19 - Omaliebe

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Ich hole mein Laptop aus meinem Büro, damit wir den Skype-Anruf entgegennehmen können. Zunächst sehen wir wieder Jack, dann wendet der sich ab, und man hört ihn im Hintergrund diskutieren, während Pauls Oma auf der Bildfläche erscheint. Ich sehe, dass sie kämpft, dass das Gekeife einer weinerlichen Frauenstimme sie völlig mürbe macht. Wahrscheinlich geht das den ganzen Tag so, und diese arme Frau bekommt keine Sekunde Ruhe von ihrer Zimmernachbarin. Weil Paul sich anspannt, weiß ich, dass auch er das merkt.

Boah, dieses blöde Waschweib!
Sperrt die Zicke doch in den Stall!!!
Die soll meine arme Oma in Ruhe lassen.

Papa regt sich über sowas immer furchtbar auf. Für ihn ist sein Krankenhaus nicht nur eine Ansammlung von Betten zum möglichst Gesundwerden bei möglichst hohem Profit. Er sieht sich in der Verantwortung, dass ein Aufenthalt bei uns auch mental und emotional eine Stärkung mit sich bringt. Darum werden hier die Patienten, wenn es irgendwie geht, so zusammengelegt, dass das Alter passt, die Stimmung gut ist, die Leute sich was zu sagen haben.

Jack setzt sich neben sie und hält ihre Hand, während Paul und seine Oma miteinander reden. Paul erzählt von seinem Tag, von dem Schuhkarton, von den gepressten Blumen und den Fotoalben. Sie frischen Erinnerungen auf und lachen miteinander.

Dann fasst er sich ein Herz und beichtet ihr, dass er das GEGENÜBER-Programm gestoppt hat, weil er sich das jetzt einfach nicht mehr vorstellen kann. Sie reagiert relativ gefasst. Aber es ist ihr anzusehen, dass sie am liebsten aus ihrem Krankenhausbett springen und an seine Seite eilen würde.
„Oma, ich hab dich lieb, bitte sei mir nicht böse deswegen."
Sie schüttelt den Kopf.
„Ich bin dir doch nicht böse, Paulchen. Ich kann nur nicht verstehen, warum du diese Chance nicht nutzen willst, nachdem du so lange alles dafür getan hast."
Einen Moment lang ist es still. Paul kämpft mit sich, ob er versuchen will, ihr das zu erklären.

Macht es mir doch nicht alle so schwer!
Ich sterb doch nicht freiwillig ...

„Paulchen? Ich ... ich würde deine Entscheidung gerne verstehen. Wenn es mich etwas angeht."
Paul nickt.
„Ach, Omilein. Ich fand es schwer genug, das zu entscheiden. Aber ich wills versuchen."
Er ringt mit sich. Da dämmert mir etwas.
„Paul? Als du diese Entscheidung gefällt hast heute Morgen, da warst du bewusst alleine. Anschließend haben wir eigentlich nur das Ergebnis deiner Überlegungen erfahren. Wäre es jetzt leichter für dich, darüber zu reden, wenn wir wieder rausgehen?"
Er überlegt einen Moment, wirkt dann erleichtert, kuckt aber gleich danach schuldbewusst und nickt. Also gehen wir und lassen Paul mit seiner Oma vorm PC allein.

Mann, Leute. Ist das alles kompliziert.
Ich weiß doch auch nicht.
Und jetzt wird Niklas auch noch ausgeschlossen.

Kaum sind wir in meinem Büro, schauen mich meine Eltern fragend an.
„Hast du eine Idee, warum er jetzt so schuldbewusst gekuckt hat?"
Ich kann nur mit den Schultern zucken.
„Keine Ahnung. Es gibt doch nichts, wofür er sich schämen müsste."
Wir nutzen die Zeit, um zu überlegen, wie es jetzt wahrscheinlich weiter gehen wird - in dieser letzten Nacht, morgen im Laufe des Tages. Mein Vater stöhnt etwas resigniert.
„Ich hatte so gehofft, dass er in dieser positiven Atmosphäre einen leichten Verlauf haben darf. Aber bisher hat er alle nur möglichen Symptome gezeigt, und das zum Teil sogar verfrüht. Ich habe ein bisschen Schiss, dass er wirklich alles mitnimmt, was möglich ist. Wenn sich da irgendwelches Organversagen anbahnt, müssen wir ihn ins Krankenhaus bringen, und das wäre die Hölle für ihn. Er arbeitet toll mit, er spricht auf alle Medikamente supergut an. Aber den leichten Weg geht sein Körper nicht."

Ich schüttele mich. So eine hübsche kleine Entzündung oder Nierenkolik am Ende – bitte nicht! Mir schießen spontan die Tränen in die Augen.
Ich möchte dich möglichst unverkabelt im Arm halten können, Paul. Ich möchte dir in die wachen Augen schauen und dir in Ruhe lebewohl sagen können. Und nicht mit Nierenschalen, Hammertropfen und piepsenden Geräten um deine Aufmerksamkeit ringen müssen. Ich will nicht, dass du so grausam gehen musst! Ich bin so hilflos ...

Endlich holt Paul uns mit dem Piepser wieder zu sich ins Wohnzimmer. Wir sehen sofort, dass beide geweint haben. Paul streckt die Arme nach mir aus, schaut mich fragend an.
„Was ist, Paul? Ich bin hier. Warum hast du ein schlechtes Gewissen?"
Er senkt den Blick, und ich setze mich zu ihm aufs Sofa. Ich halte seine Hände und schaue ihn aufmerksam an. Paul starrt auf seine Knie.
„Bist du mir böse, dass ich dich rausgeschickt habe?"

Ich schüttele den Kopf über meinen geliebten kleinen Idioten.
„Spinnst du erst ein bisschen oder schon komplett? Ich hab das doch selbst vorgeschlagen! Paul, es ist absolut in Ordnung. Du bist mir keine Rechenschaft schuldig, wenn du mit deiner einzigen Verwandten alleine reden möchtest. Es ist schlimm genug, dass ihr nicht beieinander sein dürft. Dass sie sogar einen Helfer braucht, der ihr die Ignoranz vom Leibe hält, damit sie überhaupt mit dir reden kann. Dieser Mangel an Privatsphäre dort ist einfach grausam. Nein, Paul, ich bin dir überhaupt nicht böse."

Danke, Niklas.
Danke für deine wundervolle Liebe!

Paul ist sehr erleichtert und kuschelt sich wieder an mich, während er auf den Bildschirm schaut.
„Siehst du Oma? Wie lieb er mich hat? Und ich liebe ihn auch so sehr. Die Vorstellung, dass ich mir irgendeine oder einen suche, der mich dann küssen und sein Leben lang aushalten muss, wenn ich doch hier das Glück an meiner Seite habe und sich das alles so richtig anfühlt – das ging einfach nicht. Ich will immer noch nicht sterben. Ganz bestimmt nicht. Es ist einfach die logische Konsequenz davon, dass ich mich für DEN Richtigen entschieden habe und drauf pfeife, ob er mein ominöses GEGENÜBER ist oder nicht. JETZT ist es richtig."

Mir kommen die Tränen, während ich ihm zuhöre, wie er seiner Oma seine Liebe zu mir und seine Entscheidung erklärt.
Hoffentlich hasst sie mich deswegen jetzt nicht.
Wieder ernte ich einen langen prüfenden Blick von ihr. Wieder wird Paul nervös. Dann wird ihr Gesicht weich.„Du musst ein ganz besonderer Mensch sein, Niklas, wenn Paul dich so sehr liebt. Nimm sein Geschenk an und gräme dich nicht. Ich würde dich gerne kennenlernen, wenn es dann irgendwann möglich ist. Was meinst du?"
Ich bestätige nichts lieber als das, denn mir geht es genau so. Ich denke sowieso, dass sie eine neue Famillie brauchen wird, da sie ja ihre „alte" verloren hat bzw. verliert.
„Das machen wir, ganz bestimmt!"
Erleichtert platzt es aus mir heraus. Wir müssen beide schmunzeln. Und Paul strahlt.

„Glaub nicht, dass seine Eltern immer nur schlecht und feige waren. Jeder Mensch trägt sein eigenes Leid. Ich kenne Paul, seit er auf der Welt ist. Und ich kenne das Leben seiner Eltern, seit er auf der Welt ist. Die beiden haben es nicht leicht gehabt und sich nicht leicht gemacht. Vor zwanzig Jahren musste man mit einem Hybridenkind noch viel mehr kämpfen als heute. Ich glaube, du und deine Eltern, ihr wisst, wovon ich rede. Ich gestehe ihnen zu, dass dieser bevorstehende Abschied sie überfordert hat. Ich nehme ihnen nur furchtbar übel, dass sie davon gelaufen sind, ohne für Paul irgendwas zu regeln. Dass sie ihn der Schutzlosigkeit preis gegeben haben. Und dass sie nicht auf die Idee gekommen sind, ... wenigstens die Idee gehabt haben, dass ich an ihrer Stelle ..."
Sie fängt an zu weinen, und wir fühlen uns furchtbar hilflos so weit weg.
„Glaubt nicht, ...nicht, dass ... Es ist nicht verletzter Stolz."
Tapfer kämpft sie sich weiter.
„Ich liebe Paul nur so sehr, dass ich einfach nicht begreifen kann, wie man so NICHTS regeln kann, um ihn in Würde gehen zu lassen. Wie kann man das seinem eigenen Kind antun!?!"
Nun weinen wir hier auch alle.

Oma. Omilein!
Ich vermisse dich soooo sehr!

„Niklas, du bist jetzt Vater und Mutter, Bruder und Freund für Paul. Du hältst sein Herz in deinen Händen und trägst ihn die letzten Meter ins Ziel. Du machst ihm all das Furchtbare erträglich. Du bist sein Glück. Und dafür danke ich dir. Das ist jetzt viel mehr wert als, sein GEGENÜBER zu sein."

Noch lange reden wir alle miteinander und sind so froh, dass es heutzutage diese Möglichkeit zum „Telefonieren mit Bild" gibt. Aber es dauert eine Weile, bis die Stimmung wieder unbeschwert und leicht ist. Pauls Oma fängt irgendwann an, uns Geschichten aus Pauls Kinderzeit zu erzählen. Witzige Aussprüche eines frechen Fünfjährigen. Unsäglich bescheuerte Aktionen eines pubertierenden Fünfzehnjährigen. Wir lachen uns schlapp, während Paul um Gnade winselt.
„Mann, Oma! Musst du alles verraten? Das ist soooo peinlich!"

Irgendwann wird mein Vater stiller und beobachtet Paul aufmerksam. Ich folge seinem Blick und bemerke nun auch, dass er in meinen Armen immer kleiner geworden ist, seine Stimme ist leiser, die steile Falte auf der Stirn wieder da.
„Paul? Möchtest du schlafen? Geht es dir noch gut? Der Tag war lang ..."
Er nickt nur. Dann verabschiedet er sich von seiner Oma. Wir können für morgen Abend keinerlei Prognosen abgeben. Darum verabreden wir mit Jack, dass er sich ab mittags bereit hält, meine Eltern öfter dort anrufen und der geeignete Zeitpunkt zum endgültigen Abschied spontan gewählt wird.

Kaum ist der PC runter gefahren, klappt Paul seine Augen zu. Eine steile Falte erscheint auf seiner Stirn.
"Mir ist unglaublich schlecht."
Wir reagieren sofort. Ich trage Paul in sein Bett, - meine Mutter trägt den Infusionsständer nebenher – ich ziehe ihn um und dimme das Licht. Mama hilft mir mit geübten Handgriffen dabei. Mein Vater kontrolliert den Tropf und dreht die Dosis nochmal etwas hoch. Paul greift nach der Maus und klappt erschöpft und verausgabt die Augen zu. Ich ziehe mir etwas Bequemes an, womit ich heute Nacht gut jederzeit arbeiten kann, falls Paul das braucht, und schlüpfe hinter ihm ins Bett. Ich ziehe ihn etwas an mich und kraule ihn hinter den Ohren.
„Ich bin nur für dich da. Meine Eltern kümmern sich um alles andere. Schlaf jetzt gut, damit du morgen noch was hast vom Tag. Ich liebe dich!"

Fast auf der Stelle schläft er ein und entspannt sich. Mir geht das Herz vor Rührung auf, als er im Schlaf wieder nach meiner Hand greift und zart auf meinen Fingern rumkaut.
Wie sehr werde ich DAS vermissen!

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19.7.2019    -    28.9.2019

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