Zwischenspiel: Ein Hauch von Aura

Màu nền
Font chữ
Font size
Chiều cao dòng

Deutschland, Berlin – 15. Juni 1927

„Haben Sie eine Idee, wo die Talismane sein könnten?"

Raiks Stimme glitt so nüchtern durch seine Gedanken, dass Siegfried zusammenfuhr und blinzelte. Das half nur bedingt. Seine Sicht verschwamm. Der schummerige Gang des Varietés, von dem die Logen abgingen, wurde immer wieder überlagert von den zerstörten und mit Blut besudelten Straßen Magdeburgs.

Er hörte das entfernte Gemurmel der unten versammelten Gesellschaft ebenso wie die groben Stimmen der Soldaten in seinem Kopf: „Zeig dich, bevor-! Ohhhh - Püppchen!"

Lillians aufkommende Angst war wie die Seine, als er sich umsah und krampfhaft versuchte, die Erinnerung der Vampirin von der Realität zu trennen.

Na, wer bist du denn?" Die Stimme des Soldaten klang bedrohlich.

Fast so bedrohlich wie Raik, als dieser einen Schritt auf ihn zutrat. „Herr Werstein? Alles in Ordnung?"

Lillian stolperte zurück. Der Geschmack von Asche auf seiner... Nein. Ihrer Zunge, der nicht weichen wollte.

Siegfried wich vor Raiks großem Schatten zurück. „Was?"

Der Werwolf hob die Brauen und etwas leuchtete in seinen grauen Augen auf.

Er schluckte. Er musste sich zusammenreißen. „Ja. Nein."

Das war nur Raik. Raik war nicht gefährlich.

„Ich meine-" Er atmete tief ein und aus. „Alles in Ordnung."

Enge um ihn herum. Die Soldaten hatten Lillian ins Visier genommen und sie versuchte, tiefer in die Schatten der zerstörten Häuser zu flüchten.

Es war schwer, das zu trennen. Noch schwerer war es, zwischen dem Chaos an Eindrücken, auf sein eigenes Gefühl zu hören. Die Magie zu erspüren, die den Talismanen innewohnte, sich von ihr leiten zu lassen, hin zu den Objekten, damit er seinen Auftrag erfüllen konnte. Immerhin war das deutliche Ziehen der Magie an seinen Geist unmissverständlich. Die Talismane mussten hier sein. Ruckartig blieb er stehen und deutete Raik eine Tür an, hinter der er die Aura zu spüren vermutete.

Wieder versank der Hexer in das halbdunkel von Lillians Erinnerung. Er spürte, wie sich die damals junge Vampirin an eine Wand presste, als der Soldat Schritt für Schritt näher kam.

Da riss ihn Raiks irritiertes Kopfschütteln in die Realität zurück. Jetzt erst bemerkte Siegfried seinen Fehler. Da war keine Tür. Glühende Hitze schoss durch seine Wangen. Das war eine Tür aus Lillians Erinnerung gewesen, durch die er Raik hatte schicken wollen. Mit zusammengebissenen Zähnen winkte er den Werwolf weiter den Gang hinunter und zwang sich dazu, die Verbindung zu den fremden Erinnerungen zu unterbrechen.

Ein vages Gefühl von Erleichterung, das nicht von ihm kam, strömte durch ihn hindurch. Offensichtlich wollte Lillian nicht, dass er diese Erinnerungen sah ... Aber er würde zu gerne. Vielleicht war er etwas Großem auf der Spur. Doch jetzt musste er sich konzentrieren.

Kurze Zeit später standen Raik und er vor einer ganz realen Tür, neben der ein schickes, nichtssagendes Ölbild hing. Die Geburt der Aphrodite stand unter dem Bild, das eine Frau zeigte, die gerade dem schäumenden Meer entstieg. Egal. Seine Hexensinne flüsterten schon die ganze Zeit, aber nun schrien sie ihn förmlich an. In dem Raum musste es einfach sein, hoffte Siegfried zumindest. „Versuchen wir es hier", murmelte er leise. Der Werwolf nickte und brachte sich in Position.

Als Raik die Tür vorsichtig öffnete, war niemand in der Loge zu sehen. Zögernd traten die beiden Ordensmitglieder in den kleinen Raum, der den Blick auf die Bühne und das Tanzgeschehen unter ihnen freigab. Sorgfältig achtete Siegfried darauf, von dort unten nicht gesehen zu werden, während seine Augen automatisch nach Lillian suchten. Tatsächlich tanzte sie mit dem Wächter, den sie vorhin noch bezirzt hatte.

Hinter ihm schloss Raik den Zugang wieder. „Ist es hier?"

Rasch suchte Siegfried die Loge mit Blicken ab. Im ersten Moment sah er nichts weiter als dekorative Vorhänge aus schwerem, roten Stoff an den Wänden. Dazu ein paar große Pflanzenkübel links und rechts des Eingangs und natürlich eine Fünfer Reihe mit bequem gepolsterten Sesseln. Keine Talismane. Doch da zogen ihn seine Hexensinne zu einem niedrigen Mahagoni-Beistelltischchen mit einem kleinen, hölzernen Kästchen. Siegfried lächelte. Treffer. Die Magie quoll regelrecht daraus hervor. Das war ja leicht gewesen. Innerlich gratulierte sich Siegfried zu dem erfolgreichen Auftrag.

Sofort glitten seine Überlegungen zurück zu Lillian. So schnell kam sie ihm nicht davon. Wieder suchte er die Verbindung zu ihren Gedanken. ‚Ich wollte wissen, wie du Raik kennen gelernt hast', erinnerte er sie mit einem lockeren Plauderton und der sicheren Überzeugung, dass heute nichts mehr schiefgehen konnte. Heute war ein guter Tag.

Lillian zögerte deutlich. ‚Ich möchte eigentlich nicht, dass Sie-'

Das war keine Bitte', unterbrach Siegfried sie leise und ein fast schon schwindelerregendes Gefühl von Macht rauschte durch seine Venen. Sie hatte seinen Anweisungen zu folgen.


Einen Moment lang geschah nichts. Dann schmeckte er einmal mehr Asche und roch Blut. Es kostete ihn fast nichts, erneut nach ihrer Erinnerung zu greifen und darin einzutauchen. Einen Augenblick später hatte er wieder die doppelte Wahrnehmung, stand abermals sowohl in der halbdunklen Loge des Varietés und inmitten der verbrannten Häuser, während sich der Blick des Soldaten in seine ... in Lillians Augen bohrte.

Bạn đang đọc truyện trên: Truyen2U.Pro