27 - Alles gut

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Irgendwie schafften sie es, alle gemeinsam an der Rezeptionsdame vorbeizukommen.
So leise wie möglich rannten sie das Treppenhaus hoch, zum Glück war so früh am Morgen keiner dort. Das Frühstück wurde anscheinend schon ausgegeben, denn sie entdeckten einige Wagen mit benutzten Tellern und Besteck.

Im richtigen Stockwerk angekommen, versteckten sich Ben, Sammy und Tess in den nächstbesten Toilettenkabinen, wo sie Wache halten sollten. Auch Lennox würde erst einmal im Stockwerk bleiben, um mögliche Besuche von Carsten (Mariannes Sohn), dem Jugendamt oder sonst jemandem rechtzeitig voraussagen zu können und die anderen warnen zu können. Bevor er losging, gab Nelani ihm seine Jacke zurück, damit sie so einen besseren Eindruck auf Marianne machte.

Alea atmete tief durch. Sie war unendlich aufgeregt. Wie würde Marianne reagieren, wenn sie sie jetzt, nach all der Zeit wiedersah? Auch, wenn sie sich angekündigt hatten und ihre Pflegemutter sie erwartete. Und was war, wenn sie schlief? Mussten sie dann den Rückzug antreten? Immerhin konnte in jeder Minute das Jugendamt aufkreuzen, denn die erwarteten Alea zweifelsfrei. Plötzlich fiel ihr noch etwas ein und der Gedanke ließ sie zusammenfahren. Was, wenn Marianne sich gar nicht mehr in ihrem alten Zimmer befand? Dann mussten sie bei der Rezeptionsdame nachfragen, doch die würde es sicher dem Jugendamt stecken, dass jemand Marianne besuchte. Immerhin wurde Alea polizeilich gesucht, nachdem sie schon seit Wochen nicht mehr in der Schule aufgekreuzt war. Die Sorgen, was alles schiefgehen könnte, plagten Alea den ganzen restlichen Weg über. Er kam ihr wie eine halbe Ewigkeit vor, obwohl es kaum eine Minute gedauert haben musste. An dem Zimmer angekommen, späte Nelani vorsichtig ins Innere.

„Sie ist es", versicherte sie ihr. „Sie ist allein." Alea fiel ein Stein vom Herzen. Zum Glück wurde Marianne nach ihrem zweiten Herzinfarkt nicht in ein anderes Zimmer gebracht! Ihr Zimmer musste noch frei gewesen sein, sodass man sie sofort wieder in dieses bringen konnte.
„Dann los", meinte Alea mit vorgetäuschtem Mut. Innerlich zitterte sie nämlich wie Espenlaub. Die Sorgen von eben stiegen wieder in ihr auf. Wochen hatte sie auf diese Begegnung mit ihrer Pflegemutter gewartet, doch jetzt, direkt vor der Tür, wollte sie am liebsten einen Rückzieher machen. Hilfesuchend sah sie Nelani an, die mittlerweile ihre Sonnenbrille abgesetzt hatte.
„Na los", ermutigte Nelani sie und nahm ihr ebenfalls die Brille ab, um sie in ihrer Tasche zu verstauen. „Wir haben keine Zeit, Alea. Jetzt oder nie."

Fast hätte Alea „nie" gesagt, aber ihre leibliche Mutter hatte schon geklopft, die Klinke heruntergedrückt und die Tür aufgeschwungen.

Als Alea die ausgemergelte alte Frau mit dünnen Haaren und einem kleinen, fast zusammengeschrumpften Körper sah, der an unzählige Schläuche und medizinische Geräte angeschlossen war, merkte sie bereits, wie ihr die Tränen über die Wangen liefen. Ein Schluchzten entwich ihrer Kehle und plötzlich erschien ihr der Gedanke, einen Rückzieher zu machen, unglaublich absurd. Nelani war vergessen, für einen Moment gab es lediglich Marianne und sie. Die Angst vor Orion, dem Jugendamt und allen Silberfadenvisionen war ihr fern, als hätte es sie nie gegeben. Alea fühlte sich zurückversetzt an den Tag, an dem Marianne ihren ersten Herzinfarkt bekommen hatte und ihr ihre Geschichte erzählt hatte. Das Gefühl, wieder die Sicherheit zu haben, dass ihre Pflegemutter noch lebte, durchflutete sie wie am ersten Tag.
Alea rannte heulend auf Marianne zu und schloss sie behutsam in ihre Arme.

„Kind", schluchzte auch Mariann in ihre Schulter. „Du bist hier." Die Freude, Sehnsucht und Einsamkeit in ihrer heiseren Stimme brachte Alea nur noch mehr zum Weinen.
„Ich bin hier", wiederholte Alea und lächelte, während sie Rotz und Wasser heulte.

Nach einigen Minuten hatten sie keine Tränen mehr übrig, sodass Marianne nun auf Nelani aufmerksam wurde. Sie schnäuzte sich die Nase, gab Alea auch ein Taschentuch und fragte: „Sie sind Nelani, Aleas leibliche Mutter?" Es war mehr eine Feststellung, als eine Frage. Kein Wunder, denn diese Mutter sah ihrer Tochter sehr ähnlich.
Nelani setzte sich auf einen Stuhl. Auch ihre Augen glänzten. „Ja, das bin ich", antwortete sie dennoch auf Deutsch mit ihrem kleinen Akzent.

Marianne setzte sich in ihrem Krankenbett auf. Dabei musste sie schrecklich husten und Alea bekam ein ebenso schreckliches schlechtes Gewissen. Hatte sich Marianne überanstrengt? Sie wollte ihrer Pflegemutter durch ihre Anwesenheit auf keinen Fall Schmerzen zufügen! Marianne ging es ohnehin schon schlecht. Niemals sollte es ihr noch schlechter gehen! Sie sollte doch gesund werden! Auch wenn es niemals wieder wie früher werden wird, flüsterte eine leise, verbitterte Stimme in ihrem Kopf

Alea bemerkte, dass die nächsten Minuten allein für Nelani und Marianne sein würden, also nahm sie eine Wasserkaraffe von einem Tisch neben der Tür und füllte drei Gläser mit dem Mineralwasser. Sie gab Marianne eines davon, diese trank in langsamen und angestrengten Zügen.

„Sie sind also Aleas Mutter", wiederholte sie und gab Alea das Glas zurück. „Was ist mit Ihnen geschehen?"

Nelanis Gesicht verdunkelte sich. Alea war gespannt auf ihre Version der Geschichte. Sicher hatte ihre Mutter sich etwas Spezielles für Marianne ausgedacht.

„Ich war schwer krank", begann sie. „Ich habe an einer sehr schweren Grippe gelitten, die sich nicht behandeln ließ. Die Antibiotika sprangen einfach nicht an. Dazu hatte ich noch Kälteurtikaria, eine Krankheit, die bei uns in der Familie liegt. Da ich wusste, dass meine Stunden gezählt waren und ich wahrscheinlich in nur wenigen Tagen und langen Qualen sterben würde, wollte ich wenigstens meine beiden Zwillinge in Sicherheit bringen. Am Strand von Renesse, wo ich zu der Zeit im Urlaub gewesen war, habe ich die beiden also abgegeben. Da ich überzeugt war, meine Kälteurtikaria auch an meine Kinder vererbt zu haben, habe ich Ihnen genau eingeprägt, dass Alea niemals das Wasser berühren durfte. Zumindest habe ich es versucht. Danach dachte ich mir, dass ich sowieso nur noch wenige Tage übrighatte, in denen ich Schmerzen leiden musste. Also habe ich mich entschieden, in das Wasser zu springen und es schnell zu beenden."

Nelani machte eine Pause, schaute weg, in ihren Augen glänzte es. Alea fand, dass das Ganze ziemlich extrem war, aber dennoch entsprach es zum Teil der Wahrheit.

„Mein ganzes Leben lang habe ich schon eine seltsame Verbindung zum Meer gespürt, also wollte ich wenigstens einmal das Gefühl des Wassers auf meiner Haut spüren. Dann bin ich ins Wasser gesprungen und eine Woche später im Krankenhaus wieder aufgewacht. Ein Fischer hatte mich gefunden, halb ertrunken, da ich nicht schwimmen konnte. An meiner Wasserallergie bin ich also nicht gestorben und wie ein Wunder auch nicht an der Grippe, von der ich mich in diesem Krankenhaus doch noch erholt habe. Die Leute dort haben mich aber noch einen ganzen Monat lang nicht gehen lassen, sodass ich meine Kinder nie wiedergefunden habe. Ich habe gesucht und nichts gefunden. Weder Sie noch sonst jemanden. Ich hatte kein Geld, denn ich habe alle meine Papiere im Wasser verloren. Die Kosten für das Krankenhaus bezahlte netterweise der Fischer und eine Freundin von ihm, bei der ich später einige Zeit lang gewohnt habe. Nach monatelanger Suche fand ich nichts, hatte aber wieder genug Geld, um zurück nach Norwegen zu gehen. Ich habe jahrelang weitergesucht, doch keine meiner Töchter gefunden."

Marianne hatte aufmerksam zugehört und fragte nun: „Sie haben also keine Kälteurtikaria? Heißt das, dass Alea..."

„Ja!", rief Alea erfreut. „Ich habe auch keine Kälteurtikaria!" Plötzlich wurde sie verlegen. „Ich habe es nur wenige Wochen nach meinem Aufbruch erfahren. Ich kam mit Wasser in Berührung und es ist nichts passiert. Danach wollte ich es herausfinden. Und es hat sich herausgestellt, dass ich tatsächlich keine Wasserallergie habe!"

Marianne nickte und lächelte. „Das ist ...schön" Sie lächelte gequält. „Es ist sehr schade, dass du deine halbe Kindheit in Angst leben musstest. Das tut mir leid." Etwas beschämt blickte ihre Pflegemutter nach unten. Alea kam zu ihr und legte ihre Hand an Mariannes Wange, sodass sie sich in die Augen blickten.
„Hey", sagte sie sanft. „Du musst dich doch nicht schuldig fühlen. Ich hatte doch trotzdem eine sehr schöne Kindheit", versicherte Alea ihrer Pflegemutter.
„Da bin ich aber froh", meinte diese.

In den nächsten Minuten besprachen Nelani und Marianne noch einige Dinge was das Sorgerecht anging und wie es Alea auf der Crucis ging, ob alles gut wäre und ob Ben sich gut um sie kümmerte. Anscheinend hatte sie keinen Redebedarf mit den anderen Bandenmitgliedern. Na toll, dann sind sie ja umsonst gekommen, dachte sie und stöhnte innerlich auf. Aber sie war trotzdem froh, dass Marianne sich keine Sorgen machte.
Danach ließ Nelani die beiden allein, mit den Worten, sie hätten sich sicher noch etwas zu sagen.

„Es tut mir leid", sagte Alea als erstes. „All das" Sie machte eine hilflose Handbewegung. „Dass ich dir Sorgen bereite, dass ich nicht zur Schule gehe und dir damit Probleme einbrocke."

„Ist doch nicht so schlimm", wiegelte Marianne ab. „Du musstest deine Eltern finden. Das ist gerade wichtiger als Schule." Sie setzte sich auf und klopfte neben ihr auf die Bettdecke, damit Alea sich zu ihr setzte. „Aber erzähl doch mal: Ist noch etwas Spannendes passiert?"
Alea lächelte: „Ich habe herausgefunden, dass ich richtig gut singen kann!", berichtete sie mit leuchtenden Augen. „Und... ich habe einen Jungen getroffen" Oh Gott, hatte sie das gerade wirklich gesagt?

Ein Schatten fiel kurz über Mariannes Gesichtsausdruck. Wahrscheinlich mochte sie nicht, dass Alea einen Wildfremden kennengelernt und bei sich aufgenommen hatte.
„Wie heißt er denn?", fragte sie dennoch interessiert.

„Lennox", antwortete Alea. „Er kommt aus Lübeck und hat wie ich dunkle Haare, aber blaue Augen. Mach dir keine Sorgen, er passt sehr gut auf mich auf, und ist auch wirklich sehr nett! Ben sagt immer, Lennox kann besser auf mich aufpassen, als er es je könnte."

„Dann ist ja gut" Marianne lächelte Alea an. „Er macht dich glücklich, oder?"

Alea nickte und die Röte stieg ihr ins Gesicht.

„Trotzdem musst du irgendwann zurück in die Schule", erinnerte Marianne sie.
Alea nickte erneut, diesmal mit einem miesen Gefühl im Bauch. Denn ob sie wirklich jemals zurückkommen könnte, stand in den Sternen.

„Aber nimm dir die Zeit, die du brauchst", fügte Marianne hinzu. „Regel die Sachen mit dem Jugendamt, dann kannst du mit deiner Mutter hier leben. Wer weiß, vielleicht zieht ihr in unserer alten Wohnung ein. Ich brauche sie ja nicht mehr. Und dieser Lennox kann dich besuchen kommen, immerhin ist Lübeck nicht weit weg von hier."

Alea war froh, dass sie keine genaueren Fragen über Lennox stellte. Wo sie ihn getroffen hatte, wie seine Familie so war und warum er auf der Crucis leben durfte.
Jetzt nahm Marianne Aleas Hände. „Was auch immer ist, ich bin für dich da, das weißt du doch?"
Alea bejahte lächelnd.
„Du bist glücklich, hast Freunde, einen Freund, eine Familie und keine Kälteurtikaria. Dann ist ja alles gut"

Die Silberfadenvision wurde Wirklichkeit.

Hinter sich hörte Alea plötzlich Schritte. Mariannes Blick ging an ihr vorbei und sie schaute, wer dort hereingekommen war.
„Hallo Alea. Wie schön, dass du deine Pflegemutter endlich wieder besuchst. Hast du ihr auch alles erzählt?"

Aleas Herzschlag beschleunigte sich und sie weitete die Augen. Die Stimme kam ihr bekannt vor. Todesangst ergriff sie.

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