36 | E M M A

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Elfengleich schreite ich über den roten Teppich. Vorbei an den schönsten Blumen, die ich je gesehen habe. Sie sind schneeweiß. Genauso wie der edle Stoff meines Kleides. Unzählige Pailletten funkeln im Schein des Kronleuchters um die Wette. Im Hintergrund ertönen liebliche Pianoklänge. Sie runden diesen wundervollen Moment perfekt ab, während alle Augen auf mich gerichtet sind. Diesmal ist es mir jedoch nicht unangenehm. Ich fühle mich wohl in meiner Haut. Wie eine Prinzessin, die gleich auf ihren Prinzen trifft, um ...

»Und? Ist es das jetzt endlich?«

Unter einem fürchterlichen Kratzen bleibt die Schallplatte mit dem süßlichen Klang stehen und zerspringt in zwei Teile. Genauso wie das schöne Bild vor meinen Augen, das Lucy und ihre genervte Stimme zunichtegemacht hat.

Aber das Leben ist nun mal kein Disney-Film und ein paar Meter teurer Stoff machen aus Frauen wie mir noch lange keine Prinzessinnen. Misstrauisch gleitet mein Blick an mir herab. Ich strecke den Rücken durch, ziehe den Bauch ein, doch es ist und bleibt einfach hoffnungslos.

Eher eine wandelnde Sahnetorte in Übergröße.

Seufzend lasse ich die Schultern hängen, was Lucys ausgeprägtem Gehör nicht entgeht. »Zeig mal! So schlimm kann es doch ...« Sie reißt den Vorhang auf und starrt mich an. Ob das nun ein gutes oder schlechtes Zeichen ist, sei mal dahingestellt. »Wow! Fehlt nur noch der richtige Mann und es könnte eine Traumhochzeit werden.«

Nein. Ich werde jetzt nicht mit den Augen rollen und ihr sagen, dass sie sich ihre blöden Kommentare sparen kann. Es würde sie sowieso nicht überzeugen. Also kann ich mir die Luft auch sparen. Sie kann es eben einfach nicht lassen. Trotzdem bin ich froh, dass sie, wider Erwarten, ein paar Tage nach Los Angeles gekommen ist. Gut. Ihr blieb auch nichts anderes übrig, nachdem ich ihr absolut verzweifelt ins Telefon geheult habe, dass ich im Kartoffelsack heiraten müsse, wenn sie mich nicht rettet. Aber das blende ich jetzt einfach mal aus.

Leider ist sie mir bisher keine große Hilfe gewesen. Inzwischen befinden wir uns in der sechsten Brautmoden-Boutique und ich habe immer noch keine Entscheidung treffen können.

Ich drehe mich um meine eigene Achse. »Ich weiß nicht.«, gebe ich unsicher zurück. Zumal ich mich ohnehin nicht auf das Kleid konzentrieren kann, weil diese Stimme in meinem Kopf mich seit Tagen nahezu anschreit.

Du kannst niemandem vertrauen! Wann verstehst du das endlich?!

Dennoch habe ich es getan. Und es fühlte sich unglaublich gut an. Diese Wärme. Sie hat mich komplett eingehüllt wie meine Kuscheldecke früher, sodass ich in der Lage dazu war für einen Augenblick loszulassen. Leider sind dabei Dinge aus meinem Mund gekommen, die ich nicht aussprechen wollte.

Schon gar nicht vor Tom.

Zum Glück habe ich ihm nichts von der Stimme in meinem Kopf erzählt, die mich an diesem Abend noch gnadenloser verfolgt hat. Plötzlich waren da nur ihre harten Worte, die verachtenden Blicke. Nicht etwa die Straße oder der Truck, dem ich in letzter Sekunde ausweichen konnte.

Niemand weiß etwas davon. Nicht einmal Lucy.

»Was ist es diesmal?« Meine beste Freundin ist diejenige, die mich erneut zurück in die Realität holt. Schnaubend verdreht sie die Augen. »Von zu aufreizend, über zu viel Spitze bis hinzu ...« Ihre Stimme wandert eine Oktave höher, während sie die Nase kraus zieht. »... da drin seh ich fett aus, hatten wir ja jetzt alles! Da bleibt ja hoffentlich nicht mehr so viel!« So als wolle sie zu Gott beten, wirft sie zum krönenden Abschluss die Arme in die Luft.

»Vielleicht möchten Sie nochmal eine A-Linie probieren«, schlägt die Brautmodenberaterin vor, die inzwischen ebenfalls am Rande der Verzweiflung steht. Dennoch versucht sie, diplomatisch zu bleiben. »Das würde Ihre Proportionen gekonnter in Szene setzen.«

Sie meint wohl eher meine Problemzonen leichter verdecken.

Zum wiederholten Mal drehe ich mich hin und her und sehe dabei auf die Fettpolster an meinen Hüften. Ohne Frage. Dieser Prinzessinnenstil macht mich breiter, aber eine A-Linie ist wieder zu gerade und wird meine ohnehin schon kleinen Brüste platt wie eine Flunder aussehen lassen.

Ich könnte schreien.

Wieso gibt es nichts dazwischen?! Warum bekommt die Modeindustrie es nicht hin, dass auch Frauen jenseits der Size Zero, sich in ihrer Haut wohlfühlen können? Ich will doch einfach nur gut neben John aussehen. Ist das denn zu viel verlangt, oder was?!

Während ich mein Leben, wie so oft verfluche, kommt Lucy auf mich zu. Lächelnd nimmt sie meine Hand weg. »Du siehst wirklich toll aus, Emma. Außerdem ...« Ihr lautes Atemgeräusch entgeht mir keineswegs. »... es ist nur ein Kleid.«

Nur ein Kleid? NUR. EIN. KLEID?!

Ich blase die Wangen auf. »Es ist nicht nur ein Kleid! Es muss ...« Mein kritischer Blick wandert wieder zum Spiegel, ehe ich leise seufze. »... perfekt sein.«

»Nichts im Leben ist perfekt und das ist verdammt nochmal gut so!« Sie legt ihre Hand auf meinen Oberarm. »Sieh es endlich ein, du kannst nicht alles kontrollieren.«

Ja. Leider ...

Wieder muss ich an Tom denken und frage mich, wieso ich dieses Gefühl bei John nicht haben kann. Was ist falsch mit mir? Ich sollte mich in den Armen eines anderen Mannes definitiv nicht wohlfühlen, wenn das mit John und mir funktionieren soll.

Das kann doch wohl alles nicht wahr sein?!

Macht es ihm Spaß dieses Bild, welches ich im Kopf habe, Stück für Stück zu zerstören? Er tut immer so verständnisvoll, aber in Wahrheit ist das doch alles nur Fassade. Irgendwann kommt der große Knall. Da bin ich mir sicher.

Du weißt genau, dass das nicht stimmt.

Da ist sie wieder. Die Stimme, die ich nicht hören will. Sie klingt exakt wie meine beste Freundin, obwohl die mich gerade kritisch beäugt und keinen Ton sagt. Ich drehe mich zurück zum Spiegel, versuche mich darauf zu konzentrieren, was mir an diesem Kleid nicht gefällt, aber in meinem Kopf schwirrt weiter dieser eine Satz herum.

»Manchmal treibt einen die Verzweiflung eben dazu, Dinge zu tun, die man hinterher bereut.«

Wie hat er das gemeint? Es hat sich angehört, als wüsste er, wovon er spricht. Aber das kann nicht sein. Dieser Mensch ist der Inbegriff von Stärke. Wie ein Pfeiler, an dem man sich festhalten kann. Jemand, der dir Schutz gibt, ohne dich zu zerquetschen. So etwas wie Verzweiflung kommt in seinem Wortschatz wahrscheinlich nicht mal vor.

»Ich habe da noch etwas auf Lager«, mischt sich die junge Frau ein, »eines unserer neusten Modelle. Das wird Ihnen mit Sicherheit gefallen.« Ehe ich etwas dagegen sagen kann, lächelt sie und fordert mich auf zu warten.

Sie ist wirklich nett und gibt sich Mühe. Trotzdem verfluche ich sie gerade. Bei dieser Figur hat sie bestimmt keine Probleme, ein passendes Brautkleid zu finden. Genauso wie diese Amy ist sie blond, schlank und schön. Ich weiß nicht, was zwischen den beiden vorgefallen ist, aber sie würde perfekt zu Tom passen.

Argh ...! Jetzt denke ich schon wieder an ihn! Hört das denn nie auf?!

Obwohl ich mich bemühe, entfacht der Gedanke daran, dass er und sie ... na ja sich eben näher gekommen sind, in mir ein Gefühl, das mir absolut nicht zusteht. Ich sollte mich für ihn freuen. Er hat es verdient, glücklich zu sein, auch wenn er das offenbar anders sieht. Ich könnte ja mal mit ihr reden. So von ...

Ist das dein Ernst?!

Plötzlich steht Lucy neben mir. »Ich weiß, du willst das gerade nicht hören, aber ich halte es immer noch für einen Fehler. Und wenn du ehrlich zu dir selbst bist, dann weißt du das auch.«

Ist das so? Da weiß sie mehr als ich! Im Moment habe ich eher den Eindruck, als hätte mein Hirn sich selbst verdaut. »Du hast recht.« Als ich das Grinsen auf Lucys Gesicht sehe, straffe ich vorsorglich die Schultern. »Ich will das tatsächlich nicht hören!«

»Schön! Dann eben nicht!«, motzt sie mit vor der Brust verschränkten Armen, bevor zurück in die Kabine stampfe.

Sie will mich nicht verstehen. Dabei ist sie meine Freundin. Da sollte sie doch wollen, dass ich glücklich bin.

Bist du das denn?

Ohne mir auf diese Frage eine Antwort zu geben, schäle ich mich aus dem Kleid. Zu allem Überfluss klemmt dieser dämliche Reißverschluss.

Dann heirate ich eben im Kartoffelsack! Mir doch egal! Ist doch sowieso alles für den Arsch ...

Obwohl ich leise fluche, macht Lucy keinerlei Anstalten, mir zu helfen. Sie ist selten sauer, aber wenn dann richtig.

»Darf ich?«, fragt die junge Frau. Scheinbar ist sie mit ihrem neusten Modell zurück. Hätte sie sich sparen können.

»Ja.« Schnell wische ich mir übers Gesicht und sage ihr, dass ich kein Interesse daran habe, noch ein Kleid anzuprobieren.

Begeistert ist sie nicht, aber sie akzeptiert meine Entscheidung und hilft mir aus diesem weißen Monstrum heraus.

Lucy folgt mir zwar, als ich fluchtartig den Laden verlasse, sagt jedoch keinen Ton. Dabei weiß sie ganz genau, dass sie mich damit am meisten bestraft.

Auch in dem kleinen Café, in dem wir kurz darauf sitzen, herrscht absolute Eiszeit zwischen uns. Schweigend brütet sie über ihrem Milchkaffe, was mich dazu veranlasst, meine Strickjacke um den Körper zu wickeln. Dabei ist es selbst Ende November keinesfalls kalt hier.

Seufzend lasse ich meinen Blick zu den restlichen Tischen schweifen. Man könnte fast meinen, wir befänden uns mitten in Paris. In einer dieser kleinen Gassen. Die runden Bistrotische sind dezent eingedeckt und bieten Platz für das Nötigste. Eine weiße Markise spendet nicht nur Schatten, sondern schützt auch vor Regen.

»Wie läuft's mit Tom?«

Überrascht darüber, dass sie ihre Taktik geändert hat, wende ich mich ihr zu. »Wie soll es laufen?« Ich zucke mit den Schultern. »Wir sehen uns ab und an, telefonieren und schreiben.«

Lucy muss nichts sagen. Ihre erhobenen Brauen und die Furche zwischen ihren katzenartigen Augen sprechen für sich.

»Er ist nett. Mehr nicht«, schiebe ich mit einem erneuten Schulterzucken nach und widme meine Aufmerksamkeit wieder der Tasse. Innerlich muss ich schmunzeln. Vor ein paar Monaten dachte ich, dieses Wort käme in Toms Vokabular nicht vor. Doch schon nach kurzer Zeit musste ich erkennen, dass ich mich geirrt habe. Auch wenn ich ihn nach unserem merkwürdigen Gespräch nicht mehr gefragt habe, interessiert es mich schon, wieso er allein ist. Ob ich mit meiner Vermutung doch recht hatte?

Plötzlich kommt mir ein Gespräch zwischen Lucy und mir bei einem unserer Mädelsabende in den Sinn.

»Wenn du dir einen Mann backen könntest, wie müsste er sein?« Sie stellt ihr Glas Sekt auf den Tisch und richtet ihre Tuchmaske, mit der sie aussieht wie ein Lama.

Ich habe mich für das Modell ›Panda‹ entschieden. Obwohl ich eher den Löwen hätte wählen sollen. Dank zwei Gläsern Sekt schiele ich nämlich wie Clarence.

»Nun sag schon«, hakt sie nach und stupst mich an. »Wie muss er sein? Dein Traumprinz?«

Ich zucke mit den Schultern. »Weiß nicht. Spätestens, wenn er vor mir steht, werde ich es wissen.« Außerdem habe ich nach dem Fiasko mit Christian erst mal die Nase voll von Männern und Beziehungen. Vielleicht bin ich auch einfach nicht dafür geschaffen. Zu einer Trennung gehören schließlich immer zwei, auch wenn er sich nicht gerade mit Ruhm bekleckert hat.

Lucy sieht mich erneut mit ihrem Silberblick an und lacht, während Mc Dreamy mal wieder Leben rettet und Herzen bricht. »Süße, du hast eindeutig zu viele Kitschromane gelesen!«

Ja. Wahrscheinlich habe ich das. Wenn die Realität nicht so rosig ist, taucht man eben gerne in diese Welt ab, in der alles schön ist. »Auf jeden Fall sollte er Humor haben«, fange ich an aufzuzählen, »Charme wäre auch nicht schlecht. Verständnisvoll sollte er sein. Also so, dass ich mit ihm über alles reden kann, wie mit dir. Dunkle, volle Haare, durch die ich nach Herzenslust durchwuscheln kann, wären toll. Du weißt ja, ich stehe nicht auf diese blonden Surfertypen.« Der Alkohol scheint nicht nur meine Zunge zu lockern, sondern beflügelt obendrein meine Phantasie. Ich sehe ihn genau vor mir. Wie er mich anlächelt, wenn wir morgens aufwachen. Mir sanft eine Haarsträhne aus dem Gesicht streicht, um mir einen zärtlichen Kuss zu geben. »Oh! Und braune Augen. So richtig schön tief, weißt du, so dass ich geradewegs auf den Grund seiner Seele blicken kann.«

»Sonst noch irgendwelche Wünsche?«, gluckst sie, ehe sie zur Flasche greift und sich nachschenkt.

»Hmm ... mal überlegen.« Ich lege meinen Zeigefinger auf die Lippen und sehe zur Decke. »Groß sollte er sein.«

»ER? Du meinst?« Sie kichert wie ein kleines Mädchen und deutet nach unten, woraufhin ich sie mit geweiteten Augen anschaue.

»Natürlich nicht!« Was denkt sie von mir? Außerdem ist Geschlechtsverkehr nicht das Wichtigste in einer Beziehung. Meinetwegen bräuchte es gar nicht zu existieren. »Nein.« Ich sehe zur Decke. »Groß und stark wie ein Fels in der Brandung, damit ich mich an ihn lehnen kann.«

Sie lacht erneut und verschüttet dabei fast ihren Sekt auf der Couch.

»Was?!«

»Schätzchen, ich rate dir, umzuschulen«, lallt sie und trinkt direkt noch einen Schluck. »So einer muss echt noch gebacken werden. Und wenn es ihn da draußen irgendwo gibt, ist der garantiert schwul!« Während ich die Augen erneut aufreiße, zuckt sie mit den Schultern. »Was denn? Die besten Typen sind entweder vergeben oder schwul. Ist ein ungeschriebenes Gesetz.«

»Haaaaaalloooo! Erde an Emma! Bitte melden!«

Lucys wedelnde Handbewegungen holen mich zurück in die Gegenwart. Ich schrecke hoch und sehe geradewegs in ihr breit grinsendes Gesicht. Wie Gollum sieht sie mich wieder an, wenn er seinen Mein-Schatz-Blick draufhat. »Was?«

Sie stützt die Ellenbogen auf der Tischplatte ab, legt den Kopf in ihre Handflächen und sieht zum Himmel. »Will ich wirklich wissen, wo du gerade warst?«

Ich bin immer noch so durcheinander, dass ich ihr im ersten Moment nicht antworten kann, bis mir etwas einfällt.

»Haben wir nicht alle irgendwelche Geheimnisse?«

»Er ist schwul!« Vor Schreck schlage ich mir die Hand vor den Mund. Die Tatsache, dass plötzlich alle Augen auf mich gerichtet sind, versuche ich zu ignorieren.

»Mom, was ist schwul?« Genauso wie den tötenden Blick einer Mutter, die ihrer Tochter jetzt dank mir eine Erklärung schuldet.

Schuldbewusst lächele ich ihr zu, was sie leider nicht wirklich besänftigt.

»Hä?« Lucy guckt mich an wie ein Auto.

»Na, Tom«, flüstere ich über den Tisch, woraufhin sie mir ihrem Kaffee entgegen schießt. Im wahrsten Sinne des Wortes. Wie eine Fontäne kommt er aus ihrem Mund und landet geradewegs auf meiner rosa Lieblingsstrickjacke.

»Hast du was geraucht?«, fragt sie so laut, dass die Frau mit dem kleinen Mädchen nun endgültig das perfekte Bild von mir hat.

Vielen Dank auch, Lucy! Mit ihr kann man wirklich nirgendwo hingehen. »Du weißt, ich nehme keine Drogen«, zische ich ihr zu und schnappe mir eine Serviette. Peinlich berührt wische ich über meine Jacke und sehe aus dem Augenwinkel, wie die Mutter den Kellner zu sich winkt. Leider reibe ich den Kaffee noch mehr in den Stoff. Ganz toll.

»Dann frage ich mich, was dich sonst reitet.«

»Glaub mir, es passt alles zusammen«, verteidige ich meine Theorie, bevor ich aufzähle, wie ich zu diesem Schluss gekommen bin.

Lucy sieht mich an, als würde ich von einem anderen Planeten stammen und wäre von meinem Mutterschiff vergessen worden. Wobei ... so abwegig ist das nicht mal. Manchmal komme ich mir tatsächlich so vor. »Wenn der schwul ist, bin ich Domina!«

Muss sie so schreien? Die Situation ist schon peinlich genug. Eigentlich hatte ich vor, öfters herzukommen. Das kann ich jetzt wohl vergessen. »Überleg doch mal, gerade bei der Feuerwehr ist das bestimmt nicht gern gesehen. Da ist es doch kein Wunder, dass er das geheimhalten möchte. Von wegen, echte Kerle und so.« Er hat zwar offenbar etwas mit dieser Amy gehabt, aber das war bestimmt zur Tarnung. Es ist zwar traurig, dass man das im einundzwanzigsten Jahrhundert nötig hat, aber Menschen ticken nun mal so. Alles, was nicht der Norm entspricht, ist automatisch falsch. Damals schon habe ich mich gefragt, wer sich das Recht herausnimmt, diese festzulegen. Eine Antwort darauf habe ich bis heute nicht gefunden. Dabei ist es ganz egal, wen man liebt. Hauptsache man ist glücklich.

»Mag sein. Du hast da nur eine ...« Lucy legt Daumen und Zeigefinger aufeinander und bleckt die Zähne. »... winzige Kleinigkeit vergessen.«

Ich seufze. »Die wäre?«

»Emma, Schätzchen.« Sie schnalzt mit der Zunge und schüttelt den Kopf. »Du brauchst dringend neue Kontaktlinsen oder aber ne Brille. Ich würde dir ja Marke Glasbaustein empfehlen.«

Ja, wirklich sehr witzig! Ich lach mich gleich tot ...

Lucy seufzt. »Mal ganz im ernst jetzt. Hast du eigentlich gemerkt, wie der dich an dem Abend angesehen hat? Ich sag dir eins. Kein schwuler Mann, guckt eine Frau so an.«

Schnaubend winke ich ab. »Ach! Das bildest du dir nur wieder ein.« Genauso wie sie glaubt, dass John – wie hat sie es gleich genannt – noch ein paar andere Pferdchen im Stall hat. Und nein. Damit meinte sie nicht die Leistung seiner Sportwagen. »Außerdem ... darf ich dich daran erinnern, dass du betrunken warst?«, halte ich dagegen, doch sie lässt nicht locker.

»Glaub mir, selbst ein Blinder hätte das gesehen. Der war hin und weg.«

Sicher! Männer wie Tom sind ständig hin und weg, wenn sie Frauen, wie mich sehen. Nicht. Ich verdrehe die Augen, was sie nicht davon abhält ihre absurden Theorien weiter zu verbreiten.

»Lass es dir gesagt sein, dein Tom ist alles andere als schwul.« Sie verzieht das Gesicht. »Wäre aber auch wirklich ein Jammer. Bei dem Körper!«

»Zum allerletzten Mal! Er ist nicht mein Tom!« So langsam werde ich giftig. Schließlich führen wir auch diese Diskussion nicht zum ersten Mal. Dennoch drossele ich meine Stimme, als ich sehe, dass ich wieder alle Blicke auf mich ziehe. »Wir sind nur ... Freunde.«

Diesmal schafft Lucy es nicht rechtzeitig, ihren Kaffee loszuwerden und erstickt beinahe daran. Schnell stehe ich auf und klopfe ihr auf den Rücken. Sie hustet. »Geht's wieder?«, frage ich, bekomme aber nur ihr lautes Gelächter zu hören. Dass wir inzwischen die Hauptattraktion in diesem Café sind, muss ich an dieser Stelle nicht erwähnen, oder? Sogar der Kellner stolpert beinahe über seine eigenen Füße.

Nein. Hier werde ich mich garantiert nicht mehr blicken lassen.

Mein Ich-töte-dich-Blick bringt sie leider nicht zum Schweigen. Inzwischen kullern Tränen über ihre Wangen. »Der war echt gut«, meint sie, nachdem sie sich endlich eingekriegt hat und wischt sich durchs Gesicht.

»Das war kein Witz.«

»Schätzchen, Männer und Frauen können einfach keine Freunde sein.« Mit erhobenen Augenbrauen schaut sie auf den, nicht vorhandenen Dreck unter ihren Fingernägeln. »Der Sex kommt ihnen früher oder später immer dazwischen.«

Ich zeige ihr einen Vogel. »Du hast eindeutig zu viel Harry & Sally geguckt!«

»Und du bist eindeutig zu naiv. Schau mal, Süße ...« Während sie sich die Kaffeetassen schnappt, um sie so zu drapieren, dass sie Henkel sich gegenüberliegen, sieht sie aus, als wolle sie eine wissenschaftliche Studie erläutern. Fehlen nur noch der Kittel und die Hornbrille. Leider hält sie mein skeptischer Blick keineswegs davon ab, mir ihre Sicht der Dinge aufzuzeigen. »... sobald der eine den anderen auch nur halbwegs attraktiv findet, landen sie immer in der Kiste und was dann passiert wissen wir jawohl beide, oder?«

Sie seufzt, genauso wie ich. Ich weiß, was sie meint. Vielmehr wen. Max wäre der Richtige für Lucy gewesen. Sie sah das leider anders. Freundschaft plus wollte sie, mehr nicht. Sie wäre zu jung, um sich an einen Menschen zu binden, hat sie gesagt. Dabei wusste ich damals schon, was wirklich dahintersteckt.

Ich schnaube und drehe meine Tasse hin und her. »Kann ja nicht jeder so triebgesteuert sein wie du.«

»Das hat damit nichts zu tun«, verteidigt sie sich und streckt ihre Hand über den Tisch nach meiner aus. »Emma, du musst wirklich noch eine Menge lernen.«

Inzwischen frage ich mich ernsthaft, wer von uns beiden hier die Ältere ist. Gerade komme ich mir nämlich vor wie ein kleines Mädchen, dem die Mutter die Welt erklärt.

»Das ist ein Naturgesetz. Männer und Frauen sind einfach dafür gemacht, sich zu vermehren. Nicht um beste Freunde zu sein.« Sie lacht erneut. »Stell dir mal vor, das würden alle so machen. Dann würden wir ja irgendwann aussterben.«

In Anbetracht der Tatsache, was Menschen anrichten können, wäre das vielleicht nicht die schlechteste Idee.

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