27. Spiegelbild der Doppelgänger

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"D'you know the big problem with a disguise, Mr. Holmes? However hard you try, it's always a self-portrait."


"Vermutlich handelt es sich bei der zeitweiligen Beschränkung um eine weitere Folgeerscheinung des umtriebigen Fluches. Dunkle Wesen können nur in Finsternis ihre begrenzte Freiheit finden.."

"Und was bedeutet das im Konkreten für dich? Was passiert denn am helllichten Tage mit dir?", erkundigte sich Victoria plaudernden Tonfalls, obgleich der Stein des Mitgefühls ziemlich schwer auf ihre Magengegend schlug und sogleich das dumpfe Gefühl einer rasch empor steigenden Übelkeit hervorrief. Nicht sicher, ob sie tatsächlich eine Antwort auf ihre Frage erhalten wollte, straffte die Schwarzhaarige unweigerlich ihre Schultern und signalisierte mittels einer kurzgehaltenen Kinnbewegung, nun in Richtung ihres unbekannten Ziels aufbrechen zu wollen.

Fabian verfiel daraufhin für ein paar Augenblicke in andächtiges Schweigen, ehe er wieder zögerlichen Mutes die Sprache fand. "Es ist, als befände ich mich derweilen in einem tiefen Schlaf. Sobald die Sonne untergeht, schlage ich meine Augen auf. Und wenn die Nacht wieder ihr Gesicht abwendet, dann ist es, als würde mein Verstand in eine verschlingende Bewusstlosigkeit abgleiten."

Was für ein schreckliches Schicksal. Ein Wunder, dass er sich noch nicht in einen verrückten Poltergeist verwandelt hat. An seiner Stelle wäre ich vermutlich bereits längst durchgedreht. Beeindruckend, wie er an den letzten Fäden seiner ausgefaserten Menschlichkeit hängt.

Natürlich blieb Victoria die Beobachtung nicht unbemerkt, wie nah ihm das Thema an die Nieren ging. Allein der Anblick seiner verzogenen Lippen, nun mehr eine groteske Perversion eines eigentlich fröhlich angedachten Lächelns darstellend, sprach buchstäblich Bände.

Sich laut räuspernd, um rausch einen Themenwechsel einzuleiten, deutete die junge Frau mit einer erhobenen Hand in Richtung des spärlich beleuchteten Ganges.

"Ähm. ... danke für deine Ehrlichkeit. Doch wollen wir nun ? Apropos...wie darf ich mir denn eine Reise in die Vergangenheit vorstellen? So rein aus Interesse halber. Statten wir deinem Gedächtnis einen Besuch ab oder wie läuft dieses Spektakel ab?"

"Nicht ganz", schmunzelte der Geist, der Pein auf seinem Gesicht schien bereits deutlich abgeklungen und einem überraschend weich anmutenden Ausdruck gewichen. "Wir werden nun den Speicher des obersten Stockwerkes aufsuchen. Dort, unter dem Schleier der schwarzen Vergangenheit verborgen, wirst du auf einen Gegenstand treffen, der dich vielleicht in deiner Suche weiterbringen kann."

"Versprechungen, Versprechungen", murmelte Victoria, während die Zwei wie auf Geheiß in schnelle Bewegungen verfielen.

Muss es allerdings unbedingt der Dachboden sein? Aber wenn ich darüber so nachdenke... Bibliothek, Küche, Kirche. Es schient hier überall zu spuken, also was soll's. Einen Versuch ist es zumindest wert. Immerhin bin ich aus freien Stücken hier. Wer A sagt, muss halt auch B sagen.

Im schweigenden Gleichklang ihrer beider Seelen schlendert Victoria in Begleitung ihrer luftigen Gesellschaft den finster schimmernden Flut entlang, dabei abgeschlossene Zimmertür für Zimmertüre weit hinter sich lassend. Kurz spielte die junge Frau mit dem Gedanken, ob sie Charlotte und Louisa mit auf ihre Entdeckungstour nehmen sollte, doch dann besann sich ihr grübelndes Selbst am Ende eines Besseren. Alles in allem, wenn die Heimgesuchte schlimmstenfalls Fabians Charakter fehleingeschätzt hatte, dann würde nur eine Person ins Verderben gestürzt werden. Und ihre besten Freundinnen wären hoffentlich fein raus.

Merkwürdigerweise, wie Victoria ständig aus den Augwinkeln heraus wahrnahm, klebte sein abschätzender Blick unentwegt auf ihrem eigenen Gesicht fest, rückte scheinbar für kaum eine Sekunde von der ausgewählten Betrachtung ab. Ein höchst seltsamer Umstand, der all ihre Sinne verrückt aufspielen ließ.

Nimmt er mich tatsächlich als eigenständige Person zur Kenntnis oder er sieht er in mir lediglich seine erwähnte Bekannte?, fragte sich die Davonschleichende im Insgeheimen, während sie sich derweilen zur gleichen Zeit einen begehbaren Weg durch die allesumfassende Pechschwärze hindurch zu wagen probierte. In diesem trostlosen Augenblick glich das Abbild des Gangs mehr denn je einem gefräßig dreinblickenden Schlund, welcher alles verschlang, was törichterweise seine direkte Nähe aufgesucht zu haben schien.

Unter jedem Schritt, unentwegt auf leisen Sohlen getätigt, knarrte der ausgelegte Holzboden lautstark auf, so als würde er wegen der nächtlichen Ruhestörung nur allzu gerne Beschwerde einlegen wollen. Unter anderen Bedingungen hätten Victoria diese schauderhaft erklingenden Geräusche durchaus Angst eingeflößt, doch dieses Mal schien alles vollkommen auf den Kopf gestellt. Allerdings verdrehte sich dieser Zustand, sobald die ersten aufgehängten Porträts rasch in ihr Blickfeld tratet, komplett ins Böse.

Wie Louisa vor einigen Nächten bereits lautstark angemerkt hatte, so schienen die abgebildeten Zeichnungen nun in finstere Abnormitäten des eigentlichen Selbst verwandelt. Unter anderem erspähte die Beobachtende gleichfalls die Konturen eines sinkenden Wracks, auf dessen nass morscher Oberfläche so manch piratenhafte Skelette einen gruseligen Totentanz aufführten.

Leicht kopfschüttelnd richtete Victoria ihre Sicht schnell wieder auf den Weg durch de Dunkelheit, da war es doch für das Erste bestimmt besser, auch ihre abgelenkten Gedanken wieder in relativ sichere Bahnen wiegen zu lassen.

Hinter zahlreich verwinkelten Korridoren versteckt, erreichten die wagemutigen Wanderer schon bald den leicht verdeckten Beginn einer beunruhigend zerbrechlich aussehenden Wendeltreppe. Blöderweise erweckte diese den Eindruck, bereits im Angesicht eines feinen Windhauchs in tausend kleine Teile aufzusplittern.

"Wollen wir?", hakte Fabian sogleich mit einer hochgezogenen Augenbraue nach. Eine amüsiert anmutende Geste, die ihm im Nu einen Hauch von frühere Lebendigkeit verlieh. "Andernfalls können wir natürlich..."

"Wir wollen!", grätschte die Schwarzhaarige auf der Stelle zwischen seiner Rede ein, dabei einen durch und durch würdevoll erklingenden Tonfall anschlagend, um ihrem Gegenüber aufzuzeigen, dass sie sich nicht so leicht in das Bockshorn jagen lassen würde.

Und die junge Frau ließ natürlich gleich auf das Gesagte rasch Taten folgen, indem sie wie vom Hafer gestochen auf den ständig knarrenden Zugang aufsprang. Während ihres vorsichtigen Aufstiegs hielt Victoria die umliegenden Geländer fest umklammert, das Ziel stets vor Augen behaltend.

Als endlich das Licht am Ende des Tunnels, hier in Gestalt einer spröden alte Eichentüre, in greifbare Nähe rückte, musste die junge Frau ein paar Mal tiefe Luftzüge einholen um sich im Inneren redlich gut Mut zuzureden. Schließlich packte die Urlauberin all ihre vorhandene Tapferkeit am sprichwörtlichen Schlafittchen, drückte mit zitternden Fingern einen verblichen glänzenden Metalltürhenkel herab und betrat sogleich das Reich der bislang verschlossenen Finsternis.

Vorsichtig unternahm Victoria langsam Schritt für Schritt und fand sich in Kürze im obersten Gedärm des altehrwürdigen Herrenhauses wieder. Nur Sekunden später flutete, tatsächlich wie von Geisterhand gelenkt, von oben herab schimmerndes Licht den kompletten Raum. Der unselige Ort glich vom Aussehen her ein wenig der Bauart des abgeschlossenen Zimmers, wenn auch gleich mit ein paar weniger Kartons ausgestattet. Fabian schien ihr während all der Zeit nicht mehr von der Seite zu weichen, seine Gesellschaft war so nah, dass nicht einmal ein Blatt Papier zwischen ihrer fleischlichen und seiner körperlosen Figur gepasst hätte.

Dick aufgewirbelte Staubwolken tanzten bei jeder Bewegung wie graue Schneeflocken durch die Luft auf, ehe sich die unschuldigen Geschöpfe abermals auf allen erdenklichen Stellen zur Ruhe niederließen. Gepaart mit dem abgestandenem Odem, der jeden Zentimeter dieses unheimlichen Abschnitts erfüllte, schlug ihrem Antlitz eine Woge trockener Altertümlichkeit entgegen, so als hätte dieser seinen letzten sterblichen Besuch buchstäblich vor ein paar Jahrhunderten erlebt.

Hustend um Atem ringend, fiel Victorias umher wandernder Blick auf das einzig vorhandene Fenster, das scheinbar diesem einsam und verlassen Ort zur Verfügung stand. Milchig trüb glänzte das Glas, zudem mit allerlei Unratsspuren versehen. Zwar ballte sich sogleich die Entschlossenheit, rasch frische Luft einzuatmen, wie eine auftürmende Welle in ihrem Geist auf, doch nur wenige Sekunden später siegte bereits ihre Vernunft. Denn gleich darauf erspähte ihr Selbst bereits den übrig gebliebenen Rest eines abgebrochenen Henkels.

So als hätte jemand vergebens versucht, um Hilfe zu schreien.

Erneut klapperte das abgeschlossene Regal in ihrer Erinnerungswelt donnernd laut auf, nun nicht mehr so leicht Ruhe gebend. Unweigerlich schoss Blut durch ihre Gehörgänge, gefolgt von einem dröhnenden, alles verschlingenden Schmerz. Victoria war es, als schien ein ihr bislang unbekannter Rückblick zu neuem Leben erwacht und würde nicht eher aufgeben, bis Rettung endlich in Sicht ward. Jedoch fehlte ihr trotz allem der entscheidende Schlüssel und ein großer Teil ihres Geistes wähnte sich nicht sicher, ob sie sich vielleicht all dieses Geschehen nicht doch letzten Endes einbildete.

Höchst erschaudernd über ihre verwirrte Wahrnehmung, so ließ die junge Frau rasch ihre Sicht weiter durch den verstaubten Salon schweifen. Dunkler Parkett überzog in gesamtheitlicher Manier den gegebenen Untergrund, Schimmel und Morschheit hatten sich unleugbar an manchen Stellen tief ins hölzerne Gewebe gefressen. Auch das Abbild der umfassenden Wände, einst vor langer Zeit mit altrosa gefärbten Tapeten überzogen, erinnerte nun mehr an die Darstellung eines angenagten Schweizer Käses. Überall traten feine Absplitterungen und kleine Löcher vor, die natürlich eine Aussicht auf die dahinter angelegten Vertäfelungen freigaben.

Überall standen alte, mit Utensilien randvoll bepackte Kartons herum. So als wären diese einst vor einer Weile bestellt, aber nicht abgeholt worden. Allerdings erregte eine Truhe, nicht weit von ihrem eigentlichen Standort entfernt, aller unmittelbarer Aufmerksamkeit. Wie eine Motte, welche sich vom Licht angezogen fühlte, schlenderte die Schwarzhaarige schnellen Schrittes in Richtung der abgestellten Kiste. Irgendwie schien es ihr ein innerer Drang, sich deren Inhalt gewiss zu werden. Unerklärlich, aber nichtsdestotrotz wahr.

Gut, dann wollen wir einmal, dachte sich Victoria, während sie sich mit einer einzig vorsichtig anmutenden Bewegung auf den ächzenden Fußboden niederkniete um das Innenleben der Truhe genauer in Anschein nehmen zu können. Beinahe kam es ihr so vor, als würde der unheimliche Behälter einen ständig erklingenden Sirenengesang verströmen, der Geist und Körper unweigerlich in ewige Gefangenschaft behalten würde. Unsicheren Mutes überlegte die Heimgesuchte, ob es wirklich eine gute Idee schien, diesen Container auf das dahinter Verborgene zu untersuchen.

Aber Fabian hat mir seine Zustimmung versichert, dass mir nichts geschehen wird. Und ich glaube ihm, so verrückt es sich auch womöglich für einen Außenstehenden anhören mag. Wer nicht wagt, der nicht gewinnt.

Mit einer zierlich anmutenden Hand glitt Victoria unweigerlich über das polierte Ebenholz hinweg, dessen äußerliche Fasse ebenfalls seine besten Tage weit hinter sich gelassen hatte. Tief gehende Kratzer und zahlreich andere zugefügte Wunden schienen kaum verheilte Narben hinterlassen.

So als hätte jemand Unbekanntes versucht, diesen Behälter gewaltsamen Willens aufzubekommen. Und vermutlich ist dem Einbrecher sogar das Vorhaben geglückt, denn ich kann weit und breit kein Schloss mehr erkennen. Aber nun genug des Zögerns. Vermutlich verhält es sich hier wie mit dem Umgang eines Pflasters. Je schneller abgerissen, desto kürzer der Schmerz.

Ein einzig heftiger Ruck genügte, um die laut knarrende Truhe sperrangelweit aufzustoßen. Leider wartete dort drinnen kein wertvoller Goldschatz auf seine unmittelbare Entdeckung. Nein, ein völlig anderer Gegenstand brachte Victorias wankenden Verstand beinahe zum völligen Einsturz.

"Wie ist das bloß möglich...", hauchte die junge Frau, dabei ständig ein altes, aufrecht liegendes Gemälde im Auge behaltend.

Ihr eigenes Antlitz, perfekt auf malerische Art und Weise auf dem Porträt festgehalten, stierte ihr nun mit einem wissenden Lächeln auf den Lippen entgegen.


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