Donnerstag - 2.4 - Marathon

Màu nền
Font chữ
Font size
Chiều cao dòng

Don't forget - it's fiction!

.............................................................................................................

Der zweite Tag voller Krisenmanagement steckt uns in den Knochen, als Markus und ich wieder zusammen hocken, um den nächsten Tag etwas vorzuplanen.
Es muss doch möglich sein, solche Katastrophenmomente zu vermeiden!
Danach gönne ich mir noch ein bisschen Alleinsein. Und ich glaube, ich brauche jetzt meine Lieblingskantate von Bach zur Aufmunterung. Als ich auf dem Weg in den Keller an der Wohnzimmertür vorbeikomme, ist die nur angelehnt, und es dringt Licht durch den Schlitz an der Seite. Erst denke ich, das wir das vorhin nur vergessen haben. Aber kaum strecke ich meine Hand rein in Richtung Schalter, höre ich Namjoon fragen.
"Tina, hast du kurz Zeit?"

Ich muss etwas mein Gesicht beherrschen, denn ich habe mal wieder ein Dejavu.
Die sind ja wie unsere Kinder, als sie klein waren! Wenn du sie ins Bett schickst, kommen sie noch fünfmal angelaufen und nerven mit „Mami, ich hab so Durst!" und „Mami, mir tun die Beine weh!" und „Mami, mein Teddy kann nicht einschlafen!" und so weiter und so weiter ...

Ich bin ja gar nicht genervt. Nur einfach sehr, sehr müde nach diesem ereignisreichen und beängstigenden Tag. Also verscheuche ich nochmal meine Trägheit und gehe rein zu Namjoon und - wie sich rausstellt - Yoongi, hin zu den beiden zum Sofa. Sie rücken auseinander und machen mir in ihrer Mitte Platz. Yoongi scheint es wieder soweit gutzugehen. Erst meldet sich aber Namjoon zu Wort.
"Als ich heute Mittag mit Yoongi hochgegangen bin, konnte ich mich nicht um die beiden anderen kümmern. Mir war ja klar, dass sie erstens nicht wirklich Schuld sondern nur Auslöser der Situation waren. Und dass es ihnen zweitens furchtbar peinlich sein würde. Früher hätte ich in dem Moment versucht, Spagat zu machen und mich um alle gleichzeitig zu kümmern. Als ich heute aus diesem Raum ging, war ich mit meiner ganzen Konzentration bei Yoongi. Und es ging mir gut damit. Ich wusste, dass du für die beiden anderen da sein würdest. Du kannst dir nicht vorstellen, wie erleichtert ich mich dadurch gefühlt habe. Nach dem Abendessen haben wir noch kurz miteinander gesprochen, um die Situation zu klären und aus der Welt zu schaffen. Da haben die beiden erzählt, wie du ihnen Yoongis Verhalten zu erklären versucht hast. Und wie der Nachmittag gelaufen ist. Ich kann nur immer wieder danke sagen, dass wir nicht in irgendeinem 0-8-15-Hotel hocken sondern hier wie zu Hause sein dürfen!"

„Gern geschehen. Ich kann euch ja vorne im Flur eine Rezeption einrichten, die Glocke gibt es auch schon. Da präsentiere ich euch dann bei eurem Auszug die Rechnung!"
Wir müssen alle drei lachen, weil das so absurd ist. Ich betrachte sie fast als meine Kinder, und sie fühlen sich so geborgen wie „bei Muttern". Wir sind hier alles Mögliche, aber bestimmt nicht wie ein anonymes Hotel!

Ich merke, dass Yoongi was sagen will, aber nicht die richtigen Worte findet.
„Spucks aus!"
Ich lächle ihn an. Und er entscheidet sich dafür, es nicht selbst mit Englisch zu versuchen sondern Namjoon übersetzen zu lassen.
„Ich glaube, dass du ein Mensch bist, der gerne versteht, was um ihn herum geschieht, damit du dich wohl fühlen kannst. Es fällt mir nicht leicht, aber ich sollte dir erklären, was heute Mittag in mir abgegangen ist. ... Naja, als Tae heute Mittag die Treppentür so aufgeknallt hat, habe ich fest geschlafen. Und bei dem Knall ist in meinem Kopf die Erinnerung an meinen Unfall mit der Schulter explodiert. Weißt du, was ich meine?"
Ich nicke, denn die Story mit dem Fahrradkurier-Job und dem Unfall und dem Autoreifen direkt neben seinem Kopf und der gebrochenen Schulter und der Sorge, dass er nun bei Bighit rausfliegt - die hat er irgendwo in den „burn the stage"-Filmen erzählt. Und dass so ein Flashback einem das Hirn explodieren lässt, kann ich mir bildhaft vorstellen.

„Mir war bis heute nicht bewusst, dass mich das tatsächlich so traumatisiert hat. Die komplette Geräuschkulisse dieses Unfalls war auf einmal in meinem Kopf, bevor ich überhaupt wach war. Und da bin ich halt ausgeflippt. Dass ich jetzt auf die Sirenen so reagiere, ist echt scheiße. ... Jedenfalls ... möchte ich mich auch bedanken. Dass wir hier sein dürfen, dass du dich um alles so kümmerst, dass wir hier einfach wir selbst sein können, dass wir euch vertrauen können. Das bedeutet so viel für uns! Du hast heute den ganzen Tag lang für mich immerzu das Richtige getan, und das ist nicht selbstverständlich."

Lächelnd ziehe ich Yoongi kurz in meinen Arm. Damit habe ich in der Tat nicht gerechnet! Ich habe eigentlich Yoongi immer als den wahrgenommen, der am reifsten und am meisten erwachsen und innerlich angekommen ist. Aber eben auch als einen Menschen, der eher still und distanziert ist und nicht so viel preis gibt.

„Danke!"
Er nuschelt an meiner Schulter. Yoongi richtet sich wieder auf.
„Weißt du, meine Eltern lieben mich, und ich liebe meine Eltern sehr. Aber diese Art von Ernstnehmen und Verstehen und Umsorgen und ... naja, wie du mit uns umgehst. Das habe ich nie gehabt. Vielleicht keiner von uns. Kinder haben zu funktionieren in Korea. Du tust so gut!"
Uuuups.
Komplimente annehmen ist echt nicht leicht, selbst, wenn sie so ehrlich und aus tiefstem Herzen kommen. Oder vielleicht grade deshalb? Weil sie das eigene Herz berühren?

„Ihr seid doch keine Kinder mehr!"
Ich protestiere heftig.
„Wie könnte ich euch nicht als gleichberechtigte, erwachsene Gegenüber behandeln!"
„Weil das bei uns einfach nicht die Regel ist!"
Sofort kommt es von beiden wie aus einem Mund.

Ach, wenn sich diese schmeichelhaften Komplimente doch mit meiner Selbstwahrnehmung decken würden ... Eigentlich habe ich im Moment das Gefühl, meine Nerven sind zum Zerreißen gespannt, und ich hätte jetzt gerne mindestens eine Woche einsame Insel, weil ich sonst nichts und niemandem mehr gerecht werden kann. Normalerweise halte ich so eine soziale Dauerbefeuerung höchstens 1 - 1 ½ Tage lang durch und werde dann zum Zombi. Jetzt geht das schon über mehr als zwei Tage so, ohne dass ich mich irgendwie hätte seelisch drauf vorbereiten können. Und neben gewissen Müdigkeitserscheinungen laufe ich immer noch wie ein gut geölter Motor. Allmählich werde ich mir selbst unheimlich und fühle mich wie eine tickende Zeitbombe. Ach Gott, was hast du mit mir vor? Wo wirst du mich und uns hinführen?

Eine Weile sind wir miteinander still und genießen einfach die Gemeinschaft. Plötzlich grinst Namjoon an mir vorbei.
„Aber du bist müde. Wir lassen dich jetzt in Ruhe. Außerdem schläft Yoongi sonst gleich hier an deiner Schulter ein, und hochtragen will ich den ganz bestimmt nicht."
Die beiden ziehen ab, wobei „ziehen" das richtige Wort ist, weil Namjoon nämlich tatsächlich Yoongi die Treppe raufziehen muss.

Die beiden haben mir mit ihren Worten echt die Seele gestreichelt. Das tat so richtig gut. Und ich bin auch einfach froh, dass Yoongi so schnell aus der Dissoziation raus gefunden hat. Andererseits kenne ich das von mir und auch von meinen Kindern. Wir schlafen Stress oder Kopfschmerzen oder Sorgen auch oft einfach weg. Der Körper holt sich so die Energie zurück, die die Seele verbraucht hat.

Nun lege ich mir doch noch die BWV 32 von Bach auf. „Liebster Jesu, mein Verlangen" klingt sanft durchs Wohnzimmer, schmeichelt meiner Seele und macht mich ruhig. Der fünfte Satz „Nun verschwindet alle Plage" ist ganz schwungvoll und so fröhlich, dass ich wie immer, wenn mir keiner zu sieht, anfange zu tanzen.

Trotzdem reicht es für heute.
Feierabend!
Alles schreit in mir danach. Ich lasse die beiden Tage nochmal Revue passieren und mache eine erstaunliche Entdeckung: wir haben uns über so vieles unterhalten. Wir hatten Schwierigkeiten und Organisatorisches zu regeln. Und wir hatten auch viel Freizeit und Spaß und gute Gespräche miteinander. Ab und zu läuft ihre Musik, und auch unser ganzer, guter alter 80er-Jahre-Rock schallt oft zu fröhlichem Gehopse durchs Wohnzimmer. Aber noch kein einziges Mal hat jemand von uns das Thema BTS angeschnitten. Ohne, dass wir uns riesig Mühe gegeben hätten, gab es bisher nur vier Deutsche und sieben Koreaner, nur du und ich, kein ihr seid *hier Klischee einsetzen * ... Und ich merke, dass ich das auch sehr gut finde. Die Vorstellung, ich würde gefragt, welcher Solosong mein liebster ist, oder wen von ihnen ich am hübschesten finde, oder wer am besten tanzen kann!!!
Grusel.
Ich hasse dieses ewige Ranking. An Jimins „ihr könnt alle alles besser als ich"-Aufzählung von gestern morgen hat man ja gemerkt, wie viel Scherben das schlagen kann. An der Stelle verstehe ich die koreanische Gesellschaft echt nicht. Der dadurch aufgebaute Druck muss mörderisch sein.

Ich schleiche mich in meinen Keller und fahre den PC hoch. In meinem Postfach trudeln allmählich die Nachfragen und Reaktionen von Verwandten und Freunden ein. Die ein oder andere Mail beantworte ich auch, schicke noch an einige eine "alles gut"-Rudelmail. Aber bald stelle ich fest, dass ich sogar dazu zu müde bin. Ich will heute einfach nichts und niemand mehr verstehen, erklären, beruhigen müssen. Morgen ist auch noch ein Tag ...

.......................................................

28.10.2018    -    18.3.2019    -    28.10.2019
24.3.2020

Bạn đang đọc truyện trên: Truyen2U.Pro