2. Advokaten im Schatten

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Das weinende Mädchen schloss die Arme um ihren Großvater. Dieser Abschied kam einfach zu plötzlich und wie alle Abschiede tat der Abschiedsschmerz bei bestimmten, besonders liebenswerten Menschen besonders weh. Je lieber man sie hatte, desto tiefer war der Schmerz.

Mit zittriger Stimme sprach der alte Weeno zu seiner Enkeltochter: „Es gibt noch so viel, das ich dir zu sagen habe. Zunächst einmal die Grundlagen: Sei immer fies, sei stets grausam. Und iss niemals Käse, mein Kind! Nur Schwachköpfe stopfen sich verfaulte Milch in den Schlund! Und vergiss niemals: Lebe deinen Hass aus! Und beseitige die Liebe aus deinem Leben! Sei nur dann nett zu Leuten, kurz bevor du sie betrügst. Aber höre nie auf, gehässig zu sein. Ach ja! Offenbare niemanden deine Gefühle. Diesen eigensinnigen Menschen würden sie sowieso nicht kümmern! Mit Ausnahme ..."

„Oh, Großvater!"

„... von niemanden. Vielleicht glaubst du, mal jemanden zu begegnen, der es ernst mit dir meint – aber dieser jemand existiert nur in deiner naiven Vorstellung. Nicht einmal mir bist du wichtig."

„Bitte gehe nicht, Großvater!"

„Verspotte das Leben! Laufe vor jeder anstrengenden Aufgabe davon! Und vergiss nicht, gehässig zu sein, Kind! Sei stets gehässig! Und kleide dich unanständig! Denke unanständig! Sei unanständig! Ich verlasse dich nun."

„Großvater!"

***

Drei Stunden zuvor konnte man zwei Anzugträger dabei beobachten, wie sie gemeinsam einen Wald versuchten zu durchqueren. Die Sonne stand hoch am Himmel und der Wald sorgte nicht wirklich für Abkühlung an diesem sommerlichen Nachmittag. Die beiden Herren wussten zunächst nichts davon, dass der jeweils andere ebenfalls einen Termin bei jemanden hatten, dessen Wohnsitz dermaßen weit entfernt vom Dorf war. Warum hatte dieser alte Zauberer in seinem abgelegenen Turm ausgerechnet zwei Anwälte zu sich herbestellt? Die beiden Männer waren ziemlich überrascht gewesen, als sie sich am Waldeingang „zufällig" trafen und versuchten, einen möglichst direkten Weg zum Magierturm ihres – wie sie hofften – zukünftigen Mandanten zu finden.

Leider führte nur ein schmaler Weg in diesem Teil des Mitternachtsforstes, den die beiden zu beschreiten hatten. Je schmaler der Weg wurde, desto üppiger wurde der Bewuchs und desto unzugänglicher wurde es. Die beiden Anwälte kannten sich gut und hatten verschiedene Male sogar miteinander beruflich zu tun gehabt. Mit ihren teuren, ledernen Aktenkoffern in den Händen mussten sie mühevoll die ganzen Dornenpflanzen umgehen. Doch irgendwann gelangten sie an einem Punkt, an dem sie sich entschieden hatten, sowohl ihre Anzüge als auch alles andere, das auf dem Weg Schaden nimmt, später ihren Mandanten in Rechnung zu stellen.

„Also dass wir beide den gleichen Termin bei diesem Windu haben ist wirklich merkwürdig."

„Er nennt sich Weeno. Weeno der Mächtige – immer schön daran denken! Er soll auf diese Anrede bestehen und wir sollten es uns nicht mit ihm verscherzen. Vielleicht ist es nur ein Zufall, dass ausgerechnet wir uns beide hier treffen mussten. Ich meine... Er kann ja eigentlich nicht wissen, dass wir mitunter..."

„... gemeinsame Sache machen, Herr Dr. Häcksler. Sie können es ruhig aussprechen, hier hört uns niemand. Es ist nur ein Wald!"

„Herr Dr. Gewäsch, wenn sie wüssten, was die Dorfbewohner über ihn so tratschen, dann würden sie etwas vorsichtiger sein!"

„Ihn? Meinen sie damit den Wald oder den verschrobenen alten Zauberer, Herr Dr. Häcksler? Dass es überhaupt noch so etwas wie Zauberer gibt! Lächerlich! Er wird uns schon nicht an seine Kreaturen verfüttern ..."

Der etwas beleibte Anwalt namens Dr. Torwald Häcksler, der ganz frei von Körperhaaren war und nur eine runde Brille in seinem Gesicht trug, nahm die Sache nicht ganz so locker wie sein jüngerer, rattengesichtiger Kollege Dr. Wulfgang „Wully" Gewäsch und beantworte dessen Ausführungen mit einem abwertenden Schnauben. Schließlich hatte er seine Kanzlei in dem Nachbardorf Brotlingen gehabt – wo der alte Weeno ebenfalls wohlbekannt und gefürchtet ist. Und er eigentlich wissen müsste, das mit ihm nicht zu spaßen ist.

„Wie kann man nur so abgeschieden leben wollen? Außer der alten Hobbithexe im westlichen Teil des Waldes gibt es hier absolut nichts!"

„Mich beschäftigt eine wichtigere Frage: Warum hat dieser Zauberer uns unabhängig voneinander zu sich eingeladen?"

„Vielleicht geht es um eine Sorgerechtsangelegenheit. Man sagt sich, dass seit einigen Jahren ein kleines Mädchen bei ihm lebt. Angeblich seine Enkeltochter."

„Warum sollte er denn auch keine Enkelin haben?"

„Sehen sie sich und seine Behausung mal näher an, dann wissen sie warum. Ein Kind, das bei einem Zauberer lebt! Soll sie von ihm in die Geheimnisse der Nekromantie eingeweiht werden? Oder Dämonen beschwören? Imps herstellen? Pah!"

„Also das Sorgerecht in diesem Bezirk ist recht simpel geregelt. Derjenige, der das Kind am meisten liebt, der für es sorgen kann und bei dem es sich wohlfühlt, der behält es auch. Bei so einem Streitfall ist nicht viel zu holen. Ich glaube eher, dass es etwas Zivilrechtliches ist."

„Sie erhoffen sich es wohl eher ... Das kann schon sein, so ein Zauberer eckt gerne mal irgendwo an. Doch diese verdammte elfische Kanzlerin hat seiner Zunft so viele Sonderrechte und -befugnisse erteilt, dass einem schlecht wird! Stellen sie sich das mal vor: Es ist einem Zauberer frei überlassen, welchem menschlichen oder nichtmenschlichen Individuum er seine Magie verabreicht. Theoretisch könnte er selbst entscheiden, uns beide mal eben in diese dienstbaren Imps zu verwandeln, uns komische Namen zu geben und dann zu verkaufen! Und jeder akzeptiert das!"

„Außer die Imp-Gegner, von denen es in letzter Zeit immer mehr gibt. Dieser Pöbel, der immer mit diesen lächerlichen Schildern auf den Straßen die sich immer wiederholenden Parolen skandieren. Imps sind eine Plage! Imps sind unsauber! Imps haben keinen eigenen Verstand! Imps nehmen uns die Arbeit weg! Ich tippe darauf, dass es sich um so eine Angelegenheit handelt."

„Hmmm... Nein. Wenn das alles, was man sich im Dorf über den Alten sagt, stimmt, dann sollte er mit Imp-Gegnern ganz gut selbst fertigwerden. Weeno ist wohl der unbeliebteste Zauberer weit und breit! Und das will etwas heißen! Er soll sogar eine Banshee bei sich als Untermieterin haben!"

Diese Aussage entlockte dem jungen Anwalt nur ein ungläubiges Schmunzeln – und lenkte ihn dahingehend ab, dass er einen Ast übersah, der seiner Anzugjacke einen weiteren Riss zufügte.

„Also für diese Strapazen und auch das, was hier meinem Anzug angetan wird, bekommt dieser Weeno eine gesalzene Rechnung!"

„Er wird bestimmt nicht so ein Menschenhasser sein, wie die Leute behaupten. Und bestimmt hat ihn seine Enkeltochter etwas weicher werden lassen..."

Eine Sache musste aber noch geklärt werden – von weitem konnten die beiden Anwälte bereits Teile von Weenos imposanten Magierturm zwischen den Bäumen ausmachen.

„Werden wir wieder so vorgehen wie immer? Ich werde seinen Fall übernehmen – was auch immer es sein wird – und sie lehnen ab, vertreten dann die Gegenseite (mit den Informationen, die sie heute von ihm und später von mir bekommen werden). Und dann werden wir wie immer den Prozess in die Länge ziehen und bis in alle Ewigkeit von beiden Parteien abkassieren!"

„Selbstverständlich. So wie damals bei der Nachbarschaftsangelegenheit Ehrmann gegen Klammroth? Oder Käseviel versus Gunnarsdottirson? Porkins – Wetschmann?"

„Oh, wir sind angekommen. Sehen sie da auch einen pinken Glitzer-Imp mit einem Einhorn-Horn auf der Nase, der hilfesuchend aus dem Turmfenster herausschaut?"

„Wer ist so grausam und tut einem kleinen, unschuldigen Imp so etwas an?"

***

Die beiden Anwälte Dr. Häcksler und Dr. Gewäsch hatte der Anblick dieses verunstalteten Imps dann doch etwas Angst gemacht. Obwohl... Dieser alte Zauberer kann ja schließlich nicht beide gleichzeitig impifizieren und jeder der beiden Anwälte hoffte insgeheim darauf, dass der andere zuerst dran ist, er fliehen und anschließend Weeno auf Schmerzensgeld verklagen kann. Auch sein Reichtum ist allerorts bekannt.

Die Anwälte standen nun vor der schweren Eisentür des alten Zauberers und wunderten sich über die Stimmen, die sie hinter der Tür vernahmen. Irgendwelche Mädchen sagten drinnen einen Kinderreim auf.

„Ein rosa Drache, der fühlte sich allein,
da kam ein zweiter Drache mit einem Holzbein.
Er brachte seinen Drachenkumpel mi-ma-mit
und schon waren die Drachen zu dri-dra-dritt."

„Sind sie sicher, dass das hier ein Magierturm und kein Kinderhort ist, Herr Dr. Gewäsch?"

„Der violette Drache Rumpelpumpelfutz
war nach dem Spielen voller Schmutz.
Er flog noch schnell zu den drei Drachen
- er wollte mit ihnen singen, tanzen und lachen."

„Herr Dr. Häcksler, wir sollten vielleicht mal klopfen..."

„Einen Moment noch."

„Vier kleine Drachen hüpften und waren froh.
Da kam ein fünfter Drache mit 'nem Schnabel wie ein Dodo.
Und er...
Ach, ich vergesse immer, wie der Reim weitergeht!"

„Also ab der zweiten Strophe hat dieser Kinderreim etwas nachgelassen, finden sie nicht auch, Herr Dr. Häcksler?"

Der einem Nagetier ähnliche Anwalt Dr. Gewäsch überließ seinem beleibten Kollegen die Betätigung des Türklopfers. Schon bald öffnete sich die schwere Eisentür und dahinter kam zum Vorschein...

... etwas, womit die beiden Anwälte nicht unbedingt gerechnet hatten. Eine kleine Person in einem schwarzen Umhang mit einem offensichtlich angeklebten, langen, grauen Bart begrüße die Anwälte. Wie so ein kleines Wesen die große, schwere Tür geöffnet haben könnte, war für sie ein Rätsel gewesen, aber in einem Magierturm ist wohl alles möglich.

Offensichtlich ein Kind, das mit verstellter, tiefer Stimme sprach: „Ich grüße euch, huh-huh! Ich bin der mächtige Grummel-Weeno, buaaaah! Und nun seid ihr in meiner Gewalt! Denn ich bin der allmächtige Weeno-Dino! Huaaaah!"

„Das sagtest du bereits."

Enttäuscht darüber, dass die beiden Erwachsenen kein Interesse daran hatten, bei ihrem Spielchen mitzumachen, zog das Mädchen eine Schnute.

Dr. Rattengesicht flüsterte Dr. Adipositas hinter vorgehaltener Hand zu: „Ja, sie haben recht, vor diesem Weeno sollte man sich wirklich fürchten..."

Die Anwälte warteten indessen im Eingangsbereich des Magierturms und schauten sich um. Alles nicht so, wie man es sich von jemanden wie Weeno vorstellt. Rosa bemalte, helle Wände und glitzernde Girlanden, Dekorationspuppen, ein Kommödchen in Kindergröße (ebenfalls rosa) und herumliegende Stofftiere. Doch man konnte noch erahnen, dass der Turm einst die Dunkelheit beherbergte. Nur musste man dafür sehr genau hinsehen ...

„Von innen wirkt der Magierturm wesentlich kleiner als von Außen oder bilde ich mir das ein, Herr Dr. Häcksler?"

„Magie. Alle Zauberer neigen zu Angeberei."

„Ja, also auf diese Inneneinrichtung kann Weeno der Mächtige mächtig stolz sein."

Offensichtlich war dieses verkleidete Gör eine der Sängerinnen, die von den Anwälten vor der Tür gehört wurden und schnell sahen sie, woher die anderen Stimmen stammten: Am oberen Ende der gewundenen Steintreppe saßen zwei weitere Personen weiblichen Geschlechts auf den Stufen und kicherten vor sich hin. Eines der Mädchen war schon fast eine junge Frau gewesen, sie hatte lange blonde Haare und machte in ihrem hellblauen Kleid den Eindruck, nicht hierher zu gehören. Sie wirkte zu kultiviert für diesen Alptraum in pink im Inneren dieses Magierturms.

Ein kindliches Gemüt war eher der anderen Person zuzutrauen gewesen. Eindeutig weiblich – doch extrem klein und behaart. So ein Individuum hatten sie beiden Anwälte noch nie gesehen – und sie vermuteten, dass diese junge, gnomgroße Frau auch irgendwie von Weeno magisch erzeugt wurde. Aus der Entfernung sah sie fast wie eine Ratte mit weiblichen Rundungen aus – sie trug einen kurzen schwarzen Rock und darüber ein ebenso schwarzes Hemdchen in Puppengröße. Und grinste erwartungsvoll ...

Neugierig schauten die beiden jungen Mädchen hinab, in der Hoffnung, dass diese kleine Weeno-Parodie weiter fortgesetzt wird – doch jemand hatte etwas dagegen. Es öffnete sich eine Holztür im Erdgeschoss und zügig kam der wahre Bewohner des Magierturmes angerannt, es ist erstaunlich, wie schnell ein 89-jähriger Mann rennen kann, wenn er muss.

„Na wir sind heute aber wieder witzig. Husch, geh spielen!", gab Weeno mit ruhiger Stimme seiner Enkelin zu verstehen, die eher widerwillig zu ihren beiden Freundinnen die Stufen hinaufsauste, die am oberen Ende der gewundenen Treppe ihren Abzählreim wieder von vorne aufsagten.

„Neun ri-ra-rosa Drachen lachen
und machen ti-ta-tolle Sachen
Wer kann das nicht verstehn?
Der fiese Drache Nummer Zehn."

Obwohl solche Gefühlsregungen eher untypisch für Weeno war, schüttelte er leicht den Kopf, um sein Statement zu dem Reim abzugeben. Dann wandte Weeno sich an die beiden Anwälte: „Na endlich sind sie hier. Unpünktlichkeit ist wie eine Geschlechtskrankheit: Sie wird nicht gerne gesehen und ist nichts, worauf man stolz sein kann."

Und nachdem er die leicht eingerissenen Anzugjacken der beiden Anwälte sah – an den Ärmeln konnte man gut die darunterliegenden Hemden erkennen – fügte er hinzu: „... und das gilt auch für ein ungepflegtes Äußeres."

Die Anwälte ignorierten diese Äußerungen.

„Wir grüßen Euch, mächtiger Weeno und erfragen, warum Ihr die Anwesenheit von meinem *hust* geschätzten Kollegen und mir erbeten habt", schleimte der beleibte Anwalt, während sein rattengesichtiger Kollege sich zunächst bedeckt hielt.

Weeno ignorierte zunächst diesen Anwalt und rief den Mädchen zu: „Wie oft soll ich euch noch sagen, dass es keine rosa Drachen gibt! Zumindest nicht in dieser, meiner Welt!"

Die Mädchen kümmerte das nicht, doch sie zogen sich weiter nach oben zurück, dabei sangen sie aber ohne Unterbrechung weiter.

Weeno drehte zunächst seinen Kopf und dann ganz langsam seinen Oberkörper in Richtung der Anwälte und sprach: „Ah, Anwälte. Treten sie in mein Arbeitszimmer ein, wir haben so einiges zu besprechen, es geht um eine recht delikate Angelegenheit."

Neugierig folgen die beiden Advokaten den Zauberer zu einer Treppe, die hinab führte. Einen dunklen Gang gingen sie entlang und es kam beiden Anwälten so vor, als ob sie hinter einer Tür markerschütterndes Schreien hören. War das etwa die Banshee, die bei Weeno lebt und mit ihrem Schreien das Nahen des Todes ankündigte? Nein, vermutlich irgendein armer Irrer, dem gerade bewusst wurde, dass er schon bald in ein dienstbaren, kleinen Imp-Sklaven verwandelt wird.

Unten angekommen öffnete Weeno eine weitere hölzerne Tür, die dermaßen marode war, dass selbst die Holzwürmer Mitleid mit ihr hatten. Dahinter offenbarte sich ihnen ein kärglich eingerichteter Raum. Mehrere ungemütliche Holzstühle, ein Tisch mit dämonisch anmutenden Amuletten und eine Petroleumlampe (die für die passende schummerige Lichtstimmung sorgte), es gab mehrere verschieden große kupferne Kessel - einer davon auf einer erloschenen Feuerstelle, in einer Ecke eine Sukkubusstatue und verborgen im Schatten etwas Dunkles, das die beiden Anwälte nicht erkennen konnten - und insgeheim auch froh darüber waren...

„Nehmen sie Platz", wies Weeno sie an. Es war keine Bitte, auch kein Befehl, sondern vom Tonfall so etwas wie eine Feststellung.

Abfällig betrachtete Weeno die beiden Anwälte, die ihm gegenüber auf einfachen, nicht besonders rückenfreundlichen Holzstühlen saßen, während Weeno in seinem schwarzen Ledersessel der Marke „Cozy like Hell" Platz nahm. Er lehnte sich weit zurück und legte seine Fingerspitzen aneinander. Und begutachtete die Anwälte.

Das (zumindest für die Anwälte) unangenehme Schweigen musste Dr. Häcksler als erster unterbrechen: „Ähem, wenn Ihr mir die Frage gestattet: Was ist der Grund für unsere Einladung? Hat Eure Magie jemanden Schaden zugefügt?"

„Na, das will ich doch hoffen. Nein, es geht um eine Dringlichkeit, bei der speziell ihre Körperschaften gefragt sind", antwortete Weeno mit Bosheit in den leicht zusammengekniffenen Augen – zusätzlich zu seiner üblichen Bösartigkeit.

„Und die wäre?", wollte Dr. Gewäsch wissen.

Weeno öffnete seinen Mund leicht, um anzudeuten, dass er die Frage gleich beantwortet, doch er wollte diesen Moment weiter in die Länge ziehen. Und die Ratlosigkeit der Anwälte auskosten.

„Einen kleinen Moment noch."

Es folgte erneut eine Pause, die den fettleibigen Anwalt zum Schwitzen brachte und bei dem rattengesichtigen nervöses Augenzucken verursachte.

Weeno verharrte fast regungslos und die Anwälte fragten sich, ob das irgendeine altersbedingte Macke sei oder ob er sie irgendwie musterte. Es vergingen mehrere Minuten bis Weeno...

... unvermittelt aus seinem Sessel aufsprang, seine Arme öffnete und den Anwälten mit seinen Fingerspitzen gleichzeitig auf die jeweiligen Stirne klopfte, bei dem verschwitzten Dr. Häcksler war es besonders unangenehm. Nicht einmal eine Sekunde später sanken sie ermattet zurück auf ihre Stühle, jegliche Energie wurde ihren Körpern entzogen. Wollte Weeno sie impifizieren?

„Nein, mein Imp-Bestand braucht nicht aufgestockt zu werden, falls sie sich das fragen", erläuterte Weeno mit einem leichten Grinsen. Und gleichzeitig vernahmen die immobilisierten Anwälte ein Scharren, so, als ob etwas Tönernes über den Steinboden geschleift wird. Kchrrrrrrr...

So langsam kam etwas Furchtbares aus dem Schatten hervor, etwas, das für die Anwälte Schlimmes erahnen ließ: Eine Pflanze - falls man das fast zwei Meter große „Ding" so bezeichnen konnte. Die Triebe, die es auf allen Seiten hatte, waren voll beweglich gewesen und die Pflanze schaffte es, sich selbst mit ihren Trieben langsam über den Boden zu den Anwälten hinzuziehen, einschließlich des tönernen Topfes, in dem sie sich befand. Langsam aber sicher. Die Triebe, einer rechts einer links, fungierten wie Arme und sie brachten die schwarze pflanzenartige Kreatur immer näher an die Anwälte heran.

Wäre diese Pflanze eine übergroße Sonnenblume gewesen, dann wäre die Angst der Anwälte nicht ganz so intensiv, und obwohl sie nicht mehr sprechen konnten (was für viele Anwälte zusätzlich eine große Folter ist!), sagte der Schweiß auf ihren Stirnen alles aus, was man über ihren Gemütszustand wissen sollte, genauso wie die weit aufgerissenen Augen (die Augenlider hatten noch etwas Muskelkraft besessen).

Nein, dies war keine harmlose Zierpflanze gewesen, die sich aus eigener Kraft den Anwälten näherte, sondern ein schwarzes, großes Maul an einem dicken schwarzen Stiel, der wie ein Hals wirkte. Ein Hals, der nach unten hin immer breiter wurde – und ein schreckliches Maul, das immer näher an sie herankam. Und es hatte sogar Zähne – sowie Speichel, der aus dem Maul tropfte!

Die Anwälte waren für Weeno – wer ihn näher kannte wusste, dass sie es von Anfang an für ihn waren – nur noch leblose Dinge. Und selbst sie wurden sich immer mehr bewusst, dass sie in der näheren Zukunft tatsächlich leblos sind – und wohl keine weitere Zukunft haben werden. Weeno setzte sich entspannt zurück in seinen Sessel.

„Ihr Anwälte könnt nur Wahrheiten nach eurem Gutdünken verdrehen! Pah! Ein Zauberer kann ganze Realitäten erschaffen (oder zerstören, was lustiger ist)!", erläuterte Weeno. „An Anwälten gibt es eigentlich nur eine gute Eigenschaft: Sie sind ein hervorragendes Fresschen für zu Killerpflanzen mutierte Kaktussen, äh, Kakteen. Na, meine kleine Ebru II, möchtest du wieder etwas Feines von Vati?"

Weeno offenbarte selten seine Gefühle, doch man merkte ihm an, das er innerlich triumphierte. Wenn er das Leben von so unbedeutenden Kreaturen wie Anwälten beenden durfte, war er glücklich und in seinem Element. Mehrere Male vorher hatte er bereits die Menschheit von diesen Subjekten befreit, die weder jemand benötigt noch jemals vermissen wird - und nun wollte er gerade sein Werk vollenden und diese beiden Anwälte verfüttern, das Rattengesicht und den beleibten Verschwitzten, bis...

... heftiges Klopfen an der verschlossenen Tür leider Weenos Routine unterbrach. Doch Weeno musste noch den letzten Satz, den seine Opfer immer zu hören bekamen, aussprechen.

So jemand wie Weeno ist nicht in der Lage, sich zu entschuldigen, auch lag es ihm fern, Erklärungen abzuliefern. Doch er liebte immer, die Reaktionen seiner Opfer zu beobachten, wenn er Folgendes sagte: „Sie müssen wissen, dass ich meine Ebru II vor Jahren aus einer fremden, von Hass zersetzten Welt hergeholt hatte. War ganz amüsant dort. Sie frisst nun mal nichts anderes als Anwälte in dieser Welt ..."

Mit einer kurzen Handbewegung ließ er die Petroleumlampe erlöschen, erhob sich rasch aus dem Sessel und ging zur Tür, die er laut krachend hinter sich zuknallen ließ.

Weeno murmelte noch - hauptsächlich zu sich selbst: „... und wir wollen die süße Ebru II doch nicht verhungern lassen." Doch das Letzte, was die Anwälte Dr. Gewäsch und Dr. Häcksler hörten, war Scharren und Schmatzen. In der Dunkelheit.

„Wozu störst du mich bei der ... Arbeit, Heidi?!?", grummelte Weeno zu der vor der Tür stehenden Heidi, die offenbar etwas aufgebracht war. Doch das Mädchen neigte zu Überreaktionen.

Das Mädchen stammelte: „Der... der Rabe..."

„Was ist mit Kaarax?"

„Er sandte eine Botschaft."

„Na und? Blogunde und ich schreiben uns fast täglich kurze Nachrichten. Du kannst den Zettel auf meinen Tisch im richtigen Arbeitszimmer ablegen, aber das weißt du ja, Heidi!"

Mit verschränkten Armen und einem ärgerlich auf den Boden klopfendem Fuß moserte das kleine Mädchen: „Das habe ich längst gemacht. Dieses Mal war die Botschaft als ‚Wichtig' gekennzeichnet worden. Und ich heiße nicht mehr ‚Heidi', das weißt du doch, Großvater! Nenne mich gefälligst: ‚H-Girl'!"

„Was soll das für ein Name sein?"

„Girl ist das neu-anglesische Wort für..."

„Ist mir egal."

„Dann gehe ich wieder zurück zu Carly und Tally."

„Schön."

„Schön!", schrie H-Girl formerly Known as „Heidi" zurück, rannte die steinerne Treppe hinauf und zurück in ihr Zimmer, wo sie krachend die Tür zuknallte. Und hinter der Tür konnte Weeno das Geplapper der beiden Freundinnen seiner Enkeltochter vernehmen.

Seitdem ihre beiden Freundinnen aus der Großstadt, mit denen Heidi-Girl seit ein paar Jahren eine intensive Brieffreundschaft hegte, während der Sommerferien zu Besuch waren, hatte sich in Weenos Magierturm so einiges zum Schlechten verändert. Heidi war jetzt in einem Alter, in dem sie nicht mehr ein kleines Kind, aber auch nicht wirklich eine Jugendliche ist. Für Eltern ein schwieriger Abschnitt im Leben eines jungen Menschen. Für Großeltern, die nicht die Möglichkeit haben, das Kind wieder zurück zu ihren Eltern zu schicken, wenn es zu anstrengend wird, besonders schwierig. Heidi war Vollwaise und Weeno der einzige Mensch, den sie noch hatte!

Und immer muss Heidi vor ihren Freundinnen so aufgedreht sein! Was war nur mit der kleinen Heidi geschehen, die ihren alten Weeno über alles liebte?

Nachdenklich schritt Weeno die Stufen hinauf und vereinzelte Imps, die in ihren Käfigen an den Wänden mit eisernen Haken (die Käfige, nicht die Imps) aufgehängt waren, spürten Weenos Nachdenklichkeit und jammerten an seiner Stelle herum. Sehr empathische und hilfsbereite Wesen - die einem selbst das Jammern abnehmen. Vor wenigen Minuten triumphierte Weeno noch über zwei schmierige Anzugsmenschen und nun erfüllte ihn innerlich... Etwas nicht Greifbares. War es Traurigkeit? Beim Anblick der oberen Stockwerke, die von Heidi mit selbstgemalten Feen- und Einhornbildchen bunt verziert wurden, überkam ihn eine tiefe Melancholie. Wo war seine Dunkelheit geblieben? Diese verdammte Zuneigung, die das Kind ihm gegenüber empfand, verwandelte den einst angsteinflößenden, ehrfurchtgebietenden Magierturm in ein ... Mädchenpensionat. Ein rosafarbenes Mädchenpensionat, um genau zu sein. Möchte er so die nächsten Jahre leben? Und was stellten die Mädchen immer da oben in Heidis Zimmer - seinem ehemaligen Evokationsraum – an?

Weeno öffnete gedankenverloren die Holztür zu seinem persönlichen Rückzugsort. An jeden Tag in den letzten drei Wochen musste er das ständige Gemecker, Gesinge und Geplapper von der kleinen Heidi und ihren Freundinnen ertragen. Immer häufiger ertappte er sich bei dem Gedanken daran, wie schön es wäre, wieder allein zu sein. Es gab noch so viel für ihn zu erschaffen, zerstören und wieder-erschaffen.

Nun wollte er aber wissen, was das dringende Problem seiner einzigen Freundin Blogunde war. Die kleinen Zettel, mit denen die Füße der Raben, die zweimal am Tag zwischen seinem Magierturm und dem Hobbithexenbau pendeln mussten, wurden immer zusammengerollt und mit kleinen Bändchen zusammengehalten - und mit ihnen auch an den Füßen der Raben geknotet. Im Laufe der Jahrzehnte etablierte sich dabei ein bestimmter Farbcode: Grauweiße Bändchen zeigten an, dass es sich um die üblichen Botschaften handelte. Weeno konnte sie lesen, wann auch immer er Zeit für sie erübrigen konnte. Gerne beim Frühstück, das er nach Möglichkeit ohne seine Enkeltochter einnahm, die morgens sogar noch länger schlief als er und teilweise erst während der Mittagszeit den Weg aus dem Bett fand. Blaue Bändchen bedeuteten magische Aufträge, die sich Weeno und Blogunde gegenseitig zuschusterten. Wichtig, aber nicht lebenswichtig. Noch nie wurden allerdings rote Bändchen benutzt! Und dieses spezielle Band war sogar blutrot gewesen, vermutlich von Blogunde persönlich gefärbt!

Unverzüglich entfaltete Weeno die Nachricht seiner Kumpeline. Sie war nur kurz und veranlasste den Alten, sofort sein Arbeitszimmer zu verlassen und zu ihr aufzubrechen...

***

... doch zuvor klopfte Weeno noch schnell an der Tür zu Heidis Zimmer. Das Mädchen bewohnte wohl den größten Raum im Turm – und vor nicht allzu langer Zeit war er voller Imps, Homunkuli und zu willenlosen Sklaven gemachten Wichtelmännchen. Nun leider nur ein rosafarbenes Etwas, wofür sich nur kleine Mädchen (jeden Alters) begeistern konnten. Weeno wagte es nicht, länger als drei Minuten in Heidis Zimmer zu verbringen, um nicht völlig zu erblinden.

Also wartete er zunächst vor der Tür und hörte dabei undefinierbares Tuscheln. Mädchen!

Ihm wurde geöffnet. Heidi stand vor ihm mit einem betrübten Gesichtsausdruck. Hat sie etwa die Nachricht bereits gelesen? Ah, vielleicht erschrak sie das blutrote Bändchen beim Empfang der Nachricht, nahm Weeno an.

„Ich muss kurz Blogunde besuchen und bin bald wieder bei dir."

„Großvater, geh' nicht fort!"

„Spätestens am Abend bin ich wieder daheim."

„Großvater!"

„Ich bin nur kurz bei der alten Blogunde, sie braucht m..."

„Bitte, bleib hier! Ich habe das Gefühl, dass du nicht mehr heimkehrst!"

„Humbug! Warum sollte ich nicht heimkommen? Ich komme gewiss wieder zu dir."

"G-G-Großv..."

Weeno hasste Heidis melodramatische Art zutiefst. Er wird nun zu Blogunde gehen, ihr bei ihrem Anliegen helfen und zurückkehren. Was soll schon passieren? Aber wenn dem Mädchen ein dramatischer Abschied lieber ist... Bitteschön. Weeno versuchte, den betrübten Gesichtsausdruck seiner Enkeltochter zu imitieren, in seinem Fall eher zu parodieren, dabei sprach er langsam und leise wie ein alter Mann, der im Sterben liegt: „Na schön, du hast es nicht anders gewollt. Hier hast du meine Abschiedsrede: Es gibt noch so viel, das ich dir zu..."


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