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»Ich glaube, das wird heute nix mehr«, jammert Samuel und schaut in sein fast leeres Bierglas.

»Mhm ...« Eigentlich habe ich mich von ihm überreden lassen herzukommen, um mich abzulenken. Leider ohne Erfolg. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, Emma hat mich verhext. Dumm nur, dass ich sie nicht darum bitten kann, diesen Fluch wieder aufzuheben, weil sie, seitdem sie fluchtartig den Park verlassen hat, dort nicht wieder aufgetaucht ist. Entweder geht sie mir absichtlich aus dem Weg oder der Erdboden hat sie verschluckt. Wobei Letzteres eher unwahrscheinlich sein dürfte.

»Dann lass uns lieber abhauen. Vorher muss ich aber noch mal pinkeln. Das Zeug treibt ganz schön.« Eine Information, die er gern hätte für sich behalten können, weshalb ich nicht darauf eingehe und den Blick auf mein Handy richte. »Alter ... hast du heute wieder 'ne Laune! Kein Wunder, dass die Weiber nicht anbeißen. Dir stehen die Worte ›Bloß nicht ansprechen‹ ja quasi auf der Stirn geschrieben. Selbst die heiße Blondine hast du eben vergrault.«

»Hattest du nicht was zu erledigen?«, grummele ich ohne den Blick von meinem Handy zu nehmen. »Oder soll ich dir vielleicht beim Halten helfen?«

»Bin ja schon weg!«

Als kurz darauf die Tür aufgeht, traue ich meinen Augen kaum. Emma betritt hinter einer kleinen Frau mit feuerroten Haaren die Bar und setzt sich mit ihr an die Theke. Sie sieht sich zwar um, kann mich aber hinter der Nische nicht sehen. Ich sie dafür umso besser. Irgendwie sieht sie heute anders aus. Was nicht heißen soll, dass ihr der knielange Jeansrock nicht stehen würde. In großen Falten fällt er über ihre Beine, die in hohen Lederstiefeln stecken. Auch ihre Haare trägt sie heute zur Abwechslung mal offen und lockig. Natürlich darf auch die rosa Strickjacke mit den Rüschen nicht fehlen.

»Wir können«, meint Samuel, doch ich sage ihm, dass ich es mir anders überlegt habe. »Aus dir soll mal einer schlau werden.« Kopfschüttelnd nimmt er gegenüber von mir wieder Platz und bestellt sich noch ein Bier.

Ich hingegen schaue Emma und der Rothaarigen zu. Auf die Entfernung kann ich zwar nicht hören, worum es geht, aber dass sie sich nicht einig sind, ist offensichtlich.

Als Emma anfängt zu husten, die Frau neben ihr allerdings nur lacht, bin ich kurz davor aufzuspringen. Doch selbst Joe – der alte Griesgram – amüsiert sich und Emma kriegt sich auch schnell wieder ein. Zumindest kann sie wieder rumzicken. Ein gutes Zeichen.

»Was ist denn da plötzlich so interessant, dass du mich ignorierst?«, fragt Samuel, nachdem sein grinsendes Gesicht vor meinem Blickfeld aufgetaucht ist. Er dreht sich kurz um und widmet sich dann wieder mir. »Sag mal, waren die eben auch schon da?«

»Keine Ahnung«, gebe ich möglichst cool zurück, während ich weiter das Treiben an der Theke beobachte. In dem Moment, als Emmas und mein Blick sich treffen, bestätigt sich meine Vermutung. Sie geht mir tatsächlich aus dem Weg. Nicht umsonst kramt sie wie eine Wilde in ihrer überdimensionalen Tasche rum und schmeißt nach einiger Zeit einen Schein auf die Theke.

Na warte.

Angestachelt von ihrem Verhalten hebe ich die Hand. Im Gegensatz zu der anderen ignoriert Emma mich weiterhin konsequent, woraufhin die Show erst mal so richtig losgeht.

Ob die beiden wohl bemerkt haben, dass sie nicht alleine in dem Laden sind?

»Die zwei scheinen es dir ja richtig angetan zu haben, was?« Verdammt. Samuel hatte ich ja ganz vergessen. Nachdenklich reibt er sich über sein glattrasiertes Kinn. »Irgendwie kommt die Blonde mir bekannt vor. Ich weiß nur nicht woher.«

Schnell winke ich ab. »Das bildest du dir bestimmt nur ein.« In der Hoffnung, dass ihm nicht wieder einfällt, woher er sie kennt, stehe ich auf und mache mich auf den Weg zu Emma. Die hat inzwischen den Kopf auf die Theke gelegt, als wäre sie total dicht.

»So sieht man sich also wieder«, begrüße ich sie und stecke die Hände in die Hosentaschen, weil ich nicht weiß, wohin damit.

»Äh ja. So ein Zufall, was?« Ihr aufgesetztes Lächeln verrät mir, dass sie sich im Gegensatz zu mir nicht darüber freut mich zu sehen. Wohingegen mich die andere anglotzt, als ob sie mich lieber nackt sehen würde. »Hab dich gar nicht erkannt«, lügt Emma und stellt sich dabei nicht mal besonders geschickt an.

Umso mehr bereue ich es gerade, zu ihr gegangen zu sein. Da es jetzt eindeutig zu spät für einen Rückzug ist, ziehe ich in den Kampf. »Ist mir auch gar nicht aufgefallen.«

»Ach wie unhöflich von mir«, mischt sich nun die Frau neben ihr ein und schüttelt mir die Hand. »Lucy, Emmas beste Freundin. Tom ... Richtig?« Ihrem gebrochenen Englisch nach zu urteilen, ist sie keine Amerikanerin. Woher die beiden sich wohl kennen? »Hab schon viel von dir gehört.«

Sieh mal einer an. Mich würde ja brennend interessieren, was genau. Frauen quatschen doch immer über alles und jeden. »Ach?! Ist das so?« Ich grinse provokant. Strafe muss sein. Außerdem mag ich dieses Spiel zwischen uns. Vor allem, wenn sie mir diesen bestimmten Blick zuwirft. Gerade habe ich jedoch den Eindruck, dass ich bei ihrer Freundin gleich Erste-Hilfe-Maßnahmen ergreifen muss. Dagegen ist das, was ich bisher von Emma geboten bekommen habe, Kindergarten. Man könnte fast meinen ihre Augen wären Waffen. Wobei, wenn ich es mir recht überlege ... einen Waffenschein braucht sie für diese verdammten Dinger so oder so.

Samuels Gequatsche holt mich kurzzeitig aus meinen Gedanken. Ganz vergessen. Der war ja auch noch da. Zu meinem Leidwesen fällt ihm doch wieder ein, woher er Emma kennt. Ein Glück, dass ihr fahrbarer Untersatz bei ihm scheinbar mehr Eindruck hinterlassen hat als sie selbst.

»Äh ja ... die bin ich wohl.« Emma sieht zwar weiterhin aus wie die Queen bei einem Empfang, aber an ihrer unsicheren Stimme höre ich, dass sie sich alles andere als wohlfühlt. Geschieht ihr Recht. Schließlich habe ich der Frau nichts getan und sie behandelt mich, als hätte ich die Pest. Ich war sogar zur Abwechslung mal nett. In den Genuss kommen nicht viele.

Samuel plaudert munter fröhlich weiter aus dem Nähkästchen. Am liebsten würde ich ihm den Mund zukleben, doch dann hält er endlich die Klappe. Dafür hat diese Lucy umso mehr zu sagen. Inzwischen bin ich mir sicher, dass sie nicht von hier kommt. Trotzdem scheinen die beiden ziemlich dicke miteinander zu sein. Sonst würde Emma ihr nicht ins Bein kneifen.

Der Rotfuchs schimpft wie ein Rohrspatz und unterschreibt damit endgültig sein Todesurteil.

Amüsiert beobachte ich, wie Emmas Wangen eine äußerst gesunde Farbe annehmen. Irgendwie süß.

Süß? Ernsthaft?!

»Äh ...«, sage ich immer noch leicht irritiert, nachdem ich mitbekommen habe, dass Samuel die beiden eingeladen hat, sich zu uns zu setzen.

Im Gegensatz zu Emma ist Lucy sofort Feuer und Flamme. Sie schnappt sich Samuel und setzt sich direkt mal auf meinen Platz, wohingegen Emma mich nur überfordert ansieht. So verschieden wie sie sind, ist es mir echt ein Rätsel, wie die beiden es geschafft haben beste Freundinnen zu werden.

* * *

»Deine Freundin ist ja echt speziell«, meine ich, nachdem Samuel und Lucy es ziemlich eilig hatten, sich in eine ruhige Ecke zu verziehen. Meinetwegen.

Emma reißt die Arme nach oben, als würde jemand eine Pistole auf sie richten. Sie lacht übertrieben laut auf. »Frag mich nicht wieso, aber irgendwie mag ich sie trotzdem.« Leider hat sie beim Herunternehmen ihrer Hände das Glas Cola nicht bedacht, das daraufhin gefährlich ins Wanken gerät. Sie versucht zwar, das Schlimmste zu verhindern, aber ich spüre kurz darauf trotzdem etwas Kaltes auf meinem Oberschenkel. »Oh nein! Das ...«

Den Rest bekomme ich nicht mehr mit, weil ich plötzlich nicht mehr Emma, sondern sie vor mir sehe.

»Oh nein! Das tut mir leid!«

»Fuck! Ist das heiß«, fluche ich, während sich die kochende Brühe in meine Haut brennt. »Kannst du nicht ...« Wie gelähmt blicke ich in dieses schöne Gesicht, das mich immer noch schuldbewusst anlächelt und vergesse dabei glatt, was ich sagen wollte. Eigentlich benehme ich mich in der Gegenwart von Mädchen nie wie der letzte Volltrottel. Aber diese Frau ist nicht irgendein Mädchen. Sie ist einfach nur ... wow! Bisher habe ich nicht an diesen Liebe-auf-den-ersten-Blick-Quatsch geglaubt. Wozu auch? Ich bin gerade mal achtzehn geworden. Da feiert man wilde Partys mit Alkohol und Mädels, probiert sich aus, aber denkt nicht an so etwas.

Die schöne Unbekannte, auf deren silbernem Schild S. Edison steht, ist hingegen viel gesprächiger. »Scheiße! Mein erster Tag und dann gleich so was!« Sie rubbelt an meinem T-Shirt. Leider nicht sehr lange, weil sie zu beschäftigt damit ist sich eine ihrer haselnussbraunen Haarsträhnen hinters Ohr zu kämmen.

»Du hättest mich auch einfach fragen können, wenn du ein Date willst«, feixe ich, nachdem ich meine Sprache wiedergefunden habe und zwinkere ihr zu.

Lachend stemmt sie ihre Hände in die Hüften, wobei ihre braunen Augen regelrecht strahlen. »Dreist bist du wohl gar nicht, was?«

 »Ist mein zweiter Vorname. Und deiner?«


»Ich ... äh ... werde selbstverständlich für die Reinigungskosten aufkommen, wollte ich sagen.«

Erschrocken wandern meine Augen zu meiner Jeans. Durch die Feuchtigkeit scheint das Rosa der ... sind das Servietten?! Egal. Ich bin ohnehin so durch den Wind, dass man mir wahrscheinlich auch bunte Federn an den Arsch hätte tackern können. Erst recht, als ich sehe, wie Emma mich anschaut. Ihre verengten Augen gefallen mir gar nicht. Ablenkung muss her. Und zwar schnell!

Mein Blick fällt auf den Billardtisch, der zum Glück gerade frei ist. Den hatte sie ja eben schon begutachtet. »Lust, 'ne Runde zu spielen?«

Sie überlegt eine Weile, zuckt aber dann lächelnd mit den Schultern. »Warum eigentlich nicht?«

Bevor sie es sich anders überlegt, stehe ich auf, fische schnell die Kugeln unter dem Tisch heraus und fange an, sie in das Dreieck zu legen. In einer der hinteren Ecken entdecke ich Lucy und Samuel, der heute wohl doch noch auf seine Kosten kommt.

Eine kalte Hand auf meiner reißt mich aus meinen Gedanken. Ohne hinzusehen, weiß ich, dass das nur Emma sein kann. Ich habe keine Ahnung, was es ist, aber diese Frau löst irgendwas in mir aus, von dem ich nicht weiß, ob es mir gefallen oder ich lieber schreiend wegrennen sollte.

Reflexartig zieht Emma ihre Hand weg. »Die Kugeln. Ich ... wollte sie nur tauschen, weil ...«

Auch wenn ich mir vor nicht mal einer halben Stunde geschworen habe, diesen Begriff nicht mehr zu benutzen, sieht sie ein kleines bisschen süß aus, wenn sie den Blick senkt und auf ihre Unterlippe beißt. Schmunzelnd hebe ich eine Augenbraue, woraufhin sie sich räuspert.

»Nun ja. Ich habe das zwar schon lange nicht mehr gespielt, aber ich kann mich daran erinnern, dass in den unteren Ecken jeweils eine ganze und eine halbe Kugel liegen soll. Deshalb wollte ich einfach ...«, erklärt sie, unterbricht sich dann allerdings selbst.

Das zarte Rosa auf ihren Wangen wirkt unter den tief hängenden Lampen fast schon pink, während sie den Kopf schüttelt. »Egal ... lass ... lass uns einfach anfangen«, stottert sie und drückt mir einen der Queues in die Hand.

»Okay. Dann zeig mal, was du drauf hast.«

Sie legt zwar den Queue zwischen ihre Finger, hält aber vor dem ersten Stoß inne und sieht zu mir hoch. »Jeder Treffer bekommt eine Frage. Was hältst du davon?«

Nicht besonders viel. »Von mir aus.« Trotzdem zucke ich mit den Schultern, woraufhin sie lächelt. So breit, dass ich förmlich riechen kann, dass sie etwas im Schilde führt. Ich hoffe nur, dass sie inzwischen das Treffen verlernt hat. Sonst bin ich echt am Arsch.

Zum Glück ist Fortuna auf meiner Seite. Zumindest der erste Stoß geht daneben, weil sie ohne auch nur eine der anderen Kugeln zu berühren, direkt mal die weiße in eines der hinteren Löcher verfrachtet. »Lach nicht!«, mault sie und zieht eine Schnute. »Ich bin nur ein bisschen aus der Übung.«

Dass das so bleiben kann, sage ich ihr nicht. Stattdessen versuche ich immer noch mit einem Grinsen auf dem Gesicht mein Glück. Mit Erfolg. »Woher kommt deine Freundin eigentlich?«, will ich wissen und merke schnell, dass ich damit voll ins Schwarze getroffen habe.

Eine ganze Weile sagt sie nichts. Auch meinem Blick weicht sie aus, ehe sie kaum hörbar antwortet: »Aus Deutschland.«

»Woher kennt ihr euch denn?«, bohre ich weiter, nachdem ich die nächste Kugel versenkt habe. So langsam fängt dieses Spiel an, mir zu gefallen.

Bei Emma scheint das nicht der Fall zu sein. Wahrscheinlich bereut sie es sogar, diesen Vorschlag gemacht zu haben. Erneut nagt sie an ihren Fingern herum.

Ich verkneife mir zwar einen Kommentar dazu, sehe sie aber abwartend an. Sie wollte es schließlich so. Also muss sie jetzt auch da durch.

»Ich ...« Sie atmet hörbar laut aus und senkt die Lider.  »Komme ursprünglich auch aus Deutschland.«

Interessant. Am liebsten würde ich sie fragen, wie lange sie schon hier lebt und vor allem warum. Da der nächste Stoß jedoch daneben geht, muss ich mich gedulden. Eine meiner leichtesten Übungen.

Erleichtert tritt sie an den Tisch heran und beugt sich darüber. Leider liegt eine ihrer Kugeln so günstig, dass ich jetzt schon weiß, was mir blüht. Zum wiederholten Mal kneift sie die Augen zusammen, stößt zu und trifft. »Wie alt bist du?«

Eigentlich sollte mich diese harmlose Frage erleichtern. Aber irgendwas sagt mir, dass das noch nicht das Ende der Fahnenstange ist. »Einunddreißig«, antworte ich wahrheitsgemäß und bekomme dafür wieder einen ihrer hysterischen Lacher.

»Du veräppelst mich?!«

»Äh ... nein?!«

»Ganz ehrlich? Nie und nimmer hätte ich dich für so alt gehalten.« Meine erhobene Augenbraue sorgt dafür, dass ihre Stimme sich fast schon überschlägt. »Also nicht, dass ich finde, dass du alt wärst, aber ...«

Tja. Aus der Nummer kommst du nicht mehr raus.

Das scheint sie dann auch zu kapieren. »Ich mach's gerade nicht besser, oder?« Mein leichtes Kopfschütteln gibt ihr endgültig den Rest. »Tut mir leid. Manchmal rede ich einfach drauflos und dann ... kommt meistens Blödsinn dabei raus.«

»Quatsch«, sage ich schnell. Ich halte diese Frau für alles andere als blöd. Impulsiv? Ja, manchmal. Zickig? Oft. Vor allem scheint sie aber eins zu sein: Sehr unsicher.

Als ich das nächste Mal treffe, frage ich sie, warum sie Deutschland verlassen hat. Anfangs war ich gegen dieses Frage-Antwort-Spiel, aber mittlerweile habe ich die Hoffnung, endlich etwas über diese Frau zu erfahren, die mich auf seltsame Art und Weise immer mehr in ihren Bann zieht.

»Weil«, sagt sie, nachdem ich schon nicht mehr damit gerechnet habe, weicht jedoch weiterhin konsequent meinem Blick aus, »Kalifornien ein schönes Land ist und ... weil die Sonne hier immer scheint.«

Auch wenn ich mir denken kann, dass das nicht so ganz der Wahrheit entspricht, quäle ich sie nicht weiter und deute auf ihre Strickjacke. »Na ja. So wie es aussieht, kann es dir ja nicht warm genug sein, ne?«

Zu meinem Glück fällt ihr nicht auf, dass das bereits die zweite Frage war. Mit gesenktem Blick krallt sie sich an ihrem Queue fest, als wäre er ihr Rettungsanker. »Ach so, das. Irgendwie friere ich immer. Egal, wie warm es ist.«

»Dann wäre Afrika wohl eher was für dich, hmm?«

»Ja. Vielleicht.« Sie lächelt schüchtern, bevor ihr doch noch auffällt, dass ich sie reingelegt habe und meint, dass sie jetzt auch mindestens zwei Fragen stellen dürfe. Von wegen sie ist blöd.

So einfach gebe ich mich jedoch nicht geschlagen. »Dazu musst du erst mal treffen.«

»Das werde ich«, verkündet sie zur Abwechslung mal überzeugt und beugt sich erneut über den Tisch. Bevor sie ihre Aufmerksamkeit auf das Spiel richtet, funkeln ihre Augen mich unter den dichten Wimpern an. Mit einem siegessicheren Lächeln stützt sie sich auf dem Tisch ab und trifft tatsächlich. »Kannst du kochen?«

Ich weiß zwar nicht, welche Taktik sie mit diesen harmlosen Fragen verfolgt, doch ich beschließe, weiterhin vorsichtig zu sein. »Joah.« Ich zucke mit den Schultern. »Bis jetzt leben zumindest noch alle.«

Emma lacht. Leise, aber ich schaffe es trotzdem nicht, meinen Blick von ihr zu nehmen. Dabei fallen mir auf Anhieb eine ganze Reihe von Gründen ein, warum ich mich von dieser Frau fernhalten sollte. Nicht nur, weil sie in einer Beziehung ist.

Gerade fühle ich mich jedoch genau wie dieser Junge, der damals in dem Diner saß und tatsächlich geglaubt hat, dass die Talent-Scouts die härtesten Gegner wären, die sich ihm in den Weg stellen könnten. Jemand, der sich nicht vorstellen konnte, dass das Leben schwierigere Prüfungen als den Highschoolabschluss für ihn bereithalten würde. Wie naiv er doch war.

Ehe ich mich davon abhalten kann, hebe ich die Hand. »Du hast da was«, sage ich und streiche ihr sanft über die Wange. »Kreide.« Könnte meine Mutter jetzt dieses schiefe Grinsen auf meinem Gesicht sehen, würde sie Emma wahrscheinlich um den Hals fallen und sie nie wieder loslassen.

»Oh!« Nachdem sie aus ihrer Schockstarre erwacht ist, legt sie ihre Hand auf ihre Wange. Wahrscheinlich will sie sichergehen, dass nichts mehr zu sehen ist von der blauen Farbe, die sie eben noch ausgiebig auf die Spitze ihres Queues massiert hat. »Hab ich ... gar nicht gemerkt«, stellt sie fest und lächelt unsicher. »Danke.« Dass sie ihre Hand nicht von ihrem Gesicht nimmt, irritiert mich.

Ob sie gerade dasselbe gespürt hat wie ich?

Meine Finger kribbeln immer noch, obwohl ich ihre ebenmäßige Haut nur kurz gestreift habe. Länger als ich sollte, blicke ich in diese Augen, die mich forschend und zugleich ängstlich ansehen. Das Blau am äußeren Rand vermischt sich im Schein der tiefen Deckenleuchte mit dem Grün in der Mitte und verschmilzt zu einem satten Türkis. Man kann gar nicht anders, als in diesem Meer zu versinken.

Alter ... jetzt ist aber mal gut. Komm wieder klar!

Doch so sehr mich meine Vernunft auch anschreit, nicht die Kontrolle zu verlieren – ich kann nicht anders. Wie das Licht eine verdammte Motte zieht dieses Strahlen mich an. Mein Blick wandert zu ihren Lippen, die die Farbe von Erdbeeren haben. Zu gern wüsste ich, ob sie auch so süß schmecken.

»Hast du schon mal etwas richtig bereut in deinem Leben?«

Ihre leisen Worte sind wie ein Weckruf. Ich darf das nicht zulassen. Es ist nicht richtig. Belügen möchte ich sie aber auch nicht. »Ja«, erwidere ich mit belegter Stimme.

Sie schluckt leise, nimmt jedoch ihren Blick nicht von mir.

»Ich bin dran«, werfe ich ein, bevor sie noch auf die Idee kommt weiter zu bohren. Langsam schiebe ich mich an ihr vorbei und beuge mich über den Tisch. Mit ihrem Blick im Rücken fällt es mir zwar schwerer mich zu konzentrieren, aber ich treffe dennoch.

Nachdem sie mir widerwillig verraten hat, dass sie aus Frankfurt kommt, ist sie wieder an der Reihe. »Was ist das? Also das, was du bereust?«

Damit habe ich gerechnet und alles dafür gegeben, dass sie nicht mehr zum Zug kommt. Doch sie ist eben eine würdige Gegnerin. Um Zeit zu schinden, trinke ich einen Schluck von meiner Cola. »Entscheidungen, die ich getroffen habe.« Jetzt schon überlege ich, wie ich die nächste Frage beantworten soll, weil sie sich damit wohl nicht zufriedengeben wird.

Vorher bin ich jedoch wieder dran. »Wie alt bist du eigentlich?« Ich grinse, um die inzwischen komische Stimmung etwas aufzulockern. »Obwohl ... Frauen reden ja nicht so gern darüber, ne?«

Emma lächelt zaghaft. Diesmal erreicht es leider nicht ihre Augen. »Neunundzwanzig.« Ehe ich noch etwas sagen kann, setzt sie zum nächsten Stoß an. »Welche Entscheidungen?«, will sie prompt wissen und sieht mich dabei so durchdringend an, dass es mir eiskalt den Rücken runterläuft.

Aufgewühlt fahre ich mir durch die Haare und wünsche mir, diesem dämlichen Spiel niemals zugestimmt zu haben. »Ich habe jemanden enttäuscht, der mich gebraucht hätte.«

Um Fassung bemüht wendet sie ihren Blick von mir ab. Wäre die Situation nicht so beschissen, könnte ich mich darüber amüsieren, dass sie wie ein kleines schüchternes Mädchen auf ihrer Unterlippe rumkaut. 

Ich will etwas sagen, doch Emma ist schneller. »Also, ich glaube ja, dass Enttäuschungen zum Leben dazugehören. Sie sind wie Haltestellen, die uns dazu bringen umzusteigen, wenn wir falsche Erwartungen an Menschen haben«, flüstert sie fast mit Blick auf den grünen Bezug des Tisches.

»Mhm.« Ich deute auf auf ihren Queue und ringe mir ein Lächeln ab. »Na los. Du bist dran.«

Skeptisch dreht sie sich um und spielt weiter. Zu meiner Erleichterung fragt sie diesmal nach meinem Sternzeichen. »Nein warte. Lass mich raten.« Konzentriert legt sie sich ihren Finger auf die Lippen, die ich vor nicht mal zehn Minuten in einem Anflug von Leichtsinn beinahe geküsst hätte. Von daher müsste ich dankbar sein, dass sie mir mit ihrer Frage eine eiskalte Dusche verpasst hat. »Du bist bestimmt Löwe. Du siehst auf jeden Fall aus wie einer.«

Mal abgesehen von der Tatsache, dass sie recht hat, stelle ich mir gerade ernsthaft die Frage, wie ein Löwe denn genau aussieht.

»Stimmt's oder hab ich recht?« Sie grinst, als hätte sie die Eine-Million-Dollar-Frage geknackt.

Ich nicke. »Und du? Jungfrau, nehme ich an, oder?«

»Witzbold! Nein. Bin ich nicht.«

»Dann bist du ...« In gespielter Überlegung lege ich einen Finger unters Kinn. »Fisch.« Ich habe zwar keine Ahnung wie ein ›Fisch‹ aussieht, geschweige denn, was er für Eigenschaften hat, aber vom Angeln früher mit meinem Dad weiß ich, dass die Dinger mindestens genauso schwer zu packen sind wie diese Frau manchmal.

»Fast.« Ich befürchte schon, dass ich mich durch alle Sternzeichen raten muss, als sie mich endlich aufklärt. »Widder. Aber ... eigentlich passt das gar nicht zu mir.«

»Und wieso nicht?«

»Um das herauszufinden, wirst du mich wohl schlagen müssen.« Herausfordernd deutet sie auf die schwarze Kugel, die von meinen noch übrig ist.

Das sollte ich hinbekommen. Selbstsicher setze ich zum letzten Stoß an und entscheide kurz darauf die Partie für mich. Auf eine Antwort wartend hebe ich die Augenbraue, woraufhin sie leise seufzt.

»Na ja. Widder sind ... sie sind stark, können sich durchsetzen.« Schulterzuckend greift sie nach meinem Queue, was wohl heißt, dass sie keine Revanche möchte. »Sie wissen eben, was sie wollen und vor allem wer sie sind.«

Ah ja?! Und sie weiß das nicht oder wie soll ich das jetzt verstehen? Dass sie jemandem ihre Meinung sagen kann, wenn sie will, hat sie mir bei unserem ersten Treffen schließlich eindrucksvoll bewiesen. »Und welche dieser Eigenschaften trifft jetzt auf dich nicht zu?«

Ihr humorloses Lachen ist Grund zur Annahme, dass ich auf diese Frage keine Antwort bekommen werde, weshalb ich ihr vorschlage, uns zurück an den Tisch zu setzen.

Sonderlich erbaut scheint sie nicht von dem Vorschlag zu sein. Trotzdem nickt sie.

»Eigentlich müssest du ja der Löwe sein. Ich meine, bei der Mähne«, eröffne ich nach einiger Zeit des Schweigens wieder das Gespräch. Kurz verspüre ich das Bedürfnis, ihr eine Locke aus der Stirn zu streichen, verwerfe den Gedanken jedoch schnell wieder, als mein Verstand mich fragt, ob ich mir was eingeworfen habe.

Emma fährt sich mit einem zaghaften Lächeln über die Haare. »Man nennt es wohl eher Gemüse.«

Komplimente mag sie schon mal nicht. Vielleicht hört sie so etwas aber auch ständig. Trotzdem entlockt sie mir erneut dieses schiefe Lächeln, das sich nach so vielen Jahren irgendwie seltsam anfühlt. »Also ich mag ja Gemüse.«

»Ich auch. Gut. Alles bis auf Rosenkohl und Spargel. Das ist einfach nur«, plappert sie drauflos, sodass ich gar nicht anders kann, als loszuprusten. »Hey!« Sie reißt die Augen auf, bemerkt aber schnell ihren Fehler. »Oh! Du ... meintest gar nicht ...«

Lachend schüttele ich mit dem Kopf, während ich mir den Bauch halte. Manchmal ist die Leitung dieser Frau echt länger als die West-East-Gaspipeline.

Emma senkt den Blick, sodass ihre dichten Wimpern noch mehr zur Geltung kommen und spielt mit dem Anhänger ihrer Kette. Ein Schmetterling und komischerweise das einzige Schmuckstück, das sie trägt. »Äh ja ... ich ... werde es Lucy ausrichten.«

Fragend runzele ich die Stirn.

»Na ja. Es ... war ihre Idee. Also sie so zu lassen wie sie sind.«

Langsam habe ich wirklich den Eindruck, dass sie mit Komplimenten nicht umgehen kann. Dabei sind Frauen doch immer ganz heiß darauf. »Steht dir auf jeden Fall«, probiere ich es noch einmal, was sie schüchtern lächeln lässt.

»Danke.« Ihre Stimme ist so leise, dass sie locker einer Maus Konkurrenz machen könnte, bevor sie sich erneut an ihren Fingernägeln zu schaffen macht.

»Hast du Hunger?«, frage ich, woraufhin sie sofort ihre Hände unter dem Tisch vergräbt.

»Was?«

»Also Joe.« Ich deute zu dem Mann an der Theke. »Er macht ziemlich gute Sandwiches. Besonders die mit Käse kann ich empfehlen. Bevor du dich weiter aufisst, dachte ich.«

Leider bewirkt mein Lächeln bei Emma das Gegenteil. Fast schon panisch sieht sie mich an. »Ich ... entschuldige mich bitte kurz.«

Hervorragend. Der Schuss ging dann wohl nach hinten los. »Emma! Wa–« Ehe ich ihr sagen kann, dass das nicht böse gemeint war, ist sie über alle Berge. Daniel hatte recht. Diese Frau hat Probleme. Und zwar nicht zu knapp.

Aber will ich wirklich wissen, welche das sind?

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