-~1~- Wissen Sie, wie spät es ist?

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Cantabile in D-Dur von Paganini lief rastlos durch meinen Kopf, als ich durch den Flur des Hauses zu meiner Wohnungstür lief. Ein Ohrwurm, der den langen Proben meines Orchesters zu Schulden kam, wegen denen ich auch, obwohl es bereits Anfang Juli und damit draußen lange hell war, erst in der Dunkelheit nach Hause kam.

Nachdenklich schloss ich die Tür auf. Es war ein anstrengender Tag gewesen und ich war froh, endlich zu Hause zu sein.

Ich atmete erleichtert aus, als ich das mir wohlbekannte Klicken des Schlosses hörte und die Tür sich öffnete. Ich trat in meine Wohnung ein und nahm den schwarzen Rucksack von meinen Schultern, um ihn dann auf die kleine Kommode im Flur zu stellen. Das schmale Etui in meiner linken Hand stellte ich ebenfalls dazu. Ich zog meine Schuhe aus und stellte sie ordentlich in das Schuhregal gegenüber der Kommode.
Ich kam nicht darum herum einen Blick in den Spiegel zu werfen, der über dem Schuhregal hing. Eine meiner dunkelblonden Strähnen war aus meinem Zopf gerutscht und hing nun lose herunter. Wie lange das wohl schon so war? Ich löste den Zopf und meine Haare fielen wild durcheinander auf meine Schultern.
Endlich zu Hause, endlich entspannen.

Ich nahm das Etui wieder von der Kommode und nahm es mit in mein Wohnzimmer, das am Ende des Flurs lag.

Die hellen Gardinen waren durch meinen hektischen Start heute morgen noch immer zugezogen und eine unangenehme Hitze herrschte in dem Raum vor. Ich stellte das Etui wieder auf meinem Wohnzimmertisch in der Mitte des Raumes ab und öffnete die Gardinen und die Fenster. Die kühle Abendluft strömte mir entgegen und ich atmete tief ein. Der Himmel war fast wolkenlos, doch die Sterne konnte ich trotzdem nicht sehen, da die Lichtverschmutzung Londons einfach zu groß war.

Ich hörte die leise Melodie einer Violine, die aus einem der Häuser gegenüber kam. Es war ein ruhiges Lied, das wohl normalerweise fröhlich klingen sollte, doch das immer wiederkehrende Vibrato und die immer wieder in Moll wechselnden Klänge drückten eine tiefe Traurigkeit aus. Es war wunderschön.

Ich hörte eine Weile zu, doch der Violonist schien nicht aufhören zu wollen. Er spielte einfach immer weiter und weiter, scheinbar ohne Ziel und ohne Bestimmung. Es war eine einsame Melancholie und er schien all die Ereignisse, die in letzter Zeit in seinem Leben geschehen waren, ausdrücken zu wollen.

Ich wusste, dass er wohl öfter um diese Uhrzeit spielte, da sich die Nachbarn schon oft bei der Vermietung über die nächtliche Störung beschwert hatten, selbst hatte ich ihn aber noch nie gehört, obwohl ich schon mehr als ein Jahr hier wohnte. Die anderen Bewohner der Häuser in der Umgebung schienen nicht zu verstehen, was es bedeutete, in der Nacht einem Anflug von Kreativität zu unterliegen.
Auch wenn ich den Violonisten noch nie zuvor gehört hatte, wusste ich in etwa wer er war. Ich kannte den Blog seines Mitbewohners, der sich ebenfalls ab und zu über die Hobbys seines Freundes, aber vorallem über ihre Ausführung aufregte.
Er hatte einen außergewöhnlichen Namen und eine noch außergewöhnlichere Gabe beim Aufklären von Kriminalfällen, jedoch konnte ich manchmal nicht über die Kommentare der Bewunderung und der gelegentlichen Übertreibung hinwegsehen und einschätzen, wie genial dieser Mann tatsächlich war.
Nur das offensichtliche Talent mit dem Umgang seines Instruments konnte ich beurteilen.

Ich zögerte noch eine Weile und lauschte den leisen Tönen, dann ging ich zurück zu meinem Wohnzimmertisch und öffnete das lange, schmale Etui. Vorsichtig nahm ich die langen, metallenen Teile heraus und baute sie, wie gewohnt, schematisch zu der Querflöte, die ich schon so lange im meinem Leben halten durfte, zusammen.

Langsam ging ich zurück zum Fensterbrett, um mich daraufzusetzen. Noch einige Takte wartete ich ab, bis ich das sich ab und zu wiederholende Muster der Melodie erkannt hatte und fing dann langsam an, zu spielen.

Die ersten Sekunden konnte ich den Violonisten noch hören, dann hörte er abrupt auf. Verunsichert stoppte ich ebenfalls und ließ meinen Blick über die Fenster im gegenüberliegenden Haus Wandern. Eine Gestalt stand hinter einem der wenigen, um diese Uhrzeit noch beleuchteten Fenster. Ich konnte sehen, wie sich seine Silhouette hinter dem dünnen Vorhängen bewegte und er das Fenster öffnete, jedoch ohne dass ich sein Gesicht sehen konnte.
Für eine kurze Weile herrschte Stille, dann begann er wieder zu spielen. Diesmal war die Melodie jedoch deutlich lauter zu hören.

Erneut stimmte ich mit ein und wir fanden schnell eine gemeinsame Melodie, bei der wir uns immer mal abwechselten oder auch zusammen spielten.

Es war selten, dass ich mich sofort mit jemanden so im Einklang fühlte und wir ohne Absprache miteinander spielen konnten. Wir bildeten eine Einheit, ohne Organisation. Es war ein nahezues Chaos von Tönen, die sich auf irgendeine Art und Weise zusammenfügten und gegenseitig unterstützten.

Es war wie Magie, doch nach einer Weile hörte ich, wie jemand in der Wohnung unter mir das Fenster aufriss und lautstark ,,Wissen Sie, wie spät es ist?!", rief.

Das unterbrach unser melodisches Zusammenspiel. Ich schaute wieder herüber zu dem geöffneten Fenster, jedoch konnte ich niemanden erkennen.
Vorsichtig lehnte ich mich ein Stück nach vorne, um unter mir meinen Mitmieter Mr. Johnson zu erkennen. Wütend sah er hinüber zu dem gegenüberliegenden Gebäude. Sein Kopf hatte bereits eine deutliche Rotfärbung eingenommen und seine Brille war ihm von der Nase gerutscht, sodass sie nur noch an der Kette um seinen Hals hing.

Als ich bemerkte, dass er Anstalten machte, zu mir hochzuschauen, zog ich mich schnell wieder zurück, doch scheinbar war es bereits zu spät, da er schon wieder seine Stimme hob: ,,Und Sie machen auch noch mit, Mrs. Clark? Das werde ich der Hausverwaltung melden!"
,,Verzeihung, Mr. Johnson!", rief ich ihm entschuldiged zu. Ein schlechtes Gewissen hatte ich ja schon irgendwie, allerdings war unser gemeinsames Spiel vorher das allemal wert gewesen und mein Mitgefühl für den älteren Mann hielt sich in Grenzen, da er mich immer noch beim falschen Nachnamen nannte.

Etwas enttäuscht, dass unsere indirekte Zweisamkeit so schnell geendet hatte, schloss ich wieder das Fenster und verstaute die Querflöte wieder in ihrem Etui.
Nun holte mich meine Erschöpfung erneut ein und ich beschloss, mich für das Bett fertig zu machen.

Nachdem ich aus dem Bad kam, warf ich noch einen kurzen Blick auf mein Handy. Der Bildschirm leuchtete grell auf und als ersten sprang mir die Uhrzeit ins Auge. Es war bereits kurz vor Mitternacht und ich seufzte, als ich daran dachte, dass ich morgen früh aufstehen musste.

Gerade, als ich mich in mein Bett legen wollte, hörte ich die Violine wieder spielen. Schnell trat ich wieder aus dem Schlafzimmer in den Flur und ging ins Wohnzimmer, um das Fenster zu öffnen. Doch was ich hörte war nicht etwa wieder eine Melodie, es waren scheinbar zusammenhangslos aneinandergereihte Töne. Etwas verwundert sah ich zu dem Fenster herüber. Der Mann stand am Fenster, jedoch war wieder nur seine Silhouette durch die Vorhänge zu sehen. Er wiederholte die Töne erneut und etwas in mir wollte, dass ich sie aufschreibe. Ich schnappte mir aus der Küche, die direkt am Wohnzimmer lag, Stift und Papier und versuchte die richtigen Töne herauszuhören.

Zuerst spielte er zweimal ein d, darauffolgend direkt ein c.
Bei dem nächten Ton war ich mir nicht sicher, also kramte ich schnell erneut meine Flöte heraus und versuchte den richtigen Ton zu finden. Es war ein b. Schnell schrieb ich es nieder und lauschte der Wiederholung des Stücks.
Nach dem mir bekannten Teil, spielte er erneut ein c, dann ein h. Dann wieder ein c, darauffolgendend ein g und dann zweimal ein h. bevor er alles wieder von vorne anfing.

Interessiert betrachtete ich die Tonfolge, die ich aufgeschrieben hatte: d, d, c, b, c, h, c, g, h, h. War das eine Übung? Ein Code?

Mein müder Verstand weigerte sich, weiterhin darüber nachzudenken und ich entschloss mich dazu, mich morgen damit zu beschäftigen.

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