26. Eine Reise in die Vergangenheit

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"Our memory is and always will be as good as time travel gets, and in the meantime time will do the travelling for us."


Mit einer höchst gedankenverlorenen Miene stierte Victoria aus dem Finster ihres auserwählten Zimmers und direkt auf das darunter befindliche Moor hinab.

Der nächste Abend hatte erneut über den Düsterwacher Landkreis unaufhaltsamen Einzug gehalten. Pechschwarze Finsternis bekleidete wieder in Hülle und Fülle das offenbarte Gewand des Himmels und legte sich weiterhin gleich einem Schleier des Todes über die schlummernde Landschaft nieder.

Wie Zecken, die sich tief in die fleischliche Haut eingegraben zu haben schienen, so hängten die dicht gesponnenen Gewitterwolken weiterhin am Gestirn fest. Ließen dabei kaum herab fallendes Mondlicht passieren. Nur hier und da befreiten sich ein paar Strahlen von dem auferlegten Joch und verliehen der dusteren Finsternis am Boden einen beinah unsäglich schönen silbernen Schimmer.

Auch der verhüllte Zustand des Moores wähnte sich keinen Deut besser. Weiterhin durchtränkte ein dick vorhandener Nebelsumpf jede existierende Pore und Faser des hiesigen Rieds mit schweigender Melancholie, der weiße Atem der Luft hauchte dabei in ständiger Manier seinen verhüllenden Dunst aus. Lediglich die konturierten Schemen kahler Baumstämme und wild wuchernder Binsengräser erkannte Victorias spähender Blick hier und da, der Rest ward allerdings wie vom Erdboden verschluckt.

Unlängst flogen die aufgewühlten Gedanken der jungen Frau zum gestrigen Abend zurück. Im Laufe des vergangenen Tages, nach einer durchaus dringend benötigten Verschnaufpause, hatte sie ihre beiden tapferen Freundinnen über all ihre Erlebnisse erzählt und dabei nicht das winzigste Detail ausgelassen.

Mit tennisballgroßen Augen und offen stehenden Mündern hatten Charlotte und Louisa der Erzählung gelauscht. Obgleich der Rotschopf durchaus die Meinung vertrat, dass ein weiterer Verbleib in diesem Gemäuer sie alle Kopf und Kragen kosten könnte, schien am Ende die einstimmige Entscheidung gefallen, nichtsdestotrotz dem uralten Rätsel auf die Spur kommen zu wollen.

Für ein paar Momente blieb die schweigsame Schwarzhaarige ruhig an Ort und Stelle stehen, ehe wie aus dem Nichts eine eisig kühle Brise über ihre Wange hinweg glitt, deren schauderhaftes Wirken sogar bis in ihr tiefstes Verborgene vordrang und alles zu Frost gefrieren ließ.

Wenn es so weiter geht, dann gewöhn ich mich noch an das Gefühl.

Instinktiv drehte sich Victoria um die eigene Achse, nur um gleich darauf dem Antlitz von einem urplötzlich erschienenen Fabian entgegen zu blicken, der sich nun kaum mehr Zentimeter von ihrem Selbst entfernt aufhielt.

"Guten Abend. Mich dünkt, dass es nun an der Zeit ist, unser Gespräch fortzuführen!"

Tiefe Atemzüge einholend, so sprang die junge Frau dennoch in intuitiver Manier ein paar Schritte zur Seite, wäre dabei sogar um Haaresbreite gegen ein aufgestelltes Regal geprallt. Auch wenn Victoria tief in ihrem Inneren glaubte, dass er ihr grundlegend nichts Böses wollte, ließ sich leider der letzte Anflug von prickelnd verspürtem Misstrauen nicht so einfach von den Knochen schütteln.

Fabian, der wohl ihre kaum verhohlenen Gedanken vom vermutlich erschrocken dreinblickenden Gesicht hatte ablesen können, wich auf der Stelle mit vorgehaltenen Händen ein paar Schritte zurück, so als handelte es sich bei ihrem Selbst um ein aufgeschrecktes Wesen, das er nicht weiter in die Enge drängen wollte.

"Entschuldige, meinen Manieren scheinen wohl über die Zeit hinweg sehr eingerostet. Bitte, hab keine Angst vor mir, ich will dir nichts Böses!"

Für diesen Akt der Rücksichtnahme ist es aber deutlich zu spät, dachte sich die Schwarzhaarige kopfschüttelnd, den unerwarteten Gast sogleich mit zusammengekniffenen Iriden von Kopf bis Fuß musternd. Was hat er nur dabei erwartet, einfach wie aus dem Nichts in meinem Schlafraum seine Zelte aufzuschlagen? Etwa ein freudiges Willkommenskommitee oder gar eine aufspielende Blaskapelle?

"Um Himmelswillen ... eine kleine Vorwarnung hätte ich auch nicht geschadet, Fabian!", schnaufte Victoria wie ein wütender Stier, während sie beide Hände auf demonstrative Art vor der Brust verschränkte. Doch ein paar Momente später fand ihre wankende Contenance abermals zu alter Stärke. "Gut, was geschehen ist, ist geschehen. Machen wir einen Knopf dran. Trotzdem bestehe ich auf die Frage, was du genau um zehn Uhr abends in meinem vorübergehenden Zimmer willst? Und das ohne formelle Einladung! Oder wie immer das bei euch Adelsleuten früher geheißen haben mag!"

Schummriger Lichtschein kleidete nun wie beim letzten Treffen seine körperlose Gestalt in silbernen Glanz ein, setzte überdies seine edel geschliffenen Gesichtszüge recht gekonnt in Szene. Wie ein Relikt aus alter Zeit stand der ewig junge Mann aufrechten Willens vor ihr, auf seiner aufgesetzten Miene wehte nun ein Hauch von amüsierten Humors vorüber.

"Mein Gedächtnis mag zwar, zugegeben, vielleicht nicht das Beste sein, aber ich glaube, dass ich dir das Versprechen gegeben habe, gerne unsere aufgeschobene Konservation weiterzuführen zu wollen. Nicht wahr?", erwiderte der von Lahnstein mit einer derart wohl erklingenden Stimme, sodass unweigerlich leise Schauder über Victorias Rücken hinweg jagten und am Ende sogar bis tief in ihre Seele vordrangen.

Ernsthaft? Du fühlst dich von einem Geist angezogen? Ich glaub, es hakt bei dir. Sigmund Freud hätte bestimmt seine Freude daran, dein verdorbenes Gehirn sezieren zu dürfen.

"Stimmt, ist aber nicht der Punkt. Aber sei's drum. Jetzt ein Streit über Anstand und Etikette vom Zaun zu brechen hilft am Ende sicherlich keiner Partei weiter. Du willst unser Gespräch fortsetzen. Also gut. Und ich will Antworten. Was hat es mit dem Fluch auf sich? Was ist vor hunderten Jahren in diesen Gemächern passiert?"

"Exzellent. Deine Wissensneugier kommt mir sehr gelegen und rühmt dich. Ich muss sagen, du gleichst Rosmarie bis auf das Mark. Ein wichtiger Punkt, der noch unbedingter Klärung auf unser beiden Seiten bedarf. Doch nun will ich dir einen Vorschlag unterbreiten, den du bestimmt nicht ablehnen kannst ", lächelte Fabian geheimnisvoll, obgleich das Strahlen seiner aufgesetzten Gesetze kaum seine funkelnden Augen zu erreichen schien.

Unwillkürlich hüllte ihn ein schwer lastender Schleier der Traurigkeit ein, verschlang sein Dasein buchstäblich mit Haut und Haar. Obgleich seine derzeitige Erscheinungsform kaum älter als Mitte Zwanzig sein durfte, so haftete ihm dennoch das Alter der vergangenen Ären wie ein kaum ablegbarer Schatten an.

So alt und jung zu zu gleichen Maßen. Welche schreckliche Bürden lasten wohl auf seinen Schultern?

"Ach ja, dann lass schnell hören. Im Gegensatz zu dir steht mir nämlich kein unbegrenztes Zeitlimit zur Verfügung!"

"Bist du denn bereit, eine Reise in die Vergangenheit mit mir anzutreten? Seite an Seite?"

Unsicher, ob sich der Geist gerade mit ihr einen sinnbefreiten Spaß erlaubt hatte oder auch nicht, verharrte Victoria für einen weiteren Moment an Ort und Stelle, im Inneren bereits darüber debattierend, welche unterschiedliche Entscheidungsmöglichkeiten ihr nun zur Verfügung standen.

Seufzend wandte die Schwarzhaarige den Blick ab, während ihr beobachtender Gegenüber zur gleichen Zeit in bleiernes Schweigen verfiel.

Gehen oder hier bleiben. Das ist nun die Frage. Wäre es wirklich klug, mit ihm mitzugehen? Mit Sicherheit nicht, doch bleibt mir eine andere Wahl, wenn ich endlich dem Rätsels Lösung auf die Spur kommen will?

Andererseits hätte es für ihn bis dato zahlreiche Möglichkeiten gegeben, mich einfach unter die Erde zu bringen und irgendwo bis zum St. Nimmerleinstag verrotten zu lassen. Und ich habe all die letzten Vorfälle nicht überlebt nur um jetzt klein bei zu geben. Das Glück ist ja bekanntlich mit den Tüchtigen...oder mit uns Dummen.

Langsam richtete Victoria ihre abgelenkte Sicht wieder auf Fabian, nun wähnte sie sich in ihrer Entschlossenheit sehr sicher. Auch der Geist zeigte weiterhin kein zögerliches Verhalten, so schien auch er sich seinem getroffenen Vorhaben wahrlich bewusst.

"Also schön, dann machen wir es eben auf deine Weise. Brechen wir auf, bevor ich es mir noch anders überlege", murmelte die junge Erwachsene, die sich, momentan nur in ihrem verschwitzten Nachthemd eingekleidet, rasch in der Eile die am Bett abgestellten Hauspantoffel anzog und gleich darauf in Richtung der Tür spurtete. Ohne dabei ihren gespenstischen Weggefährten lediglich eines Blickes zu würdigen.

Sobald die geöffnete Zimmertüre wieder in ihre eigentlichen Angeln fiel, wusste die Urlauberin erneut die Gesellschaft der attraktiven Heimsuchung in greifbarer Reichweite.

"Erst seit letzter Nacht bin ich mir vollkommen sicher, dass ihr Drei vielleicht unser aller Rettung sein könntet. Merkwürdigerweise stellt ihr die ersten Bewohner dar, die nach länger Zeit noch nicht vom Wahnsinn befallen worden zu sein scheinen. Warum genau vermag ich leider nicht zu sagen, aber möglicherweise hat euch das Schicksal als Fluchbrecher auserkoren. Um uns allen Frieden zu bringen, musst allerdings gerade du die verschüttete Wahrheit kenne lernen."

"Und warum ausgerechnet ich? Weshalb sprichst du in solchen Rätseln? Aus welchen Gründen können euch denn die lebenden Verwandten nicht zur Hilfe eilen?" , sprudelten die Worte geradezu in manischer Art aus ihrem Munde heraus, ihre Neugier schien nun um Welten stärker als jegliche verspürte Angst.

Zwar schnitt ihr Fabian daraufhin eine groteske Grimasse, doch ließ er sich in seiner prompt erfolgenden Erwiderung keineswegs lumpen.

"Übe dich in Geduld, deine Fragen werden schon bald so gut wie möglich beantwortet werden. Lass dir bloß gesagt sein, das ein dunkler Fluch niemals von Innen heraus gebrochen werden kann. So viel steht für uns und unsere Ahnen fest", gab der Geist bereitwillig Auskunft, während in seinen glänzenden Iriden kurz die Flamme uralten Peins aufflackerte, ehe diese nur wenige Sekunden später wie auf Geheiß erlosch.

Dem überraschend starken Drang widerstehend, den zeitweilig Verbündeten so manch Trost spenden zu wollen, räusperte sich Victoria lautstark und stierte nun den duster beschienenen Gang hinab, der geradewegs in das verknotete Gedärm des Herrenhauses von Dunkelmoor führte.

"Sehr gut, damit können wir eine geklärte Tatsache gleich zu den Akten legen. Bleiben noch - Sagen wir einmal, Pi mal Daumen - ein paar weitere hunderte Millionen offen. Ein Kinderspiel, wie ich meinen will, nicht wahr?", fasste die Schwarzhaarige trockenen Tonfalls die momentane Lage mit nur wenigen Silben zusammen. Im Insgeheimen dachte sie sich, dass eine Prise vielleicht nicht zu schaden und sogar das trübselige Gespenst auf andere Gedanken zu bringen vermochte.

Heiser auflachend, trug der spukende Jungspund nun ein aufrecht wirkendes Grinsen offen zur Schau. Zwar wirkte das Lächeln in seiner Gesamtheit ein wenig eingerostet, so als hätte er seit Anbeginn seiner Ewigkeit keine Freude mehr empfunden, doch es schien letzten Endes wahrhaftig. Eine durchaus charmant anmutende Geste, die Victoria auf Anhieb direkt gut gefiel.

"Ich seh schon, mit dir wird es nicht langweilig. Dann lass uns die Erkundung antreten, die Nacht ist noch jung und frisch. Und leider auch der einige Zeitraum, der es mir erlaubt, frei durch das Haus umher zu streifen."

"Wie kommt denn das?", wollte eine höchst interessiert dreinblickende Schwarzhaarige von dem Mann in Erfahrung bringen, der ihr auf höchst unerklärliche Weise innig vertraut vorkam, so als würde sie ihn bereits aus einem vorherigen Leben kennen. Es war, als läge ein pulsierendes goldenes Band um beider Seelen geschlungen. Und nicht einmal das unaufhaltsame Voranschreiten der Zeit oder der Einfluss von Gevatter sähen sich in der Lage, diese verschlungene Verbindung wieder in zwei einzelne Teile aufzutrennen.

Und genau diese furchterregende Feststellung jagte Victoria eine Heidenangst ein.


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