Kapitel 8 - Die Entscheidung

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Xenias p.o.v.

Stunden später, zumindest kam es mir so vor, stand ich schließlich vor einem cremeweißen, gewöhnlichen Reihenhaus.
Man sah von außen nicht, dass wir Hexen darin wohnten.
Aber war es nicht meistens so, dass man den Dingen nicht ansah, was sich in ihnen verbarg?
Wir Hexen bildeten da keine Ausnahme.

Meine Hände waren schwitzig und alles in mir sträubte sich, die letzten Schritte zurückzulegen.
Wenn ich hineinging, gab es kein Zurück, ich konnte es nicht mehr länger hinauszögern.
Und warum wollte ich das auch?
Das war so dumm.
Ich brachte damit alle in Gefahr.
Wollte ich das? Nein.
Aber irgendetwas in mir wollte Kilian auch nicht verraten... vielleicht war er gar nicht gefährlich...?

Aber verdammt, was dachte ich da?! Natürlich war er das! Ich suchte nur nach Ausreden, weil ich es nicht ertragen konnte, für den Tod eines Lebewesens verantwortlich zu sein.
Sei es noch so böse und grausam.
Es war und blieb ein Lebewesen.
Und zu was machte es mich, wenn ich ein böses Lebewesen tötete?
Man sagte uns, es machte uns zu Helden. Wir würden die Menschheit retten.
Aber....wer rettete die Menschheit dann vor uns?

Nicht, dass wir böse wären. Aber ganz ehrlich?
Wir waren auch nicht unfehlbar. Und unsere Magie war Macht. An sich bedeutete Macht ja nichts Schlechtes, doch in den falschen Händen konnte sie Schlimmes bewirken.
Es wäre nicht das erste Mal, dass jemandem geschadet wurde.
Selbst wenn es dafür Leute gab, die es wieder in Ordnung brachten.

Kopfschüttelnd versuchte ich diese Gedanken zu vertreiben.
Ich lenkte mich nur vom Wesentlichen ab.
Ich musste Kilian verraten. Warte,...verraten? Ich verriet ihn nicht! Ich rettete meine Hexensippe.
Doch unwillkürlich fragte ich mich, ob das nicht jeder Bösewicht dachte, wenn er etwas Böses tat.
Rechtfertigte er sich so? Dass er etwas Gutes tat?

Ich wusste es nicht. Und warum dachte ich jetzt so exzessiv darüber nach? Nur weil ich zum ersten Mal einen Werwolf zur Jagd freigeben musste?
Es war dumm, sich Gedanken zu machen. Denn es war doch klar, was ich damit erreichen wollte: mich selbst davon zu überzeugen, Kilian zu verschonen.
Warum sich allerdings etwas in mir gegen die Vorstellung wehrte, den anderen von ihm zu erzählen, das wusste ich nicht.

Er war ein Werwolf.
Er war böse.
Grausam.
Und so humorvoll und attraktiv....
Okay, Stopp, Stopp, wo dachte ich da wieder hin?
Verdammt.
Ich musste das Monster in ihm sehen, durfte mich nicht von der schönen Fassade täuschen lassen!

Aber er hatte so gar nicht nach einem Mörder ausgesehen... andererseits, wie erkannte man solch einen schon?
Es war ja nicht so, als gäbe es dafür bestimmte Merkmale, wie ein umwerfendes Aussehen oder blaue Augen oder so.
Seufzend schloss ich die Augen.
Noch immer stand ich vor dem Haus, ohne einen Schritt näher gegangen zu sein.
Jeder, der mich sah, fragte sich wohl, ob ich mit der Erde festgewachsen war.

Ich musste mich bewegen. Musste es ihnen sagen.
Musste sie warnen.
Egal, wie viel es mir abverlangen würde.
Meine Familie hatte Vorrang. Und lieber starb einer als mehrere....oder?
Gerade ging ich einen entschlossenen Schritt auf die Haustür zu, als ich wieder zögerlich stehen blieb.

Wer entschied das denn? Wer entschied über Leben und Tod? Wer entschied darüber, wer den Tod verdient hatte und wer nicht?
Konnte man den Tod überhaupt verdienen?
Verdammt. Indem ich jemanden dem Tod freigab, spielte ich Gott...und das war doch falsch, oder?
Auch wenn ich es nur tat, um diejenigen zu schützen, die ich liebte?
So viele Fragen und keine Antworten.
Vielleicht gab es auf manche Fragen einfach keine Antworten.
Vielleicht war es ein Glücksspiel und es gab überhaupt keine richtige Entscheidung.

Aber wenn das so war, was sollte ich dann tun?
Ich war so innerlich zerrissen, dass ich es nicht wusste.
Wie gern hätte ich jetzt alles verdrängt! Hätte mich unter meiner Bettdecke versteckt und so getan, als wäre nichts passiert!
Aber das änderte nichts an der Tatsache. Änderte rein gar nichts, sondern könnte alles nur noch schlimmer machen.

Ob ich wollte oder nicht, ich musste mich dem Geschehenen stellen und Verantwortung übernehmen. Eine Entscheidung treffen.
So gern ich mich auch davor drücken wollte.
Aber angesichts der möglichen Konsequenzen hatte ich wohl kaum eine Wahl.

Schwer schluckend ging ich noch einen zögerlichen Schritt auf die Tür zu.
Da hörte ich Motorengeräusch.
Überrascht blickte ich mich um und sah Moms roten Toyota in die Straße einbiegen. Oh.
Ich hatte gar nicht bemerkt, dass ihr Auto nicht da war.
Zu sehr war ich von meinem Dilemma eingenommen gewesen.
Nun.
Dann konnte ich es ihr jetzt gleich sagen.
Auch wenn sich bei dem Gedanken mein Herz vor Kummer zusammenzog.

Es schien Stunden zu dauern, bis Mom vor unserem Haus hielt.
Stunden und doch war es viel zu schnell.
Schon stieg sie aus, bevor ich mich hatte vorbereiten können.
Andererseits...wie bereitete man sich schon darauf vor, jemanden in den Tod zu schicken?

"Hast du deinen Schlüssel vergessen?", fragte Mom mich lächelnd zur Begrüßung, während sie den Kofferraum öffnete und ein paar Tüten herausnahm.

Okay. Das hier würde schwer werden.
Aber ich würde es irgendwie schaffen, würde es einfach ganz schnell tun, wie ich ein Pflaster abriss. Hoffentlich würde es nicht allzusehr schmerzen.

Tief holte ich Luft, legte mir die Wort auf die Zunge: ein Werwolf ist in der Stadt, Mom.
Ich konnte sie schon beinahe schmecken, sie waren bitter, so bitter und ich wollte sie schnell ausspucken, öffnete den Mund und -

Wurde von Mom unterbrochen:

"Hilf mir doch bitte bei den Einkäufen, Xenia-Schatz, dann schließe ich auf."

Und wie aus einem Luftballon entwich mir die Luft tonlos.
Für einen Moment stand ich einfach nur da, während Mom mit zwei Tüten zur Tür ging und aufschloss.
Dann erst setzte ich mich wie automatisch in Bewegung, lief zu dem offenen Kofferraum und nahm zwei weitere schwere Tüten heraus.

Mom war bereits in der Küche und packte die erste Tüte aus.
Jetzt war der Moment. Die zweite Gelegenheit.

Ich biss mir auf die Lippe, dann meinte ich schließlich leise.
"Mom.", ich musste die Worte förmlich aus mir herauspressen. "Mom, heute in der Schule..."

"Oh, apropos Schule!", unterbrach Mom mich streng und warf mir einen ernsten Blick zu.
"Weißt du, wen ich heute im Edeka getroffen habe? Die Mutter von Karl, einem Jungen in deinem Mathekurs! Und weißt du, was sie mir erzählt hat? Nein?", ohne eine Antwort abzuwarten, sprach sie weiter.
"Ihr habt ja diesen Test zurückbekommen. Dieser Überraschungstest. Der soll ja bei einigen sehr schlecht ausgefallen sein. Und jetzt frage ich mich natürlich,...warum hast du mir nichts von diesem Test erzählt?", fragend zuckte ihre Augenbraue nach oben.

Und ich? Unter anderen Umständen wäre ich jetzt wütend geworden, weil Mom mich unterbrochen hatte, wo ich ihr doch etwas Wichtiges erzählen wollte.
Ich hätte sie angefaucht und sie mit den Worten, ein Werwolf sei in der Stadt, geradezu beworfen.
Vermutlich wäre es die richtige Reaktion gewesen.
Oder vielleicht hätte ich zumindest zerknirscht sein sollen, weil sie mich auf diesen Test ansprach.
Dieser Test, bei dem ich zwei Punkte erreicht hatte.
Mathe war einfach nicht mein Fach. Zwar hatte ich mich immer gerade so über dem Wasser gehalten, aber dieser Test...nun ja, ich hätte jetzt jedenfalls zerknirscht sein sollen.

Und genau deshalb war die tiefe Erleichterung, die mich durchströmte, komplett falsch, falsch und überhaupt nicht angemessen.
Aber ich hatte es versucht, oder etwa nicht?
Ich hatte es versucht. Doch Mom wollte nicht zuhören.
Jetzt konnte ich erst einmal mit ihr über diesen Test sprechen...und kurioserweise war mir das allemal lieber als über diesen bestimmten Werwolf mit ihr zu sprechen....

Ich wusste, damit war es nicht getan.
Ich würde ihr noch davon erzählen müssen.
Bald.
Aber... jetzt erst musste ich mit ihr über diesen Test reden.
Vielleicht hatte das alles ja noch Zeit.
Kilian würde nicht sofort auf die Jagd gehen, oder?
Er würde wissen müssen, dass er sich bedeckt halten musste.
Er und seine Werwolfsfreunde.

Und so setzte ich eine zerknirschte Miene auf und erzählte Mom von meiner schlechten Note.
Erzählte ihr von dieser so unwichtigen Sache und verschwieg ihr dabei, dass in vielleicht gerade diesem Moment jemand plante, uns zu seinem Abendessen zu verspeisen.

Ich mochte mir selbst sagen, dass ich noch Zeit hatte.
Dass Kilian und seine Werwolfsfreunde nicht sogleich auf die Jagd gehen würden.

Aber ganz ehrlich?
Ich wollte daran glauben, aber sicher war ich mir ganz und gar nicht.
Und obwohl ich vorhin noch entschieden hatte, nicht den Kopf in den Sand zu stecken, sondern Verantwortung zu übernehmen...tat ich doch gerade genau das: ich verdrängte dieses unangenehme Thema.
Steckte den Kopf in den Sand.

Denn ich hatte es ja versucht. Aber es war, als hätten mich diese Versuche selbst schon zu viel Kraft gekostet, als könne ich nun nicht mehr den Mut aufbringen, noch einmal den Mund zu öffnen und diese wenigen Worten zu sagen, die alles ändern würden: Ein Werwolf ist in der Stadt.

Nein, stattdessen sprach ich mit meiner Mutter über meine Noten, verdrängte das Wissen um Kilian, begrub es tief in mir.
Ich würde es ihr später sagen, versprach ich mir selbst.
Später, wenn auch Dad von der Arbeit gekommen war.

Später war noch Zeit.

Dachte ich zumindest...

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