10. Kapitel

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Einladend biegt Adam den Stacheldrahtzaun auseinander. Sein Blick liegt auffordernd auf mir und ich verfluche mich innerlich für meine große Klappe.

Mir wird bewusst, dass ich mich selbst in eine gewaltige Scheiße geritten habe.

Er erwartet von mir, dass ich Wunder vollbringen und diese Menschen retten kann. Das könnte ich theoretisch, aber nicht mit den hiesigen Gegebenheiten. Hier sind mir die Hände gebunden. Warum nochmal musste ich mich so vor ihm beweisen?

Ich lasse mir nicht anmerken, dass mich innerlich Zweifel auffressen, sondern klettere erhobenen Hauptes durch den Zaun. Mir ist nicht wohl dabei, wieder zu den kranken Menschen zu gehen. Adams warnende Worte, dass es verboten ist hier zu sein, haben sich tief in mein Gedächtnis gebrannt.

Maria war auch strikt dagegen gewesen, dass wir nochmal hierherkommen. Aber Adam war sehr überzeugt davon gewesen, mich herauszufordern. Leider sind wir beide so temperamentvoll, dass niemand einen Rückzieher gemacht hat, sodass wir nun hier stehen.

Adam klettert hinter mir durch den Stacheldraht und geht mit großen Schritten den Weg entlang, bis wir um die Kurve biegen und ich das Leid der Menschen wieder vor mir sehe.

Unweigerlich bleibe ich stehen. Auch, wenn ich diesen Anblick nun schon das zweite Mal sehe, ertrage ich es nicht zu wissen, dass all diese Menschen vor mir bald sterben. Es wird sich bei einigen nur noch um Stunden handeln, während andere vielleicht noch zwei Tage durchhalten.

Nachdem ich als Krankenschwester gearbeitet habe, ist es mir schwergefallen, wirklich den Schritt zu gehen und Medizin zu studieren. Ich habe großen Respekt vor dem Beruf eines Arztes gehabt. Oftmals hat es sich so angefühlt, als würde mich die Verantwortung, die ich für die Patienten auf den Schultern trage, erdrücken. Ich entscheide über ihre Therapiemöglichkeiten und habe beschlossen, wann der Zeitpunkt gekommen war, indem man die Therapie beendet und eine palliative Weiterbehandlung anstrebt. Ich habe in die Augen der Angehörigen gesehen und ihnen mitgeteilt, dass ihr geliebter Mensch einer Krankheit zum Opfer gefallen ist, gegen die wir Ärzte machtlos waren.

Und jetzt stehe ich hier, vor einer Handvoll Menschen, die dem Tod geweiht sind. Insgeheim weiß jeder von ihnen, wohin diese Seuche führt. Aber die Gewissheit, dass es keinen Ausweg gibt, schnürt mir die Luft zum Atmen ab.

Adam bemerkt mein Zögern und kommt die paar Schritte, die er bereits vorweggegangen ist, wieder zurück und bleibt vor mir stehen.

„Hast du es dir nun doch anders überlegt?" Obwohl es mittlerweile dämmert, kann ich das provozierende Blitzen in seinen Augen erkennen.

Die Sonne steht inzwischen schon so tief, dass unsere Körper lange Schatten auf den Boden werfen. Seine harten Gesichtskonturen wirken in der Dämmerung noch markanter und meine Knie werden deswegen schon wieder weich. Warum muss er nur so eine unglaubliche Wirkung auf mich haben? Das ist wirklich nicht gerade förderlich.

Alles in mir sträubt sich dagegen, zugeben zu müssen, dass ich etwas zu viel versprochen habe. Ich darf mein Gesicht nicht verlieren und überlege angestrengt, wie ich mich selbst aus dieser Situation retten kann. Kann ja schließlich nicht so schwer sein.

„Nein habe ich nicht." Störrisch recke ich das Kinn nach vorne und gratuliere mir dabei innerlich für meine eigene Dummheit. Fieberhaft überschlagen sich meine Gedanken, während ich mich entschlossen an Adam vorbeischiebe. Es muss doch irgendwas geben, was ich tun kann, damit nicht auffällt, wie hilflos ich mich gerade fühle.

Ich höre meinen eigenen Herzschlag in den Ohren pochen und atme tief durch, um mich selbst zu beruhigen. Je näher ich den Menschen komme, desto mehr kommen sie mir vor. Ich kann sehen, dass sie nicht nur vor dem Haus sind, sondern sich auch darin befinden. Neugierig, aber gleichzeitig auch geschockt bleibe ich in dem geöffneten, alten Scheunentor stehen.

Drinnen ist es schon fast stockdunkel. Dennoch kann ich die Gestalten erkennen, die auf dem Boden liegen. Einige haben sich an die Wände gelehnt, stützen mit ihren Körpern andere und versuchen sich gegenseitig mit Decken zu wärmen. Ich höre sie husten, einige stöhnen vor Schmerzen und wieder andere liegen völlig regungslos da und starren mit leeren Augen an die Decke.

Mich schaudert es und ich trete einen Schritt zurück. Dabei pralle ich direkt gegen die Brust von Adam, der dicht hinter mir steht. Mein Körper fängt an zu zittern und ich schaffe es nicht, wieder von ihm wegzutreten.

Denn dann müsste ich wieder weiter in dieses Gebäude hineingehen. Mein Körper schreit danach, von hier zu verschwinden. Ich halte es nicht aus, all dieses Leid zu sehen, obwohl es eigentlich mein Job ist, genau damit umgehen zu können.

Aber auch, wenn ich täglich mit Krankheiten und dem Tod konfrontiert bin, wird es nicht leichter, diesen Dingen zu begegnen. Man stumpft nicht ab, wird nicht kalt oder die Menschen werden einem egal. Nein. Man erinnert sich an jeden einzelnen Patienten, bei dem man den Tod bescheinigen musste.

In meinem ganzen Leben habe ich noch nie so eine Masse an kranken Menschen gesehen. Es gibt viele Projekte wie Ärzte ohne Grenzen, an denen ich aus gewissen Gründen nie teilnehmen konnte. Schon damals habe ich die größte Hochachtung vor Kollegen gehabt, die es getan haben. Jetzt habe ich den größtmöglichen Respekt vor ihnen, diese Zeit durchgestanden zu haben und noch in der Lage gewesen zu sein, diesen Menschen zu helfen.

Ich fühle mich nur überfordert und handlungsunfähig. Dabei weiß ich insgeheim, was ich hier tun könnte. Zwar ist mir klar, dass ich damit keine Leben retten werde. Aber ich könnte verhindern, dass sich die anderen Menschen auch alle anstecken.

Die erste Maßnahme ist es, die Erkrankten zu isolieren. Panik erfasst meinen Körper, als mir bewusst wird, dass diese Maßnahme auch eigentlich die einzige ist, die in dieser Zeit und den erschwerten Bedingungen greifen könnte. Und genau diese Maßnahme hat bereits jemand vor mir ergriffen.

Anders kann ich mir nicht erklären, wieso all diese Menschen hier zusammengepfercht und mit einem Stacheldraht von den anderen Dorfbewohnern getrennt wurden.

Mir wird klar, dass nicht die Kranken ausgestoßen und zum Sterben hierhergebracht wurden, sondern dass jemand versucht haben muss, die restlichen Bewohner des Dorfes zu beschützen.

Ich spüre, wie Adam mir beruhigend die Hände auf meine bebenden Schultern legt. Noch immer stehe ich dicht vor ihm, kann in meinem Rücken spüren, wie sich sein Oberkörper bei jedem Atemzug hebt und senkt. Die Wärme, die von seinem Körper ausgeht, sorgt dafür, dass ich mich nicht ganz allein und verloren in dieser ganzen Situation fühle.

Wieso lacht er mich nicht aus, weil er die Schwäche bemerkt, die von mir Besitz ergriffen hat? Wieso stellt er mich nicht bloß und wirft mir an den Kopf, dass er mir all die Lügen sowieso nicht geglaubt hat? Wieso spendet er mir einfach Kraft und ist für mich da? Wieso habe ich das verdient?

Lautlos läuft eine Träne über meine Wange, als ich in dem Chaos vor mir sehe, wie ein kleines Kind die schlaffe, leblose Hand seiner Mutter festhält. Auf dem dürren Arm des Kindes befinden sich schon schwarze Flecken, die zeigen, dass auch er bald dem Tod begegnen wird.

„Man...man könnte die Kranken von den Toten isolieren...Ihre Kleidung waschen, sie von Ratten und Flöhen fernhalten...sie dürften nicht hier auf einem Haufen sitzen, hier stecken sie sich untereinander noch mit anderen Krankheiten an..." Hastig brechen diese Worte aus mir heraus, in einem letzten, verzweifelten Versuch, irgendwas für diese Menschen tun zu können. Aber ich kann nichts tun. Ich könnte nichts anderes tun, als ihnen beim Sterben zuzusehen und ihnen die letzten Stunden erträglich zu machen.

Genau das, was Adam heute Morgen getan hat.

Ein leises Schluchzen dringt aus meiner Kehle und ich presse sofort die Lippen zusammen, um es zu unterdrücken. Ich will jetzt nicht weinen. Ich habe gar kein Recht dazu, wenn ich meine eigene Situation mit der von den anderen Menschen vergleiche. Sie sind dem Tod geweiht, ich nicht. Ich stecke nur in der falschen Zeit fest.

Ich habe kein Recht dazu, vor ihnen Schwäche zu zeigen. Aber ich kann nichts dagegen tun, ich habe die Kontrolle über meinen Körper und den Gefühlen verloren.

Ich habe versagt, vor Adam und seiner Schwester. Die Versprechungen, die ich ihnen gab, konnte ich nicht halten. Ich wollte mich nur selbst schützen und verteidigen. Ihnen irgendwie beweisen, dass ich nicht gelogen habe. Aber das kann ich nicht.

Sanft dreht Adam mich zu sich um und ich lasse es geschehen. Meine Unterlippe zittert verdächtig stark und ich weiß, dass ich es nicht mehr lange schaffen werde, die Tränen zurückzuhalten. Weil ich von mir selbst so sehr enttäuscht bin, wie ich es noch nie in meinem ganzen Leben war.

Ich kann den Anblick der Menschen um mich herum nicht mehr ertragen. Die offensichtlichste Möglichkeit, um sie nicht mehr sehen zu müssen, bietet mir die breite Brust von Adam, die sich einladend direkt vor meiner Nase befindet. Ohne weiter darüber nachzudenken, vergrabe ich mein Gesicht an seinem Oberkörper.

Mir ist mittlerweile alles egal, mein Ruf ist sowieso ruiniert. Danach soll es sich bekanntlich ganz ungeniert leben.

Ein kleiner Teil von mir hat damit gerechnet, dass er mich von sich stößt, aber er überrascht mich erneut. Seufzend legt er seine Arme um meinen zitternden Körper und drückt ihn fest an sich. Spätestens jetzt brechen bei mir alle Dämme und ich kann nicht mehr gegen den Drang zu weinen ankämpfen. Stattdessen lasse ich meinen Tränen freien Lauf, klammere mich an Adam fest und genieße das geborgene Gefühl, was er in mir auslöst.

Es fühlt sich so verdammt befreiend an, sich vor ihm nicht mehr verstellen zu müssen. Er kennt die ganze Wahrheit, er kennt mich und verurteilt mich trotzdem nicht. Er akzeptiert mich so, wie ich bin. Und er scheint eine Engelsgeduld zu haben, um die ich ihn wirklich beneide.

„Du musst mir nichts beweisen Elaine. Ich weiß selbst nicht warum, aber ich glaube dir. Ich vertraue dir, dass du mir die Wahrheit gesagt hast." Flüsternd dringen seine Worte an mein Ohr und überschwemmen mein Herz mit einem Schwall Wärme, die mich stockend Luft holen lässt. Erneut drängt sich die Frage, womit ich ihn verdient habe, in mein Gedächtnis. Ich finde darauf keine andere Antwort, als dass es Schicksal sein muss.

Mit roten, verquollenen Augen sehe ich zu ihm hoch. Die letzten Sonnenstrahlen brechen sich in den leichten Bartstoppeln an seinem Kinn und lassen sie leicht aufleuchten. Seine Augen liegen im Dunkeln, aber ich spüre die Wärme, die von ihnen ausgeht, während er mich mustert.

Mein Blick verfängt sich an seinen Lippen, die sich so dicht vor mir befinden. Ich müsste mich nur ein Stück größer machen und nach vorne beugen, dann könnte ich meine eigenen darauf drücken. Alles in mir sehnt sich danach, diese paar Zentimeter zu überwinden.

So eine Anziehung zu einem Mann habe ich in meinem ganzen Leben noch nicht verspürt. Es fühlt sich an, als wären wir zwei Magneten, die dazu bestimmt sind, aneinander zu kleben und sich nie wieder loszulassen.

Ich muss innerlich richtig dagegen ankämpfen, um diesem Drang nicht nachzugeben. Um mich abzulenken, reiße ich den Blick von seinen Lippen los und sehe ihm stattdessen wieder in die Augen.

„Wieso kommst du hier her? Dieser Ort ist schrecklich. Wie schaffst du es, dich um diese Menschen zu kümmern?" Leise stelle ich die Fragen, die mir mir seit heute Morgen im Kopf herumspuken.

Adam presst leicht seine Lippen zusammen und weicht kurz meinem Blick aus. Innerlich kämpft er mit sich, dann aber sieht er mich wieder an. „Meine Eltern...sie waren hier. Ich war bei ihnen, bis sie...starben. Ich habe das Leid der anderen Menschen gesehen, niemand anders hatte sich um sie gekümmert..." Das Zittern in seiner Stimme ist nicht zu überhören und sofort bereue ich es, ihm diese intime Frage gestellt zu haben.

„Das tut mir leid", flüstere ich und lege ihm eine Hand an die Wange. Ein sanftes Lächeln bildet sich auf seinem Gesicht und ich spüre, wie er leicht dankbar nickt. „In meiner Zeit hätte ich ihnen helfen können...man braucht nur Antibiotika."

Verwirrt huschen seine Augen über mein Gesicht. „Antibiotika?"

Ich nicke und überlege kurz, wie ich ihm am einfachsten erklären kann, was ich meine.

„Ja, Medikamente, die gegen die Krankheit helfen. Es existieren viele verschiedene, die man nehmen kann, aber die gibt es hier noch nicht... Doxycyclin. Oder auch Genta-"

„Gentamycin", ergänzt eine fremde, weibliche Stimme zu unserer rechten und sorgt dafür, dass wir beide vor Schreck zusammenzucken.

Mein Herzschlag beschleunigt sich.

Wie kann das möglich sein?

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