinen Griff um sie erneut zu verstärken.

»Nein, Mann! Ich will noch nicht gehen! Ich will noch 'n bisschen tanzen«, lallt Lucy auf Deutsch und macht dabei komische Verrenkungen.

Natürlich sprechen die Blicke der beiden Männer für sich.

»Fragt einfach nicht.« Kopfschüttelnd fasse ich mir an die Stirn und versuche, Lucy zu übernehmen. »Nein. Wir gehen jetzt.« Dass ich mit ihr Deutsch spreche, handelt mir nicht nur von Samuel einen überraschten Blick ein. »Es ist besser, wenn wir jetzt gehen. Viel Spaß noch und kommt gut nach Hause«, sage ich so, dass die beiden Männer es verstehen, bevor ich mit meiner immer noch glucksenden Freundin im Schlepptau loswatschle.

»Ich fahr euch«, höre ich, als ich draußen bereits nach einem Taxi Ausschau halte. Wobei die Wahrscheinlichkeit, in Afrika Eisbären zu entdecken, größer sein dürfte, als in dieser Stadt einen fahrbaren Untersatz zu finden. Dabei dachte ich, NYC wäre in diesem Punkt bloß eine mittlere Katastrophe.

»Was? Nein!« Etwas überfordert drehe ich mich zu Tom um, der bereits seine Autoschlüssel in der Hand hält »Ich meine, das ist ... wirklich nicht nötig.« Mittlerweile kommt es mir vor, als hätte ich einen Sandsack im Arm, weshalb ich Lucy erneut stöhnend unter die Arme greife. Fast gleitet sie mir dabei aus den Händen, doch Tom ist sofort zur Stelle.

»Ach was?! Komm schon. Mein Wagen steht gleich um die Ecke.«

»Wirklich nicht. Ich will nicht auch noch dafür verantwortlich sein, dass dein Auto ruiniert ist.« Während er Lucy mit mir zusammen über den Bordstein schleift, werfe ich einen flüchtigen Blick auf seine Jeans. Die Flecken sind zwar schon lange getrocknet, aber das alles ist mir immer noch schrecklich peinlich. Zumal ich mich nach wie vor frage, was plötzlich mit ihm los war. »Sie neigt nämlich zu einem nervösen Magen, wenn sie betrunken ist. Wenn du verstehst, was ich meine«, versuche ich, meine Abneigung gegen seinen Vorschlag zu rechtfertigen. Nicht, dass er denkt, ich würde ihm nicht vertrauen.

Wir vertrauen niemandem. Schon vergessen?

Vor einem roten Ford-Pickup bleibt er stehen. Raptor lese ich in dicken schwarzen Lettern auf dem Heck. »Na und? Dann legen wir sie eben auf die Ladefläche.«

Eine Weile betrachte ich dieses riesige Gefährt, das seinem Namen alle Ehre macht. Wenn ich so darüber nachdenke, ist das gar keine schlechte Idee. Es wäre zumindest die gerechte Strafe dafür, dass sie mich heute Abend so blamiert hat.

»Wieso grinst du so?« Mir ist gar nicht aufgefallen, dass ich das getan habe. »Hast du noch nie davon gehört, dass frische Luft nüchtern macht?«

»Da kennt sich wohl einer aus, was?«, scherze ich, was sich jedoch als Fehler herausstellt.

»Ich trinke nicht.«

Also manchmal ist er wirklich komisch. In einem Moment lacht er ausgelassen und hüllt mich damit in diese Wärme ein, nur um mich im nächsten mit seinem eisigen Blick geradezu erstarren zu lassen. »So war das jetzt gar nicht gemeint«, rudere ich schnell zurück, aber er reagiert gar nicht darauf und bugsiert Lucy stattdessen auf die Rückbank.

Eigentlich hatte ich vor, zu ihr zu klettern, bemerke aber dann, dass Tom mir die Beifahrertür aufhält. Wahrscheinlich sehe ich total bescheuert aus, während ich zwischen ihm und Lucy hin und her sehe. Um ehrlich zu sein, halte ich es nämlich für keine gute Idee, ihm so nah zu sein. Ich weiß nicht, wie ich es ausdrücken soll, aber dieser Mensch hat irgendwas an sich, was mich gleichzeitig abstößt und anzieht. Wie ein Magnet, der falsch gepolt ist. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass er sich offenbar selbst nicht entscheiden kann, ob er gerade Casanova oder Tom sein soll.

Erneut werfe ich einen Blick zu Lucy, die es sich inzwischen auf der Rückbank gemütlich gemacht hat. Friedlich wie ein Baby schnarcht sie leise vor sich hin.

Na wunderbar. Und was jetzt?

Nachdem ich endlich eine Entscheidung getroffen habe, stehe ich jedoch schon vor dem nächsten Dilemma. Immer noch ungläubig lasse ich meinen Blick durch den Innenraum schweifen. Überall liegt etwas in den Ablagen herum. Sogar ein Kaffeebecher – von dem ich wirklich hoffe, dass er leer ist – steht noch in der Halterung unter der Mittelkonsole. Das eigentliche Problem ist jedoch der Kram, der auf dem Beifahrersitz sein Dasein fristet. Kurz und gut: Nach einer Bombenexplosion würde es ähnlich aussehen.

»Na los. Steig ein«, meint er, nachdem er mit einem Griff die Sachen vom Sitz genommen hat, um sie anschließend ins Handschuhfach zu stopfen, das – oh Überraschung – ebenfalls wegen Überfüllung geschlossen ist.

Wie kann man sich in so einem Chaos bloß zurechtfinden? Dabei dachte ich immer, das Auto eines jeden Mannes sei sein Heiligtum. Jedenfalls ist das bei John so. Auch Christian hat da keine Ausnahme gemacht. Tom hingegen scheint es egal zu sein.

»Was ist?«, fragt er, nachdem ich Platz genommen habe.

»Na ja. Also der Mythos, dass Männer ihre Autos mehr lieben als ihre Frauen, ist an dir offenbar auch vorbeigegangen. Ich hoffe, du gehst mit ihr wenigstens besser um.«

Das war dann wohl Fettnäpfchen Nummer zwei. Und das in nicht mal mehr als fünf Minuten. Wobei ... wenn ich ihn mir anschaue, war es diesmal eher eine fette Arschbombe in die Großküchenfritteuse!

Glückwunsch, Emma! Das macht dir so schnell wirklich keiner nach ...

»Danke für den Hinweis, aber ich komme ganz gut alleine klar.« Der bissige Ton passt zu seinem Gesichtsausdruck, der mehr einem Zähnefletschen, als dem typisch frechen Grinsen gleicht.

Ich hätte doch ein Taxi nehmen sollen.

Vielleicht solltest du einfach mal dein vorlautes Mundwerk halten?

Na toll! Wenn ich eins gerade überhaupt nicht gebrauchen kann, dann sind es die neunmalklugen Ratschläge meiner nervigen Stimme. Die ganze Situation ist ohnehin peinlich genug. »Tut mir leid«, bringe ich hervor. »Also ich meine ... ich wollte nicht ... geht mich ja auch gar nichts an.«

Statt etwas zu sagen, presst er die Lippen zusammen und steckt den Schlüssel so aggressiv ins Schloss, dass man meinen könnte, er bricht ab.

O-okay ...?! Am liebsten würde ich sofort wieder aussteigen. Dummerweise liegt der Grund, der dagegenspricht, immer noch selig schlafend hinter mir.

Wie lange ich wohl brauche, um sie wieder von der Rücksitzbank zu bekommen?

»Wohin soll's gehen?«

»Hmm?« Um ehrlich zu sein, spiele ich immer noch mit dem Gedanken, ein Taxi zu nehmen.

»Straße?! Hausnummer?!«

Ist der etwa genervt? Es war nur ein Scherz. Er macht sich doch auch gerne über andere lustig.

Ich räuspere mich leise. »Ach so ... ja natürlich.« Nachdem ich ihm die Adresse in Beverly Hills genannt habe, verdreht er kurz die Augen und startet anschließend den Motor.

Und wie genervt er ist! Das kann ja heiter werden ...

Ich hatte ja keine Ahnung, wie lang dreiundzwanzig Minuten sein können, wenn man sich rein gar nichts zu sagen hat. Nicht mal das Radio hat er eingeschaltet. Stattdessen schaut er nahezu verbissen auf die Straße und krallt sich am Lenkrad fest. Obwohl meine Strickjacke nicht gerade dünn ist, habe ich Gänsehaut von der eisigen Stimmung in diesem Wagen. Selbst wenn er Single ist, kann es ihm doch egal sein. Immerhin sieht er nicht gerade wie jemand aus, der Probleme mit Frauen hat. Warum sollten ihn seine Kollegen sonst Casanova nennen? Der hat ja schließlich auch nichts anbrennen lassen. Meine Güte. Sind wir bald da?!

Wenigstens Lucy scheint friedlich zu schlafen, wie ich nach einem kurzen Blick auf die Rücksitzbank feststelle. Die würde mir mit ihrem Geplapper jetzt noch fehlen. Erneut wandert mein Blick unauffällig auf den Tacho. Ich fahre ja schon vorsichtig. Aber er? Kein Mann fährt so Auto. Jedenfalls keiner, den ich kenne.

»Schickes Haus«, meint Tom mit diesem provokanten Unterton in seiner Stimme, als wir vor der Villa zum Stehen kommen.

Super ... Jetzt hält er mich auch noch für eine verwöhnte Tussi. Obwohl ... eigentlich könnte es mir doch egal sein, was er von mir denkt.

Ist es aber nicht, flötet die kleine nervige Stimme in meinem Kopf und obwohl ich sie nicht leiden kann, weil sie mir ständig Dinge sagt, die ich nicht hören will, muss ich ihr leider recht geben. Dabei fühle ich mich hier nicht mal wohl. Nicht umsonst habe ich dieses Haus noch nie als mein Zuhause bezeichnet.

»Ja, das ...« Nervös spiele ich an dem Schmetterlingsanhänger meiner filigranen Goldkette. Eigentlich lege ich nicht besonders viel Wert auf Schmuck. Ich bin ja kein Weihnachtsbaum. Diese aber ist mein absolutes Lieblingsstück. Lucy hat sie mir vor ein paar Jahren geschenkt. Sie soll mich daran erinnern, dass aus jeder dicken Raupe einmal ein wunderschöner Schmetterling werden kann. Seitdem habe ich sie noch nie abgelegt. »Also irgendwie ... habe ich mich auch immer noch nicht daran gewöhnt.«

»Woran?« Inzwischen hat Tom den Motor ausgeschaltet und sich leicht zu mir gedreht.

Ich seufze, als mir klar wird, dass ich um eine Antwort nicht rumkomme. »An ... das alles hier«, sage ich leise und deute zu dem großen Tor, das uns laut Johns Aussage vor den neugierigen Blicken irgendwelcher Touristen schützen soll. Mir kommt es jedoch so vor, als würde ich in einem Gefängnis wohnen.

»Und wieso bist du dann hier?«

Berechtigte Frage. Aber da wären wir direkt bei einer weiteren Sache, die ich nicht kann. Das zu sagen, was ich denke. Und schon gar nicht John gegenüber. Immerhin möchte ich nicht undankbar sein. »Ich ... weiß auch nicht.«

Und da ist er wieder. Dieser Blick, den ich nicht deuten kann. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, es liegt ein wenig Besorgnis darin. Vielleicht auch Skepsis. Oder sogar beides? Die Furche auf seiner Stirn, die mich nahezu anspringt, spricht auf jeden Fall dafür, dass er über etwas nachdenkt. So viel ist sicher.

»Sind wir schon da?«

Ich hätte ja nicht gedacht, dass ich Lucy dafür dankbar sein werde, aber gerade könnte ich sie knutschen. »Ich glaube ... es wird Zeit für sie.«

Tom schaut kurz nach hinten und zu meiner Erleichterung kehrt das Grinsen in sein Gesicht zurück. »Also wenn die später keinen Kater hat, dann weiß ich auch nicht.«

»Glaub mir. Die ist im Training«, gebe ich amüsiert zurück und erinnere mich dabei an unsere zahlreichen Mädelsabende, nachdem sie mich bei sich aufgenommen hat. Sie meinte damals, es wäre an der Zeit, dass ich ›endlich mal die Sau rauslasse‹.

»Na dann?!« Tom zuckt mit den Schultern und ich tue es ihm gleich.

»Dann.« Obwohl es mir schwerfällt, diesem Mann länger als nötig in die Augen zu schauen, verziehen sich meine Mundwinkel zu einem aufrichtigen Lächeln. »Danke fürs Fahren und auch ... für den schönen Abend.«

»Stets zu Ihren Diensten, Miss.« Mit noch tieferer Stimme zieht er seinen nicht vorhandenen Hut und bringt mich damit zum Lachen.

»Ich werde Sie bei Gelegenheit weiterempfehlen, James!« Eigentlich sollte es hochnäsig klingen, aber im Gegensatz zu ihm schaffe ich es nicht, ernst zu bleiben.

Wie macht er das bloß?

Plötzlich spüre ich etwas Weiches in meiner Hand. Eine Serviette, wie ich nach einem kurzen Blick verwundert feststelle. Noch mehr verwirrt mich allerdings die Zahlenkombination, die ich darauf entdecke.

Hmm ... Sieht nach einer Handynummer aus. Etwa seine Nummer? Aber warum sollte er mir die geben?

Meinen fragenden Blick kommentiert er mit einem Schulterzucken. »Na ja. Ich dachte mir, dass wir das nächste Treffen nicht unbedingt dem Zufall überlassen sollten. Meinst du nicht auch?« Da ist es wieder, dieses schiefe Grinsen, während er sich über den Nacken reibt. Das ist einfach so ...

Moment mal ... was hat der gerade gesagt? Er will mich wiedersehen? Aber warum?

Was sage ich denn jetzt? Bestimmt erwartet er von mir, dass ich ihm meine Nummer ebenfalls gebe. Doch will ich das? Irgendwie mag ich ihn. Aber so gut kennen wir uns auch wieder nicht.

Wie er mich ansieht ...

»Ja äh ... danke«, sage ich mit einer derart hohen Stimme am Ende, dass man es auch für eine Frage halten könnte. Gerade bin ich so durcheinander, dass ich es nicht auf Anhieb schaffe den Türgriff zu erwischen. Nicht nur sein Verhalten verwirrt mich, sondern auch meins inzwischen. Mit zittrigen Händen schaffe ich es doch noch, die Tür zu öffnen und schlüpfe schnell aus dem Wagen.

»Warte.« Leider habe ich die Rechnung ohne Tom gemacht, der sich schnell abschnallt und kurz darauf dicht neben mir steht. Die laue Frühlingsluft lässt nicht nur die Palmenblätter wehen, sondern trägt auch noch seinen Duft zu mir. Eine Mischung, die ich nicht genau benennen kann. Ich war schon immer schlecht darin, Gerüche zu identifizieren. Zudem könnten diese Komponenten aus etwas leicht Süßlichem und etwas Herbem gegensätzlicher nicht sein. Genauso wie dieser Mann, der gerade mit seinem Arm meine Taille streift. »Ich helfe dir.«

Ergeben schließe ich die Augen und halte den Atem an, während ich mich darum bemühe Abstand zwischen uns zu bringen. »Musst du nicht.«

»Will ich aber«, stellt er klar und tritt diesmal von hinten an mich heran, was auch nicht wirklich besser ist.

Dennoch ignoriere ich eisern die Wärme, die sein Körper ausstrahlt und greife schnell nach Lucys Arm. Aber egal, wie sehr ich an ihr zerre, sie bewegt sich keinen Millimeter und brummt nur irgendwas, das sich anhört wie: »Lass mich schlafen.«

Meine Güte! Wie kann man sich nur so steif machen?!

Während ich ächze wie eine ganze Horde Kühe unter der heißen Nachmittagssonne, lacht Tom hinter mir. Es klingt schön, wenn auch leise. Dennoch spüre ich die Vibrationen, die sich von seinem auf meinen Körper übertragen und bete einfach nur, dass er aufhört. »Lach nicht! Ich ... schaffe das schon!«, stelle ich bissig klar und stemme mich mit meinem ganzen Gewicht gegen meine Freundin. Doch anstatt sie nur einen Millimeter zu bewegen, rutsche ich ab und lande – wie sollte es auch anders sein – genau in seinen Armen.

Darauf wartend, dass er mich sofort wegschubst, kneife ich die Augen zusammen. Doch ich lande weder bäuchlings auf Lucy, noch löst er sich von mir. Er legt sogar seine Arme um mich, sodass sich diese seltsame Wärme in Sekundenbruchteilen in meinem Körper ausbreitet wie ein Lauffeuer. Das Gefühl zu verbrennen habe ich jedoch nicht. Es ist eher so, als hätte mich jemand in eine kuschelige Decke gehüllt. In meiner Ausbildung haben sie uns gesagt, dass sich so Geborgenheit anfühlen würde. Sicher sagen kann ich das allerdings nicht.

Das Räuspern hinter mir holt mich aus diesem seltsamen Zustand wieder zurück in die Realität. »Lass mich mal«, meint Tom, nachdem er mich sanft aber bestimmt zur Seite geschoben hat.

Benebelt und mit klopfendem Herzen sehe ich ihm dabei zu, wie er Lucy von der Rücksitzbank zieht, um sie anschließend gegen den Wagen zu lehnen.

»Dein Tom ist echt nett und so verdammt ...«, sagt sie in ihrem gebrochenen Englisch, hickst und verliert dabei das Gleichgewicht, was sie direkt mal zum Anlass nimmt, ihn zu betatschen. »Heiß!«

Dabei lag sie gerade noch wie eine Halbtote auf der Rückbank. Ob sie das mit Absicht gemacht hat? Wundern würde es mich nicht. »Tut mir leid. Sie«, ich kann nicht anders, als ihr meinen Ellenbogen in die Seite zu stoßen, »weiß nicht mehr, was sie redet.«

Tom hingegen steckt nur lässig die Hände in die Hosentaschen und grinst. Als würde er nicht wissen, welche Wirkung er auf Frauen hat.

Du meinst wohl, welche Wirkung er auf dich hat.

»Vielleicht sieht man sich ja noch mal«, bringe ich heraus, bevor mir meine Vernunft eine verbale Ohrfeige verpasst. »Ich meine, komm gut nach Hause, wollte ich sagen.«

»Meld dich einfach, wenn du mal wieder jemanden brauchst, den du zuquatschen kannst.«

Aus dem Augenwinkel sehe ich wieder dieses Lächeln, womit man ihm alles verzeihen könnte. Sogar den blöden Spruch, der ja auch irgendwie lieb gemeint war.

Lieb?! Und ich dachte, Lucy wäre betrunken! Glaub mir, Typen wie der sind alles, aber nicht lieb!

Dummerweise kommt selbst diese Stimme nicht gegen mein klopfendes Herz an. Erst recht nicht, als ich den Fehler mache von der Serviette hoch in seine Augen zu blicken. Trotz des schummrigen Lichts wirken sie auf mich so stechend scharf, dass ich den Eindruck habe, geradewegs in sein Inneres zu sehen. Irgendwas ist da. Aber was? Eins ist jedenfalls sicher. Es passt so gar nicht zu diesem dreisten Kerl mit dem entwaffnenden Lächeln und den süßen Grübchen.

Auch wenn ich irgendwann eingesehen habe, dass er nicht darüber reden will, schwirren immer noch tausend Fragen in meinem Kopf herum. Ob er vielleicht während einer Rettungsaktion eine falsche Entscheidung getroffen hat und deshalb die Zeit zurückdrehen will? Warum er mit über dreißig keine Familie hat oder zumindest verheiratet ist, wo die Frauen bei ihm Schlange stehen müssten? Wieso er so strikt gegen Alkohol ist, obwohl er manchmal so wirkt, als würde er keine Party auslassen? Und nicht zuletzt dieser dunkle Schatten, der sich heute ziemlich oft auf sein Gesicht geschlichen und die Sonne verdeckt hat, die jedes Mal aufgeht, wenn er lacht.

Leider habe ich auf nichts von alledem eine Antwort. Egal, wie ich es drehe und wende, es passt einfach nicht zusammen. Dieser Mann ist und bleibt ein Mysterium. Eines, das ich – warum auch immer – unbedingt ergründen will. Ich will wissen, was sich hinter diesen Augen verbirgt, die gerade so viel Wärme ausstrahlen, dass man den Eindruck hat, sie wären aus geschmolzenem Bernstein gegossen.

»Hach! Ihr zwei seid echt sowas von süß zusammen«, meint Lucy mit einem ausgiebigen Seufzer, was mich dazu veranlasst meinen Blick abrupt von ihm zu nehmen.

»Wir müssen ins Bett.« Ich räuspere mich. »Ich meine, sie ... muss ins Bett. Also schlafen. Und ich ... sollte jetzt wirklich ... gehen.«

Hilfe! Wieso muss ich ausgerechnet jetzt stottern wie ein verknallter Teenager beim ersten Date?!

Eilig schnappe ich mir meine Freundin und ziehe sie im Eiltempo Richtung Hauseingang. »Was hast du dir dabei gedacht? Dem kann ich doch jetzt nie wieder unter die Augen treten«, schimpfe ich, als ich glaube, außer Hörweite zu sein.

Lucy hingegen grinst mich mit verdrehten Augen an. »Vergiss John. Dein Tom ist einfach so viel besser.«

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