Ich weiß, als ich das Licht der Welt sah, wolltest du mich nicht nehmen...

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... Warum hoff' ich dann Dunkelheit wird dazu führen, dich zu sehen?

Die Woche zog sich wie ein Kaugummi in die Länge. Da Lukas kaum Zeit, kamen wir erst am Freitag dazu, uns endlich wiederzusehen. Ich fuhr gerade mit dem Bus zu ihm und konnte es kaum noch erwarten, mein Baby wieder in die Arme zu schließen.
Ich lehnte meinen angewinkelten Arm gegen die Fensterscheibe und als seine Haltestelle kam, stieg ich augenblicklich aus und ging zu seinem Elternhaus, wo mir seine Mama schon breit lächelnd die Tür aufmachte.
,,Hey, Tim!'' Sie nahm mich einmal in den Arm, ehe ich mir Schuhe und Jacke auszog.
,,Ist deine Woche wenigstens etwas erträglich gewesen, oder hast du dich gelangweilt?'', fragte sie mich lachend und legte den Kopf schief.
,,Ach, es ging. Obwohl ich mit Lukas viel mehr Spaß gehabt hätte.'', antwortete ich grinsend und mein Herz schlug schneller, als ich an ihn dachte.
,,Glaub' mir, der hat dich die Woche wirklich vermisst. Ein richtiger Trauerkloß ist er gewesen, aber zum Glück bist du jetzt da.'' Sie klopfte mir grinsend auf die Schulter. Ich stimmte in ihrem Lachen mit ein und quatschte noch etwas mit ihr.

Dann ging ich die Treppen nach oben, öffnete die Zimmertür und ließ mich seufzend auf dem Schreibtischstuhl nieder. Lukas würde erst in einer knappen Stunde nach Hause kommen, aber anders hätte ich keinen Bus mehr gekriegt.
Meine Eltern konnten mich nicht fahren, weil sie arbeiten mussten, dass Auto von Lukas' Mutter ist aufgrund eines defekten Scheibenwischers in der Werkstatt und sein Vater befand sich in diesem Moment in einer wichtigen Probe.
Ich hätte Lukas gerne von der Schule abgeholt, aber weil dieser nicht garantieren konnte, dass ein Platz für mich im Bus frei wäre, musste ich notgedrungen den nehmen, der als Einziger nicht Schulbus in sein Dorf fuhr.

Ich lächelte, denn von mir aus hätte ich auch sonst wie früh aufstehen müssen, um am Wochenende bei ihm zu sein. Ich musterte seinen Schreibtisch und blieb an einem Bilderrahmen hängen, in dem sich ein Bild von mir und Lukas knutschend im Maisfeld befand.
Ich nahm es vorsichtig in die Hand und strich mit dem Daumen über sein wunderschönes Gesicht. Schon verrückt, wie sich das Ganze zwischen uns eigentlich entwickelt hat. Noch vor einigen Monaten hätte ich nicht mal im Ansatz daran gedacht, Lukas je so nah sein zu können.
Ich fand ihn schon immer nett und hatte auch nie verstanden, was die Gang gegen ihn hatte, aber nicht mal im Traum wäre mir eingefallen, dass ich diesen Jungen irgendwann mal meinen festen Freund nennen würde.

Ich stellte den Bilderrahmen zurück und musterte die weiteren Fotos von uns, die quer verteilt in seinem Zimmer hingen. Mein Bauch kribbelte angenehm und mal wieder realisierte ich, dass ich es keine Sekunde bereute, mich auf ihn eingelassen zu haben.
Dieser Junge hatte mich zu einem viel besseren Menschen gemacht. Durch ihn konnte ich endlich meine wahre Sexualität ausleben und hatte keine Angst mehr, irgendeinem Jungen näherzukommen.
Er gab mir so vieles, was andere nicht konnten und auch wenn ich noch lange nicht an dem Punkt angekommen bin, an dem ich wünschte zu sein, half er mir mit jedem Tag, den ich mit ihm verbringen durfte.

Seitdem wir letztes Wochenende die Positionen beim Sex getauscht hatten, hatte ich mich mit meinen Gefühlen noch viel mehr angefreundet. Es war der Wahnsinn, dass Lukas so etwas in mir auslösen konnte.
Seine Nähe und alles, was damit zusammenhing, ist so viel schöner, als jede Droge, die ich mir vorstellen konnte. Am liebsten wollte ich für immer auf ihm hängenbleiben und alles daransetzen nicht in den Entzug zu müssen.
Ich warf einen Blick auf die Uhr. Noch fünfzig Minuten und dann würde er bei mir sein. Ich lächelte noch viel breiter, erhob mich vom Stuhl und legte die Hände an meinen Gürtel, um diesen daraufhin zu öffnen. 

Ich schlüpfte aus den Hosenbeinen, warf diese neben das Bett und verkroch mich unter der Bettdecke. Ich legte meine Brille auf den Nachttisch und vergrub mein Gesicht ins Kissen, wo mir Lukas angenehmer Duft sofort in die Nase stieg.
,,Hmmm...'', seufzte ich zufrieden auf und mein Herz schlug immer schneller. Ich drückte mich an dieses und stellte mir vor, dass mein Baby jetzt schon hier wäre und mich fest in den Armen hielt. Lukas würde mir durch die Haare streicheln und mir einen Kuss auf die Stirn hauchen.
Er würde mir tief in die Augen sehen und mir sagen, wie hübsch ich doch wäre. Ich würde sein Lächeln erwidern unsere Lippen miteinander vereinen und es würde sofort ausarten, bis wir nur noch in Boxershorts bekleidet voreinander lagen. Noch vierzig Minuten...

[...]

,,Timi?'', rüttelte jemand sanft an meiner Schulter und flüsterte immer wieder meinen Namen.
,,Neee...'', brummte ich unzufrieden und schlug die Hand von mir weg.
,,Schlafen... Ruhe...'' Ich zog mir die Bettdecke über den Kopf und rutschte näher an die Wand heran.

Ich vernahm ein Lachen und hörte das Klappern eines Gürtels. Kurz darauf konnte ich spüren, wie jemand die Arme von hinten um mich legte, mir einen Kuss in den Nacken hauchte und meinen Hintern in seinen Schritt platzierte.
Ich drehte mich um, öffnete langsam die Augen und sofort legte sich ein Lächeln auf meine Lippen. Ich drückte mich näher an Lukas heran, drehte mich um und vergrub mein Gesicht in seiner Halsbeuge.
Er drückte mir einen Kuss auf die Wange, legte die Arme um mich und fuhr unter mein Shirt, um mir zärtlich über den Rücken zu streicheln, was eine angenehme Gänsehaut auf meinen Körper legte. 

,,Bin ich eingeschlafen?'', fragte ich mit heiserer Stimme nach und sah zu ihm nach oben. Mein Freund fuhr mir einige verirrte Strähnen aus dem Gesicht und lächelte mich an.
,,Scheint so.'', erwiderte Lukas lachend und strich mir mit dem Handrücken vorsichtig übers Gesicht.
,,Eigentlich hatte ich damit gerechnet, dass du an der Haltestelle schon auf mich wartest, weil du es kaum noch erwarten konntest, mich endlich wiederzusehen.'' Er zog einen Schmollmund und sah mich mit schimmernden Augen an.
,,Entschuldigung...'' Ich drückte mich näher an ihn. ,,Ich wollte nicht einschlafen. Ich freu' mich natürlich darüber, dich endlich wieder bei mir zu haben.'' Ich robbte zu ihm nach oben und drückte ihm einen versöhnlichen Kuss auf die Lippen.
,,Weiß ich doch.'', lächelte Lukas mich beruhigend an.

,,Ich könnte aber auch den ganzen Tag schlafen...'', gähnte er und drehte sich auf den Rücken. Ich kam ihm sofort hinterher, legte meinen Kopf auf seiner Brust ab und fuhr mit kreisenden Bewegungen über diese.
,,Bist du etwa zu spät ins Bett gegangen?'', fragte ich grinsend nach, obwohl die Antwort auf der Hand lag, weil ich jeden Morgen an Lukas' Zuletzt-Online-Status gesehen hatte, dass dieser bis in die Puppen auf war.
,,Hmmm...'', gab er zu und rieb sich über die Augen. ,,Die Woche war aber auch viel los. So viele Tests, Hausaufgaben und die ganzen Proben mit der Schulband. Da bin ich immer spät ins Bett, um das Alles fertigzukriegen.''
,,Überarbeite dich nicht, mein Häschen. Ich weiß, dass du gute Noten willst, aber eine Pause muss auch mal sein.'' Ich stützte mich mit den Unterarmen auf und sah ihn eindringlich an, weil ich wirklich nicht wollte, dass Lukas wegen der Schule einen Zusammenbruch bekam.
,,Jaja...'', verdrehte er leicht die Augen.
,,Nicht jaja, da muss man wirklich aufpassen. Das geht schneller als du denkst.'', schnaufte ich und verpasste ihm einen Boxer auf den Oberarm. 

,,Das ist auch doof. Wochenlang ist nichts und plötzlich fällt den Lehrern ein, dass man ja dies und jenes noch machen könnte. Als würden die sich untereinander absprechen.'', meckerte mein Freund.
,,Zum Glück ist jetzt Wochenende und du bist da.'' Er drückte mir einen Kuss auf, schloss die Augen und vergrub sein Gesicht in meinen Haaren. Ich lächelte, legte mich zurück auf seine Brust und schlang den Arm um seinen Bauch.
,,Also hast du keine Hausaufgaben auf, oder musst für irgendwas lernen?'', schlussfolgerte ich daraus.
,,Nein, ich hab' ganz viel Zeit für dich. Nur wir beide...'', flüsterte mir Lukas mit strahlender Miene ins Ohr und verpasste mir einen Zungenkuss.

Das Wochenende wurde eines der Schönsten, die wir je zusammen verbringen durften. Neben Kuscheln, Knutschen und Sex, lachten wir viel, schauten einen Film nachdem Anderen, gingen im Wald spazieren, spielten Fußball oder legten uns zum Sonnen in den Garten.
Auch wenn wir uns gerademal fünf Tage nicht gesehen hatten, fühlte es sich total schön an, endlich wieder Zeit mit ihm verbringen zu können. Er hatte mir wirklich gefehlt und auch ich merkte, dass meine Nähe Lukas gut tat und ihn von dem stressigen Schulalltag ablenkte.
Doch trotz all dieser fabelhaften Momente, die wir miteinander verbringen durften, merkte mein Freund, wie sollte es auch anders sein, dass etwas Unausgesprochenes in der Luft und unbedingt an die Oberfläche wollte.

,,Baby, was ist los?'' Etwas abrupt ließ Lukas von seiner Gitarre ab, auf der er gerade noch seelenruhig gespielt hatte und legte seinen Kopf auf dem Korpus ab.
,,Was soll denn sein?'', fragte ich verwirrt nach und sah auf, um in sein besorgtes Gesicht zu blicken. Nicht schon wieder...
,,Du bist so nachdenklich... Bedrückt dich irgendwas?'' Er legte das Instrument zur Seite und rutschte näher an mich heran.

,,Du weißt, dass wir über alles reden können.'' Lukas griff nach meinen Händen, verschränkte unsere Finger ineinander und sah mir tief in die Augen. Mit seinen Daumen strich er behutsam über meine Handrücken und lächelte mich aufmunternd an.
,,Ich will das Wochenende nicht kaputtmachen. Es ist nicht so wichtig...'', winkte ich gelassen ab und versuchte mir nicht anmerken zu lassen, dass es da sehr wohl etwas gab, was mich mehr beschäftigte, als es eigentlich sollte.
,,Timi Schatz, du kannst nichts kaputt machen.'', harkte Lukas sofort ein und küsste meine Handrücken. ,,Schlimmer wird es nur, wenn ich weiß, dass irgendwas ist und mir nicht sagst, was abgeht.''

Ich pustete geräuschvoll etwas Luft aus meinen Wangen, starrte auf unsere verschlungenen Hände und hielt mir die Tränen zurück, weil dafür einfach kein Platz war. Ich wollte mich mit meinen Problemen nicht ständig in den Mittelpunkt drängen.
Das hatte hier nichts verloren. Ich will die Stimmung nicht kaputtmachen, nur weil ich mich und meine Gedanken mal wieder nicht unter Kontrolle hatte. Lukas sollte sich damit nicht auseinandersetzen und sich Sorgen um mich machen. 
Lukas strich mir vorsichtig übers Gesicht, als die erste Träne meinen Augenwinkel verließ. Ich schmiegte mich an seine Hand, lächelte ihn an und legte meine nun freie Hand auf seine, um über diese zu streicheln. Warum ist er so ein verdammter Engel?

,,Mein... Mein... Mein Vater hatte vor einigen Tagen Geburtstag...'', rückte ich zögerlich mit der Sprache heraus. Ich biss mir auf die Unterlippe, aber konnte die Tränen nicht mehr zurückhalten.
Lukas handelte sofort, nahm mich in den Arm und streichelte mir beruhigend über den Rücken. Er fuhr mir die Tränen aus dem Gesicht, hauchte mir einen Kuss auf die Stirn und schlang die Arme fester um mich.
,,Ich weiß auch nicht, irgendwie kam alles hoch. Immer, wenn er Geburtstag hat frage ich mich, was er gerade macht und wie es ihm geht. Wie jedes Jahr habe ich ihm etwas gezeichnet und eine Karte gebastelt, in der Hoffnung, sie ihm irgendwann geben zu können.'', schluchzte ich.

,,Es hat mir voll viel Freude bereitet. Das Alles vorzubereiten und mir vorzustellen, wie ich zu ihm fahre und ihm die Sachen gebe. Eigentlich ist auch voll süß, dass ich das noch immer für ihn mache und so an ihn denke.'' Ich atmete einmal tief durch und krallte mich an Lukas' Shirt fest.
,,Aber mit ihm kam auch mein Selbsthass wieder. Ich habe mich gefragt was wäre, wenn wir uns wiedersehen würden. Ich hätte ihm von unserer Beziehung erzählt, von der Abendschule und dass ich einen Job als Bühnenbilder beim Theater habe.'' Lukas lächelte und streichelte mich.
,,Aber schnell hat sich diese traumhafte Vorstellung in eine bittere Distopie verwandelt...'' Ich bekam leichte Schnappatmungen und mein Freund drückte mich so nah an sich, dass noch nicht einmal ein Blatt Papier zwischen uns passte.

,,Shhh... Tief ein- und ausatmen...'' Lukas strich mir beruhigend über den Rücken und nahm einmal mein Gesicht in seine Hände, um unsere Stirnen aneinanderzudrücken. Er hauchte mir einen Kuss auf die Lippen und sah mir tief in die Augen.
Ich versuchte seinen ruhigen Atem nachzuahmen und mich wieder zu sammeln, denn alles ist gut. Ich hatte Lukas bei mir und egal, was jetzt passiert, er würde mich auffangen und mir den Halt geben, den ich brauchte.
,,Ganz langsam und ruhig. Entspann' dich, ich bin da...'', flüsterte mir Lukas gegen die Lippen, fuhr über meine Wangen und nahm mich einmal in den Arm, damit ich mich vollkommen fallenlassen konnte. 

,,Ich habe das Gefühl, dass Alles, was ich in den letzten Monaten erreicht habe, dein Verschulden ist. Lukas, ohne dich wäre ich schließlich nicht bei der Abendschule oder hätte einen Job. Stattdessen würde ich noch immer im Bett liegen und im Selbstmitleid ertrinken. Das kann ich Nichtsnutz schließlich am Besten.''
,,Wer weiß, ob ich das überhaupt schaffen werde. Schon peinlich genug, dass ich es auf einer normalen Hauptschule nicht geschafft habe. Selbst meine hochschwangere Mama hat noch den Realschulabschluss absolviert. Und ich? Ich mache alles kaputt, weil ich schwänze. Ich kriege wirklich nichts auf die Ketten. Da wird die Abendschule auch nichts dran ändern...''
,,Das mit dem Bühnenbildner wird genauso wenig was. Die haben mich eh nur genommen, weil dein Vater denen Honig ums Maul geschmiert hat. Ohne dich hätte noch nicht einmal ein Vorstellungsgespräch stattgefunden. Ich habe kein Talent und wenn wir ehrlich sind, kann ich mit den ganzen Menschen dort eh nicht mithalten.''

Vollkommen gleichgültig zuckte ich mit den Schultern und vergrub die Hände im Gesicht, um leise in diese zu schluchzen. Lukas streichelte mir beruhigend über den Rücken, nahm mich in den Arm und hauchte mir immer wieder einen Kuss auf die Haare.
Der Geburtstag meines Vaters hatte die Stimmen wieder lauter werden lassen. Sie waren schließlich das Einzige, was ich noch von ihm hatte - diese ganzen Worte, die er mir all die Jahre gegen den Kopf geknallt hatte.
Sie machten mich jedes Jahr aufs Neue fertig und zeigten mir immer wieder, dass ich ohne die Hilfe anderer schon längst auf dem Friedhof liegen würde. Ich bekam einfach nichts auf die Reihe und machte das Leben aller viel schwerer.

,,Du weißt sicherlich, dass ich dir am liebsten eine reinhauen könnte, weil du dir schon wieder so einen Mist eingeredet hast.'', war das Erste, was Lukas mit erboster Stimme sagte, nachdem wir eine Zeit lang geschwiegen hatten.
,,Aber ist es nicht so? Wenn du nicht wärst, hätte ich mich nicht mal im Entferntesten gekümmert.'', erwiderte ich abwertend und spielte mit der karierten Decke, während ich in meinem Augenwinkel sah, wie Lukas mit dem Kopf schüttelte.
,,Timi, das ist doch Bullshit. Also klar, natürlich habe ich den ersten Schritt für dich gemacht und mich nach was erkundigt.'', fing mein Freund an und drückte seinen Zeigefinger auf meine Lippen, als ich gerade einharken wollte.

,,Aber dass du gerade da bist, wo du jetzt bist, ist nicht mein Verschulden. Ich habe einen kleinen Teil dazu beigetragen, aber du hast die Vorstellungsgespräche geführt und die die Probetage absolviert. Ich hatte damit gar nichts zu tun.''
,,Du bist diese Schritte gegangen, ich habe dir nur meine helfende Hand gereicht, damit du nicht alleine bist und das ist auch okay. Ich unterstützte dich wirklich gerne, Timi und wenn ich das nicht wollen würde, hätte ich dir das schon längst gezeigt.''
,,Du wurdest an der Abendschule angenommen, weil die Potenzial in dir sehen. Den Job beim Theater hast du nicht durch irgendwelche Kontakte, sondern weil du wirklich Talent hast. Das haben dir nicht nur zum Spaß gesagt.'' Er griff nach meinen Händen und küsste mich.

,,Und ja, dass Schwänzen ist ein Fehler gewesen. Aber Timi verdammt, du hast es mittlerweile eingesehen und arbeitest seitdem an dir. Du holst deinen Abschluss nach, hast einen Job und kannst wirklich stolz auf dich sein. Du willst dich ändern und dein Leben in den Griff kriegen. Du hättest immer Nein sagen können, wenn du es nicht gewollt hättest. Aber warum hast du das nicht gemacht? Weil du das willst und endlich an dich geglaubt hast.''
,,Ich versteh' wirklich nicht, wie du noch so viel auf die Meinung von deinem Vater geben kannst. Ich kenne ihn nicht, aber alleine von deinen Erzählungen habe ich so einen Hass auf ihn, dass ich nicht checke, wie du nicht ausrasten kannst, sobald sein Name fällt. Der Mann ist das reinste Arschloch, dass dich nie richtig zu schätzen gewusst hat.''
,,Wie kann es bitte sein, dass ein Mensch, der dich eigentlich so lieben sollte, dich stattdessen so zerstört? All dieser Selbsthass, deine Zweifel und Sorgen, das hat dieser Wichser verursacht. Nur weil er nicht einsehen wollte, dass er für sein Schicksal verantwortlich ist. Ich sag' dir, wenn ich irgendwann sehe, werde ich ihn verprügeln.''

Lukas schüttelte verständnislos mit dem Kopf und starrte wütend gegen die Wand. Ich strich ihm beruhigend über die Arme, aber musste ihm Recht geben. Ich verstand mich selbst manchmal nicht, denn eigentlich müsste ich genau das fühlen, was Lukas gerade beschrieben hatte.
Dieser Mann hatte mich kaputtgemacht. Hätte es ihn niemals gegeben, dann wäre ich ein vollkommen anderer Mensch. Ich wäre zufriedener mit meinem Leben und hätte einige dumme Entscheidungen nicht getroffen.
Ich müsste ihn hassen. Für alles, was er mir angetan hatte. Er hatte es nicht verdient, dass ich auch nur eine einzige Sekunde für ihn verschwendete, denn dieser Mann konnte ruhig an der letzten Brücke verrotten. Schließlich interessierte er sich auch nicht für mich...

Ausnahmslos jeder hasste meinen Vater. Meine Mama, Alex, Marcel und besonders mein Großvater hatten für diesen Mann nicht mehr als eine Schelle übrig und würden alles dafür tun, dass er nicht mal in die Nähe von mir kam.
Ich wollte einen ähnlichen Hass wie sie spüren, aber ich konnte das nicht. Ich wäre wahrscheinlich die erste Person, die ihn mit offenen Armen empfangen würde, wenn er plötzlich vor unserer Haustür stehen würde.
Eigentlich müsste ich ihm diese vor der Nase zu knallen, aber es fiel mir schwer ihn loszulassen. Schon seit Jahren fragte ich mich, wie meine Mama es schaffen konnte, meinen Papa so zu vergessen.

Ja, er ist ein totales Monster zu ihr gewesen, aber sie hatte ihn geliebt. Sie hatten so viel zusammen erlebt und sich ein eigenes Leben aufgebaut, bevor dieses mit einem Mal zum Einsturz gebracht wurde.
Ich bin stolz auf meine Mama, so ist das nicht. Ich würde alles dafür geben, dass dieser Mann ihr Leben nicht noch ein zweites Mal zerstörte, doch trotzdem staunte ich über das, was sie alles geschafft hatte.
Mein Papa hatte auch bei ihr einige Narben hinterlassen. Aber heutzutage war von dieser psychisch kranken Frau, die es manchen Tagen nicht mal aus dem Bett geschafft hatte, gar nichts mehr zu sehen. 

Sie strahlte mittlerweile so viel Lebensfreude und Glück aus, dass neue Bekanntschaften nicht mal im Traum auf die Idee kommen würde, dass dieser Frau einst so viel Schlechtes widerfahren ist. 
Ich bin froh, dass es ihr mittlerweile gut geht, aber ich wünschte, dass ich das auch könnte. Einen Knopf drücken und alles vergessen, was mein Vater mir jemals angetan hatte. Seine ganze Existenz aus meinem Gedächtnis löschen und ein normales Leben führen.
Ich schaffte das aber nicht, denn aus unerklärlichen Gründen spielte dieser Mann noch immer eine wichtige Rolle für mich. Ich gab so vieles auf seine Meinung, obwohl er sich wahrscheinlich einen Scheißdreck dafür interessiert und glücklich ist, mich los zu sein. Ich bin ihm nichts wert...

Die Tränen liefen mir wie Bäche die Wangen herunter. Lukas nahm mich fester in den Arm, drückte mir einen Kuss auf die Lippen und flüsterte mir einige beruhigende Worte ins Ohr, die ich eher nebensächlich wahrnahm. Ich krallte mich an ihm fest und versuchte herunterzukommen.
Es fiel mir wirklich nicht leicht über dieses Thema zu reden. Noch immer nahm mein Vater einen großen Platz in meinem Leben ein. In Therapiesitzungen war er immer Thema Nummer eins und irgendwie hatte er mich auch zu dem gemacht, was ich heute bin - ein emotionales Wrack.
Ich wollte mich so gerne von ihm lösen und Stärke beweisen, aber so schnell ging das nicht. Ich hatte genug Menschen, die mich auffingen, aber in einsamen Nächten oder an Tagen, an denen ich mit etwas mit ihm verband, übermannten mich meine schrecklichen Gefühle und Gedanken.

,,Was fällt dir so schwer daran, von ihm loszulassen? Warum hast du noch immer irgendwelche Hoffnungen an ihn?'' Lukas strich mir die Tränen aus dem Gesicht und drückte mein Kinn mit dem Zeigefinger nach oben, damit ich ihm in die Augen sehen musste.
,,Ich... Also... Ich weiß es nicht...'', sagte ich, nachdem ich eine Zeit lang darüber nachgedacht hatte, aber mir kein passender Grund einfiel, der meine Gedanken in irgendeine Art und Weise rechtfertigte.
,,Timi Schatz, ich weiß, dass das nicht einfach ist, aber dein Papa möchte nichts mehr von dir wissen. Er wird sich nicht ändern, egal wie sehr du dir das wünschst. Es bringt nichts, ihm hinterherzurennen.'', lächelte mich Lukas unsicher an.

,,Das klingt hart, aber so ist das. Wenn er wirklich Interesse daran hätte, wieder Kontakt mit dir anzufangen, hätte er es schon längst versucht. Aber dieser Mann ist pures Gift für dich und es ist gut, dass er nicht mehr in deinem Leben ist. Er hat dich nicht verdient.'' Lukas strich mir zärtlich über die Arme und atmete einmal tief durch.
,,Ich hoffe, dass du irgendwann erkennst, was für ein wahnsinnig toller Mensch du bist und dass die Worte deines Vaters nicht stimmen. Und dass du irgendwann nicht mehr darüber nachdenkst, was er über dich sagen könnte. Es ist nicht deine Aufgabe ihm gerecht zu werden und seine Bedürfnisse zu erfüllen.''
,,Timi, ich bin froh über jede Minute, die ich mit dir verbringen darf und es ist schön, dass du ein Teil meines Lebens bist. Es ist traurig, dass dein Vater das nie erkannt hat. Er hat den Fehler immer bei dir gesucht, obwohl er an sich hätte arbeiten müssen. Stattdessen schaust du, was du machen kannst, obwohl du schon alles richtig machst. Du hast keine Schuld. Du bist okay.''

,,Danke, Lukas.'', war das Einzige, was ich auf seine Worte erwidern konnte. Ich legte mich in seine Arme, vergrub mein Gesicht in seiner Halsbeuge und durchnässte sein Shirt, was so herrlich schön nach ihm roch.
,,Wir finden zusammen einen Weg da raus. Du musst diesen Kampf nicht mehr alleine austragen.'' Er drückte mir einen Kuss auf die Lippen, der mein Herz sofort einige Takte schneller schlagen ließ und lehnte sich nach hinten, um sich in die Kissen fallen zu lassen.
,,Geht es soweit?'', fragte Lukas, kraulte meinen Nacken und musterte mich besorgt von der Seite. Ich nickte, strich mir die allerletzte Träne aus dem Gesicht und schlang die Arme um ihn, um mich an ihn zu kuscheln.

,,Möchtest du einen Film aussuchen, mein Schatz? Dann kommst du vielleicht auf andere Gedanken.'', fragte mich mein Freund, als wir für eine kurze Zeit miteinander geschwiegen hatten und drückte mir die Fernbedienung in die Hand.
Ich lächelte, öffnete Netflix und als ich das Passende gefunden hatte, warf ich die Bettdecke über uns, holte die Chipspackung unter dem Bett hervor und stopfte mir eine handvoll in den Mund, was Lukas laut loslachen ließ.
,,Du bist der Allerbeste. Danke, dass du mich immer wieder auffängst.'', wisperte ich gegen seine Lippen, ehe ich diese miteinander vereinte und meinen Kopf auf seiner Brust ablegte, um seinem viel zu schnellen Herzschlag zu lauschen, der schöner als jede Musik klang.

Shirin David - Fliegst du mit



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