18 - Krankenstation

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Immer wieder im Laufe des Nachmittags ist Paul eingenickt. Dann habe ich ihm jedes Mal sanft den Schuhkarton aus den Händen genommen und beiseite gestellt, damit nicht alles rausfällt. Ich bin so dankbar, dass er sich an den Schwindel gewöhnt hat, dass wir seine Kopfschmerzen im Griff haben. Dass er klar und meistens fröhlich diesen vorletzten Tag erleben und genießen darf. Bei der Vorstellung, dass er jetzt frierend und verlassen in der Garage seiner Eltern hocken könnte, dreht sich mir der Magen um und das Herz gleich mit. Sooft er schläft, fülle ich Seite um Seite in meinem Paulbuch. Ich halte alles fest, was er mir erzählt über sein Leben.

Seit er mir das gestern erlaubt hat, habe ich immer mal Fotos von ihm gemacht. Wie er lacht, wie er sich konzentriert beim Lesen, wie meine Eltern ihn in den Arm nehmen, ich habe Selfies von uns beiden gemacht, überall da, wo wir uns aufhalten. Für diese Bilder lasse ich hier immer wieder Platz zum Einkleben. Irgendwann beschließe ich, dass ich dieses Buch nach seinem Tod seiner Oma geben werde. Und ich kann nur hoffen, dass es sie tröstet, wenn sie liest und sieht, wie oft Paul sie voller Liebe erwähnt, welche große Bedeutung sie für sein Leben gehabt hat. Und dass es ihm hier wirklich gut gegangen ist.

Als Paul beim Abendessen mitteilt, dass ihm leicht übel wird, sehen wir anderen uns nur an.
Das ist zu früh!
Wieder versucht mein Vater, durch Befragung möglichst genau herauszufinden, wie sich diese Übelkeit anfühlt, damit er das richtige Medikament in der richtigen Dosierung festlegen kann.
„Paul, ich fürchte, ab jetzt wird es ungemütlich für dich. Denn wir würden jetzt gerne dein Zimmer umbauen, damit wir im Bedarfsfall alles griffbereit haben für richtige Krankenpflege. Und das Mittel, das du ab jetzt scheinbar brauchst, muss ich dir intravenös verabreichen. Und das bedeutet leider: Krankenbett, Kanüle, Tropf - und Desinfektionsmittel."

Uff! Nein, Paul, du verfällst jetzt nicht in Panik. Atmen!
Du schaffst das. Atmen! Du hast keine Wahl ...

Paul zieht scharf die Luft ein, beißt die Zähne zusammen, schließt die Augen und holt ein paarmal tieeef Luft. Seine Ohren drehen sich nervös. Dann hebt er wortlos den nächsten Bissen zum Mund - schnuppert und legt ihn resigniert wieder weg. Seine nächsten Worte sind kaum zu hören.
"Gewonnen. Legt los! Sonst halte ich das nicht bis morgen Nacht durch."
Er isst nur noch wenig, trinkt dafür sehr viel und kämpft dabei sichtlich.

Nach dem Abendessen bringen wir ihn wieder runter ins Wohnzimmer. Und während Mama sich von ihm ein paar Dinge aus dem Schuhkarton zeigen lässt, um ihn abzulenken, bauen Papa und ich sein Zimmer um. Wir hängen die Schranktür aus, damit wir schnell ans Waschbecken kommen können, schieben das Sofa und den kleinen Schreibtisch weg, drehen Pauls Bett quer in den Raum und fahren es ein bisschen hoch, damit wir im Zweifelsfalle besser an ihn rankommen. Wir stellen auf beiden Seiten Nachttische dazu, Nierenschalen, falls er sich übergeben muss, und den Infusionsständer. Papa macht das Medikament klar.

Die ganze Zeit schweigen wir, agieren routiniert und arbeiten die innere Liste an notwendigen Handgriffen ab. Als wir grade fertig sind, hören wir aus dem Wohnzimmer Mama und Paul lachen. Mein Vater nimmt mich einfach wortlos und ganz fest in die Arme, damit ich mal wieder meinen Tränen freien Lauf lassen und Druck abbauen kann.
„Du bist stark, Nick. Du schaffst das! Mama und ich bewundern euch so sehr dafür, wie ihr diese Tage, diese Last, all die Ängste und immer neuen Hindernisse miteinander durchlebt und gestaltet. Wir haben heute Nachmittag oben gesessen und es genossen zu hören, wie viel Spaß ihr mit seinem Schuhkarton hattet, und wieviel zauberhafte Nähe euch dabei vergönnt war."
Ich zucke nur erschöpft mit den Schultern und heule ihm seinen Pullover voll. Aber es tut gut, solche Eltern zu haben. WIE dankbar bin ich, dass Paul sich hier auch als geliebtes Kind fühlen darf!
„Danke, Papa. 1000 Dank! Ihr seid die besten!"

„Pass auf, Nick. Ihr werdet demnächst wieder mit seiner Oma skypen. Ich werde sie jetzt gleich anrufen und alleine mit ihr reden. Soviel ich weiß, ist Jack ganz viel bei ihr und gibt auf sie Acht. Ich war noch nie so glücklich über unser Netzwerk. Heute Morgen hat Jack mir eine Mail geschrieben, dass er beschlossen hat, bei ihr zu bleiben, auch über Sonntag hinaus. Dass er mit ihr Trauerbegleitung machen will, weil er sie so mag. Ich habe ihm angeboten, dass wir ihm eine Fortbildung dazu ermöglichen können, damit er das dann später eigenverantwortlich machen kann. Jedenfalls möchte ich ihr ein paar Informationen zukommen lassen, ohne dass Paul da mithört. Eventuell musst du ihr dann aber beim Skypen helfen, die Fassung zu wahren."

Ich nicke.
„Klar, Papa. Mach ich. Es ist nur fair, wenn sie Bescheid weiß. Sie ist ja im Grunde jetzt die einzige Angehörige. Und sein Anker in dieser bescheuerten Welt. ... Ach, wir hatten verabredet, dass heute sie uns anbimmelt. Das passt. Ich sage Paul, falls es sich verzögert, dass sie bestimmt einfach grade einen Pfleger da hat oder so und sich bald melden wird."

Mein Vater wendet sich zur Tür.
„Papa? Soll ich derweil Paul schon mal den Zugang legen und ihn an die 'Soße' hängen? Wir sollten damit nicht zu lange warten ..."
Er überlegt nicht lange.
„Mach das, Nick. Von dir wird er es vermutlich auch am wenigsten schwer hinnehmen. Um die Dosis kümmere ich mich nachher. Aber du weißt ja, wie alles geht."

Mein Vater klopft mir nochmal auf den Rücken, dann geht er nach oben zum Telefonieren. Und ich laufe zu den beiden anderen ins Wohnzimmer. Paul ist inzwischen ziemlich still geworden und kuschelt sich einfach in die Arme meiner Mutter. Also mache ich sofort kehrt, hole den Infusionsständer mit dem Medikament gegen die Übelkeit und bete, dass es das richtige ist und bald anschlägt. Dann hole ich auch das Desinfektionsmittel, wasche mir gründlich die Hände und bereite Paul vor auf das, was nun kommt.

„Paul? Ich möchte dir jetzt den Zugang legen. Ab jetzt wirst du den Geruch ertragen müssen."
Er hat in dem Moment, wo ich die Flasche zur Tür reingetragen habe, die Augen aufgeklappt und Ohren und Schwanz aufgestellt. Nun atmet er tief durch und nickt.

Atmen! Es ist Niklas. Atmen! Er tut mir nichts. Es ist Niklas.
Atmen! Ich will ni... Es ist NIKLAS! Atmen ...

„Lass uns überlegen, welche Hand wir dafür nehmen. Wenn ich das richtig beobachtet habe, liegst du lieber auf der rechten als auf der linken Seite beim Schlafen. Also sollten wir auch diese Hand für den Zugang nehmen, damit ich mich weiterhin hinter dich legen und dich umarmen kann, ohne dass ich mich in dem Schlauch verheddere. Ist das für dich in Ordnung so? Manche Rechtshänder mögen das nicht."

Das steh ich nicht durch.
Ich muss hier raus!

Paul wird weiß um die Nase. Ich kann erkennen, wie sehr er sich zusammen reißen muss, um das jetzt auszuhalten. Sein ganzer Körper schreit:"Weglaufen!"
Dann nickt er. Vorsichtig bereite ich alle Gerätschaften vor. Dann folge ich einem Impuls, nehme seine zitternde Hand und knabbere an seinen Fingerspitzen, konzentriere mich ganz auf ihn. Wir sehen uns tief in die Augen, und ich kann erkennen, dass er leise lächelt und sich ein kleines Bisschen entspannt.
Das funktioniert also auch andersrum. Wie wunderbar!

Ich gebe ihm die Maus in die linke Hand. Dann ziehe ich mir sterile Handschuhe an, desinfiziere die Stelle, lege routiniert und zügig den Zugang und erkläre nebenbei im Plauderton die Handschuhe.
„Die ziehe ich gleich wieder aus. Dann riechen meine Hände hinterher nicht so danach."
Paul beißt die Zähne zusammen, Tränen schießen ihm in die Augen, als der Geruch direkt in seine Nase steigt. Seine linke Hand umklammert die Maus. Mama umarmt ihn von hinten, streicht ihm über den Rücken. Es zerreißt mich schier innerlich, dass ich ihm das antun muss. Der kleine Pieks ist ja egal. Aber ich weiß, dass er grade überflutet wird von einer Welle schlimmer Erinnerungen und tief sitzender Ängste. Und ich kann es ihm weder abnehmen noch ersparen. Er würde sich sonst die nächsten 28 Stunden die Seele aus dem Leib kotzen und schließlich völlig entkräftet komatös seinem Ende entgegen dämmern.

Der Geruch ... Sammy! Der Geruch ...
Nein, du schaffst das. Das ist Niklas.
Atmen. Ich schaff das.

"Niklas!"
Seine leise Stimme ist ein einziges Flehen. Er streckt mir seine Hände entgegen.
„Warte, ganz kurz, bin gleich da!"
Ich flitze, bringe allen überflüssigen Medizinkram zurück in die Medi-Kammer und reiße mir dort auch schnell die Handschuhe von den Händen. Dann muss er das nicht mehr sooo doll riechen. Schnell flitze ich zurück zu Paul, rutsche auf dem Sofa ganz nah an ihn ran und nehme seine beiden Hände in meine.
„Lass dir Zeit, dich dran zu gewöhnen, Paul. Ich liebe dich, du machst das ganz wunderbar. Erlaube deinem Kopf, dir zu sagen, dass das jetzt keine Bedrohung für dich ist. Ja? Tief durchatmen. Immer weiter. Ja, so ist es gut!"

Und dann sind wir eine ganze Weile völlig still, während ich an seinen Fingern knabbere und ihm dabei mit all meiner Liebe und Gelassenheit in die Augen sehe. Eine Nebenspur in meinem Kopf registriert, dass meine Mutter ziemlich erstaunt ist über mein Tun und über den Effekt. Ich lächele sie kurz an. Und in dem Augenblick huscht irgendwie Verstehen über ihr Gesicht. Sie fängt an zu weinen. Ich fühle mich schlagartig mies, denn ich habe keine Ahnung, warum sie nun weint. Aber Paul hat.

Luisa? Ach so.
Niklas knabbert. Wie Nena.

Dieses erstaunliche Wesen erinnert sich daran, was ich ihm von Nena erzählt habe. Während er mir seine Hände hinhält und unseren Blickkontakt weiterhin aufrecht erhält, weil er das für sich selbst braucht, fängt er an, mit seinem Schwanz meiner Mutter über den Arm zu streichen, und fragt sie ganz direkt.
„Lu? Denkst du grade an Nena?"
Ich schnappe nach Luft, als meine Mutter nickt und sich an Pauls Rücken lehnt. So sitzen wir eine ganze Weile und geben uns gegenseitig Halt und Trost. Irgendwann kommt mein Vater wieder runter und nickt mir bedeutungsvoll zu. Er wird also Pauls Oma erreicht haben.

Papa kontrolliert die Geschwindigkeit, mit der das Medikament in den Schlauch tropft, dreht es gleich etwas hoch gegenüber der Startdosis und unterhält sich ausführlich mit Paul über die Wirkung. Nach einer Weile bekommt der wieder Farbe im Gesicht.
„Puh, die Übelkeit nimmt grade ab. Das wurde echt höchste Zeit."
Papa nickt.
„Gut. Das heißt, dass ich das richtige Mittel gewählt habe und die Dosis nun einigermaßen stimmt. Wir beobachten das Ganze eine Weile. Aber jetzt husch-husch. Deine Oma wartet in der Leitung!"

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18.7.2019 - 27.9.2019

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