6 - In fremden Zelten

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"Humor und Geduld sind zwei Kamele, mit denen du durch jede Wüste kommst."

✶✶✶

Der Stoff federte meinen Fall ab. Ich rutschte hinunter und plumpste auf die Erde. Es war merkwürdig, nach meinem Sturz durch den Nachthimmel wieder festen Boden unter den Füssen zu haben. Meine Augen tränten von all dem Wind und dem Sand, der um mich geschleudert worden war.

Ächzend erhob ich mich. Meine Muskeln rebellierten gegen jegliche Bewegung, die ich ihnen aufzwang. Ich war so dehydriert, dass ich glaubte, ich könne gleich selbst zu Staub zerfallen.

„Was treibst du auf meinem Zelt?"

Ruckartig wirbelte ich herum und wandte mich der Stimme zu, die gesprochen hatte.

Eine dunkle Gestalt lauerte da. Gross gewachsen, starke Schultern, ein breiter Stand, die Hände in die Hüfte gestemmt. Ich blinzelte in die Dunkelheit der Nacht, aber ich sah nur seine Umrisse. Er war mindestens zwei Köpfe grösser als ich.

„I-Ich ...", stotterte ich, doch die Trockenheit in meinem Mund machte es unmöglich, meine Zunge zu bewegen.

Ich hatte Durst. Solch unendlichen Durst.

Er blieb im Schatten, welcher durch das Licht des Mondes vom Zelt auf den Boden geworfen wurde — als würde er sich nicht trauen, mir näher zu kommen. Mein Kopf schwirrte. Ich konnte diesem Mann ja kaum verraten, dass ich durch ein Loch im Sand gezogen wurde, nur um durch den Himmel zu fallen ... und wieder in der Wüste zu landen.

„Ich habe mich verirrt."

Eine Halbwahrheit, denn ich wusste tatsächlich nicht, wo ich war. Wo ich hingefallen war ... Was überhaupt mit mir passiert war. Hatte ich es nur geträumt? War das hier alles bloss ein Albtraum? Der Beweis, dass ich vollkommen verrückt geworden war?

Er legte den Kopf schief — so viel konnte ich selbst in der Finsternis erkennen — und machte eine nickende Bewegung in Richtung Zeltdach.

„Und wie bist du da hochgekommen?" Seine Stimme war ein klarer Bariton, doch schwang etwas Sanftheit mit. Sanftheit, die er mit seiner angespannten Körperhaltung zu verbergen versuchte. „Du bist kleiner als ein Fennek."

Dass er mich mit einem Wüstenfuchs verglich, störte mich keineswegs. Ich war kleingewachsen, das stimmte schon.

„Weiss ich auch nicht", murmelte ich und schluckte. Oder zumindest versuchte ich zu schlucken, allerdings fühlte sich mein Mund an, als befände sich darin ganz Tulhaia. Er war so trocken, dass selbst das Atmen schmerzte. „Bitte", flehte ich und hob meinen Blick auf die Höhe, wo ich seine Augen vermutete. „Ich brauche Hilfe ... Ich bin schon seit Tagen—"

Weiter kam ich nicht, denn der Kerl preschte hervor und packte mich am Arm.

„Du bist eine Sila!", fauchte er und zog mich hinter sich her. Ich stolperte und fiel bei seiner Geschwindigkeit fast der Länge nach hin.

„Ich bin doch keine—"

Er schnaubte laut, um mich still zu stellen und riss die Zeltplane auf. Licht fiel auf sein Gesicht und nun konnte ich ihn endlich sehen. Seine Haut war ein edles dunkelbraun, wobei seine silbergrauen Augen im starken Kontrast dazu standen. Ein tiefblauer Turban war um seinen Kopf und sein Kinn gewickelt. Am Körper trug er einen luftigen Kaftan in derselben Farbe. Teure Stoffe.

„Genau das würde eine Sila sagen!", knurrte er und stiess mich ins Innere. Ich stolperte hinein. Er knöpfte hinter mir die Zeltplane zu. „Du bleibst da drin!"

Ich drehte mich sofort wieder zum Eingang um. „Was? Warum?" Meine Hände wollten den Stoff beiseite schieben, damit ich mich befreien konnte, doch das Zelt liess sich nicht öffnen. Der Kerl hatte mich eingesperrt.

„Ich bin ein Mensch!", rief ich hinaus, dieses Mal energischer.

Das Rufen kratzte allerdings so sehr in meiner Kehle, dass ich es für klüger erachtete, nicht herumzubrüllen. Ich musste wirklich dringend etwas trinken. Schwindel packte mich. Ich stolperte zwei Schritte rückwärts.

Der Kerl draussen ignorierte mich komplett.

Ich liess meinen Blick durch das Innere des Zeltes schweifen. Die Jurte, in welche ich geschubst worden war, war gigantisch. Zwei Öllampen hingen von der Decke. In der Mitte ragte ein runder Pfeiler, der die Zeltplane weit in die Luft spannte. Zwei lange Wesirteppiche in dunkelroter Farbe drapierten die Dielen, die unter meinem Gewicht kaum knarzten.

Direkt vor mir stand ein Holzbett mit weissen Baldachinen. Noch nie in meinem Leben hatte ich ein solch grosses Bett gesehen. Bei Sitty hatte ich auf dem Boden auf einem staubigen Teppich geschlafen. Das hier war von einer anderen Welt. Die Kissen und Felle, die über dem Bett lagen, sahen unglaublich kuschelig aus.

Ich drehte mich einmal um meine eigene Achse. Es wirkte alles so ... fürstlich. Die Nomadenzelte der Kasbahra waren nicht so ausgeschmückt wie dieses. Sie mussten rasch auf- und abgebaut werden. Dieses Zelt hier gehörte eindeutig keinem Wüstennomaden.

Die Benommenheit zog an mir. Ich spürte die Müdigkeit in meinen Gliedern, wie sie sich beim Anblick der gemütlichen Schlafstätte in mir ausbreitete. Eine mit filigranen Schnitzereien verzierte Holztruhe befand sich nur zwei Schritte von mir entfernt am vorderen Bettende. Ich wollte mich darauf setzen und mich für einen kurzen Augenblick ausruhen.

Kaum hatte ich die Idee fertig gedacht, wurde die Zeltplane aufgeschlagen und ein zweiter Mann in indigoblauen Tüchern trat herein.

Ein Turban schlang sich um seinen Kopf und verhüllte sein Gesicht, nur die Augen stachen heraus. Gelb und gefährlich — die Augen eines Löwen. Das war nicht derselbe Kerl von vorhin. Der hier wirkte bedrohlicher.

Ich schluckte leer und wich zurück. Mit den Fersen stiess ich an die Holzkiste.

Seine Präsenz füllte das Zelt vollkommen aus und löste ein Gefühl der Enge in meiner Brust aus. In langgezogenen, sicheren Schritten steuerte er auf mich zu, seinen funkelnden Blick auf mich gerichtet, als wolle er mich damit festbinden. Mir schlug das Herz bis zum Hals. Ich meinte fast ein Knurren zu vernehmen, als er vor mir stehen blieb. Sein Gewand streifte vom Schwung seiner Schritte meine Haut an den Beinen.

„Was willst du, Dämon?", herrschte er mich an.

Die schwarzen Brauen, die ich nebst seiner Augenpartie als einziges von seinem Gesicht sah, waren streng über dem Ansatz seiner Nase zusammengezogen. Er sah aus, als wolle er mich töten.

Ich bemühte mich, meine Worte wiederzufinden. Vor lauter fehlendem Speichel im Mund fiel es mir schwer, mich zu räuspern.

„N-Nichts! Ich will nichts", schaffte ich endlich zu sagen. „Ich habe mich bloss in der Wüste verlaufen."

Seine Augen lösten sich von meinem Gesicht und erst jetzt merkte ich, dass ich meinen Schleier ja gar nicht trug! Dass ich ihm direkt in die Augen blickte. Dass ich mein Kopftuch nicht mehr hatte und ihm meine ganze, verwuschelte Haarpracht offenbarte! Ich musste aussehen wie ein gerupftes Huhn.

Augenblicklich senkte ich die Lider. Und da merkte ich, wie zerrissen meine Kleidung eigentlich war. Mein linkes Bein war fast vollkommen entblösst, da der Stoff auf der Seite dermassen in Fetzen lag. Schürfwunden gruben sich tief in mein Knie und in mein Schienbein. Die Sandalen hatte ich verloren, stellte ich fest. Blut und Sand klebten an meiner Haut. Selbst meine Arme waren nicht verschont geblieben. Ich hob die Hände und musterte die Kratzspuren.

Der Mann folgte meinem Blick. Ich spürte seine Augen auf meiner Haut und wie sie meine in Fäden und Streifen hängende Kleidung begutachteten. Sie fuhren meinen Armen entlang, über meine Taille, Hüfte und Schenkel und verweilten auf meinen nackten Füssen. Es war, als würde er mich in meine Einzelteile zerlegen.

Das entblösste Bein schob ich unter die restlichen Stofffetzen, im Versuch, es vor seinem Blick zu schützen. Meine Hand glitt in die Haare. Ich schob ein paar Strähnen über meinen Mund und meine Nase, denn ich fühlte mich so nackt vor ihm.

Er löste den Blick von meinem Leib und richtete seine goldenen Augen wieder auf meine. Der strenge Ausdruck war immer noch in sein Gesicht gemeisselt. Es lag keinerlei Lust darin, nur pures Misstrauen.

„Du hast dich auf das Zelt meines Bruders verirrt?" Seine rechte Augenbraue zuckte. Ich spürte seinen Unglauben in jedem einzelnen Wort, dennoch nickte ich stumm.

„Ich war mit einer Karawane unterwegs. Nach Jaradin. Mein Kamel hat mich abgeworfen ... oder besser gesagt bin ich vom Kamel gefallen und dann ..." 

Die Erinnerungen an die Tortur durch die Wüste blitzten auf und plötzlich fühlte ich mich so erschöpft. Es war erstaunlich, dass ich überhaupt noch stehen konnte. 

„Es ist eine lange Geschichte", seufzte ich schliesslich und starrte zu Boden.

Der Kerl trat einen Schritt zurück und gab mir damit endlich mehr Luft zum Atmen. Er blieb stumm und musterte abermals ungeniert mein Erscheinungsbild. Ich wünschte mir so, dass ich mich in irgendwelche Stoffe hüllen könnte, damit er aufhörte, mich zu begutachten, als sei ich ein Gaul auf dem Viehmarkt.

„Vom Kamel gefallen, also", murmelte er dann. Seine Stimme war tief und rüttelte an mir. „Du siehst eher aus, als hättest du mit einem Löwen gekämpft." Sein Blick fiel auf mein zerschnittenes Kinn. „Und gewonnen."

Meine Mundwinkel zuckten in die Höhe, aber ich unterband das unverzüglich. Ich sollte nicht lächeln. Nicht vor einem Mann. Nicht, wenn ich es nicht hinter meinem Gesichtsschleier verstecken konnte.

„Du bist kein Wüstendämon." 

Es war keine Frage, sondern eine Feststellung seinerseits. Ich nickte. Er drehte sich etwas zur Seite und richtete seinen Blick auf den Zelteingang. 

„Du kannst wieder reinkommen. Sie ist ungefährlich", rief er dem ersten Kerl zu, den ich angetroffen hatte.

„Woher willst du das wissen?", kam die Antwort von draussen. Unsicherheit bebte in seiner Stimme. Ich hatte einem solch grossen Mann Angst eingejagt?

Der Kerl im Zelt legte den Kopf in den Nacken und stöhnte laut. „Weil sie sich schon längst splitterfasernackt ausgezogen und auf mich gestürzt hätte! Hat dir deine Mutter denn nichts beigebracht?"

Für einen Moment war es still draussen. „Sie ist noch angezogen?", fragte er dann.

Ganz unwillkürlich verschränkte ich die Arme vor der Brust, denn ich wusste, dass er mich wieder anschauen würden. Das tat er auch. Der Ausdruck in seinem Gesicht hatte sich verändert. Er wirkte nicht mehr feindlich gesinnt, sondern eher so, als wundere er sich darüber, warum ich so aussah, wie ich es tat.

„Wenn man das so nennen kann, ja. Komm jetzt endlich rein, Luay!"

Die Plane wurde aufgeschlagen und der grosse, dunkelhäutige Kerl trat herein. Als sein Blick auf meine zerrissene Kleidung und die sichtbaren Hautstellen fiel, senkte er sofort den Kopf und ich meinte zu sehen, wie ihm die Scham ins Gesicht stieg.

Das erste Mal in meinem Leben, dass ein Mann den Blick von mir abwandte und nicht umgekehrt.

„Also wirklich nur eine Verrückte?", richtete er sich an den anderen. Offenbar wollte er nicht mit mir direkt sprechen.

„Scheint so."

„Ich bin nich—", wollte ich protestieren, allerdings schnitt mir Luay das Wort ab.

„Du hast vorhin noch behauptet, sie sei vom Himmel gefallen, Zahir." Er sah zu seinem Kumpel, welcher bei den Worten leise nickte und mich musterte.

Ich schluckte. Er hatte mich also fallen sehen. Dann war all das kein Traum gewesen. Ich war tatsächlich durch den Nachthimmel geflogen. Mein Atem ging flach. Wo war ich denn gelandet? Und wie, im Namen des letzten Sultans, war das überhaupt möglich? Ich hielt mir die Hand an den Bauch, denn von der gähnenden Leere wurde mir allmählich übel.

Der Kerl namens Zahir legte den Kopf schief. Seine Augen kräuselten sich. Falls er lächelte, konnte ich es unter seinem Gesichtsturban nicht sehen, aber ich hörte es in seiner Stimme.

„Vielleicht hat sich die Wüste ja bloss einen Scherz erlaubt und ich habe es nicht richtig gesehen." Er zuckte die Achseln.

Luay schnalzte mit der Zunge und schüttelte den Kopf. „Deine Augen sind besser als Latifs Falken."

„Jetzt übertreib mal nicht. Seine Falken sind einfach zu dumm."

Nun schaffte es auch Luay, mich anzublicken. Allmählich wusste ich nicht, ob mir vom Hunger, oder von der männlichen Aufmerksamkeit, die sie mir unaufhörlich schenkten, schlecht wurde. Normalerweise beachtete man mich nie auf den Strassen und jetzt wurde ich von zwei männlichen Augenpaaren von oben bis unten durchleuchtet.

„Wie ist sie dann auf das Zelt gekommen?", fragte Luay. „Sie sieht nicht aus wie eine Schattenbringerin."

Ich hob den Kopf. Eine Schattenbringerin? Ich wusste nicht, was das war.

Zahir schüttelte den Kopf. „Nein. Tut sie nicht", erwiderte er und machte eine winkende Bewegung in meine Richtung. „Warum fragst du sie nicht selbst?"

Luay verschränkte die Arme vor der Brust und stellte sich wieder so breitbeinig hin, wie er mir vorhin draussen vor dem Zelt begegnet war. Ein weiter Stand, damit er unbesiegbar wirkte.

„Hab ich ja, aber dann—"

„Hast du dir ins Gewand gemacht."

„Du sagtest, ich solle mich vor weiblichen Kreaturen in der Wüste in Acht nehmen! Ich war bloss vorsichtig!"

„Und bist gleich zu deinem grossen Bruder gerannt. Wirklich tapfer."

Ich runzelte die Stirn, denn die zwei sahen überhaupt nicht wie Brüder aus. Der Hautton von Zahir war ein ockerfarbenes Hellbraun, das in dem Licht der Laternen beinahe golden schimmerte und keinerlei Ähnlichkeit mit Luays dunklem Umbra hatte.

„Also. Nochmals zu dir, Fremde", richtete Zahir das Wort an mich. „Weil Luay zu feige ist, mit dir zu sprechen." Dieser maulte etwas Unverständliches in der Ecke, doch Zahir signalisierte ihm mit einer Geste, dass er verstummen solle. „Wie bist du auf das Zelt meines Bruders gelangt, hm?"

Ich meinte einen belustigten Schimmer in seinen Augen zu sehen.

„Ich bin geklettert", schoss die Lüge aus mir heraus.

Der Blick, den Zahir mir zuwarf, sagte allerdings alles: So wie du aussiehst, ist das absolut unmöglich. Dieses Zelt war doppelt, wenn nicht dreifach so hoch wie ich. Selbst wenn ich mich gestreckt hätte, wäre ich niemals hochgekommen. Ich hätte eine Leiter gebraucht. Die Zeltplanen fielen an den Wänden steil ab. Es war ausgeschlossen, dass ich da hochgeklettert war.

Ich log und Zahir wusste es.

„Warum?", traute sich Luay endlich mit mir zu sprechen.

Ich bemühte mich, den forschenden Blick seines Bruders zu ignorieren und drehte mich Luay zu. 

„Um weiter sehen zu können." Eine plausible Erklärung, wo dieses Zelt ja so gross war und ich behauptet hatte, ich hätte mich in der Wüste verirrt.

„Du warst auf dem Weg nach Jaradina?", hakte Zahir weiter nach. Er ging überhaupt nicht auf meine Lüge ein.

Der Raum flackerte vor meinen Augen und ich blinzelte angestrengt. Ich spürte, wie die Ohnmacht an mir zog, wie sie mich in die Dunkelheit reissen wollte. Meine Kräfte gingen allmählich zuneige.

„Jaradin, ja", murmelte ich. „Aber ich geriet in Schwierigkeiten." 

Ich schwankte auf den Beinen. Meine Knie sackten ein und ich plumpste auf die Holztruhe hinter mir. Ich spürte, wie mir kalt wurde, obwohl es in diesem Zelt angenehm warm war. 

„Ich... ich habe seit zwei Tagen nichts mehr getrunken."

„BRAAAAÖÖÖÖH!", verkündete im selben Moment mein Magen, als sei er ein wütendes Flusspferdmännchen.

Es war so laut, dass selbst die Insekten der Wüste draussen verstummten. Sowohl Zahir als auch Luay rissen die Augen vor Erstaunen auf. Es war, als würden mich die Sonne und der Mond anstarren. Gold und Silber.

Doch dann tat sich etwas in Luays Gesicht — das einzige Gesicht der beiden, das ich gänzlich sehen konnte, denn er verbarg es nicht hinter seinem Turban. Er grinste und offenbarte mir damit zwei gerade Reihen schneeweisser Zähne. Sein ganzes Gesicht erhellte sich. Er sah damit viel gutmütiger aus.

„... und schon länger nichts Richtiges gegessen", erklärte ich den Protestschrei meines Bauches. „Wasser würde aber wirklich reichen. Ich möchte euch nicht noch länger ... belästigen. Nur eine Tasse bräuchte ich, dann mache ich mich auch wieder auf den Weg."

Ich konnte selbstverständlich nicht erwarten, dass mich die zwei einfach füttern würden. Nicht nach unserer merkwürdigen Begegnung. Mir war es egal, wer sie waren und was sie hier trieben. Ich brauchte einfach nur Wasser.

„Auf den Weg machen?", wollte Luay wissen. „Jetzt? Alleine bei Nacht?"

Ich nickte, doch Zahir schien nicht einverstanden zu sein. „Das ist zu gefährlich", entgegnete er.

Natürlich hatte er recht, doch mir blieb keine Wahl. 

„Ich will wirklich nur zu meinen Eltern", erklärte ich. „Sie warten auf mich. Ich habe mich schon viel zu sehr verspätet ... Sie müssen krank vor Sorge sein."

Ich wusste gar nicht mehr, wie viele Tage ich alleine unterwegs gewesen war. Waren es zwei oder drei Nächte in der Wüste gewesen? Mir schwirrte der Kopf und so schloss ich meine Augen und rieb mir die Schläfen. Zu meinem Entsetzen rollten nun auch Kopfschmerzen über mich herein.

„Erst einmal solltest du zu deinen Wunden sehen", meinte Zahir und deutete mit seinem Kinn auf mein Knie. „Denn so wirst du es nicht weit schaffen. Und neue Kleidung brauchst du auch." Er drehte sich zu Luay um. „Mein Bruder kann dir seine Stoffe leihen."

Luays warmes Lächeln verstarb. 

„Warum meine Stoffe?", meckerte er. „Der Fennek passt am ehesten in deine Lumpen."

Abermals kam ein tiefes Seufzen aus Zahirs Richtung. Es schien, als ob das öfters eine Reaktion seinerseits war.

„Weil du verheiratet bist, du riesiger Dummkopf!", sagte er. Die Beleidigung klang nicht erniedrigend, sondern eher scherzend, ja fast zärtlich, als sei es ein Kosename, den er seinem Bruder gab. „In deiner Reisetruhe hat es bestimmt ein Gewand deiner Frau. Die hat so viele Kleider, dass sie damit ganz Azoul eindecken könnte!"

„Sie mag es halt, jeden Tag eine andere Farbe zu tragen", murmelte Luay und verschränkte die Arme vor der Brust. Seine Unterarme wirkten so massiv.

„Ich bin mir sicher, Hana'a wird es nicht stören, wenn du eins ihrer tausend Gewänder einer Reisenden in Nöten schenkst. Wahrscheinlich wird sie es nicht einmal merken, dass es fehlt."

Luay fügte sich schliesslich seinem Bruder und nickte. Dann wandte sich Zahir an mich. Er kam in drei Schritten auf mich zu, sodass ich den Kopf in den Nacken legen musste. Er bat mich, aufzustehen, damit er in der Holztruhe nach etwas suchen konnte.

Nach einem kurzen Moment des Wühlens und Fluchens, streckte er mir schliesslich ein dunkelgrünes Gewand hin.

„Das hier muss fürs Erste reichen. Es ist nicht unbedingt Reisegarderobe, aber erfüllt für heute seinen Zweck", sagte er und legte mir die edlen Stoffe in die Hände, weil ich sie nicht von selbst nahm. „Während du dich frisch machst, bereiten wir das Abendmahl draussen zu."

Er umschloss meine Finger mit seinen grossen Händen. Sie waren warm und weich. Eine Hitze breitete sich in meinem Leib aus, die ich so noch nie verspürt hatte.

„Du bist herzlich eingeladen, heute Nacht mit uns zu speisen und zu trinken", fügte er an und blickte mir in die Augen. „Damit du zu Kräften kommst."

Eine Einladung. Ein Angebot. Er musste mir die Erschöpfung wirklich ansehen.

„I-Ich ..." Ihre Grosszügigkeit war zu viel für mich und so senkte ich den Kopf. „Das kann ich nicht annehmen."

„Wir werden nichts im Gegenzug dafür verlangen, wenn es das ist, was dich bekümmert", erwiderte Zahir und liess meine Hände los. „Ein Muzedin bietet seine Hand an, wenn er gebraucht wird."

Ich stutzte. Hatte er Muzedin gesagt? Das blaue Volk? Die längst versiegte Blutlinie von Wüstensiedlern, die den Legenden meines Stammes zufolge einst in Tulhaia gelebt haben sollen und denen man magische Kräfte zuschrieb? Ich starrte ihm direkt in die Augen.

„Alles Weitere können wir beim Essen besprechen", sagte er und ehe ich noch ein Wort sagen konnte, liessen mich die beiden im Zelt zurück. 

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Randbemerkungen:

Ein etwas längeres Kapitel mit den zwei blauen Kerlen (endlich sind sie da ;)). Na, welchen der beiden mögt ihr mehr?

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