Dritter Schultag: Part 1

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,,Entschuldigt die Verspätung meine Lieben, aber ich hatte noch Papiere für euren neuen Mitschüler zum ausfüllen.''

Ein sichtbarer brauner Lockenschopf bahnt sich hinter Miss Kingstons stattlicher Figur seinen Weg in den Raum. Alle Augenpaare der Klasse richten sich interessiert auf den Neuankömmling, der nun in seiner völligen Größe der Klasse gegenüber steht. Leises Getuschel macht sich im Klassenzimmer breit.

,,Das ist Finn Scott. Finn, stell dich doch selbst ganz kurz der Klasse vor und erzähle etwas über dich.''

,,Wie gesagt, ich bin Finn Scott. Ich komme aus Ohio. Ich habe zwei kleine Brüder, die in die sechste Klasse gehen. In meiner Freizeit spiele ich gerne Football oder zocke Videospiele'', stellt er sich knapp und etwas schüchtern vor, wobei ihm dunkelbraune widerspenstigen Locken ins Gesicht fallen.

,,Neben Laurella ist noch ein Platz frei, Finn. Wir beginnen nun unverzüglich mit dem Unterricht. Schlagt alle die Seite 220 in eurem Geschichtsbuch auf '', kommt es höchstpersönlich vom Drachen Miss Kingston im scharfen Ton gedonnert.

Finn schenkt mir ein freundliches Lächeln, als er sich auf dem freien Platz neben mich setzt.

,,Freut mich dich kennenzulernen, Finn. Nenn mich doch bitte Laurie'', sage ich höflich und erwidere sein Lächeln.

,,Mich auch, ähm Laurie.''

Die Art wie er mich anschaut ist sehr intensiv. Um nicht durch seinen Blick, den er stets auf mich gerichtet hält, aus dem Konzept zu kommen, fixiere ich mit den Augen mein aufgeschlagenes Buch.

,,Was verschlägt dich hier in unsere Stadt?'', wispere ich so leise, dass nur er die Frage hören kann.

,,Meine Eltern haben sich vor kurzem getrennt. Mein Vater hat hier ein Jobangebot bekommen, was so gut war, dass er es nicht ausschlagen konnte'', gibt er in der gleichen Lautstärke als Antwort zurück.

,,Oh, das tut mir leid.''

Zerknirscht beiße ich mir auf die Lippen. Ich hätte ihn das lieber nicht fragen sollen.

,,Ach schon gut, ist sowieso besser so. Die ganze Streitereien zwischen ihnen waren ja nicht zum Aushalten.''

Sein Tonfall klingt locker. Dennoch kann ich aus seiner Stimme heraushören, dass er das Ganze noch nicht so wirklich verarbeitet hat. Mit mir selbst ringend, grüble ich, ob ich ihm von meiner Familiensituation erzählen soll.

,,Weißt du. Mein Vater ist vor ein paar Monaten abgehauen und na ja, seitdem geht es meiner Mutter nicht so gut'', setze ich vorsichtig an.

Überrascht und zugleich interessiert hebt Finn eine Augenbraue.

,,Hast du mit ihm seitdem gesprochen?''

Ich nicke mit dem Kopf.

,,Ja, es war aber sehr seltsam. Es hat sich angefühlt, als würde ich mit einer fremden Person sprechen.''

Noch nie zuvor in meinem ganzen Leben hatte ich einen so in sich gekehrten und glücklichen Daniel erlebt. Es ist, als hätte der Daniel, den ich seit meiner Geburt als Vater kenne, eine 360 Gradwendung gemacht, die ihn wie ausgewechselt zurückgelassen hat.

,,Ich kenne dieses Gefühl. Seit der Scheidung sind meine Eltern auch zu ganz anderen Menschen mutiert. Sie sind auf einmal so entspannt und locker. Fast  schon gruselig.''

Ohne es auszusprechen, spüre ich, dass es eine gewisse Verbindung zwischen uns gibt. Schließlich machen wir gerade das Gleiche durch. Wir kennen uns zwar kaum, dennoch versteht er mich auf eine Art und Weise, zu der im Moment niemand sonst in der Lage ist.

***

Finn und ich hatten die ganze Geschichtsstunde über familiären Angelegenheiten geredet. Es stellt sich heraus, dass er nicht nur ein guter Zuhörer ist, sondern auch ein guter Redner, der es weiß, Dinge mit den passenden Wörtern zu umschreiben. Die 15 Minutenpause nutze ich, um ihm mit dem ganzen Schulgelände bekannt zu machen. Los geht es bei den trostlosen grauen Spinden, die sich durch den ganzen mindestens genauso trostlos aussehenden brauen Korridor erstrecken.

,,Ein bisschen Farbe hätte definitiv nicht geschadet.''

Konzentriert nach vorne guckend, gebe ich mir die größte Mühe, nicht dem Drang nachzugehen, meine Hand nach Finns Haar auszustrecken, welches aus braunen widerspenstigen Locken besteht, um es mit den Fingern ordentlich zu richten.

,,Ja das stimmt. Der Flur wurde mit ziemlich trostlosen Farben ausgestattet. Aber warte es nur ab, die Kantine oder die Bücherei sind von der Ausstattung her viel freundlicher.''

Vor der hellblauen Tür, die zur im Gelbton bestrichenen Cafeteria führt, kommen wir zum Stehen. Die Hand nach der Türklinke greifend, möchte ich uns Zutritt in den Raum verschaffen. Finn mit demselben Ziel in Visier, streckt ebenfalls seine Hand Richtung Klinke aus. Ungewollt kommt es dazu, dass sich unsere Hände berühren. Erschrocken von dem aus der Berührung ausgelöstem Schauer, ziehe ich meine Hand zurück und trete ein Stück zur Seite.

,,Sorry, ich habe nicht gesehen, dass du auch gerade die Tür öffnen wolltest'', entschuldige ich mich ein wenig stotternd sofort bei ihm.

,,Ach was, das kann passieren.''

Scheinbar genauso peinlich berührt von der entstandenen Situation, fährt er sich nervös durch die Haare, dabei den direkten Blickkontakt zu mir meidend. Na endlich, wurde Mal Zeit, dass er diese Locken halbwegs bändigt. Mit der anderen Hand greift er abermals nach der Tür und schließt sie erst, nachdem wir beide in der Cafeteria stehen. Ein lautes Stimmenwirrwarr aus versammelten Schülern, die sich den neusten Tratsch bei dampfendem Kaffee und leckeren Schoko-Croissants erzählen, empfängt uns.

,,Sind hier eigentlich irgendwelche Freunde von dir?'', wendet sich Finn an mich, wobei er sich etwas näher zu mir positioniert, damit ich ihn richtig verstehen kann.

Suchend lasse ich meine Augen nach Alex braunem Haarschopf Ausschau halten. Treffer. Etwas weiter hinten in der letzten Tischreihe mache ich ihn zusammen mit Ben ausfindig. Entschlossen, mit Finn im Schlepptau, bahne ich mir einen Weg zu ihm. Schon vom weiten sehe ich, dass die beiden neugierig ihr Köpfe drehen, als sie mich mit dem Neuen auf sie zukommen sehen.

,,Hey, Laurie.''

Alex ist der erste, der das Wort ergreift, als ich an seinem Tisch ankomme. Als Zeichen der Begrüßung hebt Ben kurz die Hand.

,,Hi, du bist Finn richtig?'', erkundigt sich Alex, den Neuen mit einem eher argwöhnischen Blick musternd.

,,Genau.''

Etwas irritiert von Alex leicht misstrauischen und auf ihn gerichteten Blick, geht Finn etwas auf Sicherheitsabstand vom Tisch.

,,Ich bin Alex.''

Höflich, wie er nun mal ist, gewährt Alex Finn die Hand zum Abklatsch, was wohl eine Art von Begrüßungsritual unter Jungs ist, dennoch registriere ich an seiner Körperhaltung, dass ihm irgendwas nicht zu passen scheint.

,,Ben'', kommt es etwas nuschelnd vom dem am Kaffee schlürfenden Ben.

,,Laurie war so nett, ihre Pause für mich zu opfern, um mir die Schule zu zeigen.''

Vielleicht ist ihm der Neue, warum auch immer, nicht ganz geheuer.

,,Du spielst Football, nicht wahr?''

Bestätigendes Nicken von Finn.

,,Ich bin der Kapitän der Football Mannschaft. Ich kann ja mal den Coach fragen, ob du zu einem Probespiel kommen darfst.''

,,Ja man, mach das. Ich würde mich übel freuen.''

Finns Augen leuchten wahrlich auf.

,,Wart ihr schon auf den Sportplatz?'', mischt sich nun Ben in das Gespräch ein.

,,Nein noch nicht'', beantworte ich seine Frage.

,,Dann hat dir Laurie noch nicht den besten Teil unserer Schule gezeigt. Komm mit.''

Fast schon synchron erheben sich die beiden Jungs gleichzeitig.

***

Während ich von Finn und Alex flankiert werde, läuft Ben mit einem kleinen Abstand voraus. Nach einem kurzem Fußmarsch erreichen wir das großzügig an Platz bietende  Spielfeld. Bewundernd weiten sich Finns Augen, als er den großen Rasenplatz und die am Rand aufgebaute Tribüne entdeckt.

,,Nicht schlecht. Wie oft trainiert ihr hier?''

,,Dreimal pro Woche.''

Die Hände in den Hosentaschen verschränkt, beobachtet Alex Finn, wie dieser sich begeistert umschaut.

,,Auf was für einer Position hast du dort gespielt?'', erkundigt sich Alex.

Mit der Absicht, mehr vom Gespräch mitzubekommen, verlangsamt Ben seinen Schritt.

,,Offensive Line'', antwortet ihm Finn.

Anerkennend klatscht er Finn auf die Schulter.

,,Respekt man, hätte ich bei dir, ehrlich gesagt, nicht erwartet.''

Damit hatte ich auch nicht gerechnet.

Finn macht durchaus einen sportlichen Eindruck, ist aber ziemlich schlank. Würde man nur von seiner Körperstatur und sportliches Geschick außen vor lassen, ginge man nicht unbedingt davon aus, dass man ihn in einer so wertvollen Position wie den Quarterback spielen lassen würde.

,,Das kriege ich oft zu hören. Ich bin halt nicht der muskulöseste Typ'', entgegnete Finn Ben gelassen.

,,War ich auch nie, aber das Training hier hat mir sehr geholfen, Muskeln aufzubauen.''

Während ich Alex beim Gehen beobachte, fühle ich mich unwillkürlich zurückversetzt am ersten Schultag, wo ich ihn Oberkörperfrei zu Gesicht bekommen hatte. Bei der Erinnerung steigt augenblicklich Hitze in meine Wangen. Jetzt reiß dich doch verdammt nochmal zusammen Laurie, ermahne ich mich selbst. Ja, er sieht gut aus. Verdammt gut. Aber er ist auch, verdammt nochmal, mein bester Freund! So über ihn zu denken ist einfach nicht richtig.

,,Deinem Selbstbewusstsein hat das Training auch sehr geholfen'', ergänzt Ben.

,,Der hat sich davor nicht so wirklich getraut, Mädels anzusprechen. Das ist dieses Jahr ganz anders.''

Bevor er den Satz beenden kann, bricht er in schallendes Gelächter aus. Alex stimmt ins Lachen mit ein, wobei es eher aufgesetzt aussieht als echt. Ich weiß wie Alex aussieht, wenn er wirklich über etwas ernsthaft lacht. Mir kann er da nichts vormachen. Finn lacht zwar auch, dennoch sieht es bei ihm genauso aufgesetzt aus wie bei Alex.

,,Hast du denn eine besonders im Auge?'', hakt Finn nach.

Sein Blick bleibt für eine kurze Zeit auf Alex haften und dann auf mir.

Er denkt doch nicht etwa, dass wir was am Laufen haben oder?

Währenddessen hat Alex den Mund leicht offen und setzt gerade an etwas zu sagen, kommt aber nicht dazu, weil er von Ben unterbrochen wird.

,,Er hat was am Laufen mit Chloe Riddle. Die ist auch in unsere Klasse. Ich zeige sie dir mal, wenn sie in der Nähe ist.''

Ich ziehe den Reißverschluss meiner beigen Stoffjacke ganz nach oben, weil mir plötzlich eiskalt zu Mute ist. Aha der feine Herr hat doch was am Laufen mit der hübschen Chloe.

,,Was ist mit dir, Laurie?''

Bei der Erwähnung meines Namens aus Finns Mund zucke ich ertappt zusammen.

,,Was soll mit mir sein?''

,,Du bist so still. Ist irgendetwas?''

Besorgnis, die der nicht mal zu verstecken probiert, zeichnet sich in seinem Gesicht ab.

,,Bei mir ist alles gut. Warum auch nicht?''

Um Zeit zu schinden, in der Hoffnung, dass jemand anderes sich dazu entschließt das Wort zu ergreifen, löse ich meinen Zopf und binde ihn erneut.

,,Bist du mit irgendjemanden zusammen oder hast Interesse an jemanden?''

Was bei Finn so lässig von der Zunge geht, hätte mich einiges an Überwendung gekostet zu fragen.

,,Nein ich bin mit niemanden zusammen, noch habe ich Interesse an jemanden'', stelle ich wahrheitsgetreu klar.

Anders wie davor versucht Alex seine wahre Gefühlsregung nicht zu verstecken und fixiert Finn mit einem finsteren Blick, welcher sich aber nach einigen Sekunden in ein verschmitztes Lächeln umwandelt.

,,Wart's nur ab. Irgendwann werde ich einen Preis in Naturwissenschaften für Astrophysik oder was auch immer gewinnen. Die ganzen Nerds werden sich praktisch nur um mich reißen'', kommt mir unser Gespräch vom ersten Schultag in den Sinn.

Ob er deshalb so dämlich grinst?

,,Wie geht es Amy eigentlich, Ben?'', lenke ich geschickt ein.

,,Ach, fang bloß nicht mit der an. Die ist in letzter Zeit kaum noch zu ertragen mit ihren vielen Zickereien'', ächzt er.

Ich habe mit Amy nur zweimal Bekanntschaft gemacht. Einmal auf Alex Geburtstag und ein anderes Mal bei einer Schulparty. Bei keinem der beiden Treffen war sie mir irgendwie sympathisch erschienen. Hochnäsige Wichtigtuerin, die gerne anderen mitteilt, was für Versager sie doch seien, traf es eher.

,,Seine Freundin'', kläre ich Finn auf.

,,Bald Exfreundin, wenn es so weiter geht. Ich habe echt genug von ihrer Meckerei. Nie kann man es der Madame recht machen.''

Die Hände zu Fäusten geballt, tigert er aufgeladen hin und her.

,,Und du, Finn, wie sieht es bei dir aus?''

Wieder einigermaßen gefasst schaut ihn Ben auffordernd an.

,,Ich hatte was mit einem Mädel in Ohio, war aber nichts wirklich Ernstes. Als es dann fest stand, dass ich umziehe, haben wir uns im Guten getrennt'', erzählt er.

,,Wir haben echt viele hübsche Mädels auf der Highschool. Garantiert wirst du hier jemand neuen finden'', versichert Ben Finn, wobei er schmunzelt.

Mathe und Physik überstehe ich mit Finns Gesellschaft halbwegs.

Er wird zwar von der Klasse gut aufgenommen und in mehrere Gespräche vermittelt, trotzdem bin ich diejenige, von dessen Seite er keine Sekunde weicht. Selbst beim Mittagessen setzt er sich wie selbstverständlich mit seinem Tunfisch-Sandwich mir gegenüber. Es dauert nicht lang, bis Alex, Chloe, Ben und Dean sich zu uns gesellen. Dean ist auch Teil des Footballteams und hatte genau wie Alex eine große Rolle im Team gehabt. Er ist stolze drei Jahre lang der Kapitän der Mannschaft gewesen, bevor ihn eine Beinverletzung einsatzunfähig gemacht hatte und Alex vom Coach den Posten zugeteilt bekommen hat.

Beim längeren Gespräch, stellt sich heraus, dass Chloe keine oberflächliche dumme Kuh ist, wie ihre äußere Fassade erscheinen lässt. Im Gegenteil. Sie ist äußert schlau und ziemlich nett, abgesehen von ihrer nervtötend piepsigen Stimme. Sie besitzt einen guten Humor und weiß es, den Gesprächspartner in eine positive, ruhige Atmosphäre zu verwickeln. Ihre dunkelblau funkelnden Fingernägel sind farblich perfekt abgestimmt zu ihrer makellos sitzenden dunkelblauen mit grauen punkten verzierten Bluse und ihrer grauen Shorts. Die Shorts ist so kurz, dass man den Eindruck bekommt, dass sie es darauf anlegt, dass jeder sehen kann, wie toll ihre langen Beine doch sind. Vergebens suche ich nach einer einzigen Falte oder irgendeinen winzigen Fleck auf ihrer Bluse. Fehlanzeige. Selbst ihre kastanienbraune Mähne ist in einem astrein sitzenden Pony gebunden und glänzt wie eh und je. Sogar das Rouge, Wimperntusche und den blassen Lippenstift hat sie perfekt aufgetragen. Die Chicken-Nuggets mit Pommes, die sie sich von der Theke geholt hat, müssen doch einige Kalorien haben. Doch das scheint Chloe nichts auszumachen, denn sie greift einfach zu.

Wie kann jemand so etwas essen und so schlank sein?

Himmel, ist es denn den möglich, dass dieses Mädchen irgendeinen Makel besitzt?

Während des Essens hatte ich nur lustlos in meinem Salat rumgestochert. Die ständige unauffälligen Anfassereien zwischen ihr und Alex und die tiefen Blicke, welche die beiden miteinander austauschen, versuche ich weitestgehend zu ignorieren. Erleichtert darüber, durch das Klingeln der Glocke den Turteltauben entkommen zu sein, finde ich mich kurz darauf wieder im Klassenzimmer umgeben von Formeln zur Berechnung der Nullstellen, Hochpunkte, Tiefpunkte und Wendepunkte.

***

,,Hey Schweinebacke, bleib stehen. Ich habe ne kleine Überraschung für dich.''

Ich bin gerade dabei das Schulgelände zu verlassen, als mein Rucksack unsanft von niemand anderem als James von hinten gepackt wird.

,,Was willst du James?''

Zappelnd versuche ich meinen Rucksack aus seinen dreckigen Pfoten zu befreien. Ohne jeglichen Erfolg.

,,James bitte lass mich einfach gehen und gut ist's'', probiere ich es auf die nette Tour.

Von meiner Mutter hatte ich als kleines Kind den Rat bekommen, besänftigend mit den Personen zu sprechen, wenn die einem auf den Kieker hatten.

,,Nicht bevor du dein Geschenk bekommen hast.''

Hämisch grinsend wirft er mir, ohne zu zögern, einen Plastikbecher mit Eis auf den Kopf, dass er sich höchstwahrscheinlich aus dem Kiosk von nebenan gekauft hat. Wie versteinert stehe ich da, unfähig mich zu bewegen. Die kalte klebrige Flüssigkeit tropft von meinen Haaren herunter und fällt auf meine Brille und auf meine beige Jacke. Personen laufen an uns vorbei. Einige bleiben kurz stehen und starren mich entsetzt an. Andere wiederum laufen an mir vorbei und können sich ein leises Kichern nicht verkneifen.

,,Du isst doch so gerne Süßes. Da passt ja diese Abkühlung wie angegossen.''

James muss so dolle lachen, dass er seine Hände um seinen Bauch halten muss. Mit mir hat er sich schon einige Späße erlaubt. Doch das hier ging eindeutig zu weit. Die in mir brodelnde Wut bringt neues Leben in mich, wodurch ich wütend auf ihn zu stapfe.

,,Du bist so ein verdammtes Arschloch! Hast du nichts besseres zu tun, als mich die ganze Zeit zu demütigen! Wie tief ist bitteschön dein Niveau gesunken, dass du dir so etwas leistest!''

Aufgelöst schlage ich mit den Fäusten auf ihn ein, wobei ich nicht das Geringste mit meinen schwachen Schlägen ausrichte. Als bestände er aus hartem Stahl, lässt James mit einer solchen Leichtigkeit die Schläge über sich ergehen. Nachdem ich unter Tränen meine Attacke aufgebe, drückt er mich mit voller Wucht gegen die Wand.

,,Du denkst wohl, du bist eine ganz mutige, nicht wahr du hässliches Stück Dreck! Wage es nochmal, so in diesem Ton mit mir zu sprechen oder dir das Recht zu nehmen mich zu schlagen und ich werde dir das Leben zur Hölle machen! Haben wir uns klipp und klar verstanden?!''

Bedrohlich nimmt er mein Kinn in die Hand und wirft mir einen verächtlich Blick zu, als sei ich in seinen Augen eine winzige Fliege, die er ohne weiteres einfach mit den Fingern zerquetschen könnte. Verängstigt zitternd schaue ich zu Boden. Alles in mir schreit gerade zu danach, ihm irgendwas Gehässiges an den Kopf zu werfen, doch ich halte brav den Mund.

,,Nun hau schon ab und geh dich bei deiner Mami ausheulen.''

So schnell wie er mich eingekesselt hat, lässt er mich auch schon wieder los und verzieht sich endlich. Als er nicht mehr in Sichtweite ist, halte ich den Kopf gesenkt, um möglichst unbemerkt von den Leuten zurück aufs Schulgelände zu gelangen, wo ich mich auf der Toilette in einer der Kabinen verkrieche. Mit Toilettenpapier trockne ich mir die Tränen für die James verantwortlich ist und atme ein paar Mal tief durch. Einigermaßen beruhigter trete anschließend an den Spiegel, wo ich am Wasserhahn die Brille säubere und das Eis aus der Jacke und den Haaren entferne. Ich bin so erbärmlich, dass ich mir so etwas von so einem Arschloch bieten lasse, denke ich mir im Stillen.

***

Mom liegt ausnahmsweise mal nicht schlafend auf dem Sofa oder sitzt kotzend vor der Kloschüssel, als ich nach einer langen Busfahrt zuhause bin. Stattdessen sitzt sie draußen im Garten auf der Liege, den Blick auf die Pflanzen gerichtet.

,,Hallo Mom'', grüße ich sie.

Beim Klang meiner Stimme hebt sie leicht erstaunt den Kopf und dreht sich nach mir um und dann wieder weg. Etwas gefrustet davon, dass sie mich nicht mal richtig begrüßt, hole ich mir einen Stuhl vom Terrassentisch und setzte mich zu ihr.

,,Glaubst du, Daniel hat mich jemals geliebt und hat mich nicht nur geheiratet, weil ich mit dir schwanger war?'', fragt sie mit einer matten Stimme.

Zu gern hätte ich eine Antwort darauf. Wie gern würde ich ihr ins Gesicht sehen und ihr eine klare Antwort auf diese Frage geben, die sie zufrieden stellen würde. Doch bedauerlicherweise habe ich keine parat.

,,Ich weiß es nicht, aber ich kann mir vorstellen, dass er dich durchaus geliebt hat, Mom. Weißt du, die Liebe ist etwas echt Kompliziertes. Manchmal reicht es nicht aus, eine Person innig zu lieben. Für das Scheitern einer Beziehung kann es mehrere Gründe geben. Man kann der einen Person nicht genügend Zeit oder Aufmerksamkeit gewidmet haben. Man kann sich auseinanderleben, andere Ziele fürs Leben haben oder sich unter schlechten Rahmbedingungen begegnet sein. Die Person kann natürlich auch ein größeres Interesse an jemand anderem gefunden haben, obgleich wie stark man sie liebt. Die Liebe ist nicht fair und unberechenbar. Sie ist weder gut noch böse. Sie ist warm und kaltherzig. Sie kann dir Flügel verleihen oder dir einen Messerstich versetzen. Sie kann dein bester Freund oder dein größter Feind sein. Das hartnäckigste an ihr ist, dass man sich ihr nicht entziehen kann. Ganz egal wie sehr man sich wehrt. Man kann nichts anderes tun, als sich ihr zu stellen.''

Vielleicht war es nicht die Antwort die sie sich erhofft hat. Dennoch blitzt für einen kurzen Moment ein Lächeln in ihrem Gesicht auf.

,,Was für eine weise Tochter ich doch habe.''

***

Mit einem Becher Ben & Jerry's liege ich gemütlich auf der Couch. Nebenbei läuft eine Staffel Games auf Thrones, der ich aber nicht meine volle Aufmerksamkeit schenke.

Schweinebacke.

Fresser.

Hässlicher Niemand.

Abstoßend.

Stück Dreck.

Die ganzen abwertenden Schimpfwörter von James schwirren mir wie laute summende Hummeln um meinen Kopf herum. Du machst deine Situation nicht gerade besser, wenn du da auf der Couch mit ungesunden fettigen Eis herumlümmelst, Laurie bearbeitet mich eine Stimme die sich immer einschaltet, wenn ich Selbstzweifel an mir habe. Die Art wie das Eis in meinen Mund schmilzt, versetzt mich zurück in den Nachmittag, an dem James die bomben Idee hatte, es mir über den Kopf zu kippen.

Wie kann ich einfach nur da sitzen und es seelenruhig in mich hineinstopfen, als sei ich nicht Laurie die Schweinebacke?

Ein hässlicher Niemand.

Ein Stück Dreck.

Angeekelt und mit starken Bauchwehe renne ich ins Bad wo ich das ganz Eis herauswürge. Je mehr Eis aus meinen Körper verlässt, desto befreiter fühle ich mich.

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