Kapitel 2.1 - Himmel ohne Sterne

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An: Wer auch immer diesen Zettel findet

Es gibt immer einen Ausweg.
Und nein, das ist nicht einfach nur ein Spruch aus dem Internet.
Also, ja vielleicht schon.
Aber er stimmt.

Ich habe Krebs im Endstadium.
Die Ärzte geben mir noch ein Jahr.
Ein Jahr, in dem ich unter meiner Bettdecke versauern könnte.
Aber es gibt immer einen Ausweg.

Seit ich 12 bin, bin ich in einen Jungen verliebt.
Er weiß nicht, dass ich existiere.
Aber ich will wenigstens ein Mal in meinem Leben mutig gewesen sein
bevor ich sterbe.

Das habe ich in dieser Nacht beschlossen.
Ich werde ihm jeden Tag ein kleines Zeichen geben.
Jeden Tag ein kleiner Ausweg.
Es gibt immer einen Ausweg,

Daisy

***

Still und leer.
So nahm ich die Welt um mich herum wahr und so fühlte ich mich auch selbst.

Die Leute redeten und sagten doch nichts. Sie standen direkt neben mir und waren doch nicht anwesend. Ich lebte in einer merkwürdigen Welt. Eine Welt, in der jeder versuchte jemand zu sein und etwas zu bewirken. Dabei gaben alle vor jemand zu sein, der sie nicht waren und taten Dinge, aus denen sie selbst einen Nutzen ziehen konnten. Menschen waren egoistisch und fiel einer aus der Formation, weil er aufgehört hatte anderen etwas vorzuspielen, ignorierten sie ihn, mobbten ihn oder schickten ihn zu einem depressiven Psychiater mit runder Hornbrille und Halbglatze.

„Earl", grummelte er und schüttelte halbherzig meine Hand. Dr. Baines machte sich nicht einmal die Mühe aufzustehen, als ich vor seinem Schreibtisch stand. Er saß in seinem Polstersessel, in dem er praktisch versank, und musterte mich ausdruckslos. „Du wolltest dich also umbringen", stellte er fest und faltete seine Hände auf dem Bauch.

Ich setzte mich auf den Hocker und fragte mich (wie jedes Mal) was so schwer daran war, ein Kissen auf dieses Brett mit drei Beinen zu legen. Mal ehrlich, Dr. Baines saß wie ein König auf seinem thronähnlichem Polstersessel und seine Patienten mussten sich mit einem Hocker abfinden, der jeden Moment zusammenbrechen konnte. Sollte man sich beim Psychiater nicht eigentlich wohl fühlen oder so?

„Ich wollte mich nicht umbringen", erklärte ich monoton. „Das will ich immer noch."

Dr. Baines rückte seine Brille zurecht und schrieb etwas auf den Zettel in seinem Klemmbrett. „Mmh", grummelte er. „Und wie fühlst du dich dabei?"

„Beim Sterben oder beim Wunsch zu sterben?"

Er hielt inne und sah von seinem Klemmbrett auf. Seine braunen Augen wirkten durch die Brille viel zu groß für sein Gesicht. Sie hatten beinahe etwas Beängstigendes. „Earl", sagte er ruhig. Er legte das Klemmbrett auf den Tisch. „Du musst dich nicht schämen. Weder für deine Gedanken, noch für deine Taten oder deine Vergangenheit. Ich kann sehr wohl verstehen, warum du dich umbringen willst. Das bedeutet aber nicht, dass das der richtige Weg ist."

Ich wendete meinen Blick zur Seite. Die gesamte Wand war verdeckt von einem Bücherregal mit tausenden dicken Wälzern à la „Lachen macht glücklich" oder „Glück für Anfänger", deren quietschbunte Buchrücken die stickig warme, düstere Atmosphäre des Zimmers komplett sprengten. Sie waren penetrante Farbkleckse, die mir neben all den dunklen Möbeln unangenehm ins Auge stachen.

Dr. Baines hatte gemerkt, dass ich nicht zuhörte, denn er hatte seinen Kopf schief gelegt und musterte mich.

„Sie können mir nicht helfen", sagte ich prompt und versuchte das provokante Farbenmeer aus meinem Augenwinkel zu verdrängen, indem ich den Kopf leicht drehte.

„Wenn das so ist, sollten wir dich vielleicht lieber in die Gruppensitzung einschreiben."

Das konnte er nicht ernst meinen.

Er sah mich an. Sein Gesicht war viel zu breit für den Halbkranz an Haaren und sein Mund viel zu schmal, als würde er stets die Lippen aufeinander pressen. Er sah verbittert aus, aber entschlossen meine Sicht auf mich und die Welt zu ändern. „Wenn ich dich nicht umstimmen kann, können es vielleicht Menschen, die Ähnliches durchmachen wie du."

„Super, Gruppen-Suizid?"

Er seufzte. „Earl..."

Ich stand auf und ging zur Tür. „Bye, Dr. Baines."

„Earl, du kannst doch nicht einfach-" Ich hörte, wie er aufsprang und mir hinterher lief.

Ohne zu zögern öffnete ich die Tür. Die Sonne blendete mich, als ich auf den Bürgersteig trat und mich auf den Nachhauseweg machte. Grässlich. Im Winter schönes Wetter...

Ich war so geblendet, dass ich nicht sah, wie mir jemand entgegen kam und konnte erst in letzter Sekunde ausweichen. Nur mein Arm blieb noch an einem Rucksack hängen.

„Sorry", grummelte ich und ging weiter.

„Also dann am Mittwoch, ja?", rief Baines aus der Ferne. „Die Gruppensitzung, Earl, nicht vergessen!"

Ich verdrehte die Augen. „Nicht vergessen", äffte ich ihn nach.

Mein Blick war auf den Boden gerichtet, um mich wenigstens halbwegs vor dem grellen Sonnenlicht abzuschirmen, als mich plötzlich jemand von hinten an den Schultern packte und mir halb auf den Rücken sprang.

„EARL!", grölte eine tiefe Stimme in mein Ohr. Eine Sekunde später lief Phuc, der beste Freund meiner Cousine Teal, neben mir her und grinste mich an. „Na, Alter?"

„Hey, Fuck."

„Meine Familie hätte sich echt entscheiden müssen. Entweder sie bleibt in Vietnam, oder sie nennen ihr Kind nicht Phuc...", sagte er.

Ich schmunzelte.

„Und hey, du hast das hier fallen gelassen, als du das Mädchen angerempelt hast." Er hielt mir einen gefalteten Zettel hin.

Ich musterte das Papierstück und runzelte die Stirn. „Das gehört mir nicht."

„Na mir aber auch nicht." Phuc grinste und steckte es in die Kapuze meiner Jacke. Dann rannte er weg. „Wir sehen uns, Alter!"

„Hey!" Ich verrenkte mich und tänzelte nach vorne gebeugt über den Gehweg, um den Zettel in die Finger zu bekommen. Aber als ich ihn endlich zu fassen bekam, war Phuc schon über alle Berge. Wie konnte jemand, der so klein war, so schnell rennen?

Ich schlurfte weiter über das Kopfsteinpflaster und faltete den Zettel auseinander.

21.02.

An: Wer auch immer diesen Zettel findet

Es gibt immer einen Ausweg.

Und nein, das ist nicht einfach nur ein Spruch aus dem Internet.

Also, ja vielleicht schon.

Aber er stimmt.

Ich habe Krebs im Endstadium.

Die Ärzte geben mir noch ein Jahr.

Ein Jahr, in dem ich unter meiner Bettdecke versauern könnte.

Aber es gibt immer einen Ausweg.

Seit ich 12 bin, bin ich in einen Jungen verliebt.

Er weiß nicht, dass ich existiere.

Aber ich will wenigstens ein Mal in meinem Leben mutig gewesen sein

bevor ich sterbe.

Das habe ich in dieser Nacht beschlossen.

Ich werde ihm jeden Tag ein kleines Zeichen geben.

Jeden Tag ein kleiner Ausweg.

Es gibt immer einen Ausweg,

Daisy

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